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Postdemokratisch

Außer Spesen nichts gewesen: In Zypern fand die erste interparlamentarische Konferenz zur Kontrolle der Außen- und Militärpolitik der EU statt. Anmerkungen

Von Sevim Dagdelen *

Am 7. und 8. September waren die EU-Außenminister im zyprischen Paphos zusammengekommen und hatten dort u.a. ein härteres Vorgehen gegen den Iran und neue Sanktionen gegen die syrische Regierung beschlossen. Zugleich machten die Außenminister klar, daß mit einer schnellen Niederlage Baschar Al-Assads nicht zu rechnen sei und die Zahl der Flüchtlinge deshalb weiter wachsen werde. Da die EU nicht bereit ist, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen, sollen die Nachbarstaaten Syriens, die bereits jetzt immer tiefer in den Konflikt hineingezogen werden, hierfür finanzielle Hilfe erhalten. An Scheinheiligkeit nicht zu überbieten reiste der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) direkt von Zypern nach Jordanien, um das größte Flüchtlingslager des Landes zu besuchen und seine angebliche Sorge über die humanitäre Lage zum Ausdruck zu bringen.

Das Bemühen um eine Verhandlungslösung stand beim Außenministertreffen erst gar nicht zur Debatte. Die EU wäre hierzu auch kaum noch in der Lage, hatte sie sich doch früh eindeutig für den Sturz Assads ausgesprochen, die diplomatischen Verbindungen zu Syrien gekappt, Kontakte zur bewaffneten Opposition aufgenommen und diese in deren Hoffnung und deren Willen bestärkt, gewaltsam die Macht an sich zu reißen. Unterstützt wurde diese Politik des »Regime change« durch Sanktionen, welche die Unzufriedenheit im Lande schüren und die Sicherheitskräfte zum Überlaufen motivieren sollten. Flankierend hierzu stehen offensichtlich in den Mitgliedsstaaten mehrere Geldtöpfe bereit, um Überläufer finanziell zu entlohnen. Durch ihre Hinterzimmerdiplomatie und ihr Sanktionsregime heizt die EU also den Krieg in Syrien weiter an, im vollen Bewußtsein, daß dieser noch lange anhalten kann. Schlimmer noch: Durch ihr Sanktionsregime macht sie das Humanitäre selbst zum Mittel der Kriegführung. Sie beschneidet die Möglichkeiten der Regierung, für die Bevölkerung zu sorgen und diese zu schützen und internationalisiert diese staatlichen Aufgaben mit dem Verweis auf die selbst erzeugte Notlage. Ein unparteiisches Handeln wird so immer schwieriger.

Vor dem Treffen in Zypern etwa hatte Frankreich angekündigt, die humanitäre und logistische Hilfe für von den Rebellen eroberte Städte zu intensivieren und hierzu auch enge Verbindungen mit den vor Ort agierenden Aufständischen zu knüpfen, die höchstwahrscheinlich zugleich über »Partnerdienste« mit Geheimdienstinformationen des BND unterstützt werden. Konkret bestehen die Ergebnisse solcher informeller EU-Außenministertreffen im sogenannten Gymnich-Format neben Sprachregelungen v.a. in Arbeitsaufträgen an die wachsende Brüsseler Militärbürokratie, in diesem Fall die Ausarbeitung von neuen Sanktionen und informellen Absprachen unter den Mitgliedsstaaten: Wer unterstützt wen mit Aufklärung, Geld, Waffen usw.

Keine Mitbestimmung

Die Umgehung demokratischer Prinzipien war bei der Militarisierung der EU-Außenpolitik von Anfang an vorgesehen. Eine Mitbestimmung des Parlaments oder eine parlamentarische Kontrolle der gemeinsam durchgeführten Einsätze war von Anbeginn an ausgeschlossen. Mit dem Vertrag von Lissabon, der ohnehin die Verfassungen zahlreicher Staaten de facto überschrieb, wurde zudem die Stimmverteilung im Rat zugunsten der großen Mitgliedsstaaten verschoben. Zuletzt ist mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst eine Mammutbehörde geschaffen worden, welche die Aufgaben eines EU-Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministeriums auf sich vereint, ohne dabei parlamentarisch kontrolliert oder im öffentlichen Bewußtsein überhaupt präsent zu sein.

Neben diesen institutionellen Beschränkungen ist es v.a. die Form der EU-Einsätze und -Außenpolitik, welche ihr Demokratiedefizit weiter verschärft: Dem Anspruch, zum Global Player zu werden und überall auf der Welt zu intervenieren, wo der Zugang zu Rohstoffen oder Märkten beschränkt wird, standen zunächst zu geringe gemeinsame militärische Kapazitäten gegenüber. Hinzu kamen Reste parlamentarischer Kontrollrechte auf nationaler Ebene. Auf der anderen Seite haben die Interventionen in Afghanistan und Irak eine strategische Lage sichtbar gemacht, in der sich zwischenstaatliche Kriege und umfassende Besatzungsarmeen als kostspielig und ineffizient erweisen. Statt dessen wurde verstärkt auf die diplomatische Unterstützung von Putschregierungen, auf logistische Hilfe für Missionen der UNO oder der Afrikanischen Union, auf die polizeiliche und militärische Unterstützung gefälliger Despoten oder auch von Aufstands- und Sezzesionsbewegungen gesetzt, was man als Strategie der ferngesteuerten Bürgerkriege bezeichnen kann. Die zahlreichen EU-Ausbilder-, Polizei- und Beratermissionen im Kosovo und im Irak, in der Westbank, der Demokratischen Republik Kongo, Guinea-Bissau und Uganda, nun auch im Sudan, in Niger, Somalia und Kenia, erfahren weder durch das Europäische Parlament, noch auf nationaler Ebene eine parlamentarische Kontrolle, da die nationalen Kontingente sehr klein und (offiziell) nur zur »Selbstverteidigung und Trainingszwecken« bewaffnet sind. Aber auch über den derzeit größten und robusten EU-Einsatz »Atalanta« erfahren die Abgeordneten so gut wie nichts: Parlamentarische Anfragen etwa, welche Ziele seit der Ausweitung des Mandates dieser Mission auf den Strand von Somalia bislang unter Beschuß genommen wurden, blieben weitgehend unbeantwortet.

Ohne Debatten

Angesichts der Beharrlichkeit, mit der sich die EU bei der Durchführung dieser imperialistischen Missionen auf Werte wie Demokratie und Menschenrechte beruft, scheint jedoch das Demokratiedefizit – eher wohl seine Offensichtlichkeit – zum Problem geworden zu sein. Deshalb wurde am 9. und 10. September ebenfalls in Zypern eine »Interparlamentarische Konferenz zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik/Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (GASP/GSVP) einberufen – just, als die Außenminister der EU-Staaten und mit ihnen die Medienvertreter wieder abgereist waren. Parlamentarier aus den 27 EU-Mitgliedsstaaten nahmen an der Gründungsversammlung teil, darunter eine sechsköpfige deutsche Delegation.

Die Linke hatte sich stets für die Einrichtung einer solchen Institution stark gemacht. Ohne davon auszugehen, daß dadurch eine wirksame Kontrolle der EU-Außenpolitik möglich sein würde, hatte man die Hoffnung, daß damit eine regelmäßige Unterrichtung auch der nationalen Parlamente und der Öffentlichkeit über die quasigeheime EU-Missionen ermöglicht würde. Gerade das jedoch wurde effektiv verhindert. Die erste Sitzung fand statt, ohne daß es in den meisten nationalen Parlamenten überhaupt Debatten hierzu gegeben hätte. Die Zusammensetzung der nationalen Delegationen und die Frage, wer antrags- und redeberechtigt ist, blieb unbestimmt. Eine politische Zusammenarbeit zwischen den nationalen Delegationen ist bislang nicht vorgesehen. Die Versammlung soll zwei Mal im Jahr zusammentreten und kann dann nach der beschlossenen Geschäftsordnung einstimmig Berichte verabschieden, die jedoch keinerlei rechtliche Wirkung haben. Letztlich dient das interparlamentarische Treffen nicht der Kontrolle, es soll vielmehr, wie es in der Geschäftsordnung heißt, »den politischen Konsens in den Bereichen GASP und GSVP durch Unterstützung eines geschlosseneren, kohärenteren und wirksameren Vorgehens der EU und ihrer Mitgliedsstaaten bei der Auseinandersetzung mit globalen Gefahren und Herausforderungen« fördern.

Der eigentliche Skandal hierbei ist jedoch nicht das Vorgehen der Exekutive, er besteht vielmehr darin, daß die Entmachtung der Parlamente wie auch die positive Bezugnahme auf die »Postdemokratie« aus den Parlamenten selbst kommt. Der Entwurf der Geschäftsordnung etwa ging wesentlich auf den Europaabgeordneten Elmar Brok (CDU) zurück. Er war es auch, der in einem unangekündigten Vortreffen gemeinsam mit wenigen Delegationsleitern die zuvor eingegangenen Änderungsanträge sichtete und der Versammlung daraufhin die Einsetzung einer Kommission vorschlug, die hierüber die kommenden 18 Monate beraten soll. Der Widerspruch gegen dieses Vorgehen hielt sich in Grenzen, genauso wie die Teilnahme an der konstituierenden Versammlung selbst: Jedes Land hätte sechs Parlamentarier entsenden können. Etwa die Hälfte war nur mit vier oder weniger Abgeordneten vertreten.

Das Verhältnis der EU zu Demokratie und Menschenrechten brachte deren Außenbeauftragte Catherine Ashton auf den Punkt. Die Frage nach einer möglichen Entsendung von Beobachtern der Europäischen Union zum Prozeß gegen den US-Soldaten und mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning wurde von ihr schlicht nicht beantwortet.

* Sevim Dagdelen ist Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke im Bundestag und gehörte der deutschen Delegation auf der interparlamentarischen Konferenz in Zypern an

Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. September 2012


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