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Sprengstoff in der Euro-Zone

Von Christa Luft *

Sollte Milton Friedman, Vater des Monetarismus, recht behalten? Der ebenso einflussreiche wie umstrittene US-amerikanische Ökonom unkte 2002, Euroland werde in 5 bis 15 Jahren zusammenbrechen. Zu ungleich sei die Entwicklung der Beteiligten, und der Wegfall der eigenen Währung verhindere eine Verbesserung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit mittels Abwertung. Eine einheitliche Währung ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik und ohne Fiskalunion verurteile das Integrationsprojekt zum Scheitern.

Eine Dekade ist seit der belächelten Prognose vergangen. Die Staatsschuldenkrise droht den Sprengstoff in der Euro-Zone zu entzünden. Sie umfasst mittlerweile 17 Länder mit 17 verschiedenen Staatsanleihen und unterschiedlichen Zinssätzen, Kursen und Renditen. Ein Paradies für Finanzjongleure! Diese verschulden sich günstig in Ländern mit guter Bonität und legen das Geld in klammen Ländern für höhere Zinsen an. Banken kaufen Staatsanleihen der Krisenländer auf, hinterlegen sie als Sicherheit bei der Europäischen Zentralbank und erhalten dafür frisch gedruckte Euroscheine zu einem Niedrigzinssatz. Finanzmärkte entscheiden über das Schicksal demokratischer Staaten und von Millionen von Menschen.

Mehrmals wurden bereits milliardenschwere Schirme aufgespannt, um überschuldete Euro-Länder vor dem drohenden Bankrott zu retten. Irland, Portugal und Griechenland suchten darunter Schutz. Die Sorge wächst, auch Spanien müsse unter den Schirm. Spekuliert wird über einen Austritt der Hellenen aus der Eurozone oder die Umschuldung.

Den hilfebedürftigen Ländern werden härteste Bandagen verordnet. Das drosselt deren Wirtschaftskraft. Die Bevölkerung ächzt unter rigiden Sparmaßnahmen und macht dafür die EU verantwortlich. Nationalistische Tendenzen breiten sich aus. Aber auch in Ländern, die sich als Zahlmeister Europas sehen, wächst der Unmut. In den Niederlanden will die »Partei für die Freiheit« den Gulden wiederhaben und der Partei »Wahre Finnen« hat ihre Anti-Euro-Rhetorik bei den jüngsten Wahlen in Finnland knapp 20 Prozent beschert. In Frankreich wettert die rechte »Front National« gegen den Euro.

Eine erneute Aufstockung des Rettungsschirms wird in den Geberländern – selbst mit dem Hinweis auf deren Vorteile – der breiten Bevölkerung kaum vermittelbar sein. Denn Hauptprofiteur ist die Exportwirtschaft. Eine Rückkehr zur nationalen Währung würde das betreffende Krisenland in seinen Euro-Altschulden ertrinken lassen. Eine Umschuldung könnte für Griechenland aktuell ein Befreiungsschlag sein. Geldgeber müssten auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten und die Laufzeit der griechischen Anleihen verlängern. Das Problem: Betroffen wären nicht nur private Investoren wie Versicherungen, Pensionsfonds und Banken, sondern auch die Steuerzahler. In Deutschland wären etwa die WestLB und die verstaatlichte Hypo Real Estate zu Abschreibungen gezwungen, und der Bund hätte Kapital nachzuschießen.

Der Bruch der Euro-Zone lässt sich nicht mit weiteren Rettungsmilliarden und neuen Sparauflagen verhindern. Ausgehebelt gehören ruinöse Wucherzinsen privater Banken für Kredite an klamme Länder, indem Euroland gemeinsam Anleihen vergibt. Deren Risikoaufschläge würden durch die gute Bonität einiger Mitglieder der Union reduziert. Auch fordert die wirtschaftliche Konsolidierung hochverschuldeter Länder außer starken eigenen Anstrengungen ein wachstumsförderndes europäisches Investitionsprogramm.

[In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.]

* Aus: Neues Deutschland, 16. Mai 2011


Alles fürs Finanzkapital

"Hilfe" für Griechenland verpufft. Euro-Krise wird der Bevölkerung neue Belastungen bringen, die Banken kommen ungeschoren davon

Von Rainer Rupp **


Die »Hilfe« hat nichts genützt: Trotz des Überbrückungskredits von 110 Milliarden Euro ist Griechenland nicht aus der Krise gekommen. Obwohl das vor einem Jahr im Rahmen des EU-Rettungsschirms gewährte dreijährige Darlehen der Wendepunkt sein sollte, ist die absolute Verschuldung Athens weiter gestiegen – von 150 auf 157 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, wie die EU-Kommission am Freitag mitteilte.

Damit ist auch die Hoffnung dahin, daß Griechenland in einigen Jahren wieder zu annehmbaren Zinsen Geld am freien Kapitalmarkt leihen kann. Dort werden derzeit von den Hellenen 16 Prozent Zinsen auf zehnjährige Anleihen verlangt. Bei dem geringen Export und der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ist das trotz eines am Freitag prognostizierten Wachstums im ersten Quartal eine unmögliche Forderung. 2010 war die Wirtschaftsleistung um fünf Prozent geschrumpft, die Arbeitslosigkeit ist auf derzeit offiziell 15 Prozent gesprungen – Tendenz steigend. Zugleich braucht Griechenland 60 Milliarden Euro, natürlich von der EU, allein um die in den nächsten zwei Jahren fälligen Kredite zu bedienen.

Ganz klar: Das Land steht erneut vor der Zahlungsunfähigkeit. Da verwundert es nicht, daß inzwischen auch bisher als Tabus behandelte Themen diskutiert werden – wie das (nicht mehr so geheime) Geheimtreffen der Finanzminister Deutschlands, Frankreichs und Griechenlands mit Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker und dem Zentralbankpräsidenten Jean-Claude Trichet am Freitag vergangener Woche deutlich werden ließ. Soll Griechenland aus der Euro-Zone austreten? Oder wäre eine Umschuldung die Lösung, bevor dem mit 340 Milliarden Euro bereits hoffnungslos überschuldete Land weiterer EU-Kredite gewährt werden?

Mit Latein am Ende

Es ist ja nicht so, daß anderswo Ruhe herrschen würde: Neben Portugal und Griechenland haben weitere Staaten der Euro-Zone zunehmende Schwierigkeiten, ihre Schatzbriefe zu verkaufen. Italien und Spanien brauchen allein dieses Jahr 400 Milliarden Euro, um fällig gewordene alte Schulden zu verlängern. Der Währungsraum kommt nicht aus der Krise, und die Rettungsstrategen sind mit ihrem Latein am Ende.

Um zu verhindern, daß diese Misere die Banken- und Versicherungskonzerne in den kerneuropäischen Ländern wie Deutschland und Frankreich mit in den Abwärtsstrudel zieht, haben die »Retter« geglaubt, sie könnten das Überschuldungsproblem der Krisenländer mit der Aufhäufung von noch mehr Verbindlichkeiten lösen. Zugleich werden den Völkern noch härtere Sparmaßnahmen aufgezwungen. Wie aber soll Griechenland (gleiches gilt für Irland und Portugal) mit den befohlenen staatlichen Ausgabenkürzungen, drastisch gesenkten Löhne und massiven Steuererhöhungen aus der Krise herauswachsen?

Athen versucht zwar, mit statistischen Tricks ein BIP-Wachstum von 0,8 Prozent fürs erste Quartal vorzugaukeln. Woher das bei der schrumpfenden Wirtschaft gekommen sein soll, erklärt man nicht. Ohne eine tatsächliche Zunahme des BIP aber war die Politik der »Retter« (EU, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Warum wurde sie dennoch durchgesetzt? Es galt zunächst, Zeit zu gewinnen, Zeit für eine Umstrukturierung des Systems. Denn eine marktwirtschaftskonforme Lösung dieser Krise des Kapitalismus hätte die internationalen Bankenkonzerne – und damit die eigentlichen Machtzentren – in den Bankrott getrieben. Das Problem durfte daher nicht mit ökonomischen, sondern mußte mit politischen Mitteln gelöst werden – Sozialismus für das Finanzkapital.

Bei diesem Lösungsansatz tragen nicht mehr die Finanzinvestoren das Risiko, sondern die Masse der kleinen Leute, egal ob in Griechenland oder in Deutschland. Ihre Regierungen schnallen ihnen ihre Gürtel enger, um mit dem dabei erpreßten Geld z.B. Griechenland zu »helfen«. Denn das muß weiterhin seine Zinsen und Schulden an die großen Finanzkonzerne zahlen. Ohne solche »Rettungsmaßnahmen« hätten diese die in ihren Tresoren lagernden Schatzbriefe der Krisenstaaten abschreiben müssen. Verluste in Höhe von Hunderten Milliarden Euro wären die Folge, was die sichere Pleite bedeutet hätte.

Inzwischen jedoch sind die Finanzmultis weitgehend abgesichert, ein griechischer Teilschuldenerlaß muß kaum noch gefürchten werden. Im Rahmen der »Rettungsaktionen« haben nämlich deren Helferlein in den Regierungssesseln gigantische Bürgschaften für Griechenland und Irland übernommen. Wahrscheinlich kommt Portugal bald hinzu. Zugleich ließen sie die EZB gewähren, als diese statutenwidrig den Banken »Schrott« in Form von irischen, portugiesischen und griechischen Schatzbriefen im Nennwert von 160 Milliarden Euro abkaufte, wie der Deutschlandfunk kürzlich meldete. Riesige Verluste sind so für die EZB programmiert.

Sicherer Schnitt

Im Fall eines sogenannten Schuldenschnitts werden jetzt zuerst die EU-Bürgschaften bezogen, sie schützen die Finanzkonzerne vor Verlusten. Zugleich sind dann die Schatzbriefe, die Banken noch halten, weniger risikobelastet und steigen im Wert. Während Finanzhäuser rundum gewinnen, zahlt der Steuerbürger die Zeche. Und weil die großen Unternehmen dank vieler legaler Schlupflöcher kaum noch Abgaben an das Staatssäckel zahlen, wird die Masse der lohnabhängigen Bevölkerung zusammen mit den kleinen Gewerbetreibenden geschröpft. Schätzungen gehen Medienberichten zufolge bei einer Teilentlastung Griechenlands davon aus, daß die BRD 80 Milliarden Euro übernehmen muß. Wohl deshalb will die deutsche Regierung an Bildungs- und Sozialausgaben so enorm viel sparen.

** Aus: junge Welt, 14. Mai 2011


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