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Militaristische Wunschliste

Von Sabine Lösing *

Wer einen »guten« Überblick über den aktuellen Stand der Debatte und die Vorschläge zur europäischen Militärpolitik erhalten möchte, dem sei ein Blick in den »Berichtsentwurf über die Umsetzung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)« empfohlen. Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Arnaud Danjean von der konservativen Europäischen Volkspartei, fordert darin gleich zu Beginn in geradezu missionarischem Ton, »dass die Europäische Union dazu berufen ist, international als globaler politischer Akteur aufzutreten, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit zu fördern, die Interessen der Europäischen Union in der Welt zu schützen und die Sicherheit ihrer Bürger zu gewährleisten«.

Gefördert wird die internationale Sicherheit aus Sicht des Danjean-Berichts am besten mit immer neuen »robusten« Einsätzen, da »die GSVP dazu bestimmt ist, in Krisengebieten auch bei Konflikten mit hoher Intensität mit einer starken politischen Sichtbarkeit der EU und mit der ehrgeizigen Zielsetzung zu intervenieren, um eine tatsächliche Wirkung vor Ort zu erzielen«. Aus diesem Grund wird auch explizit kritisiert, dass seit 2008 – mit Ausnahme der Ausbildungsmission EUTM Somalia – keine neuen militärischen Operationen »lanciert wurden, obwohl mehrere Krisen ein Eingreifen der Europäischen Union gerechtfertigt hätten, insbesondere in Libyen und in Mali«.

Der Einsatz EUTM Somalia soll augenscheinlich als »erfolgreicher« Prototyp für künftige Operationen dienen. In seinem Rahmen bilden EU-Soldaten in Uganda somalisches Militär für den Bürgerkrieg in Somalia aus – viele von ihnen wenden sich anschließend auch gegen die prowestliche »Regierung« im Land, die sie eigentlich »stabilisieren« sollen. Dennoch wird die Ausbildung und Ausrüstung von Truppen »befreundeter« Regime immer mehr als kostengünstige Alternative zur Einflusserweiterung ohne eigene direkte Militäreinsätze erachtet. Auch der Danjean-Bericht »betont, dass das Modell der Operation EUTM, das mit relativ geringem finanziellen, materiellen und personellen Aufwand der EU die Möglichkeit bietet, eine wichtige Rolle in der Region Ostafrikas einzunehmen, auf andere Gebiete, insbesondere in der Sahelzone, repliziert werden könnte«.

Es ist unmöglich, an dieser Stelle die vielen weiteren »Highlights« des Berichts aufzuzählen. Von der Ausweitung der EU-Militärpräsenz in Kongo über den Ausbau der »Krisenmanagementkapazitäten« bis hin zur Forderung nach konkreten Rüstungsprojekten ist nahezu alles vertreten. Dies alles kostet natürlich Unsummen, weshalb der Bericht schließlich auch die – extrem moderaten – Kürzungen der Militärhaushalte der EU-Staaten (von 288 Milliarden Dollar im Jahr 2010 auf 281 Milliarden Dollar 2011) scharf kritisiert: »Das Europäische Parlament konstatiert, dass diese Situation negative Auswirkungen auf die langfristige Glaubwürdigkeit der Europäischen Union und ihre Mitgliedstaaten als wichtige Akteure auf der internationalen Bühne hat, nicht nur gegenüber einem traditionellen Verbündeten wie den Vereinigten Staaten, sondern auch gegenüber Schwellenländern wie China, Brasilien oder Russland.«

Um »glaubwürdig« zu bleiben und der »Berufung« als »globaler Akteur« gerecht zu werden, sollen also keine Kosten gescheut werden. Angesichts der europaweiten Kahlschläge in den Sozialhaushalten wäre es dringend nötig, dieser militaristischen Wunschliste bei der am 18. Oktober anstehenden Abstimmung im Auswärtigen Ausschuss eine klare Absage zu erteilen. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist aber leider Skepsis angebracht, ob sich die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen dem anschließen werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 05. Oktober 2012 ("Brüsseler Spitzen")


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