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Der Euro schlüpft unter den Rettungsschirm

EU und IWF schnüren Kreditpaket für angeschlagene Staaten in Höhe von 750 Milliarden Euro

Das gigantische Rettungspaket im Umfang von bis zu 750 Milliarden Euro für angeschlagene Euro-Staaten trifft überwiegend auf Zustimmung.

Von einem »Ende der Schlacht« gegen die Spekulanten spricht die spanische EU-Ratspräsidentschaft. Das von den Euro-Staaten geschnürte Rettungspaket sei eine »sehr positive Einigung« und eine Antwort »an alle, die versuchen, die wirtschaftliche und finanzielle Lage der EU zu untergraben«, sagte Außenminister Miguel Angel Moratinos am Montag (10. Mai) in Brüssel.

In der Nacht zu Montag hatten sich die Finanzminister der Europäischen Union nach gut zwölfstündigen Verhandlungen auf einen beispiellosen Rettungsschirm geeinigt. Bis zu 750 Milliarden Euro Kredite könnten im Notfall an kriselnde Euro-Länder fließen, geknüpft an strenge Bedingungen zur Haushaltssanierung. 60 Milliarden kommen von der EU-Kommission. Sollte diese Summe nicht ausreichen, kommen bilaterale Garantien der Euro-Staaten von insgesamt bis zu 440 Milliarden Euro hinzu. Weitere bis zu 250 Milliarden stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) bereit.

»Das zeigt, dass wir den Euro verteidigen werden, koste es, was es wolle«, sagte Währungskommissar Olli Rehn. »Es gibt ganz klar ein systemisches Risiko und eine Bedrohung für die finanzielle Stabilität von Eurozone und EU, es handelt sich nicht nur um eine Attacke auf einzelne Länder.«

Die EU will mit diesem einmaligen Schritt das Vertrauen in den angeschlagenen Euro stärken und ein Übergreifen der griechische Schuldenkrise auf andere Länder wie Spanien oder Portugal verhindern. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) kündigte an, gemeinsam mit anderen großen Notenbanken massiv auf den Finanzmärkten zu intervenieren.

Der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi und der französische Präsident Nicolas Sarkozy ließen am Montag erklären, sie hätten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei dem Verhandlungsmarathon zum Einlenken bewegt. Ein französischer Minister sagte in Paris, sogar US-Präsident Barack Obama habe Merkel anrufen müssen, um Druck auszuüben. Die Kanzlerin sei »sehr geschwächt« durch ihre Niederlage bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und deshalb in den vergangenen Tagen »sehr angespannt« gewesen. Die französische Regierungspartei UMP erklärte, der Rettungsplan ebne den Weg zu einer europäischen Wirtschaftsregierung.

Bundeskanzlerin Merkel erklärte am Montag in Berlin: »Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland.« Dieses Paket diene »der Stärkung und dem Schutz unserer gemeinsamen Währung«. Merkel kam am Montag im Kanzleramt mit den Partei- und Fraktionschefs der im Bundestag vertretenen Parteien zusammen, um sie über den Euro-Rettungsschirm zu informieren. Bereits heute soll das Kabinett bei einer Sondersitzung die notwendigen Maßnahmen verabschieden. Anschließend soll es Sitzungen der Fraktionen geben. SPD-Chef Sigmar Gabriel hält den EU-Rettungsschirm für den angeschlagenen Euro für nicht weitgehend genug. Die Staats- und Regierungschefs hätten sehr schnell finanzielle Beträge verabredet, aber nicht geklärt, wie die Finanzmärkte reguliert werden könnten, sagte er am Montag in Berlin. Er kritisierte erneut das Zögern der Kanzlerin bei Beschlüssen in der EU zur Währungskrise: »Deutschland ist durch seine Tu-nix-Regierung in eine ganz schwierige Lage geraten.« Gabriel forderte Merkel auf, den Verdacht auszuräumen, dass sie bei der Bundestagsabstimmung am Freitag über die Griechenland-Hilfe bereits die nun offensichtlich gewordene wesentlich größere Dimension der Krise kannte.

Die Ankündigung des Rettungspaketes sorgte an den Finanzmärkten für ein Kursfeuerwerk. Der Deutsche Aktienindex (DAX) schoss zeitweise um mehr als fünf Prozent nach oben. Der Euro konnte verlorenen Boden gutmachen und stieg auf rund 1,30 Dollar. Die Rendite zweijähriger Anleihen Griechenlands ging auf rund 6,8 Prozent zurück, nachdem sie am Freitag über die 18-Prozent-Marke geklettert war.

Ökonomen bewerteten das Paket überwiegend positiv. Damit sei »eine effektive Vorkehrung getroffen, um Attacken von Spekulanten abzuwehren und irrationale Ausschläge der Finanzmärkte einzudämmen«, erklärte Gustav A. Horn, Wissenschaftlicher Direktor des DGB-nahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Das entschlossene Auftreten der EU und die Nennung hoher, aber letztendlich realistischer Summen für den Notfallfonds reduzierten das Risiko, dass tatsächlich Geld fließen müsse, betonte Horn: »Eine glaubhafte Abschreckung senkt die Kosten für die Steuerzahler.« Der Chef der fünf Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, sagte, »als Löschaktion gehen die Maßnahmen in die richtige Richtung«. Dagegen bezeichnete Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn die Aktion als »völlig überzogen und deplatziert«. Dies sei ein Schritt in die »Vergemeinschaftung der Schulden«.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2010


Zweckgesellschaft für Euro-Rettung

Das gigantische Rettungspaket verzichtet auf direkte Kredite an Wackelkandidaten

Von Dieter Janke **


Angesichts der Spekulationswelle, die zu einer existenziellen Gefahr für den Euro zu werden drohte, haben sich die Euro-Finanzminister während einer nächtlichen Marathonsitzung in Brüssel auf ein beispielloses Rettungspaket für die angeschlagene Gemeinschaftswährung verständigt. Die Ankündigung des Hilfspaketes sorgte für die gew

Mit einem Rettungspaket in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro wollen sich die Euro-Mitgliedsländer gegen die anhaltenden Spekulationen gegen die Gemeinschaftswährung stemmen. Den mit 440 Milliarden größten Teil der Summe stellen Garantien und Kredite der Euro-Mitglieder dar, welche angeschlagene Länder nutzen können, die wegen allzu ungünstiger Marktkonditionen Probleme mit der Ausgabe neuer Staatsanleihen haben.

Sollte bei diesen bilateralen Garantien der gleiche Schlüssel wie bei der Griechenland-Hilfe zugrunde gelegt werden, kämen auf Deutschland maximal 123,2 Milliarden Euro Kreditgarantien zu. Wie es hieß, sollen die Berliner Verhandlungsführer auf bilateralen Krediten beharrt und dem Gesamtpaket erst zugestimmt haben, nachdem die Gründung einer speziellen Zweckgesellschaft vereinbart worden war.

Parallel dazu haben sich nach Griechenland auch die wichtigsten weiteren Wackelkandidaten der Euro-Zone wie Spanien und Portugal zu erheblichen Konsolidierungsprogrammen bereit erklärt. Sie wollen bis zum 18. Mai über die Einzelheiten berichten, teilte der deutsche Innenminister Thomas de Maizière in Brüssel mit, der den plötzlich erkrankten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei der Beratung vertrat.

Juristische Basis des Rettungspakets stellt Artikel 122 des Lissabon-Vertrages dar. Er erlaubt finanziellen Beistand innerhalb der Europäischen Union »aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen«. Auf Vorschlag der EU-Kommission können die Regierungen demnach beschließen, »dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren«. Bei der bereits auf den Weg gebrachten Hilfsaktion für Griechenland hatte man noch auf den Rückgriff auf Artikel 122 verzichtet, da die Probleme Athens nicht allein auf die Finanzmarktkrise zurückgeführt wurden.

Die geplante Zweckgesellschaft (engl.: »Special Purpose Vehicle«), deren konkrete Ausgestaltung nach den Worten de Maizières »in den nächsten Tagen« erfolgen soll, dient der Umgehung einer speziellen Klausel im EU-Vetrag, die es eigentlich ausschließt, dass ein Euro-Partner für die Schulden eines anderen einsteht. Bei ihr würde es sich um eine neuartige Institution handeln, die - vergleichbar mit der staatlichen KfW-Bank in Deutschland - im Namen aller Eurostaaten Geld leihen und an hilfebedürftige Länder weiterleiten könnte. Die Geberländer stellen so die Finanzspritzen nicht selbst zur Verfügung, sondern treten lediglich als Garantiegeber für etwaige Kredite auf. Wie im Falle von Griechenland verständigte man sich auch bei dem Kreditrahmen über 750 Milliarden Euro auf einen einheitlichen Zinssatz, der bislang noch unbekannt ist. Athen zahlt für seine Kredite von IWF und Euroländern fünf Prozent für einen Zeitraum von drei Jahren - deutlich weniger, als derzeit der Markt verlangt, aber auch deutlich mehr als Deutschland für seine Staatsanleihen.

Allerdings konnte sich die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag eigener Euro-Anleihen nicht durchsetzen. Sie hätte sich mit ihrer guten Bonität die Kredite zinsgünstig am Kapitalmarkt besorgen, von Euro-Staaten verbürgen lassen und dann an klamme EU-Länder mit einem Aufschlag weiterreichen können. Doch Deutschland und die Niederlande wollten, so verlautete, eine starke Stellung Brüssels beim Rettungspaket verhindern.

** Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2010


EZB wird Bad Bank

Von Klaus Fischer ***

Es war eine Nacht- und-Nebel-Aktion der EU-Finanzminister, und heraus kam die ultimative Antwort an die »Märkte«: Europas Regierungen borgen sich noch mehr Geld, um in Turbulenzen geratene Staaten herauszuhauen. Ein Kreditpool soll her, aus dem künftig Aktionen wie die zur »Rettung« Griechenlands finanziert werden. Das hatten die Kassenverwalter der EU-Staaten in der Nacht zum Montag beschlossen. 500 Milliarden Euro bringen die Mitgliedstaaten auf, indem sie für diese Summe garantieren. Weitere 250 Milliarden stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) bereit. Feuerwehr soll künftig Brüssel spielen, die Rolle der Mülltonne übernimmt die Europäische Zentralbank (EZB).

Bundeskanzlerin Angela Merkel findet das toll: »Wir schützen in einer außergewöhnlichen Situation unsere Währung«, sagte sie am Montag in Berlin. Und weil es das Wort des Tages war, fügte sie hinzu: »Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland.« Das »beispiellose« Paket sei notwendig, um die Zukunft der gemeinsamen Währung zu sichern und zu garantieren.

Nicht ganz so euphorisch zeigte sich die CSU von der Überfallaktion. Das Vorgehen berge »einen ganzen Sack von Gefahren«, meldete sich Bayerns Finanzminister Georg Fahrenschon am Montag aus München zu Wort. Das Konzept, das bei der Einführung des Euro zur Grundlage etwa für die Inflationsbekämpfung vereinbart wurde, sei »in erheblichem Maße verändert« worden.

Auch Michael Hüther äußerte Kritik. Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft bemängelte erneut, daß die Gläubiger, also die Finanzwirtschaft, nicht in Mitverantwortung genommen werde, durch einen sogenannten Haircut, also eine Teilabschreibung der Forderungen der Banken. »Statt Profiteure der Finanzkrise zur Kasse zu bitten, haben sich die EU-Staaten mit Bankenrettungen und Konjunkturprogrammen massiv verschuldet«, kommentiert Michael Schlecht von der Bundestagsfraktion der Linken das Brüsseler Konstrukt. »Diese Verschuldung muß zurückgeführt werden. Wir brauchen einen EU-weiten Haircut bei den Staatsanleihen, eine Besteuerung großer Vermögen und die Entwaffnung der Spekulanten«, so Schlecht.

Doch der Rettungsschirm ist nicht alles, was sich Westeuropas Eliten ausgedacht haben, um ihr Wirtschafts- und Währungssystem zu stabilisieren. Schwerwiegender noch ist die Mutation der EZB vom »Währungshüter« und »Inflationsbekämpfer« zur Bad Bank. Bereits deren »Bereitschaft«, Anleihen der gefährdeten Staaten als Sicherheiten für Kredite zu akzeptieren, war ein Zugeständnis an die Tagespolitik. Jetzt hat sich die Zentralbank des Euro-Raumes sogar bereiterklärt, selbst Anleihen der einzelnen Staaten zu kaufen. Damit folgt sie dem schlechten Vorbild der US-Notenbank und wirft praktisch die Gelddruckmaschine an.

Nicht nur deshalb dürfte die Wirkungsdauer und mögliche Wirkungsweise des »Schutzschirmes« für den Euro begrenzt sein. Nachdem die Börsen zunächst mit Kursgewinnen auf die Nachricht reagierten, kamen bereits im Laufe des Montags wieder Bedenken an den »Märkten«, also der globalen Finanzindustrie auf. Gold begann am Nachmittag wieder zu steigen, die anfänglichen Gewinne an den Börsen bröckelten.

Das mag in den kommenden Tagen noch weiter schwankend bleiben, doch Tasache bleibt: Der Euro wankt. Europas Währungsgemeinschaft droht unter den Schulden der Mitgliedstaaten zusammenzubrechen. Und das Rezept, mit noch mehr Verbindlichkeiten dagegenzuhalten, scheint wohl selbst dem Finanzkapital suspekt.

*** Aus: junge Welt, 11. Mai 2010


Perspektivlos

Von Kurt Stenger ****

Zum dritten Mal in eineinhalb Jahren schnüren die Euro-Staaten ein gigantisches Rettungspaket. Erst wurden Banken vor dem Kollaps bewahrt, dann half man der Konjunktur auf die Beine. Beides riss aber derart tiefe Löcher in die öffentlichen Haushalte, dass nun ein riesiger Schutzschirm für Staaten gespannt wird.

Dieser ist aber nur deshalb nötig geworden, weil es die Politik entgegen aller Ankündigungen bei den ersten beiden Feuerwehreinsätzen beließ, ohne den Brandschutz zu stärken. Das Casino blieb geöffnet - nur deshalb konnten Spekulanten eine Krise der Gemeinschaftswährung herbeizocken. Dabei ließen sich Wetten rund um Staatspleiten ohne viel Federlesen verbieten. Geschieht dies weiter nicht, bliebe das EU-Kreditpaket perspektivlos.

Darüber hinaus muss die Währungsunion, da der einseitig monetaristische Stabilitätspakt so grandios gescheitert ist, auf andere Grundlagen gestellt werden. Wenn Notkredite nur gegen harte Auflagen ausgereicht werden, sparen sich die betroffenen Staaten noch tiefer in die Krise; das Problem der Staatsschulden lässt sich nicht lösen. Zur Kasse gebeten werden müssten stattdessen Banken und Vermögende, statt sie an immer neuen Staatsanleihen zusätzlich verdienen zu lassen. Auch dürfen Staaten wie Deutschland nicht länger hohe Handelsüberschüsse einfach einstreichen. Es braucht nichts weniger als eine Wirtschaftsunion mit sozialen und ökologischen Perspektiven.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Mai 2010 (Kommentar)


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