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Troika droht Achsbruch

IWF-Kritik an Krisenpolitik führt zu Forderungen nach Ausscheiden des Währungsfonds aus dem Dreiergespann. Besonders scharfe Töne kommen aus Berlin

Von Tomasz Konicz *

Es gibt in Südeuropa wohl keine Institution, die ähnlich verhaßt ist wie die Troika. Das Dreiergespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) tritt in den Euro-Krisenstaaten wie die neoliberale Inquisition auf. Seine einzige Aufgabe scheint darin zu bestehen, diese Volkswirtschaften im Namen einer realitätsblinden Kürzungsreligion in den sozioökonomischen Kollaps zu treiben. Immer neue »Sparpakete« werden Griechenland, Spanien oder Portugal aufgenötigt – während Massenarbeitslosigkeit und soziale Verelendung rapide zunehmen. Dennoch schwellen die Staatsschulden weiter an. Doch selbst innerhalb dieser scheinbaren Dreifaltigkeit des Spätkapitalismus führt die Diskrepanz zwischen Anspruch und krisengeschüttelter Realität zu ersten Rissen und Spannungen.

Klaus Regling, der deutsche Chef des sogenannten Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM, griff am 14. Juni in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) den IWF ungewöhnlich scharf an – nachdem dieser Zweifel an der bisherigen Krisenpolitik der Troika geäußert hatte: Mit seiner Kritik an dem Spardiktat mache der Währungsfonds den europäischen Stabilitätspakt – der auf Betreiben Berlins die Kürzungspolitik europaweit institutionalisierte – »lächerlich«, polterte Regling. Der IWF erkläre sich »selbst für die Schaffung von Wachstum« zuständig und lasse so erkennen, »daß er die Regeln unserer Währungsunion nicht versteht«.

Diese Regeln setzte bekanntlich die bundesdeutsche politische Führung durch – auch wenn sie dem traditionellen neoliberalen Handbuch des IWF entnommen wurden. Regling sprach sich nun dafür aus, die Troika langfristig aufzulösen: »... auf Dauer müssen die Euro-Staaten solche Programme selbst stemmen.«

Was war geschehen? Anfang Juni hatte der Währungsfonds eine Analyse der bisherigen Krisenpolitik der Troika gegenüber Griechenland publiziert, in der »beträchtliche Fehler« eingeräumt wurden. Demnach seien die Auswirkungen der »Sparpakete« auf die griechische Wirtschaft unterschätzt worden, die in »eine viel tiefere Rezession als erwartet« getaumelt war und nun eine »außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit« aufweise. Folglich sei die hellenische Wirtschaftsentwicklung viel zu optimistisch eingeschätzt worden – insbesondere von der EU-Kommission. Laut ursprünglichen Troika-Prognosen sollte Griechenland 2012 wieder ökonomischen Wachstum verzeichnen. Statt dessen verharrt das Land 2013 im sechsten Rezessionsjahr. Angesichts der weiterhin desolaten Wirtschafts- und Finanzlage seien Griechenlands Staatsschulden laut IWF weiterhin nicht tragfähig, ein weiterer Schnitt 2014 unabdingbar.

Diese halbherzigen Versuche des IWF, die Krisenrealität (wenn wohl auch aus taktischem Kalkül) überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, will man im Berliner Regierungsviertel offenbar nicht mehr länger tolerieren. Am 16. Juni umriß Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Vorstellungen von einem Rückzug des Währungsfonds. Der IWF sei nicht dazu da, »um dauerhaft Europa unter die Arme zu greifen« behauptete der meist schwer überfordert scheinende Minister gegenüber der FAZ. Nach dem Abschluß der Krisenmaßnahmen in der Euro-Zone solle sich der Fonds wieder »auf seine Kernaufgaben konzentrieren«. Auch EU-Kommissionschef José Manuel Barroso erklärte vor Pressevertretern, daß es in der EU nun doch ausreichende finanzielle Ressourcen gebe, um künftige Krisen in Eigenregie zu bewältigen.

Die Heftigkeit dieser öffentlich geführten Auseinandersetzungen ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die Bundesregierung im Wahlkampf jegliche Zweifel an einer weiteren Fortsetzung der europaweiten »Sparpolitik« ausräumen will. Trotz des evidenten Desasters in Südeuropa, das den meisten Krisenländern eine Jugendarbeitslosigkeit von mehr als 50 Prozent bescherte, will nicht nur Regling den bisherigen Kurs selbst in Griechenland weiter fortgesetzt sehen. Der IWF habe mit seiner Kritik diejenigen geschwächt, die sich »hinter das Reformprogramm« der Athener Regierung gestellt haben, empörte sich der ESM-Chef. Die ideologische Verblendung solcher Hardliner wie Regling kommt auch in dessen Einschätzung zu den Ursachen der desaströsen Entwicklung zutage: Es sei einfach nicht hart und früh genug gespart worden. Nicht die »falschen Prognosen« seien schuld, sondern die »griechische Politik jener Periode«, die nicht rechtzeitig versucht habe »komplett umzusteuern«.

Ohnehin habe der IWF bereits seine Schuldigkeit getan, die insbesondere in der finanziellen Entlastung der »Euro-Retter« bestand, wie die Deutsche Welle nachrechnete. Der Fonds habe 30 Milliarden Euro im Fall Griechenlands, 22,5 Milliarden bei der Irland-Krise und 26 Milliarden bei der portugiesischen Version beigesteuert. Dies sei rund »ein Drittel aller staatlichen Zusagen«. In der gegenwärtigen Debatte gehe es nun darum, »ob das europäische Selbstbewußtsein groß genug ist für die eigenen Schwierigkeiten, oder ob der IWF als lästiger Mahner ferngehalten werden soll«.

Doch wer soll die Troika beerben, an deren Sparfetischismus ausgerechnet der von der Französin Christine Lagarde geführte IWF erste Zweifel hegt? Michael Hüther, Direktor des kapitalnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, hatte da schon so eine Idee. Nach der vollen Überwindung der Euro-Krise könne doch ein »weiterentwickelter ESM die Rolle als europäischer Fonds übernehmen«, erklärte der Professor gegenüber dem Handelsblatt. Regling, dessen ESM bislang vor allem dafür verantwortlich ist, daß auch bei künftigen Krisen zuallererst die Finanzbranche gerettet wird, könnte dann seine knallharte Interessensplitik zugunsten des Finanzkapitals auch ohne lästige Kritik voll durchziehen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 20. Juni 2013


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