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Topolanek versucht es mit einem Trick

Prager Premier will zeitgleiches Votum für Lissabon-Vertrag und USA-Raketenabwehr

Von Jindra Kolar, Prag *

Der tschechische Regierungschef Mirek Topolanek möchte den Lissabonner EU-Vertrag ratifiziert sehen, wenn sein Land im Januar die EU-Präsidentschaft übernimmt. Und er will die Abstimmung mit dem Abkommen über die Errichtung des USA-Radars in Tschechien verbinden.

Um den Lissabonner EU-Vertrag noch in diesem Jahr ratifizieren zu können, hätte er nach der zustimmenden Entscheidung des Verfassungsgerichts in Brno in der Parlamentssitzung der Vorwoche debattiert werden müssen. Doch die Abgeordneten besprachen lediglich den Haushaltsplan 2009 und verschoben sowohl das Thema EU als auch die Stationierung des USamerikanischen Radars in Brdy auf die nächste Zusammenkunft.

Obwohl Premier Mirek Topolanek durch die am 1. Januar beginnende halbjährige tschechische EU-Präsidentschaft unter Zeitdruck steht, möchte er die Parlamentsdebatte zu diesen schwierigen Themen erst nach einem ausführlichen Gespräch mit dem sozialdemokratischen Oppositionsführer Jiri Paroubek führen. Das für diese Woche angesetzte Treffen soll möglichst eine gemeinsame Strategie für die Zeit an der EU-Spitze festlegen.

Topolanek geht nach dem Parteitag seiner konservativen ODS gestärkt in die Begegnung. Die Delegierten der Demokratischen Bürgerpartei hatten ihrem Vorsitzenden auf dem Kongress den Rücken gestärkt und die innerparteilichen Kritiker um den Prager Oberbürgermeister Pavel Bem in die Schranken gewiesen. Sie folgten auch nicht dem Anti-EU-Kurs ihres Parteigründers und derzeitigen Staatspräsidenten Vaclav Klaus. Es wird einsam um den »Herrn auf der Burg«, wie Klaus mittlerweile in Prag genannt wird.

Der Premier rechnet nun damit, dass die Debatte »zu Beginn des nächsten Jahres« geführt werden kann. Der Senat verfolge seinen eigenen Zeitplan. Laut ODS-Fraktionschef Petr Tluchor wolle man zudem in derselben Parlamentssitzung auch die Frage der Stationierung des US-amerikanischen Radarsystems debattieren. So könnten beide Verträge gleichzeitig zur Ratifizierung kommen. Die sozialdemokratische Opposition (CSSD) möchte dagegen die Ratifizierung des Lissabonner Vertrages am liebsten noch in diesem Jahr – also vor Beginn der tschechischen EU-Präsidentschaft – durchziehen. Dazu neigen auch die in der Regierung vertretenen Christdemokraten und Grünen.

Nach Auffassung des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Vojtech Filip, reicht allerdings das Urteil des Verfassungsgerichts noch nicht aus, um Lissabon zuzustimmen. Die kommunistischen Abgeordneten polemisierten heftig gegen den Vertrag und sahen sich in ihrer Ablehnung in seltener Übereinstimmung mit Präsident Klaus.

CSSD-Chef Paroubek wies Spekulationen zurück, wonach die Sozialdemokraten sich mit einer Zustimmung der ODS zu Lissabon ihrerseits eine Zustimmung zum Radar-Vertrag abhandeln lassen wollten. Es habe keine derartigen Absprachen zwischen den Spitzengremien beider Parteien gegeben, und es werde sie auch in Zukunft nicht geben. »Wir werden dem Radarvertrag ganz sicher nicht zustimmen, weil 80 bis 90 Prozent unserer Wähler ein solches Projekt ablehnen«, betonte er. Laut Umfragen stößt der Vertrag mit Washington bei 70 Prozent der gesamten tschechischen Bevölkerung auf Ablehnung.

Auch deshalb strebt die ODS offensichtlich eine gleichzeitige Abstimmung über beide Verträge an. »Ich selbst würde nicht für ›Lissabon‹ votieren, sage aber: Wenn man auf diese Art die erforderlichen Stimmen für das US-amerikanische Radar zusammenbekommt, kann ich einen Kompromiss schließen und auch für den EU-Vertrag stimmen. Für den einen wie für den anderen Vertrag muss man irgendwie 101 Abgeordnete zusammenbekommen, die zustimmen«, erklärte der Chef des parlamentarischen Verfassungsrechtsausschusses, Marek Benda (ODS), die Taktik. Ob sich ein solches Geschäft mit der sozialdemokratischen CSSD – die gerade einen enormen Vertrauensbonus bei den Regional- und Senatswahlen vom Wahlvolk erhalten hat – herstellen lässt, ist allerdings höchst zweifelhaft.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2008


"Ein undemokratischer Beschluss"

Iren sollen nach Zugeständnissen noch einmal über "Lissabon" abstimmen

Von Mattes Dellbrück **


Die Bürger Irlands sollen im Herbst 2009 erneut über den Vertrag von Lissabon abstimmen. Im Gegenzug machten die anderen EU-Staaten weitreichende Zugeständnisse.

Für die konservative dänische Tageszeitung »Berlingske Tidende« war es gestern eine »gute Nachricht, dass die Iren erneut über den EU-Reformvertrag abstimmen wollen«. Das sah Jo Leinen ganz anders. Der Vorsitzende des Verfassungsausschusses im Europaparlament zeigte sich geradezu entsetzt, nachdem sich die 27 Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt hatten, wie Irland den Vertrag per Volksabstimmung doch noch ratifizieren könnte. »Ich halte diesen Beschluss für kontraproduktiv und kurzsichtig«, so der Mitautor des Vertrages.

Der sogenannte Reformvertrag ist bisher in 25 der 27 EU-Staaten parlamentarisch gebilligt worden. Allein die Iren hatten ihn bei der einzigen Volksabstimmung mehrheitlich abgelehnt. Die Regierung in Dublin drängte deshalb auf diverse Zugeständnisse für einen zweiten Anlauf.

Vor allem wollen die EU-Mitgliedstaaten nun auf die geplante Verkleinerung der Brüsseler Kommission ab 2014 verzichten. Auch künftig soll jedes Land einen Kommissar stellen dürfen. Die Union will zudem Zusicherungen geben, wonach der Vertrag die Neutralität, die Steuerpolitik oder die Bestimmungen der irischen Verfassung über Familienpolitik und das Verbot der Abtreibung nicht berührt. Das Europaparlament werde im Juni 2009 noch ein Mal nach den Regeln des »Nizza- Vertrags« gewählt. Die Zugeständnisse an Dublin waren auf dem Gipfel umstritten. Vor allem die Benelux-Staaten hatten darauf hingewiesen, dass angesichts der geplanten EU-Erweiterung auf 33 bis 35 Mitglieder der Verzicht auf eine Verkleinerung der Kommission zu erheblichen Problemen führen könne. So bestehe die Gefahr einer Zweiteilung der Kommission in wichtige und weniger wichtige Mitglieder. Jo Leinen sprach von einem schweren Fehler der Regierungen und sieht die politische Machtbalance in der Union kippen: In einigen Jahren käme mit dieser Regelung jeder fünfte EU-Kommissar aus den sieben Staaten des ehemaligen Jugoslawiens.

Scharfe Kritik kam auch von der irischen Republican Sinn Féin. Die älteste Partei der Insel zählte zu jenen Kräften, die im Frühjahr 2008 für ein »Nein« beim Referendum geworben haben. Die Entscheidung, das Referendum zu wiederholen, zeige den undemokratischen Charakter des gesamten EU-Projekts. »Drei Mal in drei Jahren hat die Bevölkerung von drei Staaten ›Nein‹ zur Errichtung eines undemokratischen, militarisierten EU-Superstaates gesagt«, erinnerte Des Dalton, Vizepräsident von Republican Sinn Féin, an die vorangegangenen Abstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Dezember 2008


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