Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Berlin will deutsches Europa

Massiver Widerstand gegen den "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit"

Von Tomasz Konicz *

Seit dem jüngsten EU-Gipfel sind die Auseinandersetzungen über eine zunehmende Dominanz Deutschlands und Frankreichs in der EU eskaliert.

Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy konzipierte »Pakt für Wettbewerbsfähigkeit« stößt bei den europäischen Partnern auf Widerstand. Auch die Treffen der Finanzminister der Eurozone wie der EU am Montag und Dienstag waren davon belastet. Dagegen unterstützt der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, die Pläne. In einem Interview sagte er, die Eurozone brauche eine koordinierte und »streng kontrollierte Wirtschaftspolitik«.

Vor allem die kleinen EU-Länder fühlen sich durch das rabiate deutsch-französische Vorgehen beim jüngsten EU-Gipfel brüskiert: Es gebe »ein paar Dinge auszuräumen«, erklärte der luxemburgische Ressortchef Luc Frieden vor dem Finanzministertreffen. »Der Auftritt hat zu der Wahrnehmung geführt, dass es eine deutsch-französische Idee gibt, die die anderen nur schlucken müssen.« Die Bürger in den anderen europäischen Ländern würden diese umfassenden Reformvorhaben als ein »Diktat aus Berlin und Brüssel« empfinden. Massive Kritik an dem Vorhaben übten auch Spitzenpolitiker Belgiens, Polens, Ungarns, der Slowakei, Luxemburgs, Italiens, Irlands und sogar Österreichs, das eigentlich als ein treuer Verbündeter der deutschen Regierung gilt.

Die Handschrift Berlins ist bei den konkreten Bestimmungen des »EU-Pakts für Wettbewerbsfähigkeit« unverkennbar. Offenbar soll Deutschlands Politik der massenhaften Prekarisierung, des fortgesetzten Lohnkahlschlags und der aggressiven Exportfixierung auf die gesamte Eurozone übertragen werden. Die Mitgliedsländer sollen sich dazu verpflichten, das Renteneintrittsalter anzuheben und eine »Schuldenbremse« einzuführen. Zudem soll die Kopplung der Löhne an die Inflationsentwicklung, wie sie in etlichen EU-Ländern üblich ist, abgeschafft werden, wodurch Reallohnsenkungen ermöglicht werden. Schließlich sieht der Pakt eine europaweite Angleichung der Körperschaftsteuersätze vor. Der zwischen Berlin und Paris abgesprochene Vorstoß war den anderen europäischen Regierungschefs ohne vorherige Konsultationen auf dem EU-Gipfel präsentiert worden, wobei dessen rasche Durchsetzung außerhalb der europäischen Institutionen im Rahmen multilateraler Verträge realisiert werden soll.

Beobachtern zufolge hat der Vorstoß machtpolitische Hintergründe. Demnach sei Frankreich bestrebt, Deutschland an das »europäische Projekt« zu binden. Deshalb habe Paris der deutschen Politik angeboten, Europa im Rahmen einer engen ökonomischen Integration entlang deutscher Standards umzuformen. Frankreich hätte somit sein Ziel einer stärkeren europäischen Integration Deutschlands erreicht, während Berlin die konkrete wirtschaftspolitische Ausformung dieses Integrationsschubs diktieren könne. Im Gegenzug musste sich Deutschland verpflichten, künftigen Rettungsmaßnahmen in der Eurozone zuzustimmen.

Auf genau dieses Junktim pocht derzeit Berlin. Der geplante dauerhafte Krisenmechanismus ESM kann laut Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nur Teil eines Gesamtpakets sein, das auch »Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Wachstumspakts und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone« beinhalten müsse. Während sich die Euro-Finanzminister einmütig auf weitere Details des Fonds einigen konnten, blockierte Schäuble weiter die Erhöhung der verfügbaren Mittel des bisherigen Rettungsschirms EFSF. Die Finanzmärkte seien dermaßen »stabil«, dass es besser wäre, sie »nicht durch eine solche Diskussion zu beunruhigen«, so die windschiefe Logik Schäubles. Kurz zuvor erreichten die Renditen für zehnjährige portugiesische Staatsanleihen neue historische Höchststände.

Krisenpaket

Ende März wollen die Euroländer auf einem Gipfel in Brüssel ein Gesamtpaket zur Euro-Absicherung beschließen. Dieses soll einen neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) beinhalten, der ab 2013 den vorläufigen Rettungsschirm ablöst. Dieser Krisenfonds zur Unterstützung angeschlagener Staaten soll mit 500 Milliarden Euro ausgestattet werden. Des Weiteren beinhaltet das Paket die Verschärfung des Stabilitätspaktes, um Haushaltssünder rascher und härter bestrafen zu können. Zudem haben Deutschland und Frankreich kürzlich im Alleingang einen EU-Pakt für Wettbewerbsfähigkeit ins Gespräch gebracht. ND



* Aus: Neues Deutschland, 16. Februar 2011


Zurück zur Europa-Seite

Zur Deutschland-Seite

Zurück zur Homepage