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Europas Osten ist ausgesaugt

Wiener Wirtschaftsinstitut: Westliche Konzerne repatriieren ihr Kapital

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Deutlich über dem Durchschnitt lag im Vorjahr der Gewinntransfer aus ausländischen Direktinvestitionen in Osteuropa.

Die ausländischen Direktinvestitionen in Richtung Osteuropa sinken, die gesamte Investitionsquote geht zurück, die Profitreserven werden abgezogen. Auf einer Pressekonferenz des »Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche« (WIIW) zeichnen die Ökonomen ein düsteres Bild der Lage; und durch den Krieg in der Ukraine ist auch die eben noch prognostizierte Konjunkturerholung unsicher geworden.

»Ein großer Teil der ausländischen Direktinvestitionen wurde flüssig gemacht und repatriiert«, fasst Gabor Hunya vom WIIW die Situation zusammen. Mit anderen Worten: Die Region zwischen dem Baltikum und Slowenien ist weitgehend ausgesaugt. Westliches Kapital hat seinen dortigen Expansionskurs – vorläufig – gestoppt und zieht weiter Richtung Südosten. Zuwachsraten an ausländischen Investitionen können – innerhalb der Europäischen Union – im Jahre 2013 einzig Rumänien und Bulgarien verzeichnen. In Rumänien ist dafür die Automobilproduktion für den europäischen Markt verantwortlich, die mit Dacia (Renault), Ford und Mercedes sowie dem Reifenproduzenten Continental die dortigen billigen Arbeitskräfte nutzen. Der Durchschnittslohn im Land des Karpatenbogens beträgt brutto 2430 Lei, umgerechnet 550 Euro, etwa fünf Mal niedriger als in Deutschland.

Serbien, Mazedonien und Albanien sind jene Länder, die 2013 hohe Zuwächse an ausländischen Direktinvestitionen verzeichnen können. Die dortigen noch niedrigeren Arbeitskosten locken das Kapital. Serbische und albanische Mindeststundenlöhne liegen unter der Ein-Euro- Marke und sind in Europa fast nirgendwo unterbietbar.

In einem »Normaljahr« beträgt der durchschnittliche Gewinntransfer aus dem Einkommensabfluss ausländischer Direktinvestitionen 60 Prozent; im Jahr 2013 lag diese Marke in Rumänien, Polen, Kroatien und Bulgarien bei über 90 Prozent, in Slowenien waren es sogar 158 Prozent. Um sich ein Bild von der Dimension der Abhängigkeit der osteuropäischen Länder von ausländischen, meist westlichen Investoren machen zu können, sei in Erinnerung gerufen, dass in Staaten wie Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Kroatien und Bulgarien die Investitionen ausländischen Kapitals über 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Zum Vergleich: In der Türkei und in Russland machen ausländische Investitionen nur 17 bzw. 25 Prozent des BIP aus.

Das meiste Kapital fließt aus den Niederlanden, Österreich und Deutschland in Richtung Osteuropa, wobei jeder Euro oder Dollar als »niederländisch « in der Statistik aufscheint, der über das Steuer- und Investorenparadies der Niederländischen Antillen läuft. Nach Branchen führt der Finanzsektor die Investorenliste an, die Industrie ist nur mit 30 Prozent vertreten.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 7. Juni 2014


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