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100 Jahre Frauentag - eine kritische Bilanz

Von Sabine Schiffer *

Ein mindestens doppelt so langer Kampf um die Gleichberechtigung der Geschlechter hat stattgefunden. Es waren noch viele Vorkämpferinnen im 19. Jahrhundert nötig, bevor der von Clara Zetkin vorgeschlagene Internationale Frauentag erstmalig 1911 durchgeführt wurde. Er soll seither eine Wegmarke sein für eine kritische Bilanz und die Festlegung der nächsten Etappenziele. Auch 2011 – zum 100sten Geburtstag des Frauentages – müssen wir noch feststellen, dass bei allen Fortschritten die Gesamtbilanz noch lange nicht zufriedenstellend ist. Von der gerechten Verteilung aller Kuchenstücke sind wir nach wie vor weit entfernt. Der Internationale Frauentag sollte als Chance für die kontinuierliche Bewusstseinsbildung begriffen werden! Denn die ist offensichtlich nötig – zum einen, um das Erreichte mitsamt den Vorkämpferinnen zu würdigen und im Bewusstsein der jüngeren Generationen zu verankern und zum anderen, um das noch nicht Erreichte nicht aus den Augen zu verlieren. Denn, „die Gleichberechtigung der Geschlechter ist kein Privileg, sondern ein Menschenrecht!“, wie es u.a. der Kinofilm „We want sex!“ (sex = sexual equality) so treffend herausarbeitet.

Exemplarisch sei hier eine Entwicklung im Medienbereich vorgestellt: Das Global Media Monitoring Project [1], einer Organisation aus Kanada hat folgendes ermittelt: Bis 2010 ist der Frauenanteil in Nachrichtenformaten auf 24 Prozent gestiegen, wenn sie auch weniger als Expertinnen interviewt wurden, als vielmehr ihre Präsenz als Moderatoren zunahm. Es tut sich also was! Denn vor 10 Jahren waren es noch 17 Prozent. Aber in welchem Tempo?

Das bisher Erreichte in rechtlicher Dimension hat Jacoba Zapf vom Frauenforum Aichach-Friedberg so gut umrissen, dass ich auf Ihre Rede am Ende dieses Manuskripts verweisen möchte – hier also nur meine Notizen zur Orientierung:
  • unbeschränkter Zugang zu Bildungseinrichtungen...
  • 1919 Wahlrecht
  • 1949 GG: offizielle Geschlechtergerechtigkeit via Gesetz
  • 1957/58 sog. Gehorsamsparagraph in Westdeutschland
  • 1975 Verband binationaler Partnerschaften IAF erreicht, dass die Kinder von deutschen Frauen auch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten
  • 1977 Frauenerwerbstätigkeit nicht mehr von Zustimmung und Vormund abhängig
  • § 218 ...
Bezeichnend ist, dass ist Ostdeutschland stets der der Frauentag betont wurde, während in Westdeutschland der Muttertag hoch gehalten wurde und wird. Bis heute haben Frauen Ost ein anderes Selbstverständnis, bis heute, bei allen Retraditionalisierungstendenzen und Angleichungen an die westlichen Standards und Stereotypen. Nach einer Umfrage der Hans- Böckler-Stiftung von 2007 beispielsweise sind im Westen ca. 53 % der Bevölkerung der Meinung, Frauen sollten lieber zu Hause bleiben statt berufstätig zu sein, während dies nur 20 % im Osten denken. Wir konzentrieren uns also hier primär auf den westdeutschen Diskurs um die Geschlechtergerechtigkeit.

Im Westen nichts Neues

Bei aller formaler Gleichberechtigung scheint die Chancengerechtigkeit weiter hinterher zu hinken, denn es ist sonst nicht erklärbar, warum es so starke Unterschiede zwischen einzelnen Ländern gibt. Läge es an den (Eigenschaften der) Frauen, müssten ja die Zustände überall gleich sein. Stattdessen liegt Deutschland im internationalen Vergleich weit hinten, wenn es um Frauen in gehobenen Positionen oder Bezahlungsgerechtigkeit geht. Der Versuch, das Nichterreichte den Frauen anzulasten, ist ein typisches Merkmal eines jeden Minderheitendiskurses.

Obwohl Frauen zahlenmäßig keine Minderheit wären, sind sie es im Sinne des Soziologen Henri Tajfel dennoch: ihnen fehlt nämlich „der Zugang zur Macht“! Dieser Minderheitenstatus kann mehr erklären über nicht stattfindende Entwicklungen, als die Zuschreiben „Was machen die Frauen falsch?“ und „Die Frauen wollen ja gar nicht!“

So gibt es neuerdings Umfragen, die belegen sollen, dass Frauen weniger verdienen WOLLEN und in einem Stern zum Thema von 2010 [2] werden gut ausgebildete, erfolgreiche Frauen vorgestellt, die ganz bewusst auf Karriere verzichten – weil sie sich den Stress nicht antun wollen. Sie entsprechen dem, was man gerne „Alphamädchen“ nennt, die oftmals als positives Rollenmodell dargestellt werden. Dabei übernehmen sie im Diskurs jedoch nicht selten die Rolle, den Eindruck zu vermitteln: „es geht doch“, wenn „die Frauen nur wollten“...

Sind die vorgestellten Entscheidungen wirklich so unabhängig vom Kontext, wie da suggeriert wird? Oder deuten sie auf die ausgeblendete Situation hin, in deren engen Rahmen die Frauen nach pragmatischen Handlungsmöglichkeiten suchen? Festgestellt werden muss, dass Frauen, die sich gegen das traditionelle Modell entscheiden, häufiger alleine durchs Leben gehen müssen, weil sie keine Partner finden, die das mittragen. Ein hoher Preis, ein Verzicht auf Lebensqualität? Oder die notwendige Investition in die eigene Emanzipation? Handelt es sich also hier um die Individualisierung von struktureller Gewalt oder um den souveränen Willen der Betroffenen? Und um ein völlig falsches Bild unserer Verhältnisse, der z.B. die Tageszeitung Die Welt das Non-plus-Ultra der Emanzipation zuschreibt:

"Suzan blieb lange Jahre allein. Frauen in guten Berufen und höheren Positionen sind oft Singles, weil sie bei den Männern für ihre Karrierewünsche keinen Rückhalt finden. Auch Leila in Ägypten will lieber allein bleiben, als einen ständig nörgelnden Mann neben sich zu haben, der ihr Selbstverständnis und -vertrauen untergräbt. Lediglich einen Europäer könnte sie sich als Lebenspartner vorstellen, der es gewohnt ist, mit selbstständigen Frauen umzugehen. So wie Suzan in Jordanien, die in der kommenden Woche einen Deutschen heiraten wird."[3]

Bascha Mikas provokantes Buch „Die Feigheit der Frauen“, das genau dem Individualisierungstrend (= der Zuschreibung von persönlicher Verantwortung für sanften Druck) entspricht, schreibt Frauen die falschen Entscheidungen allein zu und kritisiert nicht, den Zwang, sich zwischen Familie oder Beruf entscheiden zu müssen, dem sie sich offensichtlich selbst ergeben hat, als sie sich für die Position der Chefredakteurin der taz entschied – übrigens einer Genossenschaftszeitung mit Quotenregelung. Warum nun sollen nicht Frauen, wie die Männer, beides halben wollen, sollen und dürfen? Caren Miosga besteht im Spiegel vom 31.1.2011 darauf, dass man auch ihren Kollegen Tom Buhrow fragt, wie er Familie und Beruf miteinander vereinbart und nicht nur sie. Wer aber fragt seine Söhne oder männlichen Schüler, wie sie einmal Familie und Beruf miteinander vereinbaren wollen? Das scheint weit über die biologischen Notwendigkeiten hinaus ein Frauenthema geblieben zu sein, wie man auch an etlichen Diskussionsbeiträgen sehen kann, die die Frauenfrage reflexartig mit der Familienfrage verknüpfen. In der Tat aber ist die Entscheidung für Familie der häufigste Stolperstein auf der Karriereleiter von Frauen in (West-)Deutschland.

Freiheitsmythen und Zuschreibungen

Eine freie Entscheidung kann es aber nur dann geben, wenn diese verteidigt wird – wenn es also keine Nachteile hat, je nachdem für was man sich entscheidet – sonst ist es eben keine freie Entscheidung, sondern ein ganz subtiler Zwang. Und diese Zwänge gilt es heute bewusst zu machen, um die unsichtbaren Glasscheiben, Siebe und Fangnetze aufzuspüren, die vor allem die Frauen einschränken – aber natürlich auch die Männer.

Der Mythos von der freien Wahl macht sich beispielsweise an der Pillenfalle fest, die nicht nur positive Folgen für die Selbstbestimmung hatte (vor allem für diejenigen, die das Verhütungswissen von Beate Uhse ignoriert hatten), sondern auch die negative Folge der Schuldzuweisung – nämlich in dem Sinne, dass man auch die alleinige Verantwortung zu tragen habe, wenn man sich für Kinder entschied. Dies ist ein gesamtgesellschaftlicher Nonsens ohnegleichen, wie man an den aufgeregten Diskussionen um den sog. demografischen Wandel mit all seinen Folgen ersehen kann. Die Abwertung der Versorgungsökonomie führt heute zum Ausbau prekärer Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich: Stichwort Pflege, Betreuung, Haushalt – die klassischen „Care-Tätigkeiten“, wie man sie Neudeutsch nennt. Johanna von Koczian hat das in ein selbstironisches Lied gepackt: "Das bisschen Haushalt macht sich von allein, sagt mein Mann!"

Und hier eine aktuelle Zahl zur Hausarbeitsverteilung in Deutschland: 2010 arbeiteten Frauen 21 Stunden im Haushalt, Männer nur 7 – also fast umgekehrt proportional zur Bezahlung in der Arbeitswelt außer Haus.[4] Mir erschließt sich bis heute nicht der Zusammenhang, mit dem auch ich nach der Geburt des ersten Kindes konfrontiert wurde – wie automatisch, war ich von einer Studentin zur „Hausfrau UND Mutter“ mutiert. Wobei ich mich bis heute frage, warum Erziehungsarbeit zum Putzen befähigen soll und vor allem, wo die Zeit dafür plötzlich herkommen soll. Bereits hierin liegt die Doppelbelastung „Haushalt und Kinderbetreuung“ und manchmal scheint es so, als habe der Feminismus Frauen nur eine weitere Aufgabe eingebracht, einen Zusatzjob im Außenbereich – eine Dreifachbelastung.

Die Individualisierung der Nachteile durch die Übernahme von Verantwortung für Sorgetätigkeiten wirkt sich also mindestens auf die niedrige Geburtenrate aus – und kann nur strukturell, nicht individuell gelöst werden.[5] Denn, so beschreibt es Heidrun Jänchen in der „feminismus“-Beilage der Jungen Welt am 8. März: „Es ist ein Hamsterrad ohne Ausstiegsmöglichkeit: Weil sie Frauen sind, verdienen sie weniger. Weil sie weniger verdienen, bleiben sie eher für Familienarbeit zu Hause. Schon weil sie zu Hause bleiben könnten, ...“ greifen entsprechende Mechanismen der Schlechterstellung und Desintegration.

Festzustellen bleibt, dass bei aller errungenen rechtlichen Gleichstellung eine massive Diskrepanz zur Realisierung von Gerechtigkeit bleibt – etwa eine der zentralen Forderungen der Frauenbewegung wurde nie verwirklicht: gleicher Lohn für gleiche Arbeit (nicht erst seit 1975)! Darum werden wir auch – in diesem Jahr erst relativ spät, nämlich am 25. März, wieder den equal pay day begehen – den Zeitraum, den Frauen über den Jahreswechsel hinaus arbeiten müssten, um auf das durchschnittliche Vorjahresgehalt von Männern zu kommen. 23 % beträgt der geschlechtsspezifische Entlohnungsunterschied in Deutschland, wobei jedoch in Ostdeutschland laut IG-Metall dieser gender gap nur 6 % beträgt – d.h. er ist in Westdeutschland noch höher im Vergleich zum europäischen Durchschnitt von 18 Prozent. Sind wir ein geschlechterspezifisches Billiglohnland und darum Exportweltmeister?

Gleichstellung ist nicht gerecht

Um die geschlechtsspezifischen Gehaltsunterschiede auszugleichen, wird Mädchen und Frauen oft empfohlen, in Berufe zu gehen, die (klassischerweise „Männerberufe“) besser bezahlt werden – allerdings ohne zu reflektieren, dass damit die ungerechte Bezahlung einhergehend mit der Abwertung von Arbeiten, die vor allem von Frauen verrichtet werden, legitimiert wird. Damit wird das Prinzip gestützt, die dem Manne zugeschriebenen Dinge als Norm zu setzen und die Frauen danach zu bewerten und auszurichten – ein Grundfehler des Alice-Schwarzer-Feminismus. So wichtig Schwarzers Impulse in den 1970er Jahren waren, die Männerrolle als Norm ist der falsche Maßstab und Emanzipation darf auch nicht mit Berufstätigkeit verwechselt werden. Zumal sich im internationalen Vergleich schnell andeutet, dass die Co-Edukation in Schulen zu überdenken wäre, will man geschlechtsspezifische Berufswünsche reduzieren.

Ausgerechnet die Öffnung der Bundeswehr für Frauen wird gerne im Kontext feministischer „Gleichstellungsforderungen“ dargestellt. Dabei ist es ein genuines Moment der Frauenbewegung, sich gegen die Kriegslogik der Globalisierung zu stellen. Darum rufen auch entsprechende Frauenorganisation mitsamt dem DGB im Kontext des Frauentages für den 19. März in München zu einer Antikriegsdemo auf. Zu erinnern wäre auch an die UNO Resolution 1325 "Frauen, Frieden und Sicherheit", die auf die verstärkte Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen zielt und die inzwischen 10 Jahre alt ist. Statt spezifische Ansätze wie diese zu würdigen, besteht die Gefahr der „Gleichmachung“ der Frau mit dem Mann als (unausgesprochene) Norm weiterhin. Dies verrät sich u.a. in Schlagzeilen wie „Frau wird Kanzler“ – „Mann wird Kanzler“ zu titeln würde überraschen.

Die feststellbare Geschlechterungerechtigkeit in der Bewertung und Bezahlung stellt sich zudem oftmals wieder – wie von selbst – ein: Etwa wird aktuell im Rahmen einer großen Umstrukturierung an den Universitäten nach Vorgaben der Bertelsmann-Stiftung die Bezahlung schlechter, während mehr Frauen in Professuren drängen. Umgekehrt wird darüber nachgedacht, den Fürsorgeberuf im Bereich der Pädagogik aufzuwerten und Erziehungsberufe durch ein Studium zu „qualifizieren“ (und damit teurer zu machen) – zufällig gerade in dem Moment, wo begonnen wurde, darüber nachzudenken, dass mehr Männer diese Berufe ergreifen könnten. Neben einer solch wundersamen Lohnentwicklung, die den gender pay gap beibehalten hilft, liegt dem Wunsch nach mehr männlichen Pädagogen auch noch eine falsche Analyse zugrunde. Es gibt nicht wenige Untersuchungen die belegen, dass auch weibliche Lehrkräfte Jungenthemen bevorzugen (z.B. Senta Trömel- Plötz) – oft unbewusst oder sogar entgegen deren eigener Einschätzung – während der Bildungsabfall gerade bei Jungen statistisch mit mehr Ablenkung, z.B. durch die ungünstigere Nutzung neuer Medien und extrem gewalthaltiger Inhalte, forciert wird.[6]

Der Bildungsgendergap zwischen Mädchen und Jungen, der sich gerade noch weiter auftut, wirkt sich aber nicht in der Besetzung höherer Positionen durch Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts aus – dort wird weiterhin die Luft für Frauen sehr dünn, während die Stellen für die weniger werdenden bildungserfolgreichen Männer wie reserviert scheinen. Insofern sollte man vielleicht über proportionale Männerquoten nachdenken, statt mit dem stigmatisierten Begriff „Frauenquote“ zu suggerieren, dass das Problem bei den Frauen läge. Im Gegenteil, so würde es durchaus helfen, wenn die unsichtbare Männerquote abgeschafft würde: Dann hätten wir jetzt beispielsweise in Bayern keinen männlichen Chef der Landesmedienanstalt, sondern Frau Prof. Godebauer-Marchner, die im Gegensatz zum Berufenen auch noch über die fachlichen Qualifikationen für den Job verfügt. Nun, Clara Schumann soll auch besser Klavier gespielt haben als ihr Ehemann, der berühmt wurde. Marie Curie hingegen hat es geschafft, selber berühmt und auch nachhaltig bekannt zu werden – als eine der wenigen weiblichen Nobelpreisträgerinnen. Allerdings verlief ihre Anerkennung (wie auch der erste Nobelpreis) nur über ihren Mann Pierre.

Und auch 100 Jahre später, im 21. Jahrhundert (sic!), muss noch mit einem offenen Brief empörter Wissenschaftlerinnen (Februar 2011) darauf hingewiesen werden, dass die neu berufene Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" zur Entwicklung neuer Konzepte raus aus der Wirtschaftswachstumsfalle, gänzlich auf die Expertise von Frauen verzichtet – sprich: KEINE EINZIGE der hochqualifizierten Frauen berufen wurde -, wodurch wiederum weniger bis keine sinnvollen Verbesserungen in den Vorschlägen erwartet werden können. Wie die Globalisierungsgegnerin Maria Mies immer wieder betonte, hängt das neo-liberale Wirtschaftswachstumsmodell mit der Geschlechterungerechtigkeit zusammen [7]. Es entpuppt sich als besonders frauen- und gesellschaftsfeindlich. Dies verweist darauf, dass die derzeitige Quotendiskussion für Aufsichtsräte eine Luxusdebatte ist, weil die Zunahme unsicherer und prekärer Arbeitsverhältnisse gerade für Frauen in diesem Jahrhundert das brennendere Thema sein wird – u.a. durch den zu erwartenden Druck auf soziale Ausbildungsberufe durch sog. Bürgerfreiwilligendienste.

Gerechtigkeit ist eine Notwendigkeit

Wie die Welternährungsorganisation FAO ermittelt, verstärkt die Diskriminierung von Frauen den Hunger. Wenn Frauen im ländlichen Raum beispielsweise die gleichen Chancen hätten wie Männer, könnten sie ihre Ernteerträge um 20 bis 30 Prozent erhöhen. In den sog. Entwicklungsländern würde die landwirtschaftliche Produktion dadurch so stark steigen, dass die Zahl der Hungernden weltweit um 12 bis 17 Prozent sinken könnte. Die bislang herrschende Diskriminierung von Bäuerinnen und Arbeiterinnen auf dem Land ist mithin nicht nur ungerecht – sie schadet der Allgemeinheit in großem Maße – so die Quintessenz des Reports The State of Food and Agriculture [8]. Gerechtigkeit würde sich also auszahlen! Darum fordert die FAO Antidiskriminierung: "Fast jede politische Maßnahme (...) wird Frauen und Männer auf unterschiedliche Weise treffen, denn sie haben verschiedene Rollen inne und sind mit unterschiedlichen Beschränkungen oder Möglichkeiten konfrontiert". Hier müssen diskriminierungs- und rassismuskritische Konzepte ansetzen, denn Frauen und Männer sind nicht gleich(zumachen) und können sich nur dann konstruktiv einbringen, wenn die Rahmenbedingungen auch entsprechend ihrer Unterschiede gestaltet werden. Übrigens, in dem Kinofilm „Good Food, Bad Food“ werden die Zusammenhänge zwischen Ernährungssouveränität und Geschlechtergerechtigkeit hervorragend herausgearbeitet. Und die Feministin, Umwelt- und Saatgutexpertin in Indien, Vandana Shiva, kommt eindrücklich zu Wort.[9] Dass das Thema also nicht ohne die Problemfelder Sexismus und Patriarchat bearbeitet werden kann, davon wird ungern gesprochen und genau das muss dringend auf die Tagesordnung! Wer den Status Quo erhalten will, hat es immer noch leicht, das Nichterreichte auf die Markierten zu projizieren – eben weil sie markiert sind, im Fokus stehen, unter besonderer Beobachtung sozusagen, als „das andere Geschlecht“, wie Simone de Beauvoir so treffend titelte. Das Konzept der Frau als Abweichung von der Norm Mann unterdrückt Frauen, aber auch Männer, sowie diese als Eltern und Kinder. Im Begriff „Frauenfußball“ wird so eine Markierung deutlich – der normale Fußball ist unausgesprochen der, den Männer spielen (historisch richtig, aber, wie soll man aus der Markierungsfalle dann je ausbrechen?). Dass falsche Prämissen auf die gesellschaftliche Entwicklung stagnierend wirken, sollte inzwischen deutlich geworden sein, Stichwort: Gemeinwohl.

Die unsichtbare Hand der Restauration

Aus der Geschichte ist bekannt, wie massiv einmal akzeptierte Kategorien sind. Dies legt Claudia Honegger in ihrer Habilitationsschrift mit dem Titel "Die Ordnung der Geschlechter" [10] dar. Sie beschreibt darin den Aufklärungsdiskurs im Wesentlichen als Männerdiskurs – und wir alle können uns fragen, welche Namen von Frauen wir aus der Reformationszeit bis heute kennen, die sich politisch engagiert haben. Da hilft auch der sehr empfehlenswerte Pellens-Frauenkalender nicht weiter, wenn Frauen nicht zur üblichen Geschichtsschreibung gehören. Wir können uns auch mit Blick auf die Zukunft fragen, ob wir uns eher an den Namen von Naomi Klein oder Jean Ziegler erinnern werden? Was ist mit den Namen der Suffragetten oder Namen wie Lou Andreas Salomé, Olympe de Gouges, Marie Boehlen, Amy Godman und Nawal el-Saadawi – um nur einige exemplarisch und völlig willkürlich ausgewählt zu nennen. Auch el-Saadawi sieht im weltweiten Patriarchat mitsamt entsprechenden Wirtschaftsstrukturen die Ursache für die Unterdrückung der Frauen UND der sog. Dritten Welt gleichermaßen.

Jedenfalls wird bei Claudia Honegger plastisch, wie nach der Säkularisierung die alten religiösen Kategorien der Minderwertigkeit der Frau nun durch die Wissenschaft ersetzt wurden: Die Anthropologie suchte fortan zu beweisen, dass Frauen rein aus biologischen Gründen für bestimmte Dinge, vor allem kognitive Leistungen, nicht geeignet wären. Diese wissenschaftliche Verbrämung zur Restauration alter Vorurteile wirkt bis heute nach. Während physische Unterschiede durch technische Entwicklungen in vielen Bereichen ausgeglichen werden, schlägt sich das alte Denken in einem geschlechterneutralen Zutrauen der Tätigkeiten nicht nieder. Auch und gerade an Hochschulen gibt es kuriose Beobachtungen zum Beispiel bei mündlichen Prüfungen, die viele unreflektierte Schichten von Vorurteilen verraten – bei Frauen und Männern. Gerade die unbemerkten Sprachregelungen, aber auch die falschen (Sprach-)Konzepte à la Luise F. Pusch sowie die stereotypen Medienrollen helfen, den Fortschritt zu behindern. In den Medien kommt zudem besonders das zum Tragen, was Helma Lutz das „ins-stereotype-Licht-zurückrücken“ nennt: Die Entwertung oder Umdeutung konterkarierender Bilder und Geschichten zum Beispiel durch eine Wertung wie „Obwohl sie ein Mädchen ist, zeigt sie, dass sie auch … kann“.

Und das Faktum, dass Frauenverhalten anders bewertet wird, als Männerverhalten – was u.a. Nancy Henley eindrücklich in ihrem Buch „Body Politics“ (Körperstrategien) beschreibt (weshalb so manches Coaching für Frauen, das einfach „Männerverhalten“ zu kopieren empfiehlt, zu überdenken ist) führt wiederum zu einer Verfestigung der Hierarchien, die doppelte Maßstäbe befeuern.[11] Darum ist es gut, wenn Frauen die Übernahme von sog. Männerrollen ablehnen und nicht etwa als Zurückweichen zu deuten. Diesen Mechanismus belegen ja Bezeichnungen wie „Mannweib“, „Iron Lady“ oder auch „Kampflesbe“ in abschreckender Weise. Dabei sind Frauen oft die besseren Angestellten – mit der Zeitschere für weitere gesellschaftliche Verpflichtungen im Kopf, sind sie oft effizienter und blasen ihre Zeitkonten nicht unnötig auf.

Was immer sie tut, es ist falsch…

Jedoch, was immer Frauen tun, es scheinen alle Rollenmuster negativ gewertet zu werden: Entscheidet sie sich ausschließlich für den Beruf und ist vielleicht noch ehrgeizig, wird ihr schnell vorgeworfen, ein „Karriereweib“ zu sein. Entscheidet sie sich für Familie und bleibt gar noch zu Hause, dann gilt sie vielen als „dummes Hausmütterchen“. Diejenige, die auf nichts verzichten möchte und Familie und Beruf wählt, muss sich als „Rabenmutter“ beschimpfen lassen. Wie sie's macht, sie macht es verkehrt bzw. sie muss stets auf Anerkennung verzichten. Dann kann sie freilich machen, was sie will... Hoffentlich erkennt sie dann aber die sich reproduzierenden Systeme, die dazu tendieren, Hierarchien und Klassen zu erhalten, als Ursache ihrer Überforderung und bekommt keine Depressionen für die nicht erreichbaren Lorbeeren.

Aber auch ohne Familie schneiden die besser ausgebildeten Frauen schlechter ab, werden geringer entlohnt und negativer bewertet.[12] Jüngere Frauen aber erkennen oft zu spät, dass das Spiel nach "männlichen" Regeln läuft. Miriam Meckel warnt vor den üblichen Fallen. Sie stellt fest, dass junge Frauen oft verleugnen, dass ihre Karrierechancen beschränkt sind – das störe ihr Selbstbild. Sie glaubten an den Vollzug der Emanzipation. Und dann schreiben sie sich selbst die Entscheidungsgewalt zu, bestimmen aber oft gar nicht die Zugänge in bestimmte Bereiche.

Nun ist Familienministerin Kristina Schröder auf Grund ihrer Ausnahmebiografie und fehlender Lebenserfahrung wohl kaum die Geeignete, um die komplexe Situation zu erfassen, korrekt zu analysieren und zu verändern. Ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen scheint vor allem durch ihre Auslandserfahrung begriffen zu haben, dass es anders geht und nur Deutschland in vielen sozialen Bereichen hinterher hinkt. Eine Bereitschaft zum Ernstmachen, was einige grundsätzliche wirtschaftspolitische Korrekturentscheidungen erfordern würde, scheint aber auch bei ihr nicht gegeben.

... weil der Kontext nicht mitgedacht wird

Feminismus ist also nötiger denn je! Und er ist nicht nur Frauensache, wie Heribert Prantl, Don Hazen und viele andere zeigen. Aber, was richtig ist, darf durchaus noch diskutiert werden bzw. man sollte auf wichtige Erkenntnisse, wie sie u.a. Maria Mies stets formuliert hat, auch zurückgreifen. Die Feststellung, dass überproportional viele Mädchen heutzutage Model werden wollen, mag alarmieren. Die Sexualisierung der Frauenbilder – die als Reaktion auf eine „Vermännlichung“ im fehlgeleiteten Feminismus durchaus verständlich wäre – darf kritisch, auch und gerade medienkritisch, hinterfragt werden; der Diätzwang und andere Beschäftigungstherapien ebenso. Frauen verrichten weltweit die meisten Arbeiten. Es darf keine Entwertung der außergewerblichen Arbeiten mehr hingenommen werden. Gleichwohl ist die alte Vorstellung, dass Frauen im Zuverdienermodus wahrzunehmen sind und die steuerlich begünstigt im Ehegattensplitting noch forciert wird, ein Vorurteil nicht erst seit der neuen Unterhaltsgesetzgebung.

Und das auch beobachtbare unsolidarische Minoritätenverhalten (Tajfel) unter Frauen – vor allem dann, wenn sie meinen mit unterschiedlichen Lebensentscheidungen konkurrieren zu müssen – sollte als Folge dessen erkannt werden, was es ist: die Folge hierarchischer Strukturen, die Minderheitenkonkurrenz ausnutzt, statt Gleichberechtigung herzustellen. Das wäre eigentlich eher ein Thema für die Zeitschrift EMMA, als die üblichen Dualismen – Macht oder Sex, Körper oder Karriere, Frauen gegen Männer und dergleichen – zu bedienen. Nimmt man Tajfel ernst, wären die viel gelobten Solidaritäten und Netzwerke von Männern demnach auch eher die Folge einer Machtposition in den Hierarchien und nicht eine genuine männliche Eigenschaft. Dafür spricht, dass sie nicht geschlechtsspezifisch, sondern klassenbezogen angewandt wird – aber eben mit gender gap. Demnach wäre der gerne als „Zickenkrieg“ denunzierte Streit unter Frauen weniger die Eigenschaft der Betroffenen, sondern vielmehr ein Ausfluss von Machtstrukturen und dem „Teile und herrsche“-Prinzip – wie wir es aus anderen Bereichen auch kennen, wo sich ebenfalls solidarisches Minoritätenverhalten nicht automatisch einstellt.

Frauen dürfen alles wollen – Familie und Beruf und vieles mehr! Das steht ihnen ebenso zu, wie es für Männer selbstverständlich ist. Gleichberechtigung muss alle verändern, auch weil sie zum Vorteil für alle ist! Entgegen einer Bildunterschrift in der Süddeutschen Zeitung vom 2.2.2011 brauchen wir keine Frauen als „Schmuck“ in den Chefetagen.[13] Wir sind nämlich ernst(er) zu nehmen! Und wir wissen, dass uns die Beobachtungen von diskriminierenden Strukturen nicht davon entbinden, die Dinge selbst mit in die Hand zu nehmen!

Zum Abschluss möchte ich auf einen Aufruf ägyptischer Frauen aus Al Ahram Weekly vom 23.2 2011 aufmerksam machen, der auch nach der französischen Revolution oder vielen anderen seither hätte formuliert werden können (bzw. ähnlich formuliert wurde): Sinngemäß heißt es dort, Frauen lasst Euch nach dem Kampf um politische Veränderung nicht wieder abdrängen aus dem Mitgestalten. Die öffentliche Aufgabe ist eine gesamtgesellschaftliche und darum müssen alle daran beteiligt sein, zum Wohle aller![14]

In diesem Sinne, weltumspannende Solidarität![15][16]

Anmerkungen
  1. http://www.whomakesthenews.org/
  2. Stern Nr. 40, 2010: Karriere? Das tue ich mir doch nicht an!
  3. http://www.welt.de/politik/ausland/article12726758/Krise-der-Paschas-Maenner-haben-Angst-voruns.html
  4. http://www.welt.de/die-welt/regionales/hamburg/article8421497/Frauen-arbeiten-21-Stunden-im-Haushalt-Maenner-nur-sieben.html
  5. FORSA: neben Job 77 Prozent Kochen, 68 Prozent putzen, 76 kaufen die Geschenke für Familie und Freunde, 61 Prozent betätigen sich als Chauffeur der Kinder http://www.scoolz.de/artikel.php?id=6704 Aufgerieben zwischen Kindern, Küche und Kollegen (Umfrage mit einigen Prämissen)
  6. Kriminologisches Forschungsinstitut Hannover „Jungen als Bildungsverlierer“
  7. http://www.attac-netzwerk.de/feminist-attac/themen/?L=2
  8. http://www.fao.org/publications/sofa/en/
  9. siehe auch: Maria Mies & Vandana Shiva: Ökofeminismus. Rotpunktverlag.
  10. Campus Verlag Frankfurt 1991
  11. Bsp. "Die Unerbittliche" Angelika Lex, einfach eine gute Juristin, die auf rechtsstaatliche Prinzipien pocht - SZ 4.2.1011/ oder löst Überraschung aus: "Zierliche Frau, stattlicher Erfolg", Financial Times Deutschland 4.2.2011: Lilan Co, erfolgreiche Fondsmanagerin für chinesische Standardwerte - so einfach, wie das Chrismon-Magazin meint "Streng sein, und Klartext reden - dann verstehen auch Männer, worum's geht" ist es eben nicht, mal abgesehen von der Unterstellung, Frauen würden nicht relevant zur Sache reden oder gar Männer täten es...
  12. s. www.lohnspiegel.de - Wer definiert eigentlich, was Vollzeit ist? Vor 100 Jahren waren das noch ca. 12 Stunden...
  13. Süddeutsche, die Quotenfrau, das unbekannte Wesen 2.2.2011 Bildunterschrift: "Wären nicht nur bei der Tölzer Leonhardifahrt, sondern auch in den Chefetagen schmückend: ein paar Frauen."
  14. Now for the gender revolution "I want to see the opposite of what has always happened after revolutions take place now in Egypt. History tells us that women stand side by side with men, fight with men, get killed defending themselves and others along with men, and then nurse the wounded, lament the dead, chant and dance when the struggle is victorious and help to manage the aftermath when it is not. However, history also indicates that after the success of a political struggle, women are too often forced to go back to their traditional gender roles and do not benefit from the harvest of revolution. [...] I would like to call on all the country's media, especially radio and television, to talk to women as much as you talk to men, put women in your pictures, interviews, programmes and talk shows. In whatever you do, act to confirm that the new Egypt will now be built by both women and men." Al Ahram Weekly, 23.02.2011 ZIT Übers. http://weekly.ahram.org.eg/2011/1035/op222.htm
  15. http://www.gwi-boell.de/web/internationale-dialoge-womens-voices-womens-choices-internationalerfrauentag-2962.html
  16. http://weltsozialforum.org/news.wsf.2011.44/index.html
* Dr. Sabine Schiffer, Medienwissenschaftlerin, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung (IMV), Erlangen; www.medienverantwortung.de


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