Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ungeliebte Femen

Aktionsgruppe wird im Herkunftsland Ukraine wegen angeblichen Waffenbesitzes verfolgt. Unter Feministinnen sind ihre Oben-ohne-Proteste umstritten

Von Jana Frielinghaus *

Femen – das ist einerseits eine erstaunliche Erfolgsgeschichte, was Organisierung und Me­dienwirksamkeit von Protesten betrifft. Andererseits sehen auch Feministinnen die Aktionen der Frauenrechtsgruppe mit Unbehagen. Zuletzt zu beobachten auf der Demonstration gegen den Marsch klerikaler »Lebensschützer« am vergangenen Samstag in Berlin (siehe jW vom Montag). Auch dort tauchten barbusige junge »Femen« auf, setzten sich an die Spitze des Zuges. Beschriftet waren sie mit Losungen wie »Mein Bauch gehört mir«, »Recht auf Abtreibung« oder »Gott ist tot«. Offenbar waren einige Teilnehmerinnen der Kundgebung auf den Auftritt vorbereitet – und hielten ein Transparent mit der Aufschrift »Still not loving Femen« hoch. Darauf wurde der Gruppe unter anderem die Propagierung »normierter Körperbilder«, Rassismus und »NS-Verharmlosung« vorgeworfen. Ziemlich starker Tobak angesichts des Mutes, den die Aktivistinnen immer wieder für ihre Aktionen aufbringen.

Frauenrechtlerinnen monieren einerseits, daß die Aktivistinnen fast ausnahmslos schlank, jung und hübsch sind und so den allgemeinen Druck auf Mädchen und Frauen erhöhen, dem von Medien und Werbung oktroyierten Schönheitsideal zu entsprechen. Andererseits wird ihnen Eurozentrismus und das Fehlen nichtweißer Mitglieder vorgehalten. Von anderer Seite sehen sich die jungen Frauen seit der Präsentation eines Dokumentarfilms über die Gruppe auf dem Filmfestival in Venedig Anfang September dem etwas hämischen Vorwurf ausgesetzt, sie seien Marionetten eines Mannes. Denn mit dem Film wurde bekannt, daß die »Femen« lange von Mitbegründer Viktor Swjatzki dominiert wurden.

Doch bei all dem ist unbestreitbar: Es handelt sich mittlerweile um eine europaweit agierende Gruppe, die ihre Sache mit Ernst und dem Anspruch angeht, Frauenrechte universell einzufordern und gegen vielfältige Diskriminierungen aufzubegehren. Durchaus fragwürdig bleibt der Ansatz, stereotyp, ob nun in Paris oder Tunis, ausschließlich den lautstarken Oben-ohne-Auftritt als Protestmittel einzusetzen. Nichtsdestotrotz dürfte es viele der jungen Frauen große Überwindung kosten, halbnackt aufzutreten und dabei Parolen zu schreien. Deshalb ist die Teilnahme strikt freiwillig. Wenn eine beim harten Training, etwa in Paris, merkt, daß so etwas nichts für sie ist, kann sie jederzeit aussteigen.

Seit Ende August wird in der Ukraine, wo die Gruppe im Jahr 2008 gegründet wurde, wegen angeblichen Waffenbesitzes gegen sie ermittelt. Drei Femen-Gründerinnen haben deshalb ihr Land verlassen. Alexandra Schewtschenko, Anna Guzol und Jana Idanowa seien »aus Angst um ihr Leben und ihre Freiheit« nach Frankreich und in die Schweiz »geflohen« und hätten politisches Asyl beantragt, teilte die Gruppe am 31. August auf ihrer Webseite mit. Auslöser war demnach eine Vorladung zur Zeugenbefragung. Im Femen-Büro in der Hauptstadt Kiew waren laut Polizei am 27. August eine Pistole, eine Granate und Muni­tion gefunden worden. Femen glaubt, daß die Waffen der Gruppe untergeschoben wurden. Auf illegalen Waffenbesitz stehen in der Ukraine bis zu fünf Jahre Haft. Bereits im Juli waren in Kiew drei Femen-Aktivistinnen und ein Fotograf während des Besuches des russischen Präsidenten Wladimir Putin festgenommen worden. Femen-Chefin Guzol wurde nach Angaben der Gruppe von Polizisten geschlagen.

Am Mittwoch äußerte sich Anna Guzol gegenüber dem Deutschlandfunk (DLF) zu Vorwürfen und Kampagnen gegen ihre Organisation. Sie berichtete, vor der Razzia in den Kiewer Räumen seien die anwesenden Frauen zunächst aus diesen ausgesperrt worden Der Verdacht liege nahe, daß die Waffen in dieser Zeit erst dort deponiert worden seien. Zur Aussage, Mitbegründer Viktor Swjatzki habe sich die Femen-Aktionen ausgedacht und die Aktivistinnen ausgewählt, bestätigte Aktivistin Inna Schewtschenko – sie erhielt bereits im April politisches Asyl in Frankreich –, dieser habe tatsächlich die Gruppe zeitweilig dominiert. Sie habe sich jedoch längst von ihm gelöst. Die Feinde der Organisation seien offenbar aggressiver und gefährlicher geworden, weil sie mittlerweile in neun europäischen Staaten präsent ist und viel Aufmerksamkeit erzielt, vermutete Inna Schewtschenko im DLF-Interview. Sie selbst werde sogar in ihrem Exil anonym bedroht.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. September 2013


Zurück zur Frauen-Seite

Zur Ukraine-Seite

Zurück zur Homepage