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Vorschusslorbeeren für Michelle Bachelet

Chiles ehemalige Präsidentin steht der neuen UNO-Frauenorganisation UN Women vor

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Mit Jahresbeginn hat eine neue UNO-Organisation ihre Arbeit aufgenommen: UN Women, in der vier bisher getrennte Frauenprogramme nunmehr zusammengefasst sind. Chiles frühere Präsidentin Michelle Bachelet steht an der Spitze der Institution.

Frauenbewegte sind rundum begeistert: Eine "erstklassige Wahl" als Chefin der neuen UN-Frauenorganisation sei Michelle Bachelet, eine "fähige und integre Führungspersönlichkeit", die in der Lage sei, "die Ressourcen zu mobilisieren, die notwendig sind, um UN Women zum Erfolg zu machen". So schwärmt Charlotte Bunch vom internationalen Frauen-Netzwerk Gender Equality Architecture Reform.

Im vergangenen September hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Chiles Expräsidentin zur Leiterin jener neuen Frauenbehörde ernannt, die offiziell am 1. Januar 2011 ihre Arbeit aufgenommen hat. In UN Women gehen die vier Einrichtungen auf, die sich im Rahmen der Vereinten Nationen bislang mit Frauenförderung und Gleichstellung beschäftigten. Der Gründung von UN Women waren jahrelange Verhandlungen zwischen den UN-Mitgliedsstaaten und der weltweiten Frauenbewegung vorangegangen. Die Organisation soll die Kräfte bündeln und die Vereinten Nationen im Kampf gegen Diskriminierung schlagkräftiger machen.

UN Women umfasst die Abteilung Frauenförderung (DAW), das Internationale Forschungs- und Ausbildungsinstitut zur Förderung der Frau (INSTRAW), das Büro der Sonderberaterin für Gleichstellungsfragen und Frauenförderung (OSAGI) und den Entwicklungsfonds der Vereinten Nationen für die Frau (UNIFEM). Geschlechtergerechtigkeit sei nicht nur ein Menschenrecht, heißt es in der Selbstdarstellung der Organisation. Fortschritte bei der Förderung von Frauen hätten enorme Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft. Dennoch sei die Ungleichheit zwischen Mann und Frau in allen Gesellschaften fest verwurzelt. Überall auf der Welt seien Frauen Opfer von Diskriminierung und Gewalt.

Als polyglotte Frau aus dem globalen Süden, ehemalige Ministerin und Präsidentin Chiles sowie ausgebildete Ärztin bringe Bachelet alle Voraussetzungen mit, um auch ihren neuen Job an der Spitze von UN Women erfolgreich zu meistern, heißt es allenthalben. Die Biografie der 59-Jährigen scheint dies zu bestätigen.

Die junge Medizinstudentin war eine Parteifreundin des sozialistischen Präsidenten Salvador Allende (1970-73), ihr Vater ein loyaler Luftwaffengeneral. Nach dessen Tod in den Kerkern der Pinochet-Diktatur wurden auch sie selbst und ihre Mutter festgenommen und drangsaliert.

Es folgte das Exil in der DDR. Michelle Bachelet studierte Deutsch in Leipzig und Medizin in Berlin. Sie heiratete, brachte das erste ihrer drei Kinder zur Welt und kehrte 1979 nach Chile zurück, wo sie Kinderärztin wurde. Den bewaffneten Kampf gegen das Militärregime befürwortete sie.

Nach dem Ende der Diktatur 1990 durfte sie endlich im öffentlichen Gesundheitswesen arbeiten. 1995 stieg sie in die Parteiführung der Sozialisten auf, im Jahr 2000 wurde sie Gesundheitsministerin. Schon in der Vergangenheit wies Bachelet gerne auf die weibliche Perspektive in der Politik hin: Frauen seien praktischer und lebensnäher. "Ich bin Frau, Sozialistin, Opfer der Diktatur, nicht religiös gebunden und lebe getrennt", sagte sie bei ihrem Amtsantritt als Verteidigungsministerin Anfang des Jahres 2002 vor misstrauischen Generälen. "Aber wir werden gut zusammenarbeiten." Sie hielt Wort und trieb die mühsame Verständigung zwischen Militärs und Zivilgesellschaft geduldig voran.

Als Präsidentin Chiles stärkte sie die Rechte der Frauen, führte Kindergärten für berufstätige Mütter und die Sozialversicherung für Hausfrauen ein. Doch wegen des heftigen Widerstands Konservativer gelang es ihr nicht, armen Frauen den problemlosen Zugang zur zuvor legalisierten "Pille danach" zu gewährleisten.

Auch bei UN Women warten heikle Probleme auf Michelle Bachelet. Seit drei Monaten leitet sie in New York die Umstrukturierung des Frauenbereichs, dessen Jahresetat zudem auf 500 Millionen Dollar verdoppelt wurde. Den Wildwuchs in der UN-Bürokratie will sie beschneiden.

"Wir brauchen eine Politik, die den Frauen Rechte gibt, Rechte auf sexuelle und reproduktive Gesundheit", lautet ihr Credo. Der Staat dürfe den Frauen nichts aufzwingen, sondern müsse ihnen Wahlmöglichkeiten bieten.

Vertretern von Regimen, die die Frauenrechte mit Füßen treten, will Michelle Bachelet mit einer Mischung aus Prinzipienfestigkeit und Fingerspitzengefühl begegnen. Ihre warmherzige Art hilft ihr dabei, die Devise lautet Dialog und Offenheit: "Das Geheimnis, um voranzukommen, ist eine Beziehung des gegenseitigen Respekts."

* Aus: Neues Deutschland, 4. Januar 2011


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