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Soldatenfreie Schulen geehrt

Weil sie der Bundeswehr den Zugang verwehren, wurden am Sonntag zwei Bildungseinrichtungen mit dem renommierten Aachener Friedenspreis ausgezeichnet

Von Michael Schulze von Glaßer *

Für Bernd Fiehn, Leiter des Berliner Robert-Blum-Gymnasiums, war es »eine Anerkennung unserer pädagogischen Arbeit«, als er am Sonntag abend vor rund 300 Gästen in der Aula Carolina in Aachen eine renommierte Auszeichnung für seine Schule entgegennahm. Sie hatte 2011 den Beschluß gefaßt, der Bundeswehr den Zugang zu den Klassenzimmern zu verweigern. Dafür wurde die Bildungseinrichtung nun mit dem Aachener Friedenspreis geehrt. Statt Jugendoffiziere einzuladen, würden die Lehrer ein »friedliches Zusammenleben der Menschen und eine gewaltfreie Lösung von Konflikten« vermitteln, erklärte Fiehn in seiner Dankesrede.

Auch die Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach am Main erhielt am Antikriegstag den Preis, denn hier war ein ähnlicher Beschluß gefaßt worden. Beide Schulen gehörten bundesweit zu den ersten, die sich in dieser Weise positionierten. Die deutsche Armee drängt seit Jahren mit Jugendoffizieren, Wehrdienstberatern und Kooperationsvereinbarungen mit Bildungsministerien in die Schulen, um mehr oder weniger direkt Rekruten zu werben und junge Leute von Militärinterventionen zu überzeugen. Gewürdigt werden sollte nach Angaben der Jury der »Mut und die Courage« der Schüler, Eltern und Lehrer. Zugleich wolle man »ein Signal gegen den Mainstream der Militarisierung in unserer Gesellschaft« setzen.

Neben den beiden deutschen wurde auch die Internationale Schule in Dohuk im Norden des Irak für ihr Bemühen um ethnische und religiöse Vielfalt und Toleranz ausgezeichnet. Die Einrichtung, die rund 300 Kinder verschiedener Religionen besuchen, sei ein »Modellprojekt für Frieden, Versöhnung und Verständigung zwischen Volksgruppen und Religionsgemeinschaften«, sagte die stellvertretende Vorsitzende des Friedenspreisvereins, Tina Terschmitten. Die mit 2000 Euro dotierte Auszeichnung wurde im Jahr 1988 von einem Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften und Bürgergruppen ins Leben gerufen. Im Gegensatz zum Internationalen Aachener Karlspreis sollen damit Engagement und Zivilcourage von Menschen gewürdigt werden, die ohne öffentliche Ämter für den Frieden arbeiten.

Die Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger hatte vorab aber auch für Aufregung gesorgt, denn erstmals in der Geschichte der Auszeichnung gab es eine Annahmeverweigerung. Die Leiterin der Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf hatte sie Mitte Juni quasi im Alleingang abgelehnt. Von einem vor ihrer Dienstzeit gefaßten demokratischen Beschluß der Schulkonferenz, der Besuche von Soldaten ausschloß, wollte Schulleiterin Alexandra Haußmann nichts mehr wissen – nachdem sie sich noch im Mai über die bevorstehende Ehrung erfreut gezeigt hatte (siehe jW vom 15.6.) Zwar seien während ihrer Dienstzeit bislang keine Jugendoffiziere an der Schule gewesen, das könne sich trotz enger Lehrpläne aber möglicherweise bald ändern, erklärte Haußmann kürzlich dem NDR.

Militärs und Konservative haben unterdessen in den letzten Monaten massiv gegen die Auszeichnung der militärfreien Schulen mobil gemacht. Ein Kommentator der Boulevardzeitung BZ schäumte, der »Anti-Bundeswehr-Preis« stifte »Unfrieden«, »weil er die Schüler in ihrer albernen Ablehnung« der deutschen Truppe noch bestätige. Neben den Preisträgern wurde auch der verleihende Verein angegriffen: »Der Reservistenverband hat heftig gegen uns getrommelt«, erklärte Lea Heuser vom »Aachener Friedenspreis e.V.«. Es habe jede Menge Protestbriefe von Soldaten gegeben. Wie die Leitungsgremien der beiden am Sonntag ausgezeichneten Schulen sei man aber standhaft geblieben: »Wir haben uns eigentlich sogar über die Reaktionen gefreut, weil es unser Ziel war, die Bundeswehr an Schulen öffentlich zu thematisieren«, so Lea Heuser weiter. Unterricht über Sicherheitspolitik gehöre in die Hände dafür ausgebildeter Pädagogen und nicht in die von Soldaten. Die Preisvergabe solle auch andere Schulen motivieren, der Armee den Zugang zu verweigern.

Das scheint bereits zu klappen. Zwar gibt es bundesweit bislang nur neun Schulen, die einen Beschluß gegen Soldatenauftritte in ihren Räumen gefaßt haben. Doch erst kürzlich haben sich im nordrhein-westfälischen Solingen gleich drei Einrichtungen für bundeswehrfrei erklärt.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. September 2013


Kein Hausverbot für Jugendoffiziere - Düsseldorfer Gesamtschule lehnt Aachener Friedenspreis ab

Ein Beitrag von Julia Weigelt aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" **

Andreas Flocken (Moderation): In der kommenden Woche, am 1. September, ist Anti-Kriegstag. Der 1. September erinnert an den deutschen Angriff 1939 auf Polen. Am 1. September wird auch der Aachener Friedenspreis verliehen. In diesem Jahr sollten drei Schulen ausgezeichnet werden, als „Schule ohne Bundeswehr“, wie es in der Begründung des Vereins heißt. Doch bei einem Preisträger stieß die Entscheidung auf Verwunderung. Einzelheiten von Julia Weigelt:

Manuskript Julia Weigelt

Das gab es in der Geschichte des Aachener Friedenspreises noch nie: Der Verein will eine Schule für ihr Engagement für den Frieden auszeichnen, doch deren Rektorin lehnt den mit 1.000 Euro dotierten Preis ab. Die Vereinsmitglieder sind fassungslos. Sie glaubten, die Hulda-Pankok-Gesamtschule in Düsseldorf habe der Bundeswehr ein Hausverbot erteilt, und lobten, dass Angehörige der Streitkräfte dort nun nicht mehr für Krieg und den Soldatenberuf werben dürften. Doch Alexandra Haußmann, Schulleiterin der Hulda-Pankok Schule, winkt ab:

O-Ton Haußmann
„Wir legen Wert darauf, dass unsere Schülerinnen und Schüler Dialogfähigkeit erwerben. Wir grenzen keine gesellschaftlichen Gruppen aus und natürlich die Bundeswehr auch nicht. Wir trauen den Schülern was zu und wir entmündigen sie nicht.“

Entgegen den Angaben des Vereins habe die Schule der Bundeswehr nie ein Hausverbot erteilt. Dies könne rein rechtlich nur der Schulleiter. Und weder ihr Vorgänger noch sie habe dies in ihrer bislang dreijährigen Dienstzeit als Schulleiterin getan, sagt Alexandra Haußmann. Deshalb habe sie nach Rücksprache mit dem Lehrerkollegium den Preis abgelehnt. Die Sprecherin des Aachener Friedenspreises, Lea Heuser, räumt ein, diese Entscheidung habe die Vereinsmitglieder herb überrascht. Denn die Schule habe zunächst signalisiert, den Preis annehmen zu wollen. Gesprächsangebote des Vereins habe die Rektorin abgelehnt. Lea Heuser:

O-Ton Heuser
„Es hat auch keinen weiteren Schulkonferenzbeschluss gegeben, der den Preis nun ablehnt oder annimmt oder den ehemaligen Schulkonferenzbeschluss zum Ausschluss der Bundeswehr revidiert. Aber da die Schule nun offensichtlich wirklich nicht mehr hinter diesem Beschluss steht, wird sie von uns natürlich auch keinen Preis aufgezwungen bekommen.“

Ein Konferenzbeschluss, der ein Hausverbot für die Bundeswehr vorsieht? Offenbar ein Missverständnis. Schulleiterin Haußmann sagt, es habe 2010 lediglich einen Beschluss der Schulkonferenz gegeben, die Bundeswehr nicht zu einer schulinternen Berufsmesse einzuladen. Damals habe das Gremium beschlossen, eine Kooperationsvereinbarung, die 2008 zwischen dem nordrhein-westfälischen Bildungsministerium und der Bundeswehr geschlossen wurde, nicht umzusetzen. Gegen eine neue, 2012 geschlossene Kooperationsvereinbarung habe die Schule jedoch nichts einzuwenden. Darin steht, dass Schüler kontroverse Positionen kennenlernen sollen, um politische Entscheidungen nachzuvollziehen und selbst werteorientierte Entscheidungen fällen zu können. Jugendoffiziere der Bundeswehr können demnach ebenso wie Vertreter anderer Institutionen und der Friedensbewegung in den Klassen referieren, auf Einladung der Lehrer. Die Düsseldorfer Gesamtschule hat dieses Angebot der Bundeswehr allerdings bisher nicht angenommen.

Die Bundeswehr hat derzeit 94 Jugendoffiziere. Ihre Hauptaufgabe: Interessierten jungen Leuten die deutsche Sicherheitspolitik zu erläutern. Die Zahl soll nach Angaben des Verteidigungsministeriums stabil bleiben, trotz der Verkleinerung der Streitkräfte. Die Jugendoffiziere haben demnach im vergangenen Jahr über 7.000 Veranstaltungen durchgeführt mit rund 175.000 Teilnehmern. Eine Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr haben aktuell acht Bundesländer geschlossen: Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Aber auch Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Sachsen. Durch die Vereinbarungen sind die Schulen allerdings nicht verpflichtet, Jugendoffiziere im Unterricht auftreten zu lassen. Es handelt sich lediglich um ein Angebot. Ein Angebot, das nicht überall willkommen ist.

Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, ist gegen Kooperationsvereinbarungen und lehnt die Bundeswehr an Schulen ab:

O-Ton Hoffmann
„Wir gehen davon aus, dass diese Aktivitäten der Jugendoffiziere, die in die Schulen gehen, auch mit Rekrutierungswerbung zusammenhängen. Und da sind wir der Meinung, dass das in der Schule keinen Platz haben sollte.“

Nach außen hin präsentierten sich die Streitkräfte häufig als humanitärer Hilfsverein, sagt Hoffmann. Die Kriegsrealität sei aber eine andere. Bei Mitgliedern der Friedensbewegung und Gewerkschaften seien Bildungsministerien häufig besonders restriktiv, während die Bundeswehr privilegiert werde. Durch die Kooperationsvereinbarung seien Schulen prinzipiell gezwungen, mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten, kritisiert die Gewerkschaftsfrau. Ein Hausverbot sei daher ein mutiger und gewagter Schritt:

O-Ton Hoffmann
„Ich denke, es ist schon wenigstens ein kleiner Ausdruck zivilen Ungehorsams, wenn man das in der Schulkonferenz wirklich so festlegt. Das trauen sich nicht so viele. Insofern war das schon richtig, das zu würdigen.“

Ein Hausverbot ist an der Düsseldorfer Gesamtschule allerdings nach Angaben der Schulleiterin nicht verhängt worden.

Die Bundeswehr bekräftigt immer wieder, dass Jugendoffiziere bei ihren Besuchen nicht für den Soldatenberuf werben dürften. Dafür seien allein sogenannte Karriereberater zuständig, die auf Einladung ebenfalls an die Schulen kommen. Eine Unterscheidung, die Lea Heuser vom Aachener Friedenspreis nicht gelten lassen will: Jugendoffiziere stellen ihrer Meinung nach die Bundeswehr positiv verzerrt dar, als eine Art Abenteuerurlaub. Und die Friedensbewegung habe nicht genug Geld, um dem etwas entgegensetzen zu können.

Das Verteidigungsministerium will die Preisvergabe an die Düsseldorfer Gesamtschule nicht kommentieren. Dafür zeigen Soldaten und deren Angehörige ihr Unverständnis, vor allem in sozialen Netzwerken wie Facebook. Unter anderem, weil der Beschluss über die Preisvergabe zu einem Zeitpunkt bekannt wurde, als Tausende Soldaten in Deutschland mit Sandsäcken gegen das Hochwasser kämpften.

Gegen die Hochwasserhilfe der Bundeswehr habe der Aachener Friedenspreis auch nichts einzuwenden, sagt deren Sprecherin, Lea Heuser. Aber:

O-Ton Heuser
„Dann könnte man die Bundeswehr aber auch in ein besseres THW umwandeln. Oder man könnte sagen: Dann macht man eben keine Auslandseinsätze, dann geht man nicht in den Krieg. Dann mischt man sich nicht in anderer Leute Konflikte ein.“

Die GEW fordert: Nicht Soldaten, sondern Lehrer sollen an Schulen Sicherheitspolitik vermitteln. Vorstandsmitglied Ilka Hoffmann:

O-Ton Hoffmann
„Ich würde sagen, das ist auch ohne Bundeswehr von einem Sozialkunde- und Politiklehrer durchaus zu leisten, diese Themen im Rahmen des Lehrplans zu behandeln.“

Die Düsseldorfer Schulleiterin Alexandra Haußmann sieht das kritisch: Denn für solche Themen sei kaum noch Platz in den Lehrplänen:

O-Ton Haußmann
„Der Raum ist in der Tat sehr eng. Vor allen Dingen, seitdem wir in Nordrhein-Westfalen das Zentralabitur haben.“

Der Aachener Friedenspreis ist nicht nur der Düsseldorfer Hulda-Pankok-Gesamtschule zuerkannt worden, sondern auch dem Robert-Blum-Gymnasium in Berlin und der Käthe-Kollwitz-Schule in Offenbach. Die beiden Schulen nehmen den Preis nach Angaben des Vereins an. Vertreter der Hulda-Pankok-Gesamtschule werden bei der Verleihungsfeier am 1. September allerdings nicht dabei sein. Für Schulleiterin Alexandra Haußmann ist das Thema damit aber noch nicht abgeschlossen. Zwar seien während ihrer Dienstzeit bislang keine Jugendoffiziere an der Schule gewesen – doch das könne sich jetzt möglicherweise ändern, trotz enger Lehrpläne:

O-Ton Haußmann
„Was wir auf jeden Fall jetzt machen werden, und das ist sicherlich das Positive an der ganzen Situation, dass uns klargeworden ist: Wir möchten da ein richtiges Konzept entwickeln. Wir müssen uns dieser Frage stellen: Lassen die Lehrpläne Raum für so etwas? Wie könnte ein friedensethischer Diskurs aussehen?“

Und so ein Konzept sollen Eltern, Lehrer und Schüler jetzt gemeinsam erarbeiten – in einem demokratischen Prozess.

** Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 24. August 2013; www.ndr.de/info


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