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Gute Seele

Hawa Aden Mohamed / Die Somalierin erhält den "Nansen-Flüchtlingspreis"

Martin Ling *

Gute Nachrichten aus und über Somalia sind selten. Schließlich befindet sich das Land seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 im fortschreitenden Staatszerfall. Hoffnungszeichen indes gibt es: die überraschende Wahl des als integer geltenden Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud Anfang September, der allerdings vor Wochenfrist nur mit Glück einem Attentat entging. Und nun die Auszeichnung für die Flüchtlingshelferin Hawa Aden Mohamed durch die Vereinten Nationen. In Somalia ist die Preisträgerin nur als »Mama Hawa« bekannt - Ausdruck der hohen Wertschätzung, die sie dort für ihre jahrzehntelange Flüchtlings- und Bildungsarbeit genießt.

Ihr Berufsweg wurde der 1949 in Baidoa geborenen Hawa Aden Mohamed zwar nicht in die Wiege gelegt, doch mit ihrem Schicksal hat er viel zu tun. Es war nicht selbstverständlich, dass ihr Vater sie als Mädchen zur Schule schickte. Sie nützte die Bildungschancen bis hin zu zwei Universitätsabschlüssen, die sie in Indien in Ernährungs- und Erziehungswissenschaften erwarb. Nach ihrer Rückkehr bekam sie in der Administration von Siad Barre einen Job im Erziehungsministerium, musste nach dessen Sturz wie so viele in den Bürgerkriegswirren fliehen. Sie floh in die südliche Hafenstadt Kismayo und von dort nach Kenia und Kanada. Doch 1995 kehrte sie zurück, um in Kismayo ein Frauenbildungszentrum aus dem Boden zu stampfen. Kämpfe von Milizen trieben sie ein weiteres Mal in die Flucht. 1999 zog es sie trotz aller Gefahren wieder zurück. Dieses Mal startete sie in Galkayo im nordöstlichen Puntland ein Bildungs- und Schulprogramm und gründete ihre Organisation »Galkayo Education Centre for Peace and Development«. Sie engagiert sich seitdem vor allem für Frauen und Mädchen, die Opfer von Gewalt wurden.

Hinter all ihren Projekten steckt die Überzeugung, dass Bildung die Grundlage für alles ist. Besonders bei Mädchen. »Ich denke, nicht gebildet zu sein, ist wie eine Krankheit. Ohne Bildung fallen einem so viele Dinge gar nicht auf. Ohne Bildung existiert man nur körperlich aber nicht mental und emotional«, sagt sie.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. September 2012


UNHCR vergibt Nansen-Flüchtlingspreis nach Somalia **

Berlin/Genf – Wie das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) heute Morgen bekannt gab, wird Hawa Aden Mohamed aus Somalia mit dem Nansen-Flüchtlingspreis 2012 ausgezeichnet. Hawa Aden Mohamed ist Gründerin und Direktorin am Galkayo Education Centre for Peace and Development (GECPD) in Puntland (Nordost-Somalia).

Hawa Aden Mohamed leistet Bildungsarbeit unter unglaublich schwierigen und widrigen Umständen, in einem Land, das seit Jahrzehnten unter gewalttätigen Konflikten und Menschenrechtsverletzungen leidet, so die Jury.

Hunderte Frauen und Mädchen ausgebildet

"Wenn Hawa Aden Mohamed ein vertriebenes Mädchen rettet, dann gibt das dessen Leben eine ganz neue Richtung", erklärt UN-Flüchtlingskommissar António Guterres. "Heute zeichnen wir sie für ihre Arbeit aus, durch die sie hunderte Frauen und Mädchen, von denen viele schlimmsten Gewalttaten zu Opfer gefallen sind, gerettet, gefördert und ausgebildet hat."

In dem Zentrum, das sie 1999 gründete und bis heute leitet, werden Sekundarschul- und Berufsbildung angeboten, damit die Frauen und Mädchen ihren Lebensunterhalt bestreiten und ihr Leben in eigene Hände nehmen können. So haben sie die Möglichkeit ihre eigene Zukunft sowie ihre Rolle in der somalischen Gesellschaft zu gestalten.

"Ich sehe mangelnde Bildung als eine Art Krankheit"

Hawa Aden Mohamed, die in Galkayo 'Mama Hawa' genannt wird, hat Räume geschaffen, die Frauen und Mädchen - als Opfer der verschiedensten Formen von Missbrauch und Gewalt - Zuflucht bieten und Chancen eröffnet. Ihre Arbeit beruht auf der Überzeugung, dass Bildung die beste Grundlage ist - insbesondere für Mädchen.

"Ich sehe mangelnde Bildung als eine Art Krankheit", meint 'Mama Hawa'. "Wer keine Bildung hat, ist sich so vieler Dinge nicht bewusst. Wer keine Bildung hat, kann kaum existieren – physisch natürlich schon, aber geistig und emotional existiert man gar nicht. Es wird Zeit, dass sich die Kultur ändert“, meint sie. "Wir müssen das Gute beibehalten und das Schlechte aufgeben. Und das Gute besteht darin, die Mädchen lebenstüchtig zu machen."

Im Einsatz gegen Beschneidung von Mädchen

Auch für die Frauenrechte setzt sich Hawa Aden Mohamed mit großem Engagement ein, insbesondere in der Arbeit gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Ihre eigene Schwester starb an einer Infektion, nachdem sie im Alter von etwa sieben Jahren beschnitten wurde.

Im GECPD bietet sie auch deshalb nicht nur rechtliche, sondern auch psychologische Beratung für beschnittene Frauen und Mädchen sowie für Überlebende geschlechtsbezogener Gewalttaten an. Jedes Jahr nehmen etwa 180 Frauen an diesen Programmen teil, durch die viele Leben gerettet werden.

Junge Männer werden zu Tischlern oder Schweissern ausgebildet

Vertriebenen männlichen Jugendlichen bietet das GECPD berufliche Ausbildung im Tischlern und Schweissen, um sie von der Straße zu holen und zu verhindern, dass sie kriminellen oder bewaffneten Gruppen in Somalia in die Hände fallen.

Seit seiner Gründung hat das GECPD unter der Leitung von Hawa Aden Mohamed mehr als 215.000 Menschen geholfen, sich zu erholen und ein neues Leben aufzubauen. Somalia ist weiterhin zerrissen und eines der schlimmsten humanitären Krisengebiete der Welt. Insgesamt gibt es rund 2,5 Millionen somalische Flüchtlinge, die in angrenzenden Ländern, aber auch im Land selbst von Flucht und Vertreibung betroffen sind; bei 7,5 Millionen Gesamtbevölkerung ist somit jeder Dritte betroffen.

Arbeit nur mit Unterstützung realisierbar

Die diesjährige Preisträgerin war selbst Flüchtling. 1995 entschloss sie sich, in ihr vom Krieg zerrüttetes Heimatland zurückzukehren, um all denen zu helfen, die ebenfalls fliehen mussten. Durch ihren weitsichtigen Einsatz hat sie vor allem Tausenden vertriebenen Frauen und Mädchen, die in der somalischen Gesellschaft zu den am meisten gefährdeten Personen zählen und häufig durch Marginalisierung, Missbrauch und sexuelle Gewalt sowie Vergewaltigung traumatisiert sind, neue Lebenschancen eröffnet.

In einer ersten Reaktion den diesjährigen Nansen-Flüchtlingspreis entgegennehmen zu können, sagte die Hawa Aden Mohamed: "Dies ist eine grosse Ehre, und ich hoffe, dass ich der Entscheidung des Ausschusses, mir diese Ehre zu erweisen, gerecht werde. Ich sehe dies als Anerkennung nicht nur meiner eigenen Arbeit, sondern auch der Arbeit aller meiner Kollegen im GECPD, der internationalen Gemeinschaft, die unsere Arbeit unterstützen. Deshalb sind sie es, denen ich diese Auszeichnung widme.“

Zeremonie am 1. Oktober in Genf

In Anerkennung ihrer ausserordentlichen, unermüdlichen und inspirierenden humanitären Arbeit für Flüchtlinge und vertriebene Mädchen und Frauen in Somalia wird Hawa Aden Mohamed der Nansen-Flüchtlingspreis am 1. Oktober 2012 im UNHCR-Headquarters in Genf überreicht.

** Website des UNHCR (Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen), 18. September 2012; http://www.unhcr.de


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