Friedensnobelpreis: Wieder ein Fehlgriff
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
Friedensratschlag kritisiert Nobelpreiskomitee:
Der richtige Mann - aber der falsche Preis
Friedensnobelpreis verliert sein Alleinstellungsmerkmal
Kassel/Hamburg, 8. Oktober 2010 - Zur Verleihung des diesjährigen
Friedensnobelpreises an den in China inhaftierten Schriftsteller und
Literaturwissenschaftler Liu Xiaobo erklärten die Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:
Als Friedensbewegung vermögen wir nicht in den Chor der Laudatoren
einstimmen: Der Bundesausschuss Friedensratschlag hält die Vergabe des
Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo für einen Fehlgriff und beobachtet
mit Sorge die Entwicklung der Vergabepraxis des Nobel-Komitees.
Die Kritik aus der Friedensbewegung hat nichts damit zu tun, dass die
Verdienste des Preisträgers nicht zu würdigen wären, dass sein
Engagement nicht internationale Anerkennung verdiente - etwa von amnesty
international oder von Human Rights Watch. Das Problem ist vielmehr,
dass der Friedensnobelpreis in den letzten Jahren zunehmend entweder
nach politischen Gesichtspunkten vergeben wurde (das war etwa im
vergangenen Jahr der Fall, als Obama den Preis erhielt), oder dass er
Leistungen bedacht hat, die nur in sehr entfernter Weise mit dem
ursprünglichen Charakter des Preises zu tun haben. Im abgelaufenen
Jahrzehnt wurde die Hälfte der Auszeichnungen an Personen oder
Organisationen verliehen, die sich um die Umwelt, um Menschenrechte und
die wirtschaftliche Entwicklung verdient gemacht haben. Der
Friedensnobelpreis ist aber weder ein Umweltpreis, noch ein
Menschenrechtspreis, noch ein Demokratiepreis; vor allem sollte er nicht
als politische Waffe für oder gegen ein bestimmtes Regime
instrumentalisiert werden.
Ein bezeichnender Eintrag von Grußbotschaften auf der Website des
Nobelpreiskomitees kurz nach der Bekanntgabe des Preisträgers lautet:
"'Congratulations!!! Fuck Chinese Communist Party!!!' / On behalf all
chinese".
Ob diese Meinung tatsächlich "im Namen aller Chinesen"
abgegeben wurde, muss dahin gestellt bleiben. Der Komitee-Vorsitzende
Thorbjoern Jagland hatte jedenfalls Recht, als er kurz vor Bekanntgabe
sagte, die Wahl des Komitees werde "eindeutig" ähnlich umstritten sein
wie die Vergabe des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama im
vergangenen Jahr.
Zu erinnern ist an das Testament des Preisbegründers Alfred Nobel,
wonach die Preisträger "den besten oder größten Einsatz für
Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von
stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von
Friedenskonferenzen" gezeigt haben sollen.
So gesehen, hätte es jede Menge Alternativen für das Nobelpreiskomitee
gegeben. Wir nennen nur vier:
-
Malalai Joya, diese unerschrockene Kriegsgegnerin und Kämpferin für
Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan, die unermüdlich für eine
Beendigung der Besatzung als Voraussetzung für einen selbstbestimmten
Frieden eintritt.
- Uri Avnery, der sich wie kaum ein anderer in Israel seit Jahrzehnten
für die Rechte der Palästinenser auf ein menschenwürdiges Leben in einem
eigenen Staat einsetzt
- Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf
Nahrung und jetziges Mitglied des Beratenden Ausschusses des
UN-Menschenrechtsrats. Sein globalisierungs-, kapitalismus- und
militärkritischer Verstand verbinden sich mit einer unvergleichlichen
Sprachgewalt, die den Zorn über die Verhältnisse und die Empathie für
die Hungernden und Entrechteten dieser Welt zum Ausdruck bringt.
- Mordechai Vanunu, israelischer Nukleartechniker, der sich seit einem
Vierteljahrhundert mit Zivilcourage und herausragender Standhaftigkeit
für die vollständige atomare Abrüstung, für transparente Demokratie und
für Frieden zwischen den Nationen einsetzt. Vanunu hatte die Welt 1986
über das bis dahin streng geheim gehaltene Atomprogramm seiner Regierung
informiert und wurde dafür zu einer Gefängnisstraße von 18 Jahren
verurteilt.
Mit Sorge beobachten wir die schleichende Umdeutung und Entwertung des
Friedensnobelpreises. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts konnte
man noch von acht "genuinen" Friedensnobelpreisen sprechen, im ersten
Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts waren es nur noch vier. Sollte sich diese
Entwicklung fortsetzen, verliert der Friedensnobelpreis sein
Alleinstellungsmerkmal als weltweit bedeutendster Friedenspreis. Die
Zeit wäre dann reif für die Gründung eines "Alternativen
Friedensnobelpreises".
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski, Kassel
Zur Seite "Friedenspreise"
Zur Seite "Friedensbewegung"
Zur China-Seite
Zur Presse-Seite
Zurück zur Homepage