Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Friedensnobelpreis: Wieder ein Fehlgriff

Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag

Friedensratschlag kritisiert Nobelpreiskomitee:
Der richtige Mann - aber der falsche Preis
Friedensnobelpreis verliert sein Alleinstellungsmerkmal


Kassel/Hamburg, 8. Oktober 2010 - Zur Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an den in China inhaftierten Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Liu Xiaobo erklärten die Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag in einer ersten Stellungnahme:

Als Friedensbewegung vermögen wir nicht in den Chor der Laudatoren einstimmen: Der Bundesausschuss Friedensratschlag hält die Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo für einen Fehlgriff und beobachtet mit Sorge die Entwicklung der Vergabepraxis des Nobel-Komitees.

Die Kritik aus der Friedensbewegung hat nichts damit zu tun, dass die Verdienste des Preisträgers nicht zu würdigen wären, dass sein Engagement nicht internationale Anerkennung verdiente - etwa von amnesty international oder von Human Rights Watch. Das Problem ist vielmehr, dass der Friedensnobelpreis in den letzten Jahren zunehmend entweder nach politischen Gesichtspunkten vergeben wurde (das war etwa im vergangenen Jahr der Fall, als Obama den Preis erhielt), oder dass er Leistungen bedacht hat, die nur in sehr entfernter Weise mit dem ursprünglichen Charakter des Preises zu tun haben. Im abgelaufenen Jahrzehnt wurde die Hälfte der Auszeichnungen an Personen oder Organisationen verliehen, die sich um die Umwelt, um Menschenrechte und die wirtschaftliche Entwicklung verdient gemacht haben. Der Friedensnobelpreis ist aber weder ein Umweltpreis, noch ein Menschenrechtspreis, noch ein Demokratiepreis; vor allem sollte er nicht als politische Waffe für oder gegen ein bestimmtes Regime instrumentalisiert werden.

Ein bezeichnender Eintrag von Grußbotschaften auf der Website des Nobelpreiskomitees kurz nach der Bekanntgabe des Preisträgers lautet:
"'Congratulations!!! Fuck Chinese Communist Party!!!' / On behalf all chinese".
Ob diese Meinung tatsächlich "im Namen aller Chinesen" abgegeben wurde, muss dahin gestellt bleiben. Der Komitee-Vorsitzende Thorbjoern Jagland hatte jedenfalls Recht, als er kurz vor Bekanntgabe sagte, die Wahl des Komitees werde "eindeutig" ähnlich umstritten sein wie die Vergabe des Friedensnobelpreises an US-Präsident Barack Obama im vergangenen Jahr.

Zu erinnern ist an das Testament des Preisbegründers Alfred Nobel, wonach die Preisträger "den besten oder größten Einsatz für Brüderlichkeit zwischen Staaten, für die Abschaffung oder Abrüstung von stehenden Heeren sowie für die Organisation und Förderung von Friedenskonferenzen" gezeigt haben sollen.

So gesehen, hätte es jede Menge Alternativen für das Nobelpreiskomitee gegeben. Wir nennen nur vier:
  1. Malalai Joya, diese unerschrockene Kriegsgegnerin und Kämpferin für Menschen- und Frauenrechte in Afghanistan, die unermüdlich für eine Beendigung der Besatzung als Voraussetzung für einen selbstbestimmten Frieden eintritt.
  2. Uri Avnery, der sich wie kaum ein anderer in Israel seit Jahrzehnten für die Rechte der Palästinenser auf ein menschenwürdiges Leben in einem eigenen Staat einsetzt
  3. Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und jetziges Mitglied des Beratenden Ausschusses des UN-Menschenrechtsrats. Sein globalisierungs-, kapitalismus- und militärkritischer Verstand verbinden sich mit einer unvergleichlichen Sprachgewalt, die den Zorn über die Verhältnisse und die Empathie für die Hungernden und Entrechteten dieser Welt zum Ausdruck bringt.
  4. Mordechai Vanunu, israelischer Nukleartechniker, der sich seit einem Vierteljahrhundert mit Zivilcourage und herausragender Standhaftigkeit für die vollständige atomare Abrüstung, für transparente Demokratie und für Frieden zwischen den Nationen einsetzt. Vanunu hatte die Welt 1986 über das bis dahin streng geheim gehaltene Atomprogramm seiner Regierung informiert und wurde dafür zu einer Gefängnisstraße von 18 Jahren verurteilt.
Mit Sorge beobachten wir die schleichende Umdeutung und Entwertung des Friedensnobelpreises. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts konnte man noch von acht "genuinen" Friedensnobelpreisen sprechen, im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts waren es nur noch vier. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, verliert der Friedensnobelpreis sein Alleinstellungsmerkmal als weltweit bedeutendster Friedenspreis. Die Zeit wäre dann reif für die Gründung eines "Alternativen Friedensnobelpreises".

Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Lühr Henken, Hamburg/Berlin
Peter Strutynski, Kassel


Zur Seite "Friedenspreise"

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur China-Seite

Zur Presse-Seite

Zurück zur Homepage