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Obama: "Krieg ist manchmal notwendig"

US-Präsident nahm Friedensnobelpreis entgegen und verteidigte seine Afghanistan-Politik *

US-Präsident Obama hat bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises den Einsatz von Gewalt als notwendiges Mittel der Politik verteidigt. »Die Instrumente des Krieges spielen eine Rolle bei der Wahrung des Friedens«, sagte Obama am Donnerstag (10. Dez.) bei der Zeremonie in Oslo.

Der neue Friedensnobelpreisträger Barack Obama hält Kriege für unvermeidlich. »Krieg ist manchmal notwendig«, sagte er bei der Verleihung des Preises am Donnerstag in Oslo. »Wir müssen die harte Wahrheit anerkennen, dass wir während unseres Lebens gewaltsame Konflikte nicht ausmerzen werden«, meinte der US-Präsident in seiner Dankesrede. Obama würdigte zwar gewaltlose Aktionen wie die von Mahatma Gandhi oder Martin Luther King. »Aber als Staatsoberhaupt, das geschworen hat, meine Nation zu schützen und zu verteidigen, kann ich mich nicht nur von deren Beispiel leiten lassen.«


Siehe auch:
Friedenspreis für Kriegspräsidenten?
Friedensbewegung kritisiert Nobelpreiskomitee und protestiert gegen Obama - Im Wortlaut: Pressemitteilung des "Friedensratschlags" und weitere Erklärungen



Obama nutzte weite Passagen seiner Rede, um Kritik an seiner Afghanistan-Politik grundsätzlich zu begegnen. »Eine gewaltlose Bewegung hätte Hitlers Armeen nicht gestoppt, und Verhandlungen werden die Anführer von Al Qaida nicht überzeugen, die Waffen niederzulegen.«

Die Vergabe des Preises an den US-Präsidenten, der gerade zusätzliche 30 000 Soldaten in den Afghanistan-Krieg schickt, war auch auf Kritik gestoßen. Das Nobelkomitee hatte die Auszeichnung für den Präsidenten mit dessen »außergewöhnlichem Einsatz zur Stärkung der internationalen Diplomatie und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern« begründet. Hervorgehoben wurde insbesondere Obamas Vision einer Welt ohne Atomwaffen.

Während der feierlichen Zeremonie im Rathaus von Oslo, an der auch Norwegens König Harald V. und Königin Sonja teilnahmen, verteidigte das Nobelkomitee noch einmal die Auszeichnung für den US-Präsidenten, der in Afghanistan und Irak Krieg führt. Der Vorsitzende des Komitees, Thorbjörn Jagland, sagte, Obama selbst habe den Preis als einen »Aufruf zum Handeln« bezeichnet. »Präsident Obama hat das norwegische Nobelkomitee perfekt verstanden«, sagte Jagland.

Vor der Preisvergabe hatte Obama die Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis als Ansporn und Ermutigung bezeichnet. »Vielleicht verdienen ihn andere mehr«, sagte er unmittelbar vor der Zeremonie. Als vorrangige Ziele nannte Obama eine Welt frei von Atomwaffen, effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel, die Stabilisierung Afghanistans und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus »im Einklang mit unseren Werten und Idealen«. Einige Initiativen würden bereits Früchte tragen. »Aber wenn ich keinen Erfolg habe, kann dies kein Preis der Welt verschleiern.«

Mehrere hundert Personen demonstrierten während der Zeremonie in der Nähe des Rathauses von Oslo. Der Besuch wird von massiven Sicherheitsmaßnahmen begleitet, wie sie Norwegen noch nicht erlebt hat. Über 2000 Polizisten sind im Einsatz, dazu 200 US-Spezialagenten. Scharfschützen bewachen die Innenstadt Oslos, Hubschrauber sichern den Luftraum.

* Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2009


Vorschuss ohne Verdienst

Von Martin Ling **

An der Rhetorik wird Barack Obama nicht scheitern. Mit bescheidenen und wohlbedachten Tönen hat der USA-Präsident in Oslo den Wechsel auf die Zukunft entgegengenommen, der ihm in Form des Friedensnobelpreises übergeben wurde. Noch ist der Wechsel nicht geplatzt und Obama zeigte sich des umstrittenen Zuschlags für den »Oberkommandierenden einer Nation im Krieg« bewusst. Doch im Sinne des Erfinders Alfred Nobel, der den Preis an jemand vergeben sehen wollte, »der am meisten oder am besten auf die (...) Abschaffung oder Verminderung stehender Heere (...) hingewirkt« hat, ist die Entscheidung des Nobel-Komitees sicher nicht. Rekordrüstungshaushalt und massive Aufstockung des Truppenkontingents in Afghanistan sprechen für ein Frieden Schaffen mit immer mehr Waffen. Wo das in der Geschichte funktioniert hat, lässt Obama indes ebenso offen wie die ihn Auszeichnenden.

Fraglos hat Obama ein ruinöses Erbe von Bush angetreten: ob die Kriege in Irak oder Afghanistan oder das marode Wirtschafts- und Gesundheitssystem. Der Baustellen sind viele. Praktisch ist Obama bisher über eindrucksvolle Reden und Vorsätze nicht hinausgekommen. Atomwaffenfreie Welt ja, Abrüstung vorerst nein. Versöhnung mit der arabischen Welt ja, Forderung nach sofortigem Siedlungsstopp in den von Israel besetzten Gebieten nein. Bislang ist Obama ein Ankündigungs- und Rhetorikweltmeister. Einen Nobelpreis verdient das nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 11. Dezember 2009 (Kommentar)


Obamas Lob des Krieges

Von Uli Schwemin ***

Der Frieden setzt den Krieg voraus. Das ist die Botschaft, die US-Präsident Barack Obama der Weltöffentlichkeit bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises am Donnerstag (10. Dez.) in Oslo mitzuteilen hatte. Zugleich leugnete er jegliche Verantwortung Washingtons für den Krieg in Afghanistan. Diesen hätten die Vereinigten Staaten sich nicht ausgesucht, behauptete er. »Dennoch sind wir im Krieg, und ich bin verantwortlich für die Stationierung Tausender junger Amerikaner, die in einem weit entfernten Land kämpfen«, so Obama. »Einige werden töten. Andere werden getötet«, fügte er hinzu. Erst in der vergangenen Woche hatte der Präsident die Aufstockung der US-Truppen in Afghanistan um weitere 30000 Soldaten bekanntgegeben.

Das Weiße Haus hatte bereits vor der Preisverleihung mitgeteilt, Obama werde den Friedenspreis in seinem Selbstverständnis als »Kriegspräsident« annehmen. Entsprechend militant fiel seine Rede aus. Obama begründete den Irak-Krieg, der sich angeblich dem Ende nähere, und den Afghanistan-Krieg ähnlich wie sein Vorgänger George W. Bush mit der »Existenz des Bösen in der Welt«. Um ihre Bürger vor feindlichen Regimen oder terroristischen Gruppen zu schützen, müßten Staaten manchmal Kriege führen. Diese seien dann ein Instrument, »um den Frieden zu erhalten«. In seiner Ansprache setzte Obama Al-Qaida demagogisch mit dem deutschen Faschismus gleich, der den Zweiten Weltkrieg mit über 55 Millionen Toten entfesselt hatte. Hitler, so Obama, hätte nicht durch eine gewaltlose Bewegung gestoppt werden können, und die Anführer von Al-Qaida ließen sich nicht durch Verhandlungen zur Entwaffnung bewegen.

»Ich habe heute keine endgültige Lösung für das Problem Krieg parat«, sagte Obama. Er wolle sich dieser Herausforderung jedoch mit der »gleichen Vision, harten Arbeit und Hartnäckigkeit« widmen, wie sie früher Friedenskämpfer an den Tag gelegt hätten. Daß dies durchaus als Drohung zu verstehen ist, wurde klar, als Obama im gleichen Atemzug auch die Möglichkeit neuer Kriege in Erwägung zog. Regimes, die »die Regeln brechen«, müßten zur Verantwortung gezogen werden. Notwendig seien starke Sanktionen gegen Iran und Nordkorea, wenn deren Regierungen Beschränkungen in ihren Atomprogrammen mißachteten. Gleiches müßte für Darfur und Myanmar bei brutaler Gewalt gegen die eigenen Bürger gelten. Schließlich bekannte sich der Friedensnobelpreisträger 2009 zum Krieg als Dauerzustand: Zu begreifen, daß es Krieg gibt, und trotzdem nach Frieden zu streben, das bezeichnete Obama als »Erfolgsgeschichte der Menschheit, als Hoffnung der Welt«.

Der Bundesausschuß Friedensratschlag erklärte in einer Stellungnahme zur Auszeichnung Obamas am Donnerstag, »daß es sich um eine der größten Fehlentscheidungen des Nobelkomitees in seiner über hundertjährigen Geschichte handelt. Einen Staatsmann, der für den höchsten Rüstungshaushalt der Menschheitsgeschichte steht, mit der angesehensten Friedensauszeichnung zu ehren, ist grotesk.« Der ehemalige kubanische Präsident Fidel Castro schrieb in seiner jüngsten Reflexion: »Warum hat Obama den Friedensnobelpreis angenommen, als er schon beschlossen hatte, den Krieg in Afghanistan bis zum Äußersten zu führen? Er war nicht zu einer zynischen Handlung gezwungen.«

Norwegische Friedensgruppen hatten für den Abend in Oslo eine Demonstration gegen den »Kriegspräsidenten« angekündigt, zu der rund 5000 Teilnehmer erwartet worden waren.

*** Aus: junge Welt, 11. Dezember 2009


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