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"Alle um uns herum waren plötzlich der Feind"

Gespräch mit Augustín Aguayo. Über Solidarität mit einem Kriegsdienstverweigerer, Militärjustiz und Chancen für Widerstand in der US-Armee *

Augustín Aguayo wurde in Mexiko geboren. Als Sanitäter der US-Armee stellte er bei einem Einsatz im Irak 2004 einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung. Im September 2006 entzog er sich der erneuten Verlegung seiner in Deutschland stationierten Einheit in den Irak durch Flucht. Im März dieses Jahres wurde er deswegen zu acht Monaten Haft verurteilt.
Der 35 jährige Kriegsdienstverweigerer Augustín Aguayo erhielt am Freitag den mit 5000 Euro dotierten Stuttgarter Friedenspreis 2007 des Bürgerprojektes AnStifter. Er war von Oktober 2006 bis April 2007 im US-Militärgefängnis in Mannheim inhaftiert. Für seine Freilassung hatten sich in einer einstimmigen Erklärung der mexikanische Senat sowie internationale und deutsche Friedensinitiativen eingesetzt.
Nach Informationen der Unterstützungsorganisation American Voices Abroad (Military Project) sind zwischen September 2006 und September 2007 insgesamt 56 in Schweinfurt stationierte US-Militärangehörige im Irak bzw. an Folgeverletzungen gestorben. Derzeit sind drei Einsatzverweigerer der 173. Luftlande-Brigade im US-Militärgefängnis Mannheim inhaftiert: Andrew Hegerty, James Blanks, Jeffrey Gauntt.



Willkommen in Deutschland. Sie erhalten am 21. Dezember (2007) den Stuttgarter Friedenspreis. Was denken Sie, warum Sie ausgezeichnet wurden?

Ich bin eigentlich ein sehr bescheidener Mensch, und zunächst möchte ich mich erst einmal bedanken, denn die Menschen hier in Deutschland haben mich sehr stark unterstützt. Mein Dank gilt all jenen, die meine Bemühungen unterstützt haben, meinem Leben eine friedliche Wende zu geben und mich in meiner Haltung gegen diesen grauenvollen Krieg zu stärken. Während meiner Haft im Militärgefängnis in Mannheim habe ich Hunderte Briefe vorwiegend von Leuten aus Ihrem Land erhalten. Mit diesem Übermaß an Beistand hatte ich niemals gerechnet. Diese Schreiben haben gezeigt, daß es hier sehr viele Menschen gibt, die meine Beweggründe verstehen und akzeptieren.

In den USA hingegen wurde Ihnen vorgehalten, Sie wären schlichtweg ein Feigling, der sich weigert, seiner Pflicht als Mitglied der Streitkräfte nachzukommen, und sich dem zweiten Einsatzbefehl in den Irak entzieht...

Leute, die solch eine Meinung vertreten, verstehen die Erfahrungen eines Menschen, der aus humanitären Motiven heraus den Wehrdienst verweigert, zumeist nicht. Es geht nicht darum, daß ich meinem Land nicht dienen will. Nur wie soll ich meinem Land dienen, wenn ich andere Menschen in Mitleidenschaft ziehe, sie verletze oder töte?

Trotz dieser grundsätzlichen Überzeugung waren Sie von Februar 2004 bis Februar 2005 im Irak. Was waren Ihre Eindrücke bei diesem Kriegseinsatz, welche Erfahrungen haben Sie dort gemacht?

Der Einsatz dort hat mir die Augen geöffnet und mich davor bewahrt, einen zweiten Marschbefehl zu akzeptieren. Ich habe gesehen, wie sich einfache Soldaten, normale, durchschnittliche Kameraden in etwas sehr Häßliches verwandelt haben. Sie haben sich gegenüber der Bevölkerung und deren Kultur ohne jeglichen Respekt und äußerst aggressiv verhalten. Für mich war das völlig unerträglich.

Ist das normaler Bestandteil militärischer Kultur oder eher eine Art Veränderungsprozeß, der bei den Soldaten geschehen ist?

Das Hauptziel der Ausbildung ist der Umgang mit Waffen. Darin ist die US-Armee sehr effektiv. Bevor wir losgeschickt wurden, haben wir Hunderte Stunden Schießausbildung absolviert. Wenn kriegerische Auseinandersetzungen so einfach wären, könnten sich die verfeindeten Seiten tagelang gegenseitig beschießen. Aber genau das geschieht in diesem Krieg nicht. Unmittelbar nachdem wir im Irak angekommen waren, wurde einer unserer Transport-Konvois angegriffen. Die Soldaten meiner Einheit waren sofort von Rachegefühlen und Haß erfüllt. Alle um uns herum waren plötzlich der Feind. Durch diese Art von Gewaltspirale wurden anschließende Razzien und Hausdurchsuchungen zunehmend brutaler. Ich erinnere mich an einen Luftangriff, mehrere hundert Meter von unserem Stützpunkt in Tikrit entfernt. Wir konnten den mörderischen Beschuß aus dem Hubschrauber genau erkennen. Dieser Angriff wurde von den Soldaten frenetisch bejubelt. Sie haben nicht nachgedacht. Für sie war diese Attacke in Ordnung, denn es waren ja andere Menschen als wir selber, die getroffen wurden.

Unter diesen Umständen sind Sie im Irak zu der Entscheidung gelangt, den Kriegsdienst zu verweigern?

Ich wollte einfach kein funktionierender Bestandteil dieser Gewaltmaschine mehr sein.

Aber eine Waffe haben Sie getragen?

Ja, das habe ich. Aber selbst, als ich als Sanitäter Streifendienst machen mußte, war mein Gewehr niemals durchgeladen. Nachdem ich von meiner Dienstverpflichtung im Irak wieder zurück bei meiner Einheit in Schweinfurt war, ist mir mein wirklicher Auftrag als Rettungssanitäter bewußt geworden. Sicherlich, ich habe in meinem Dienst als Mediziner Menschen geholfen und Verwundete verpflegt. Nur letztlich war ich trotz dieser eigentlichen Verpflichtung unterstützender Bestandteil eines Kriegsmechanismus und habe dessen Effektivität mit ermöglicht, obwohl ich auf niemanden geschossen und niemanden getötet habe.
Das ist der Grund, weswegen ich nicht in den Irak zurückgehen wollte.

Nachdem Sie wieder in den US-Stützpunkt Schweinfurt zurückverlegt worden waren, wurde Ihnen im Sommer 2006 nach mehrmonatiger Pause ein erneuter Marschbefehl in den Irak angekündigt. Was geschah dann?

Mein Zugführer erklärte mir damals, er wolle nicht, daß ich in Schwierigkeiten gerate. Und ich sagte ihm, daß ich nicht erneut in den Irak mitgehen werde. Er betonte eindeutig, daß er genau das nicht von mir hören wolle. Aber wenn das wirklich meine Überzeugung sei, empfehle er mir, mich beim Abmarsch nicht in die Truppe einzureihen. Denn einerseits sei ein Großteil der Soldaten mir gegenüber sehr aufgebracht und anderseits könnten sich andere Kameraden ein Beispiel an mir nehmen.

Also hat man Sie schon zu diesem Zeitpunkt von der Truppe ferngehalten?

Aus der Sicht eines Offiziers war seine Haltung wahrscheinlich falsch. Er hatte jedoch bislang einen guten Eindruck von mir, und ich glaube, er hat so gehandelt, weil er die Einheit abschirmen und zusammenhalten wollte.

Daraufhin haben Sie sich zur Fahnenflucht entschlossen und sind vor dem Abmarschtermin »von der Truppe gegangen«?

Nachdem ich während des Transporttermins abwesend war, hatte ich mich am nächsten Tag in der Kaserne zurückgemeldet. Daraufhin wurden hektische Anstrengungen unternommen, mich mit dem nächsten Flugzeug via Kuwait in den Irak zu bringen. Ich wurde auf dem Kasernengelände untergebracht und durfte nicht mehr zu meiner Frau und meinen Kindern. Dann bin ich erneut geflüchtet.

Eine letztlich abenteuerliche Flucht. Denn einige Wochen später haben Sie sich der Militärpolizei in Los Angeles gestellt...

Die Probleme wuchsen, je länger ich vom Militär weg war. Ich wollte die Verhältnisse geklärt haben und zu meiner Familie zurück. Ich hatte niemals die Absicht, mich auf unbestimmte Zeit vom Militär zu entfernen, sondern ich wollte, daß mein Antrag auf Kriegsdienstverweigerung akzeptiert wird.

Sie wurden bei Ihrer Auseinandersetzung mit dem US-Militär von zahlreichen Menschen unterstützt, von Ihrer Familie, von Unterstützern in den USA, Mexiko und Deutschland...

Die Hilfe hier in Deutschland spielt schon eine zentrale Rolle. Hier wurde ich nach meiner Rückmeldung in den USA militärrechtlich verurteilt und mehrere Monate inhaftiert. Das ist alles hier geschehen, und ohne die aufmerksame Unterstützung hier hätte ich sehr allein da gestanden. Im Rückblick war es sogar von Vorteil, daß ich nach Deutschland zurückgebracht und hier verurteilt wurde, weil hier der Großteil der Bevölkerung gegen den Krieg eingestellt ist.

Ihr vierjähriger Dienstvertrag mit dem Militär wäre im Januar 2007 ausgelaufen. Gleichwohl wurde Ihre Dienstverpflichtung auf September 2007 ausgedehnt.

Normalerweise kommt zu einer aktiven Dienstzeit von vier Jahren eine weitere vierjährige Bereitschaftszeit als Reservist hinzu, bei der man aus dem Zivilleben jederzeit wieder in den Militärdienst berufen werden kann. Zudem wird die Dienstverpflichtung über diese acht Jahre hinaus weiter ausgebaut. Die Grundlage dafür ist das sogenannte Stop-Loss-Verfahren, ein Entlassungsstopp, von dem letztlich alle Angehörigen der US-Streitkräfte betroffen sind. Wer wie ich beispielsweise einen vierjährigen Vertrag unterzeichnet hat, muß damit rechnen, daß das Militär die tatsächliche Dienstzeit bis zu dreimal erweitern und ausdehnen kann. Da gibt es sehr perfide Fälle. Einem befreundeten Soldaten ist es so ergangen, daß er eine Woche vor dem Ende seiner – die Reservezeit eingerechnet – insgesamt achtjährigen Verpflichtungszeit ein weiteres Jahr Kriegsdienst aufgebrummt bekommen hat.

Rein rechtlich gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen »unerlaubter Abwesenheit« und »Fahnenflucht« bzw. Desertion. Was war der Hauptvorwurf gegen Sie bei dem Militärstrafverfahren in Deutschland?

Nach meinem Verständnis habe ich mich zweimal ohne Erlaubnis von der Einheit entfernt, und dessen habe ich mich auch schuldig bekannt. Zunächst beim Abmarsch meiner Einheit in den Irak und unmittelbar später, als ich in der Kaserne von meiner Familie getrennt war. Die Militärrichter jedoch haben mich wegen Desertion verurteilt. Ihr Vorwurf lautete, ich hätte angesichts der angespannten Lage im Irak »bewußt einen gefährlichen Dienst vermieden«.

Zum Vorwurf der Desertion gehört aber doch der Nachweis, daß sich der Armeeangehörige dauerhaft dem Wehrdienst entzieht. Sie haben sich aber beim Militär in den USA zurückgemeldet?

Es gibt bei diesen Strafverfahren eine oftmals willkürliche Auslegung der rechtlichen Tatbestände. Ich glaube schon, daß es so etwas wie eine exemplarische Bestrafung war, daß ich zu acht Monaten Militärgefängnis verurteilt wurde. Für gute Führung wurden mir pro Monat fünf Tage abgezogen, so daß ich annähernd sieben Monate im US-Militärgefängnis in Mannheim inhaftiert war. In diesem Zusammenhang ist es nötig, auf die aktuelle Situation hinzuweisen: Im gleichen Militärgefängnis sind drei Soldaten inhaftiert, die den Militäreinsatz im Irak verweigert haben. Denen geht es jedoch wesentlich miserabler, als es mir gegangen ist. Soweit ich weiß, haben sie noch keine Anwälte und keine Unterstützung von außen. Ich hatte einen ausgezeichneten Anwalt, und meine Umgebung hat mir geholfen. Bei dem Militärjustizverfahren gegen mich war der Gerichtssaal voll mit Unterstützern und Presseleuten, die über das Verfahren berichtet haben. Vor dem Haupteingang der Kaserne gab es eine öffentliche Protestdemonstration, so daß die Hauptzufahrt geschlossen werden mußte. In meinem Fall ist die US-Armee in arge Schwierigkeiten geraten. Sie ist in eine Situation gedrängt worden, in der sie einen Kriegsdienstverweigerer exemplarisch verurteilen mußte. Der Militärrichter, der mich verurteilt hat, ist bekannt für seine harten Urteilssprüche. Er mußte sich bei diesem Strafverfahren die Argumente eines Kriegsdienstverweigerers anhören, der seine Erfahrungen im Irak-Einsatz gemacht hat.

Nachdem Ihr Antrag auf Kriegsdienstverweigerung anfangs vom Militär und später von einem Zivilgericht in Washington D.C. abgelehnt worden ist, bemühen Sie sich nun, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu erwirken. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?

Wenn ich dieses Verfahren gewinne, wäre das mehr als eine Ehrenrettung für mich. Es wäre ein Sieg für alle Soldaten, die sich diesem Kriegseinsatz verweigern und insgesamt ein Erfolg für die Friedensbewegung. Aber angesichts der politischen Lage in den USA wird es sicher sehr schwierig und vor allem langwierig. Denn der Oberste Gerichtshof behandelt im Jahr nur sehr wenige Fälle. Aber auch, wenn ich unterliegen sollte, bereue ich meine Entscheidung keineswegs.

Interview: Dago Langhans

* Aus: junge Welt, 22. Dezember 2007

Hier geht es zur Laudatio von Andreas Zumach.


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