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Gebt Vanunu den Friedensnobelpreis!

Von Norman Paech*

Stellen wir uns vor, Bush und Rumsfeld hätten doch Recht. Was sie nicht finden konnten, existiert: ein Nuklearwaffenprogramm, eine Fabrik und das dazugehörige Plutonium, irgendwo in der Wüste zwischen Karbala und Ar-Ramadi. Kenntnis davon haben sie durch einen Artikel im Pariser Figaro bekommen, wo ein irakischer Wissenschaftler ausgepackt hat. Was würden die USA machen? Sie könnten sofort den Ort besetzen, das Plutonium sichern und die Fabrik demontieren, um diese Gefahr ein für allemal zu beseitigen. Sie könnten aber auch den Wissenschaftler ins befreundete Madrid locken, dort kidnappen, nach Guantánamo Bay schleppen, foltern oder in Marokko foltern lassen und dann für die nächsten 15 Jahre im Delta Camp verschwinden lassen. Oder sie könnten ihn stattdessen zum Friedensnobelpreis vorschlagen, denn Präsident Carter hat ihn bereits 2002 bekommen, und für Bush ist es wohl noch etwas zu früh.

So unwahrscheinlich der Fall ist, so wahrscheinlich wäre die Variante der Entführung und Versenkung durch die Bush-Administration. Denn - das wissen wir jetzt genau - den USA ging es im Irak nie darum, Nuklearwaffen zu entdecken, sie brauchen sie auch nicht mehr zur Begründung ihres Krieges. Wenn aber jetzt ein bis dahin perfekt gehütetes Geheimnis preisgegeben würde, wäre das ein schwerer Verrat an ihren Sicherheitsinteressen im neuen Protektorat Irak, in dem sie seit kurzem die Fabrik übernommen hätten. Dann müßten sie durchsickern lassen, daß der Wissenschaftler schwer gefoltert wurde und keine Aussicht hat, vorzeitig aus seiner absoluten Isolationshaft entlassen zu werden, denn ihr Interesse wäre, jeden weiteren ehemaligen oder auch zukünftigen Wissenschaftler des Nuklearprogramms von einem Geheimnisverrat abzuschrecken. Wer das immer noch nicht glauben wollte, der würde durch einen letzten Hinweis überzeugt: Dir wird es ergehen wie Vanunu.

Der Name ist jetzt wieder an die Öffentlichkeit gekommen, aber nur deswegen, weil dieser israelische Atomwissenschaftler am 22. April 2004 seine Haftstrafe abgebüßt haben wird und das Gefängnis von Ashkelon dann verlassen kann. Auf ihn geht die Kenntnis der Welt vom Atomwaffenprogramm Israels zurück, welches heute auf bis zu 200 Bomben und bis zu 400 Sprengköpfe geschätzt wird. Mordechai Vanunu, Sohn marokkanischer Einwanderer, war Ingenieur in Dimona, wo man, weiträumig abgeschirmt von der Öffentlichkeit (offiziell ist es eine Textilfabrik), Plutonium anreicherte und schon seit den fünfziger Jahren Nuklearsprengköpfe entwickelte. Dabei half nicht nur Frankreich, sondern auch das Apartheid-Regime in Südafrika, mit dem Israel eng zusammenarbeitete.

Als Vanunu Bedenken kamen, photographierte er heimlich seinen Arbeitsplatz und nahm Kontakt zu einem englischen Journalisten auf, der ihn im Herbst 1986 nach London brachte und einen Artikel in der Sunday Times vorbereitete. Noch bevor dieser am 5. Oktober erschien, erlag Vanunu dem Charme einer Mossad-Agentin, die ihn nach Rom lockte, wo er sofort von weiteren Agenten ergriffen, betäubt und am 30. September mit einem Schiff nach Israel entführt wurde. Ministerpräsident war damals Schimon Peres. In einem geheimen Verfahren wurde Vanunu wegen Spionage und Landesverrat zu 18 Jahren Haft verurteilt. Elfeinhalb Jahre davon verbrachte er in absoluter Einzelhaft. Kein Antrag auf Hafterleichterung, kein Protest internationaler Menschenrechtsorganisationen, kein Appell von Nobelpreisträgern wie Kenzaburo Oe und Günter Grass brachten eine Änderung seiner Haftbedingungen. Seine Eltern hatten sich inzwischen von ihm getrennt, da er zum katholischen Glauben übergetreten war. Nur sein Anwalt und ein US-amerikanisches Ehepaar, welches ihn adoptiert hatte, hielten den spärlichen Kontakt mit Briefen aufrecht. Ihr erster Besuch wurde 1997 erlaubt. Kurz vor dem 50. Jahrestag der Staatsgründung Israels wurde er in den normalen Strafvollzug verlegt, eine Begnadigung lehnte Staatspräsident Weizmann jedoch ebenso wie ein Berufungsgericht die Entlassung auf Bewährung ab. Begründung: Er könne immer noch Geheimnisse preisgeben. Die USA, oberster Hüter des Nuklearwaffenmonopols, haben nie zugunsten des Häftlings interveniert.

Ausgangspunkt der Nuklearrüstung Israels war die Lieferung eines Atomreaktors durch Frankreich, die Peres erreicht hatte. Eine Kontrollkommission ließ sich im Mai 1961 über den wahren Charakter der "Fabrik" täuschen und zog ohne Verdacht wieder ab. 1969 kamen Golda Meir und Richard Nixon zu einem Deal nuklearer Doppelgleisigkeit: Israel durfte so lange Nuklearwaffen haben und sie produzieren, wie es sie nicht zugibt. Bis heute ist Israel eine inspektionsfreie Zone. Die Forderungen der arabischen Staaten, nicht nur dem Irak, Iran, Libyen und Nordkorea, sondern auch Israel jegliche Nuklearrüstung zu untersagen und alle Länder regelmäßigen Inspektionen zu unterziehen, werden nicht einmal diskutiert. Und Peres scheint die offizielle Sprachregelung zu formulieren, wenn er es sich verbittet, Israel in der Frage der Nuklearwaffen auf eine Ebene mit den arabischen Ländern zu stellen, denn Israel sei schließlich eine Demokratie, jene Länder aber seien Diktaturen.

Vanunu hatte Israel an einem zentralen Nerv seiner Sicherheit getroffen. Diese ist ebenso wenig durch Nuklearwaffen wie durch die Annexion der Golanhöhen, die forcierte Besiedlung der Westbank oder deren Absperrung mit einer acht Meter hohen Mauer zu erhalten. Doch die Obsession seiner Bedrohung von innen und außen hatte schon damals in Israel eine Stimmung geschaffen, in der selbst die Menschenrechte dem Verdacht des Subversiven unterliegen.

Aus israelischen Regierungskreisen verlautet nun, man werde es zu verhindern wissen, daß Vanunu nach seiner Entlassung das Land verlasse, so wie er es plant. Was also tun? Vanunu ist schon zahllose Male für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen worden, warum also nicht auch dieses Jahr? Das Beispiel der Aung San Su Kyi, deren Schicksal sich durch den Preis im Jahre 1991 kaum gebessert hat, sollte nicht entmutigen. Denn schließlich ist Israel eine Demokratie und Burma eine Diktatur. Es gibt genügend gescheiterte Regierungschefs, denen der Preis in den letzten 15 Jahren zumindest ihr Mühen honoriert hat. Von Michail Gorbatschov 1990 über Schimon Peres und Yitzhak Rabin 1994 (Yasir Arafat gehörte ebenfalls dazu) bis zu Kim Dae Jung 1999 und Jimmy Carter 2002. Aber auch bis dahin unbekannte Bürgerinnen und Bürger, die plötzlich die Welt erleuchteten, obwohl sie sie nur in den Medien für eine gewisse Zeit besser erscheinen lassen konnten: etwa Rigoberta Menchú 1992, Joseph Rotblat und seine Pugwash Conferences on Science and World Affairs 1995, Carlos Felipe Ximénes Belo und José Ramos-Horta 1996 oder Jody Williams und ihre International Campaign to Ban Landmines 1997 bis zu den Médecins sans frontiers 1999. Ein Nobelpreis für Vanunu würde Israel ebenso wenig von seinem Nuklearprogramm abbringen, wie der Preis für Jody Williams die Landminen aus der Welt geschafft hat. Aber die Idee, die diese Menschen treibt, wird durch den Preis ganz in den Vordergrund gehoben und auf den ersten Platz der dringendsten Probleme der Menschheit gestellt - sie wird zumindest für kurze Zeit unsterblich. Und der Preis reiht die Opferbereitschaft, die Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit unter die Haupttugenden menschlichen Handelns. Dieser Preis wäre eines Vanunu wert.

Wenn sie in Oslo nun aber nicht wollen? Warum gleich den Nobelpreis? Den Alternativen Nobelpreis hat er bereits 1987 bekommen. Die Welt hängt voller Preise, und unzählige Organisationen suchen jährlich nach Namen, mit denen sie sich schmücken können. Der Fischer-Almanach zählt allein 15 Friedenspreise in der Bundesrepublik auf, die genügend Platz auch israelischen Bürgern einräumen: Nabila Espaniola und Reuven Moskovitz der Aachener Friedenspreis 2003, Daniel Barenboim die Buber-Rosenzweig-Medaille 2004, Amos Oz der Friedenspreis der Geschwister-Korn-und-Gerstenmann-Stiftung 2003, Uri Avnery der Ossietzky-Preis 2002. Warum allerdings, sollte man sich fragen, vermeiden alle diese Stiftungen und Gesellschaften, einen so beispielhaften Häftling für den Frieden wie Vanunu mit ihrem Preis zu bedenken? Nicht nur ein Preis, sondern auch eine Medaille ist nach Carl von Ossietzky benannt, der einst den Mut hatte, die geheime Aufrüstung der Reichswehr und damit Vorbereitungen zum Krieg an die Öffentlichkeit zu bringen; 1936 wurde er als KZ-Häftling mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Sind die Juroren nie auf den Gedanken gekommen, daß es kaum einen würdigeren Träger eines Preises mit dem Namen Ossietzky gibt als Vanunu?

Doch lenken wir nicht ab. Der Friedensnobelpreis ist der einzig angemessene für diesen Mann. Er braucht keine Medaille, keine undotierte Urkunde, keine kostenlosen Lobreden mit Streichquartett - sie nützen ihm nicht mehr. Und alle die Preiskomitees sollten sich nach seiner Freilassung nicht auf ihn stürzen, nachdem sie so lange an ihm vorbeigeschaut haben, ohne etwas für seine Freilassung zu tun. Wer kein Geld mitbringt, sollte sich seines Namens nicht mehr bedienen. Dieser Mann hat 18 Jahre lang nicht arbeiten können, er hat keine Ersparnisse, er braucht Geld. Er muß sich ein neues Leben aufbauen ohne seinen alten Beruf. Schon deshalb: Vanunu für den Nobelpreis, den Nobelpreis für Vanunu!

* Dr. Norman Peach war bis Sommer 2003 Professor für Völkerrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg. Der Beitrag wird in der nächsten Ausgabe der Zeitschrift "Ossietzky" erscheinen.


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