"Friedenspreis für Kriegskanzler?"
Bei anderen gelesen: Otto Köhler kommentiert in der Zeitschrift "Ossietzky"
Den folgenden kritischen Kommentar von Otto Köhler haben wir der Zeitschrift "Ossietzky" entnommen.
                    Verständlich, wenn nicht Parteiauftrag, dass in Schriftstellerverbände
                    eingebettete Sozialdemokraten Gerhard Schröder und mit ihm Joseph Fischer
                    gern zu Friedensfürsten stilisieren möchten. Aber darüber muss nicht der
                    gesamte Verband deutscher Schriftsteller seinen Verstand verlieren. Doch in
                    Wolfenbüttel, wo einst Lessing wirkte, hat der VS widerspruchslos den
                    Beschluss abgesegnet, den der siebenköpfige Vorstand eine Woche zuvor
                    einmütig gefasst hatte: diesen Bundeskanzler und diesen Außenminister
                    dringlich für den Friedenspreis der Deutschen Buchhandels vorzuschlagen.
                    Friedenspreis? Schröder und auch Fischer hatten sich aus (nicht nur
                    wahl)-taktischen Gründen gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Irak
                    ausgesprochen. Aber sie wollen in dem Angriffskrieg, den Bush und seine
                    Koalition der Willigen führen, durchaus nicht beiseite stehen. Unmittelbar
                    nachdem die Friedenspreisempfehlung bekannt geworden war, widersprach
                    Schröders rechte Hand, der SPD-Generalsekretär Olaf Scholz, jeglicher
                    Mutmaßung, die Bundesregierung nähme im Krieg gegen den Irak eine
                    neutrale Haltung ein. "Die Vereinigten Staaten und Großbritannien sind und
                    bleiben unsere Verbündeten. Ihnen wünschen wir Erfolg", sagte er im
                    Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 
                    Der Krieg selbst geht schließlich auch von deutschem Boden aus, die
                    Bundeswehr schützt mit einigen Tausend Mann die US-Garnisonen in
                    Deutschland, von denen der Nachschub in den Kampf rollt.
                    Im übrigen hätte der VS, bevor er Friedenspreise für die nächste Buchmesse
                    in Frankfurt voreilig verteilt haben möchte, seine Entschlusskraft besser dem
                    gewidmet, was gerade auf der Buchmesse in Leipzig geschah. Dort nahm die
                    Bundeswehr den größten Messestand ein, obwohl sie keine Bücher, sondern
                    nur Agitationshefte zu verteilen hatte. Eine dieser Propagandabroschüren -
                    "Einsätze der Bundeswehr im Ausland" - berichtete stolz aus dem Krieg gegen
                    Jugoslawien: "Die deutsche Luftwaffe beteiligte sich mit 14
                    Tornado-Kampfflugzeugen in nahezu 500 Einsätzen." Die Zahl der dabei
                    umgebrachten Zivilisten blieb ungenannt. 
                    Die uniformierten Schulungsoffiziere am überdimensionalen Messestand
                    indoktrinierten ganze Schulklassen mit einem Computerspiel "POL&IS", einem
                    "realitätsnahen Simulationsspiel", in dem Schüler den Kanzler, Minister und
                    Militär darstellen durften: "Der Militärspieler kann die Regierung durch einen
                    Putsch gewaltsam stürzen und die Macht übernehmen." 
                    Der alles beherrschende Militärstand auf der Buchmesse hatte schon im
                    letzten Jahr zu Verlegerprotesten geführt. Dieses Jahr in Wolfenbüttel
                    scheinen es auch einige VS-Schriftsteller bemerkt zu haben - sie beauftragten
                    den Vorstand Erkundigungen einzuziehen. Da war das PEN-Zentrum
                    Deutschland längst weiter als der VS. Auf seiner letzten Jahrestagung im Mai
                    2002 beauftragte es seinen Präsidenten, gegen die Militärpräsenz auf der
                    Buchmesse zu protestieren. Als aber die PEN-Geschäftsführerin in Leipzig
                    anrief, schwindelte die Messe-Leitung ihr vor, dieses Jahr werde es keinen
                    Bundeswehrstand geben. Und dann gab es ihn doch, größer als zuvor.
                    Eine Woche nach der Militärbuchmesse durfte man vom Verband Deutscher
                    Schriftsteller erwarten, dass er auf seiner Tagung gegen den Missbrauch der
                    Buchmesse zu kriegerischen Zwecken laut protestiert und nicht demütig
                    anfragt. Stattdessen sollen nach dem Willen der Schriftsteller im Herbst der
                    Kanzler und der Außenminister den Friedenspreis bekommen, die als erste
                    nach 1945 einen Krieg, einen Angriffskrieg gegen ein Land führten, das
                    deutschen Terror seit 1914 und seit 1941 kennt. Imbedment zahlt sich aus.
Aus: Ossietzky 7/2003
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