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40 Milliarden teurer Schrott

Tim Weiner über Pannen, Pleiten und Kosten der CIA

Von Klaus Eichner *

Solange wir den Nachrichtendienst eher nach der Quantität als nach der Qualität seiner Informationen beurteilen, werden wir auch weiterhin den 40 Milliarden teuren Schrotthaufen produzieren, der uns zu trauriger Berühmtheit verholfen hat.« Dieses Eingeständnis des vormaligen Leiters des Nachrichtendienstes des US-Außenministeriums (Bureau of Intelligence and Research, INR) Carl W. Ford jr. zitiert Tim Weiner in seinem Buch. Es ist auch das Resümee seiner umfangreichen Forschungen zur 60-jährigen Geschichte der CIA.

Er ist Journalist und arbeitet für die renommierte »New York Times«. In den vergangenen Jahren hat es eine wahre Flut mehr oder weniger guter Enthüllungsliteratur über die Central Intelligence Agency gegeben. Weiner nimmt für sich in Anspruch, die »ganze Geschichte der CIA« zu präsentieren. Dies bietet sein Buch zwar nicht, wie im vergangenen Herbst schon der langjährige Chefhistoriker der CIA, Benjamin Fischer, auf einer Konferenz über die HVA an der Süddänischen Universität in Odense zur amerikanischen Originalausgabe anmerkte. Ausgeblendet hat Weiner z. B. die Niederlagen, die der CIA vom MfS der DDR beigebracht worden sind. Ausnahmslos alle ihrer Agenten in der DDR konnten zu Doppelagenten umgepolt werden.

Das Besondere an diesem Buch: Es durchleuchtet gründlich das Wirken der CIA seit ihrer Gründung, unter 21 Direktoren und elf US-Präsidenten. Dahinter steckt eine immense Rechercheleistung. Weiner hat nach eigenen Angaben mehr als 50 000 Originaldokumente der US-Geheimdienste, des Weißen Hauses und des US-Außenministeriums ausgewertet und eine Vielzahl von Interviews mit früheren CIA-Direktoren und Insidern geführt. Das widerspiegelt sich in Anmerkungen und Erläuterungen auf mehr als 160 Buchseiten, was die Lektüre allerdings etwas erschwert. Es fällt auch auf, dass die Quellendichte ab Mitte der 70er Jahre deutlich geringer wird -- offenbar Folge der Regelungen über Sperrung bestimmter Akten. Interviews mit mehr oder weniger subjektiven Aussagen und teils tendenziöse Medienberichte können die Dokumentenlücken indes nicht ausfüllen. Weiner kann nicht viel messbare Erfolge der CIA belegen, dafür eine Reihe von Misserfolgen, Fehlschlägen und Fehleinschätzungen. Nach dem Selbstverständnis der Geheimdienstler sollten ihre Apparate ausnahmslos Dienstleister der Politik sein. Das kann bei richtiger Handhabung positive Wirkungen zeitigen. Doch begnügte sich auch bzw. gerade die CIA mit der Rolle als Hure der Politik. Gefälschte Dokumente, wider bessere Erkenntnis lancierte Informationen dienen in Krisensituationen des Kalten Krieges und auch noch nach dem Ende der Blockkonfrontation zur Begründung für die Auslösung von Aggressionsakten, Staatsstreichen und für Mordaktionen weltweit. Und wenn die Geheimdienst-Informationen nicht in das Wunschbild der Politik passten, wurden sie entweder missachtet oder »uminterpretiert«.

Der Autor lässt uns die zahllosen misslungenen Versuche nachvollziehen, die dazu dienen sollten, das System der Geheimdienste der USA, die Führungsstrukturen und Einsatzstrategien zu reorganisieren. Wenn innerhalb von sechs Jahren fünf Direktoren der CIA wechselten, dann stellt sich die Frage, ob das ein Probleme der persönlichen Qualifikation der jeweiligen Leiter oder der Qualität der von ihnen zu vertretenen Politik war. Dazu kommt, dass jeder Führungswechsel in der Spitze in der Regel auch begleitet war von Säuberungen in den darunter liegenden Etagen des Führungsapparates, verbunden mit Verlusten an Erfahrungen, Kompetenz und Professionalität.

Weiner gewährt uns tiefe Einblicke in die einzelnen Etappen der Geschichte der CIA. Er war gut beraten, sie mit den Amtsperioden der Präsidenten der USA zu verknüpfen; derart wird deutlich, unter welchen historischen Bedingungen die CIA agierte. Einschränkungen im Verständnis und der Lesbarkeit des Buches ergeben sich aus der Qualität der Übersetzungen. Die unbeholfenen Versuche der Eindeutschung international feststehender Begriffe führen in nicht wenigen Fällen zu Fehlinterpretationen und Verwirrungen.

Weiners Werk darf in der Bibliothek der Zeithistoriker und aller interessierten Leser, die hinter die Kulissen der Geheimdienstpolitik einer Großmacht schauen möchten, nicht fehlen.

Tim Weiner: CIA - Die ganze Geschichte. S. Fischer, Frankfurt am Main. 850 S. geb., 22,90 EUR; ISBN-13: 978-3100910707

* Aus: Neues Deutschland, 24. Juli 2008


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