Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Kein Grund zum Dementi

Entsteht ein neues NSA-Zentrum für Europa bei Wiesbaden? Im Prinzip ja – aber ...

Von René Heilig *

Angela Merkel hält sich und ihren Kanzleramtsminister Ronald Pofalla heraus aus dem Streit um die NSA-Lauschangriffe. Man sei nicht mehr im Kalten Krieg, ließ die Kanzlerin verlauten. Irrtum. Die Frage lautet nur: Wer kämpft mit wem gegen wen?

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, hat am Mittwoch im geheimen Teil der Sitzung des Bundestags-Innenausschusses bestätigt, dass der US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) in Wiesbaden ein neues Abhörzentrum errichtet. Das sickerte bis in Zeitungsredaktionen durch.

Hat er nie gesagt, lautet das Dementi am Donnerstag. Richtig. Schindler hat im Zusammenhang mit dem NSA-Problem nur von einem »Europäischen Technischen Zentrum« gesprochen – und damit von einem eigentlich alten Hut. Dass die US-Armee ihr Gelände der Lucius D. Clay-Kaserne in Wiesbaden-Erbenheim massiv ausbaut, ist ein offenes Geheimnis und sogar per google aus dem Kosmos zu betrachten. Dass dort ein neues »Consolidated Intelligence Center« gebaut wird, das rund 124 Millionen Dollar kosten soll, kann also nicht nur der BND durch simple Recherche herausbekommen. US-Army-Sprecherin Colonel Rumi Nielson-Green hat kein Problem, das Projekt zu bestätigen. Auch nicht, dass das Zentrum Ende 2015 fertig sein soll. Und was ist mit der NSA? Nichts, sagt Frau Oberst, denn sie könne nicht für den Geheimdienst sprechen.

Richtig, denn zwischen den Streitkräften und dem (militärischen!) Nachrichtendienst NSA gibt es eine Zwischenbehörde, den Central Security Service (CSS). Der CSS koordiniert die Arbeit mit den traditionell so genannten kryptologischen Diensten von Marine, Marines, des Heeres, der Luftwaffe sowie der Küstenwache. Wohl nicht zufällig ist der Direktor der NSA zugleich Chef des CSS. Und dem unterstehen alle nachrichtendienstlich verwendeten Einheiten der Streitkräfte. So das 5th Signal Command, dessen Einheiten auch in Wiesbaden-Erbenheim stationiert sind. Sobald das neue »Consolidated Intelligence Center« fertig ist, wird auch die 66th Military Intelligence Brigade von Griesheim bei Darmstadt nach Wiesbaden umziehen.

Offiziell steht nicht »NSA« an den Gebäuden, an deren Ausbau ausschließlich sicherheitsüberprüfte US-Firmen beteiligt sind. Sogar Baumaterialien für abhörsichere Büros und Hightech-Labors werden aus den USA eingeflogen.

Ungeachtet dessen gibt es Möglichkeiten, den Freunden und Verbündeten auf die Finger zu schauen. Da wäre zunächst einmal das Baurecht. Auf den Karten der Vereinigten Staaten sind 50 Bundesstaaten verzeichnet, keiner davon liegt in Deutschland. Stationierungsabkommen hin oder her – es handelt sich um deutsches Territorium. Wer darauf schon mal ein Haus, eine Straße oder eine technische Anlage wie eine Telefonzelle gebaut hat, weiß um die Schwierigkeiten, die das Baurecht bereiten kann. Kennt das zuständige Baumanagement in Wiesbaden die Bebauungspläne? Wer hat sie abgesegnet? Wie wird das Baugeschehen überwacht? Solche und eine Reihe weiterer simpler Fragen hat »nd« den Zuständigen gestern gestellt. Bis zum Redaktionsschluss kam – wider das Versprechen – kein Sterbenswort zurück.

Das Amt untersteht dem Finanzminister Dr. Thomas Schäfer (CDU). Vielleicht will der gelernte Bankkaufmann und Rechtsanwalt – der gewiss einschätzen kann, wie anfällig das Rhein-Main-Gebiet gegenüber Spionen ist – über seine ausgeübte Aufsichtspflicht höchstselbst berichten? Oder dauert es so lange, sich mit den geheimen Diensten zu konsultieren?

Zurück zur geheimen Mittwochsitzung des Parlamentsausschusses. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte zur Aufklärung der möglichen NSA-Erweiterung in Deutschland gar nichts beizutragen. Nicht viel mehr schien BND-Chef Schindler zu wissen. Er könne nicht sagen, was genau in Wiesbaden entstehe. Möglich, dass die USA nur technische Geräte deponieren oder warten. Die Frage, ob auch Dienstleistungen für deutsche Stellen erbracht werden, blieb offen.

Nicht gesprochen hat man über eine andere, eine zusätzliche Möglichkeit – die Cyberkriegsführung. In aktuellen Kriegen aller Art ist siegreich, wer in fremde Computernetzwerke eindringen, sie ausforschen und manipulieren kann, ohne selbst Hackern eine offene Flanke zu bieten. Die NSA ist auch auf diesem Gebiet Weltmeister. Und sie kooperiert auch dabei mit dem Militär. Neu aufgestellt wurde beispielsweise das sogenannte Cyber Command. Das hat seit 2010 seine Erstschlagskapazität erreicht. Beide – NSA und Cyber Command heften sich den gegen Iran ausgerichteten Computervirus »Stuxnet« als Erfolg an die Fahnen. Nun darf man raten, wer ist Chef der neuen Truppe? Richtig! Jeweils der, der auch NSA und CSS dirigiert.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 19. Juli 2013


NSA baut auf, nicht ab

Amtlich bestätigt: US-Geheimdienst bezieht neue Zentrale für Deutschland in Wiesbaden. Linke ruft zu antimilitaristischem Spaziergang auf

Von Arnold Schölzel **


Die US-Streitkräfte errichten an ihrem neuen Standort Wiesbaden-Erbenheim ein 124 Millionen Euro teures Zentrum. Das Consolidated Intelligence Center soll bis Ende 2015 fertig sein, bestätigte ein Sprecher des Hauptquartieres des US-Heeres in Europa (USAREUR) am Donnerstag in Wiesbaden (siehe auch jW vom 12. Juli). Nach einem Bericht der Berliner Zeitung soll es sich bei dem Komplex um ein Abhörzentrum des US-Geheimdienstes NSA handeln. Dies habe der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Gerhard Schindler, am Mittwoch dem Bundestagsinnenausschuß mitgeteilt. Der BND dementierte das am Donnerstag. Im Intelligence Center sollen geheime Informationen für den Einsatz der US-Streitkräfte in Europa gesammelt werden.

Die Bundesregierung wollte sich am Donnerstag nicht zu einem Medienbericht äußern, wonach die beiden durch Bild bekanntgewordenen »Prism«-Programme identisch sind. Am Mittwoch hatte Regierungssprecher Steffen Seibert erklärt, laut BND existiere in Afghanistan zwar ein NATO-Programm namens »Prism«, es sei jedoch nicht das der NSA. Bild legte am Donnerstag nach und behauptete, das »Prism«-Programm in Afghanistan bediene sich aus den NSA-Datenbanken »Marina« und »Mainway« und speise diese auch. Beide Datenbanken würden außerdem genutzt, um abgeschöpfte Daten deutscher Staatsbürger zu speichern. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom bezweifelte in einem Interview mit dem Bonner Generalanzeiger (Freitagausgabe) die Regierungsthese, es gebe zwei voneinander unabhängige »Prism«. Das sei bei einem Nachrichtendienst »nahezu ausgeschlossen«.

Die Linke kritisierte scharf den Neubau der NSA-Zentrale in Wiesbaden. Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Ulla Jelpke, erklärte, mit dem Akzeptieren eines NSA-Überwachungszentrums in Wiesbaden mache sich die Bundesregierung »zur Mittäterin einer der größten Ausspähskandale in der Geschichte der Bundesrepublik«. Der Linke-Frak­tionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Willi van Ooyen, wies darauf hin, es sei bekannt, »daß für Folterungen in Abu Ghraib verantwortliche Angehörige des US-Militärgeheimdienstes auch in Erbenheim stationiert waren.« Er kündigte an, daß die hessische Linke im August, »ähnlich wie in Griesheim« (siehe jW vom 16. Juli), zu einem antimilitaristischen Spaziergang in Wiesbaden aufrufen werde.

Bei einer Anhörung im US-Kongreß am Mittwoch (Ortszeit) äußerte sich der stellvertretende NSA-Direktor John Inglis zu Details des NSA-Spionageprogramms. Demnach hat der Geheimdienst die Erlaubnis von bis zu drei »Ausspähschritten«. Bei einem ersten Schritt werden die Kontakte eines Verdächtigen erfaßt, dann auch die Kontakte der Kontakte, in einem dritten Schritt alle Verbindungen zu deren Kontaktpersonen. »Im ersten Schritt geht es um bis zu 100 Leute«, erläuterte der Anwalt Jameel Jaffer von der Civil Liberties Union laut Washington Post. »Im zweiten kommt man auf 10000, beim dritten Schritt auf eine Million.«

Bei einem Treffen der EU-Innenminister im litauischen Vilnius brachte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) am Donnerstag eine Meldepflicht für Unternehmen bei der Datenweitergabe ins Gespräch. Alle Firmen, auch Internetkonzerne, müßten dann zwingend offenlegen, wenn sie die Daten europäischer Bürger an Staaten oder Geheimdienste außerhalb Europas liefern würden.

** Aus: junge Welt, Freitag, 19. Juli 2013


Mittäterin Merkel

NSA-Abhörzentrum in Wiesbaden

Von Ulla Jelpke ***


Fast stündlich kommen neue Details über das Ausmaß des NSA-Abhörskandals ans Licht. Neben der millionenfachen Datensammlung von Telefon- und Internetkommunikation privater Haushalte soll der US-amerikanische Geheimdienst NSA auch deutsche Firmen ausspioniert haben. Nach allem, was bisher bekannt wurde, kann das niemanden ernsthaft verwundern.

Wirklich erstaunlich ist hingegen, daß die Totalüberwachung durch die Ausspähbehörde NSA im Wiesbadener US-Army-Hauptquartier mit einem eigenen Abhörzentrum ausgebaut werden soll. Die Anlage soll einem Sprecher des Hauptquartiers zufolge 124 Millionen Euro kosten und bis Ende 2015 fertig sein. Die Nachricht über den geplanten Bau wurde bereits am Mittwoch von BND-Chef Gerhard Schindler in der Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages zu dem Abhörskandal bestätigt. Nachdem ebenfalls am Mittwoch bekannt wurde, daß die Bundeswehr vermutlich seit langem von dem NSA-Spähprogramm »Prism« gewußt hat, setzt der Bau eines eigenen NSA-Zentrums in der hessischen Landeshauptstadt dem Ganzen nun die Krone auf und ist an Dreistigkeit kaum zu toppen. Im sogenannten Intelligence Center sollen geheime Informationen für den Einsatz der US-Streitkräfte in Europa gesammelt werden: in 51 Ländern, von Rußland bis Israel. Die Heuchelei der Bundesregierung wird hier überdeutlich. Ihr geht es ganz offensichtlich nicht um die Aufklärung der NSA-Affäre, geschweige denn um den Schutz des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die bürgerlichen Parteien – von CDU/CSU, FDP bis hin zur SPD – höhlen dieses Grundrecht seit Jahren schon schrittweise aus. Selbst jetzt ist aus ihren Reihen kein ernstzunehmender Protest gegen die kriminelle, anlaßlose Totalüberwachung zu hören. Spätestens jetzt müßten die Richtlinien zur Vorratsdatenspeicherung und die bestehenden Abkommen mit den USA sofort ausgesetzt werden.

Statt dessen macht sich die Bundesregierung mit ihrer Akzeptanz eines NSA-Überwachungszentrums in Wiesbaden zur Mittäterin in einem der größten Ausspähskandale in der Geschichte der Bundesrepublik. Damit wird die Aussage von Kanzlerin Merkel, daß auf deutschem Boden deutsches Recht gelte, ad absurdum geführt. Mit dem Überwachungszentrum, das ja nur dann einen Sinn hat, wenn es in die weltumspannende NSA-Schnüffelpraxis eingebunden ist, toleriert die Bundesregierung den Verfassungsbruch auf deutschem Boden und leistet damit Beihilfe zur Ausspähung anstatt davor zu schützen.

Der Bau eines solchen Abhörzentrums ist vollkommen inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen. Nach allem, was bisher bekannt wurde, ist die Bundesregierung in der Pflicht, den Bau zu verhindern. Das oberste Gebot der Stunde lautet: Schonungslose Offenlegung und Aufklärung der Spionagepraxis der USA und nicht ihr weiterer Ausbau.

*** Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: junge Welt, Freitag, 19. Juli 2013 (Gastkommentar)



Zurück zur Geheimdienst-Seite

Zur Seite "Militärstandorte, Stützpunkte"

Zurück zur Homepage