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Die falschen Freunde

Union und SPD beschwören transatlantisches Bündnis

Von Aert van Riel *

Trotz des NSA-Spionageskandals haben Politiker von Union und SPD im Bundestag betont, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis weiterhin von großer Bedeutung sei. Die LINKE warf der Bundesregierung Hasenfüßigkeit im Umgang mit den USA vor.

Eigentlich sollte sich die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft in zehn Tagen in Vilnius befassen. In ihrer Rede vor dem Parlament streifte die CDU-Politikerin allerdings auch die Spionageaffäre des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA in Deutschland. »Das transatlantische Verhältnis und damit auch die Verhandlungen für ein transatlantisches Freihandelsabkommen werden gegenwärtig durch die im Raum stehenden Vorwürfe gegen die USA um millionenfache Erfassung von Daten auf eine Probe gestellt«, sagte Merkel. Sie forderte die Aufklärung der Vorwürfe durch die US-Amerikaner.

Wie ernst die Empörung und Forderungen der Kanzlerin, deren Mobiltelefon vom US-Geheimdienst abgehört worden sein soll, tatsächlich zu nehmen sind, ist allerdings fraglich. Im Bundestag war sie nämlich geradezu gezwungen, erneut auf das Thema reagieren, weil Grüne und Linkspartei eine Sonderdebatte zur NSA-Spähaffäre beantragt hatten. Zur Aufklärung des Skandals haben Merkel und ihre Partei bisher nichts beigetragen. Die Unions-Politiker lehnen etwa eine Befragung des US-Whistleblowers Edward Snowden, der den Skandal öffentlich gemacht hatte, in Deutschland ab.

Die Konservativen begründen ihre Haltung auch damit, dass das deutsch-amerikanische Verhältnis belastet werden würde, wenn die Bundesrepublik Snowden aufnimmt, dem in den USA ein Prozess droht. Trotz der NSA-Affäre »sind und bleiben das deutsch-amerikanische und das transatlantische Verhältnis von überragender Bedeutung für Deutschland und genauso für Europa«, sagte Merkel. Ähnlich äußerte sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Dieser sprach von »angeblichen Dokumenten« Snowdens, deren Auftauchen »irritierend« gewesen sei. Zurzeit hält sich Snowden noch in Moskau auf. In Russland wurde ihm ein Jahr Asyl gewährt. Nur dort kann sich die Union auch eine Befragung Snowdens vorstellen.

Linksfraktionschef Gregor Gysi sagte, ein solches Vorgehen wäre »grotesk«. Dann würde die Bundesregierung davon ausgehen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin sich nach der Aussage Snowdens um dessen Sicherheit kümmern würde. »Deutschland ist erst dann souverän, wenn es Snowden anhört, schützt und ihm Asyl gewährt«, erklärte Gysi. Snowden solle vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Klärung des Spionagefalls aussagen. Im Umgang mit den USA warf der LINKE-Politiker der Bundesregierung Duckmäusertum und Hasenfüßigkeit vor.

Die SPD, die gemeinsam mit CDU und CSU die neue Bundesregierung bilden will, ist in der Frage der Kontaktaufnahme mit Snowden auf der gleichen Linie wie die Konservativen. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sprach sich außerdem für ein »Völkerrecht im Internet« aus, um künftig ähnliche Spionageskandale zu verhindern. Basis hierfür müssten die »gemeinsamen Werte« der Staaten des transatlantischen Bündnisses sein.

Steinmeier erklärte, dass die Aufklärung des NSA-Skandals nicht erledigt sei. Allerdings sei er nicht sicher, ob es richtig ist, einen Bundestags-Untersuchungsausschuss einzurichten. Die Ergebnisse könnten enttäuschend sein, wenn »Zeugen und Dokumente nicht kommen«, sagte Steinmeier. Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele, der sich vor kurzem mit Snowden in Moskau getroffen hatte, sprach sich dagegen für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses aus.

Die Union stellte in Aussicht, dass ein No-Spy-Abkommen zwischen den USA und Deutschland dafür sorgen könne, dass die illegale Spitzelei künftig eingestellt wird. Deutsche Geheimdienstler und Regierungsvertreter verhandeln darüber derzeit mit den USA. Allerdings ist zweifelhaft, wie ein mögliches Abkommen mit den USA konkret aussehen würde. Grüne und LINKE glauben nicht, dass dann den Geheimdiensten tatsächlich die notwendigen Grenzen gesetzt werden. Dieses Abkommen werde womöglich nur die deutsche Industrie und Politiker schützen, monierte Ströbele.

Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar befürchtete, dass ein Abkommen herauskommen wird, das den Bürgern keinen wirksamen juristischen Schutz bietet. In einem vor der Bundestagsdebatte veröffentlichten Bericht für die Abgeordneten übte der Bundesdatenschutzbeauftragte außerdem heftige Kritik an der massenhaften Überwachung von Kommunikationsdaten von Millionen von Bürgern. Mit dem Kampf gegen den Terror könne dies nicht gerechtfertigt werden, schrieb Schaar.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. November 2013


Soll Ströbele alles alleine machen?

Geheimdienst-Kontrolleure zur Untätigkeit verdammt

Von René Heilig **


Vor der Bundestagswahl gab es nicht wenige, die sich fragten: Was zieht den Grünen Christian Ströbele mit seinen 70 Jahren denn noch immer in den Bundestag? Nach seiner Moskau-Reise haben viele dieser Frager gesagt: Gut, dass wenigstens einer dem NSA-Enttarner Edward Snowden nicht nur verbal, sondern ganz persönlich Danke sagt.

Mitgebracht hatte Ströbele einen Brief des Whistleblowers an »die Zuständigen«. Darin erklärt er sich – sofern alle notwendigen Garantien gegeben werden – grundsätzlich zur Aussage in Deutschland bereit. Eigentlich hätten die, die mit Ströbele im Auftrage des Parlaments die deutsche Geheimdienste kontrollieren sollen, jubeln müssen. Eine bessere Gelegenheit, etwas über die transatlantische Kooperation der deutschen Nachrichtendienste zu erfahren, kann es für das Parlamentarische Gremium – kurz PKGr – nicht geben. Zumal dieses Wissen dringend aus dem Dunkel gezogen werden muss, wenn man verhindern will, dass die Agenten sich über Gesetze erheben und so unserer Demokratie weiteren Schaden zufügen.

Doch im PKGr bleibt der Jubel über die einzigartige Gelegenheit aus. Im Gegenteil. Sogar dessen Chef, der SPD-Mann Thomas Oppermann, der als Minister der kommenden schwarz-roten Koalition gehandelt wird, beeilte sich, Gründe für die Unmöglichkeit einer Snowden-Befragung zu finden. Die Kollegen der Union mussten sich nicht einmal selbst in die Bresche werfen, um die Dienste vor zu viel Transparenzverlangen zu schützen. Das erledigte am Montag Oppermanns SPD-Genosse Michael Hartmann, der für »leise Demokratie« wirbt.

Untätig ist das PKGr auch, wenn es um Verhandlungen zu einem No-Spy-Abkommen zwischen Deutschland und den USA geht. Den Job überlässt man widerstandslos sogar den Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz. Wie auch sollen die Verantwortlichen ihre Arbeit tun – schließlich sind drei der elf PKGr-Mitglieder längst raus aus dem geheimen Job. Die Abgeordneten Gisela Piltz und Hartfried Wolff sind samt ihrer FDP aus dem Parlament geflogen, der Linkspolitiker Steffen Bockhahn hat es gleichfalls nicht geschafft, genügend Wähler zu überzeugen. Die Ex-Parlamentarier sitzen »eben so« noch geschäftsführend am geheimen Parlamentstisch. So lange wie Union und SPD ihre Mehrheit im Bundestag missbrauchen und die Wahl von Parlamentsausschüssen verhindern, so lange wird auch das PKGr nicht nur zur Geheimniskrämerei, sondern auch noch zur Untätigkeit verdammt sein.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. November 2013


Kontrollfrei

Bundestag bagatellisiert Spähskandal

Von Ulla Jelpke ***


Manchmal ist es spannender, worüber nicht geredet wird. Eineinhalb Stunden hat der Bundestag am Montag über den NSA-Skandal gesprochen. Ein ums andere Mal wurden, je nach politischem Standpunkt, die Spionageattacken der USA kritisiert oder das »Versagen« der Bundesregierung. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) stellte sich allen Ernstes hin und behauptete, die US-Regierung sei schon »sehr frühzeitig problembewußt« gewesen.

Was hingegen fast keine Rolle spielte: Die Frage, inwiefern das angebliche Versagen der Bundesregierung bzw. ihrer Geheimdienste eine Folge nicht ihrer Unfähigkeit, sondern ihrer Komplizenschaft mit ihren amerikanischen »Partnern« ist. Dabei hat Bundesdatenschutzbeauftragter Peter Schaar in einem Dossier auf hausgemachte Probleme hingewiesen. Es gebe faktisch nur wenige Möglichkeiten, dem illegalen Treiben ausländischer Nachrichtendienste ein Ende zu machen – um die Kontrolle der eigenen sei es aber nicht viel besser bestellt. »Es bestehen gravierende Defizite, die u.a. zu kontrollfreien Räumen führen« (wohlgemerkt: bei den Geheimdiensten. Von den Bürgern ist keiner »kontrollfrei«), und es herrsche akuter »gesetzgeberischer Handlungsbedarf zur Optimierung der Kontrollstrukturen«.

Liest man Schaars Bericht genauer, scheint er gar allmählich Abschied von der ohnehin illusionären Vorstellung zu nehmen, Geheimdienste ließen sich effizient kontrollieren: Die EU könne zwar in ihre Datenschutzverordnung hineinschreiben, was sie wolle, und den Zugriff außereuropäischer Geheimdienste auf EU-Daten genau regeln. »Allerdings ist zweifelhaft, inwieweit US-Behörden und in den USA ansässige Unternehmen bereit sind, sich an entsprechende Vorgaben zu halten.« Angesichts unzähliger Schnüffelskandale muß ebenso die Bereitschaft deutscher Geheimdienste bezweifelt werden, sich an Recht und Gesetz zu halten. Schaar selbst sieht sich veranlaßt, ausdrücklich vor »geschickten« Manövern zu warnen, mit denen der BND trotz gesetzlichen Verbots die deutsche Inlandskommunikation ausspionieren kann. Indem er die Drecksarbeit von den Amerikanern machen läßt und sich von denen dann die Daten geben läßt. Indem er es ausnutzt, daß heutzutage auch »innerdeutsche« Telekommunikation häufig über ausländische Server abläuft. Und woran liegt es wohl, daß Schaar darüber klagt, daß ihm die deutschen Geheimdienste bei der Aufklärung »erhebliche Schwierigkeiten« machen?

Es ist nicht so, daß erst in der Amtszeit von Angela Merkel gespäht wurde. Die unheilige »transatlantische Allianz« ist auch vom SPD-Grünen-Kabinett gepflegt worden.

Snowden hat das Treiben dieses Schnüfflerkartells ans Tageslicht gebracht. Es spioniert trotzdem weiter. Damit Schluß zu machen, fehlt den Herrschenden der Wille.

*** Unsere Autorin ist innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: junge Welt, Mittwoch, 20. November 2013 (Gastkommentar)



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