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US-Amerikaner auf Versöhnungstour

Senator trifft sich mit deutschen Politikern, um nach Aufdeckung der NSA-Affäre die Wogen zu glätten

Von Aert van Riel *

Der US-Senator Chris Murphy hat sich auf eine Versöhnungsreise nach Berlin begeben. Dort verkündete er, dass der NSA-Abhörpraxis Grenzen gesetzt werden müssten.

Es war nicht gerade die erste Garde der US-amerikanischen Politik, die am gestrigen Montag nach Berlin gekommen war, um sich nach den Verstimmungen wegen der NSA-Spähaffäre um die deutsch-amerikanischen Beziehungen zu bemühen. Der Name Chris Murphy sagt hierzulande kaum jemandem etwas. Der Demokrat ist Senator und im Auswärtigen Ausschuss für Europa zuständig. Deswegen wurde er für die Reise ausgewählt. Sein Parteikollege, der Kongressabgeordnete Gregory Meeks, der ebenfalls dabei sein sollte, fehlte bei den Treffen zunächst. Angeblich hatte sein Flugzeug Verspätung.

Murphy traf sich mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP), Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Bundestagsabgeordneten, die dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehören. Dabei räumte der US-Amerikaner ein, dass »die europäischen Verbündeten in den vergangenen Monaten legitime Sorgen über Charakter und Ausmaß von US-Geheimdienstprojekten geäußert haben«. Die Geheimdienste hätten »nicht immer die notwendige Zurückhaltung walten lassen«. Insgesamt steht Murphy trotzdem hinter den Aktivitäten der NSA. Eine öffentliche Entschuldigung des Präsidenten Barack Obama hielt der Senator für unangebracht. In Berlin warb er zudem für die gemeinsame »Terrorbekämpfung«.

Linksfraktionschef Gregor Gysi kritisierte die Treffen im sozialen Netzwerk Facebook als »eine Aneinanderreihung von Showveranstaltungen«. Er monierte, dass die US-amerikanischen Gäste in ihrem Land gar nicht für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig seien. »Der Bundestag sollte stattdessen die Vorsitzenden der Geheimdienstausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus, die Senatorin Dianne Feinstein sowie den Kongressabgeordneten Mike J. Rogers, zu einer ernsthaften Aufarbeitung einladen«, forderte Gysi.

Bundeskanzlerin Angela Merkel, deren Mobiltelefon von der NSA angezapft worden sein soll, wollte den Besuch aus den USA nicht empfangen. Die CDU-Chefin ließ sich im Kanzleramt von ihrem außenpolitischen Berater Christoph Heusgen vertreten. Die offizielle Begründung lautete, dass die Kanzlerin wegen des IG-Metall-Gewerkschaftstags in Frankfurt am Main und der Koalitionsverhandlungen verplant sei. Offenbar steht die Kanzlerin nur für hochrangigen Besuch aus den USA zur Verfügung. Es wird erwartet, dass Außenminister John Kerry nach der Bildung einer neuen Bundesregierung bald nach Deutschland kommen wird.

Dann dürfte auch eine neue Vereinbarung fertig sein, über die Berlin und Washington derzeit verhandeln. Darin soll geregelt werden, was die Geheimdienste überhaupt dürfen. Die Vereinbarung soll in der ersten Dezemberhälfte unterschrieben werden. Von einem No-Spy-Abkommen, das angeblich jegliche Bespitzelung verbieten sollte, ist inzwischen keine Rede mehr.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. November 2013


Zeitalter der Überwachung

Von Aert van Riel **

Der Besuch der US-Delegation in Berlin sollte deutlich machen, dass sich Politiker aus den USA und Deutschland nach ihrem Streit über die NSA-Spionageaffäre nun wieder um eine Annäherung bemühen. Dazu passten ein paar nette Worte der US-Amerikaner. Ein Besucher bekräftigte, dass die Spionagepraxis des eigenen Geheimdienstes eingeschränkt werden müsse. Ernst zu nehmen sind solche Aussagen sicherlich nicht, wenn sie von jemandem kommen, der wie der Senator Chris Murphy kein ausgewiesener Geheimdienstexperte ist, sondern sich vor allem um Familien- und Gesundheitspolitik kümmert.

Es ist vielmehr zu befürchten, dass die Ausspähung intensiviert wird. In den US-Medien wurde vor kurzem über ein Geheimdokument der NSA berichtet, wonach der Geheimdienst fordert, dass sich Politik und Gesetzgeber in den kommenden Jahren seinen Zielen anpassen müssten. Von einem »goldenen Zeitalter der technischen Überwachung« ist in dem Papier die Rede.

Insgeheim kann sicherlich auch Innenminister Hans-Peter Friedrich, der lange für die Vorratsdatenspeicherung gekämpft hat, diese Forderungen nachvollziehen. Der CSU-Mann zeigte sich bei der Unterredung mit den US-Amerikanern erneut zurückhaltend und forderte von ihnen wenig konkret »Anstrengungen, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen«. Etwas anderes als solche leeren Worthülsen war bei dem Treffen allerdings auch nicht zu erwarten.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 26. November 2013 (Kommentar)


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