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Unbehagen und Protest

Bundesweit Demos in Solidarität mit Snowden und gegen staatliches Abhören

Von Anja Krüger *

In mehr als 30 Städten haben Demonstranten am Samstag gegen den Umgang der Politik mit dem NSA-Überwachungsskandal protestiert. Die Piraten fordern Asyl für Whistleblower Edward Snowden.

Mehr als zehntausend Menschen haben am Wochenende in deutschen Städten gegen die Überwachung durch US-amerikanische und deutsche Geheimdienste protestiert. Wie bei der Demonstration in Köln solidarisierten sich die Protestierenden mit dem Whistleblower Edward Snowden.

Auf dem Kölner Bahnhofsvorplatz verliest der Kölner Journalist und Politikwissenschaftler Frank Überall Wörter, deren Nennung in E-Mails die Geheimdienste auf den Plan rufen. »Eis?« echot es erstaunt aus den Reihen der rund 700 Zuhörer, die zur Auftaktkundgebung der Demonstration »Stop Watching Us« gekommen sind. Und »veredeln«? Bei anderen der von Überall vorgetragen Wörter wie »Infrastruktur« und »Stromleitung« wundert sich das gut informierte Publikum nicht.

»Unsere Regierungen hier in Deutschland und in Europa fordern wir dazu auf, sich gegen jede Form von anlassloser und unverhältnismäßiger Überwachung auszusprechen und danach zu handeln«, fordert Überall. Jeder, der von Strafverfolgern oder Geheimdiensten digital abgeschöpft worden sei, müsse darüber individuell benachrichtigt werden. »Das Thema darf nicht im Sommerloch untergehen«, ruft er. »Wir müssen für unsere Freiheit politisch kämpfen.« Die Veranstaltung gehört zum bundesweiten Aktionstag, der sich gegen die Ausspähung durch den US-amerikanischen Geheimdienst NSA richtet. »Wir wollen nicht, dass unsere Kinder in einer Welt leben müssen, in der ihre jugendlichen Liebesbriefe in einem zentralen Datenspeicher gesammelt werden«, heißt es im Aufruf. In mehr als 30 Städten haben lokale Bündnisse zu Demonstrationen aufgerufen, vielerorts unter Beteiligung der Linkspartei, der Grünen, der Piraten sowie Initiativen wie dem Arbeitskreis Vorratsspeicherung. Die Aktivisten eint der Kampf gegen die Verletzung der Grundrechte, die im Zuge des NSA-Skandals öffentlich geworden sind. »Wir brauchen die öffentliche Debatte über Geheimdienste im demokratischen Staat«, sagt Heiner Kockerbeck vom Kreisvorstand der LINKEN in Köln. »Frau Merkel, legen Sie alle Maßnahmen der Überwachung in Europa und Deutschland offen«, fordert er unter Beifall der Demonstranten.

Die haben sich gut ausgerüstet. Eine junge Frau, die sich mit ihrem Internet-Nickname Laxanon vorstellt – ihre Identität möchte sie wie fast alle hier nicht preisgeben –, trägt eine Guy-Fawkes-Maske. Sie gehört zur Aktivistengruppe Anonymus, die sich unter anderem für die Unabhängigkeit des Netzes und Redefreiheit einsetzt. Laxanon hat ein Schild in der Hand: »PRISM ist beschissen«, steht mit Blick auf das NSA-Spähprogramm darauf. Auf dem Plakat sind auch ein schwarzer Haufen und Fliegen zu sehen. »Es ist nicht okay, dass man uns ausspioniert«, sagt sie. »Wir werden als Terroristen dargestellt.«

Unter den Demonstranten sind viele, die keiner Organisation angehören. Vom Aktionstag haben sie im Netz erfahren, wie der junge Mann mit langen Haaren und Bart, der am Rande der Kundgebung steht. »Das ist die erste Demonstration in meinem Leben«, sagt er. Ihn haben die Nachrichten über die gewaltigen Überwachungsaktionen des US-Geheimdienstes NSA tief beunruhigt. »Wir müssen unsere Grund- und Freiheitsrechte verteidigen.« Der junge Mann trägt ein T-Shirt mit dem Konterfei von Edward Snowden, darüber steht »Hero«. Viele auf dem Platz tragen Bekleidung oder Plakate mit dem Bild des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters, der die Spähaffäre publik gemacht hat. »Edward Snowden ist ein Held«, ruft der Landtagsabgeordnete der Piratenpartei Daniel Schwerd den Protestierenden zu. »Er verdient Asyl. Stattdessen wird er um die Welt gejagt.«

Einige Demonstranten haben aus schwarz angemalten Schuhkartons Überwachungskameras gebastelt, auf denen in roten Buchstaben »NSA« steht. Dazu gehören die Studierenden Sarah, Franziska und Jan. »Wir demonstrieren für unsere Privatsphäre«, sagt Sarah. Sie will nicht, dass ihre Daten einfach gespeichert werden. »Das darf man nicht durchgehen lassen«, sagt sie.

Nicht nur junge Leute sind zu der Demonstration gekommen. »Meine Söhne müssen in dieser überwachten Welt leben, da konnte ich heute nicht zu Hause bleiben«, sagt ein Frau, die mit ihren erwachsenen Kindern unterwegs ist. »Meine Söhne sind ständig im Netz«, sagt sie. »Ich habe Angst, dass sie in zehn oder 20 Jahren Nachteile haben, weil gespeichert wird, was sie im Internet schreiben.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 29. Juli 2013


Verdunkeln statt Offenlegen

Chronik der NSA-Affäre

Anfang Juni wurde die NSA-Spähaffäre bekannt. Details dringen nur spärlich an die Öffentlichkeit. Die Bundesregierung gerät immer mehr unter Druck. Ein Rückblick:

Anfang Juni 2013: Laut Zeitungsberichten in den USA und Großbritannien ermöglicht ein Programm mit dem Namen »Prism« dem US-Geheimdienst NSA weitreichenden Zugriff auf Kommunikationsdaten. Der IT-Spezialist und frühere NSA-Mitarbeiter Edward Snowden offenbart sich im britischen »Guardian« als Quelle der Enthüllungen.

19. Juni: US-Präsident Barack Obama versichert nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin, die US-Geheimdienste würden sich künftig eng mit den deutschen Partnern abstimmen.

29./30. Juni: US-Geheimdienstler spähen dem Magazin »Der Spiegel« zufolge auch die Europäische Union aus. In Deutschland sei der Abhördienst NSA besonders aktiv. Politiker reagieren empört.

1. Juli: Die Kanzlerin weist den Vorwurf zurück, sie habe von der US-Späherei in Deutschland gewusst.

7. Juli: Nach »Spiegel«-Recherchen ist die Kooperation von NSA und Bundesnachrichtendienst äußerst intensiv.

12. Juli: Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) informiert sich in den USA über die Spähaffäre. Nach seiner Reise verteidigt er den Einsatz von Überwachungsprogrammen. NSA-Informationen hätten Terroranschläge in Deutschland verhindert.

15. Juli: Laut »Bild« soll der BND seit Jahren von den NSA-Daten wissen und darauf zugreifen.

17. Juli: Ein weiteres »Prism«-Programm soll laut »Bild« von der Bundeswehr in Afghanistan zur Überwachung von Terrorverdächtigen eingesetzt worden sein. Regierung und BND versichern, es handele sich um zwei Programme.

18. Juli: »Bild«: Die beiden Programme haben sehr wohl miteinander zu tun.

19. Juli: Merkel betont, auch im Kampf gegen den Terrorismus dürften nicht alle technischen Möglichkeiten genutzt werden. »Deutschland ist kein Überwachungsstaat.«

21. Juli: Das Bundesamt für Verfassungsschutz räumt ein, es teste ein NSA-Spähprogramm, setze es aber derzeit nicht ein. Der »Spiegel« berichtet, der BND habe sich für eine laxere Auslegung deutscher Datenschutzgesetze eingesetzt, um den Austausch zu erleichtern.




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