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Die D-Fiktion

Bundesnachrichtendienst beteuert weiter, beim Spitzeln keine deutschen Grundrechte zu verletzen

Von René Heilig *

Vermutlich fehlt Geheimdienstlern generell so etwas wie Unrechtsbewusstsein. Das ist aber keine Absolution, gegen bürgerliche Grundrechte zu verstoßen oder Abgeordnete zu belügen – und sei es durch Verschweigen.

Kein Zweifel, zumindest der Bundesnachrichtendienst (BND) ist Teil der beispiellosen US-Spionagestrategie, die sich in verschiedenen Programmen äußert. Verraten wurden die Grundrechte der deutschen Bürger. Damit ist der Geheimdienst eigentlich reif für eine Anklage. Oder für Überlegungen, ob er nicht als kriminelle Organisation verboten werden muss.

Welch Irrglaube an die Macht des Rechts! Denn die zuständige Bundesanwaltschaft hat bislang kaum mehr als nichts getan. Am 27. Juni leitete sie lediglich ein Beobachtungsverfahren ein und bat alle beteiligten Ministerien um Informationen zu den medialen Vorwürfen.

Der BND hat zugegeben, dass er seit vielen Jahren Inhalte von Telekommunikationsverbindungen an US-Partner weitergebe. Doch die würden vor der Weiterleitung um eventuell darin enthaltene personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger bereinigt.

Wie geht das? Das hat der Abgeordnete der Bundestagslinksfraktion Jan Korte den für die Geheimdienste und speziell für den BND verantwortlichen Kanzleramtschef gefragt. Ronald Pofalla (CDU) antwortete schwammig: Die Erfassungssysteme des BND führten »eine Trennung der Verkehre nach formalen Kriterien durch. Telekommunikationsverkehre mit Auslandsbezug, bei denen aufgrund formaler Kriterien eine Grundrechtsträgereigenschaft eines Teilnehmers erkannt wird, werden ausschließlich auf Grundlage einer Anordnung nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10) erfasst. Alle übrigen Telekommunikationsverkehre mit mindestens einem anerkannten grundrechtsgeschützten Teilnehmer werden automatisiert verworfen.« Innerdeutsche Telekommunikationsverkehre seien nicht Gegenstand der strategischen BND-Fernmeldeaufklärung.

Die Trennung erfolge »automatisiert und unmittelbar am Eingang des technischen Systems, so dass keine weitere Verarbeitung der als innerdeutsch erkannten Verkehre stattfindet«.

Wie erkennt ein System selbstständig, ob da ein Deutscher eine E-Mail schreibt? Daran, dass seine Domäne »de« lautet? Daran, dass die deutsche Sprache verwandt wird? Oder an der IP-Adresse? Das alles ist viel zu unsicher, um einen Grundrechtsschutz zu garantieren. Jeder Deutsche kann das Internet in beliebigen anderen Staaten nutzen, sich dort elektronische Adressen einrichten oder einfach die von Freunden benutzen. Trennscharf ist also Pofallas Versicherung nicht.

Die Unterscheidung zwischen Deutschem und Ausländer sei, so meint der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, auch gar nicht so wichtig. Kern sei der Austausch dieser Daten mit anderen Diensten. Denn die nutzen die Informationen dann jeweils nach ihrem nationalen Recht, das Informationen über deutsche Bürger natürlich nicht für schützenswert hält. Durch die Kombination der Informationen und der Weitergabe dieses Mixes entfernt sich die Information immer weiter von jenem, der eigentlich Herr über seine Daten sein sollte. Datenschutz? Eine Illusion! Schaar sieht mögliche Lösungen nur über die Internationalisierung des Rechts, also internationale Verträge und Standards.

Wer das Problem als ein neues betrachtet, weil der Ex-US-Geheimdienstler Edward Snowden ausgepackt hat und nunmehr der Umfang der Kumpanei von BND und NSA anhand des Spionageprogramms »XKeycore« die Runde macht, der irrt sich. Bereits vor den Terroranschlägen vom 11.9.2001 in den USA durchforstete der BND die Nachrichtenwelt so flächendeckend wie intensiv. Das erste Spracherkennungsprogramm dazu ergaunerte man sich unter anderem durch EU-Fördergelder.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013


Der Staat zählt mit

Immer mehr Behörden greifen immer häufiger auf Kontodaten von Privatpersonen zu

Von Uwe Kalbe **


Beim Geld hört nicht nur die Freundschaft auf. Beim Geld endet auch die Zurückhaltung des Staates. Kontenabfragen gehören mittlerweile zum Standardrepertoire der Behörden. Weil irgendwie alles Geld kostet oder vom Geld motiviert ist, ist der Staat hier besonders neugierig. Seit 2003 räumt das Gesetz ihm die Möglichkeit ein, bei Geldinstituten nach privaten Konten zu fragen. Nicht der Kontostand wird ihm dabei mitgeteilt, so weit geht die Freundschaft bisher nicht, aber die sogenannten Stammdaten wie Eröffnung oder Schließung eines Kontos, persönliche Daten des Inhabers oder die Existenz von Aktiendepots gehören dazu. Informationen, mit denen die Behörden durchaus etwas anfangen können, wenn es Geldflüssen nachzugehen oder Steuertricks aufzudecken gilt. Der Gesetzgeber hat den Kreis der Zugriffsberechtigten immer weiter vergrößert. Stand das Zugriffsrecht 2003 noch unter der Überschrift der Terrorismusbekämpfung und war zunächst auf Strafverfolgungsbehörden und Steuerfahndung beschränkt, kamen 2005 schon Finanzämter und Sozialbehörden hinzu. Denn mit der Einführung von Hartz IV ging es auch gleich um den Blick auf das private Vermögen der Betroffenen, das zuerst aufgebraucht werden muss, bevor der Staat Sozialleistungen zahlt.

Inzwischen ist die Zahl der berechtigten Behörden weiter gewachsen und mit ihr die Zahl der Anfragen an die Geldinstitute. Im Jahr 2012 wurden 1 047 099 Konten ermittelt, lautet die Auskunft der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der LINKEN im Bundestag. Die Fraktion geht von einer Erhöhung der Behördenabfragen um 700 Prozent seit 2005 aus. Die Bundesregierung bestätigt immerhin: Allein das Bundeszentralamt für Steuern startete im letzten Jahr 70 706 Kontenabfragen. Wie rasant der Behördenhunger steigt, zeigt der Vergleich zum laufenden Jahr. Bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2013 gab es fast 60 000 Kontenabrufe des Bundeszentralamts – beinahe so viele wie im gesamten letzten Jahr.

Ein Grund für den rasanten Anstieg liegt im Zugriff von Gerichtsvollziehern auf die Stammdaten, der seit Jahresbeginn erlaubt ist. Allein 18 667 Mal griffen diese seither zu. Die Bundesregierung sieht in der Anfrageflut kein Problem. In ihrer Antwort auf die Anfrage der Linksfraktion tut sie kund, nicht vorhersehen zu können, »ob und gegebenenfalls welche öffentlichen Stellen das Instrument in der Zukunft für sich fordern werden«. Sie sehe gleichwohl »keine Veranlassung, der Entwicklung entgegenzuwirken«.

Für Behörden ist der Service eine unersetzliche Fundgrube, für die Bürger hingegen eine zweifelhafte staatliche Selbstermächtigung. Im Jahresbericht des Bundesbeauftragten für Datenschutz ist von »anlassloser Speicherung aller Kontoinhaber in Deutschland « die Rede. Der Normalverbraucher allerdings bekommt von der Entwicklung, die sich oft hinter schwierigen Gesetzestitel verbirgt, ohnehin nur im Ausnahmefall etwas mit. Zuletzt kam es im Mai zur Verabschiedung des »Unterhaltsvorschussentbürokratisierungsgesetzes «. Darin wurde eine Kontenabrufmöglichkeit der zuständigen Behörden in Streitfällen des Unterhaltsrechts geschaffen.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 7. August 2013


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