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Wohin mit Snowden?

Deutschland lehnt Asylantrag von US-Whistleblower ab

Von Johanna Treblin *

Um Asyl in der Bundesrepublik zu erhalten, müsste Edward Snowden sich auf deutschem Boden befinden. Mit dieser Begründung lehnen auch andere Staaten seinen Asylantrag ab. Humanitäre Gründe sieht die Bundesregierung nicht gegeben.

21 Asylanträge hat Edward Snowden gestellt, doch niemand will ihn haben. Auch Deutschland hat das Ersuchen des Whistleblowers, der den Abhörskandal der US-Regierung aufgedeckt hat, abgelehnt. Das Auswärtige Amt begründete seine Entscheidung vom Dienstagabend mit dem deutschen Asylrecht, nach dem sich Snowden zunächst auf deutschem Boden befinden müsse, bevor er den Asylantrag stellen könne. Auch Finnland, Irland, Norwegen, Österreich, Polen und Spanien gaben mit Verweis auf ihre Gesetzeslage ablehnende Bescheide. Eine Ausreise aus Russland ist für Snowden beinahe unmöglich: Die USA haben seinen Reisepass für ungültig erklärt.

Den Asylantrag an Russland hat Snowden mittlerweile zurückgezogen. Die Bedingungen, die Präsident Wladimir Putin gestellt hatte, will er nicht erfüllen: Putin soll gefordert haben, weitere Enthüllungen über die gigantische Datensammelei des US-Geheimdienstes NSA einzustellen.

Wie es nun mit Snowden weitergeht, ist unklar. In Deutschland bestünde die Möglichkeit, ihn unabhängig vom Asylrecht aus humanitären Gründen oder bei Vorliegen eines politischen Interesses der Bundesrepublik aufzunehmen. Dass so etwas möglich ist, zeigt etwa die Aufnahme von 2500 Flüchtlingen aus Syrien. Dazu hatte sich Deutschland aus humanitären Gründen entschieden. Auch diese Flüchtlinge befanden sich zum Zeitpunkt des positiven Bescheids nicht auf deutschem Boden.

Im Falle von Snowden lehnte die Regierung eine entsprechende Prüfung am Mittwoch allerdings ab. Außenminister Guido Westerwelle erklärte, der 30-Jährige befinde sich in keiner humanitären Notlage. »Zum einen befindet sich Herr Snowden in Russland. Und Russland hat ihm nach unserer Kenntnis auch ein Bleiberecht dort angeboten. Zum anderen sind die Vereinigten Staaten von Amerika ein Rechtsstaat mit parlamentarischer Kontrolle und einer unabhängigen Justiz.«

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kritisierte die Entscheidung der Bundesregierung: »Das ist eine Schande für Deutschland, eine Schande für Europa, eine Schande für die Demokratie.« Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte die Bundesregierung auf, Snowden in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Deutschland habe in den vergangenen Jahren immer wieder Whistleblowern aus der Schweiz und Liechtenstein Zeugenschutz gewährt, die Informationen über Steuerhinterziehung herausgegeben hatten. »Bei Snowden geht es um Informationen über die Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte Hunderter Millionen von Bürgerinnen und Bürgern. Da ist der Zeugenschutz gerade im Interesse vollständiger Aufklärung und Verhinderung weiterer Rechtsverletzungen dringend geboten.« Die Vorsitzende der Linkspartei Katja Kipping sagte der »Passauer Neuen Presse«, Snowdens Verhalten zeuge nicht nur von Zivilcourage. »Es ist dem eines Friedensnobelpreisträgers würdig.«

Im Gegensatz dazu verteidigte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz die Ablehnung des Asylantrags. Er sehe dafür keinen Grund. »Ich kann nicht erkennen, dass der Mann politisch verfolgt wird«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung« (Online) aus Halle. »Er hat möglicherweise Geheimnisverrat begangen aus Gewissensgründen. Er ist vielleicht ein Held der Freiheit. Das schützt aber nicht vor den rechtlichen Konsequenzen.«

Am Mittwoch traf in Berlin das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages für die Geheimdienste zu einer Sondersitzung zusammen. Auch dort bestätigten Bundesregierung und Nachrichtendienste noch einmal, nichts von den Spähangriffen im Rahmen des Spionageprogramms PRISM gewusst zu haben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


Wanze in Ecuadors Botschaft

Appell von Assange / Estland beunruhigt **

Die ecuadorianische Botschaft in London ist nach Angaben der Regierung in Quito ebenfalls abgehört worden. »In den Büros« von Botschafterin Ana Albán sei »ein verstecktes Mikrofon gefunden worden«, sagte Außenminister Ricardo Patiño am Dienstag in Quito. Die Wanze sei bei einer Überprüfung der Räumlichkeiten vor seinem Besuch in Großbritannien Mitte Juni entdeckt worden.

Wikileaks-Gründer Julian Assange, der weiterhin in der Botschaft Zuflucht findet, hat an Deutschland und Frankreich appelliert, den früheren US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden aufzunehmen. »Die Staaten der Europäischen Union, vor allem Frankreich und Deutschland, müssen ihm den bestmöglichen Empfang bereiten, unter welchem Status auch immer«, schrieb Assange in einem am Mittwoch in der Zeitung »Le Monde« veröffentlichten Beitrag, den er gemeinsam mit dem Chef der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen, Christophe Deloire, verfasste.

Als Träger des Friedensnobelpreises 2012 müsse die EU »ihren Willen unter Beweis stellen, die Informationsfreiheit zu verteidigen, was auch immer die Sorgen vor politischem Druck seitens ihres ›besten Verbündeten‹ USA sind«, heißt es in dem Text weiter. Die EU-Staaten seien Snowden wegen seiner Enthüllungen über die Spionagetätigkeit des US-Geheimdienstes NSA »zu Dank verpflichtet«. Wenn Snowden weiterhin im Transitbereich des Flughafens von Moskau festsitzen müsse, dann würden die EU-Staaten »ihre Prinzipien aufgeben«.

Der Botschafter der USA in Estland ist nach den Enthüllungen Snowdens über US-amerikanische Lauschangriffe in Europa ins Außenministerium in Tallinn einbestellt worden. Der Diplomat solle die »beunruhigenden Medienberichte« erklären, in denen von umfangreichen Abhörmaßnahmen gegen Einrichtungen der EU die Rede ist, zitierte die Nachrichtenagentur BNS am Mittwoch einen Ministeriumssprecher.

»Estland betrachtet die Freiheit des Internets als ein sehr wichtiges Prinzip«, betonte Außenminister Urmas Paet. »Der Datenschutz und die Online-Privatsphäre müssen garantiert sein.« Das baltische Land gehört zu den Staaten mit der weltweit höchsten Nutzung des Internets.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 4. Juli 2013


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