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Snowden soll draußen bleiben

Konservative sehen im Fall des US-Whistleblowers keine Rechtsgründe für Asyl in Deutschland

Von Aert van Riel *

Grüne und LINKE wollen den früheren Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden nach Deutschland einreisen lassen und befragen. Allerdings droht ein US-Auslieferungsantrag.

Nach dem Angebot Edward Snowdens, Deutschland bei der Aufklärung der NSA-Spähaffäre zu helfen, debattieren deutsche Politiker über eine mögliche Einreise des Ex-Geheimdienstlers. Grüne und LINKE forderten, dass Snowden in Deutschland aussagt und vor einer Auslieferung in die USA geschützt wird. Ein Aufenthaltsrecht Snowdens in Deutschland oder einem anderen Land sei »rechtlich möglich«, betonte Grünen-Chefin Simone Peter in der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl, sagte der »Berliner Zeitung« hingegen, es sei fraglich, ob Snowden Asyl in Deutschland erhielte: »Wenn er keines bekäme, gäbe es den Auslieferungsantrag der Amerikaner.« Deswegen sei eine Reise Snowdens nach Deutschland problematisch. Möglich sei aber, dass eine Abordnung des Bundestages nach Moskau fahre. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sagte der »Welt«: »Wir müssen prüfen, ob eine Befragung in Russland stattfinden sollte oder in Deutschland.« Rechtsgründe für Asyl lägen aber nicht vor. Nach dem Willen der SPD soll das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages über die Befragung Snowdens entscheiden.

Diese ist in Russland jederzeit möglich. Das erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Als Russland Snowden im August dieses Jahres für ein Jahr Asyl gewährte, machte Präsident Wladimir Putin zur Bedingung, dass er den USA nicht schadet. Diese Bedingung bleibe bestehen, sagte Peskow.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) plant derweil ein neues IT-Sicherheitsgesetz, nach dem Internetanbieter verpflichtet werden, den Datenverkehr in Europa nur über europäische Netze zu leiten. Damit soll es Geheimdiensten erschwert werden, Kommunikation abzufangen. Künftig soll zudem ein »No-Spy-Abkommen« zwischen den USA und Deutschland die gegenseitige Ausspähung von Bürgern und Regierungen verhindern. Das Abkommen solle bis zum Jahreswechsel in Grundzügen stehen, berichtete die »FAZ«. Kritiker bezweifeln allerdings, dass ein »No-Spy-Abkommen« US-amerikanische Geheimdienste am Ausspionieren befreundeter Länder hindern würde.

Auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) ist in die Überwachungsaffäre verstrickt. Einem Zeitungsbericht zufolge war der BND an der Entwicklung von Systemen zur massenhaften Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation beteiligt. Der BND arbeite hierfür seit fünf Jahren mit den Geheimdiensten Frankreichs, Spaniens und Schwedens zusammen, berichtete der britische »Guardian«. Die Zeitung beruft sich dabei auf Dokumente von Edward Snowden. Die Überwachungstechnik sei in »enger Zusammenarbeit« mit dem britischen Geheimdienst GCHQ aufgebaut worden, heißt es in dem Bericht weiter.

* Aus: neues deutschland, Montag, 4. November 2013


Hotel oder Knast?

Snowdens deutsche Freunde

Von Knut Mellenthin **


Asyl für Snowden!« fordert das Hamburger Nachrichtenmagazin auf seiner jüngsten Titelseite. Da hat man über den US-Amerikaner, der die Welt über die Ausspähpraktiken seiner Regierung informierte, im Spiegel aber vor einigen Wochen sehr viel gehässigere Kommentare gelesen. Offensichtlich halten die Opportunisten, die diese Zeitschrift machen, es angesichts der Stimmung im Lande für angebracht, auf Amerika-Kritik umzuschalten. Vielleicht erklärt das, wenigstens teilweise, auch die Anwesenheit des ehemaligen Spiegel-Chefredakteurs Georg Mascolo beim Gespräch zwischen Edward Snowden und dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele in der vorigen Woche. Der frühere USA-Korrespondent Mascolo, der jetzt für einen amerikanischen Thinktank arbeitet, war in der Vergangenheit nicht gerade durch ein distanziertes Verhältnis zu den dortigen Geheimdiensten aufgefallen.

Für Snowden scheint in Deutschland bestens gesorgt. Der Sänger Udo Lindenberg hat dem Nachrichtenmagazin versprochen, er werde für den Whistleblower schon mal ein Zimmer im Hamburger Nobelhotel Atlantic »klarmachen«. Auch CDU-Mann Heiner Geißler möchte den Amerikaner gern hier sehen, und Linken-Chef Gregor Gysi sowieso.

Aber kann man dem jungen Mann, der sich nach Augenzeugenberichten gerade ein bißchen in Moskau eingelebt hat, wirklich zu einer Übersiedlung nach Deutschland oder auch nur zu einer Aussage in Berlin raten? Nein, solange wir von Leuten regiert werden, die sich nicht gegen US-amerikanischen Menschenraub wehren, sondern die man sogar im Verdacht haben muß, dabei zu assistieren.

Der warnende Präzedenzfall: Der US-Soldat Jeffrey Martin Carney, Unteroffizier bei einer Spionageabteilung in Westberlin, hatte die DDR mehrere Jahre lang mit seinen Kenntnissen bedient. 1985 ließ er sich dort nieder, wurde 1987 eingebürgert und bekam nach dem Anschluß bundesdeutsche Ausweispapiere. Die nützten ihm allerdings gar nichts, als ihn ein US-amerikanisches Geheimdienstkommando am 22. April 1991 in Berlin auf offener Straße kidnappte und in die Staaten verschleppte. Dort wurde er zu 38 Jahren Haft verurteilt, von denen er zwölf tatsächlich im Gefängnis verbringen mußte. Deutsche Regierungen mochten sich nicht einmal zu einem diplomatischen Protest zu seinen Gunsten aufraffen.

In Mailand entführte ein US-amerikanisches Kommando im Februar 2003 einen muslimischen Geistlichen und transportierte ihn mit Zwischenstation auf dem Stützpunkt im deutschen Ramstein nach Ägypten. Dort wurde er sieben Monate lang von jenen Leuten gefoltert, die heute wieder das Land beherrschen. Ein außergewöhnlich mutiges und hartnäckiges italienisches Gericht verurteilte 26 Tatbeteiligte in Abwesenheit zu Haftstrafen. Rom stellte jedoch keine Auslieferungsanträge. Etwas anderes sollte man auch von Angela Merkel und den sie umgebenden Gestalten nicht erwarten.

** Aus: junge Welt, Montag, 4. November 2013


Schutz für den Informanten

Von Aert van Riel ***

Edward Snowden kann bei der Aufklärung der Geheimdienstspähaffäre ein wichtiger Zeuge in der Bundesrepublik sein. Deswegen sollte alles daran gesetzt werden, dass er vor einem Untersuchungsausschuss aussagen kann. Hierfür muss ihm die deutsche Politik entgegenkommen. Snowden darf nicht an die USA ausgeliefert werden, sondern müsste hierzulande Asyl oder ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht erhalten. Denn Snowden ist kein Krimineller. Er hat vielmehr kriminelle Machenschaften von Geheimdiensten, die Menschen weltweit überwachen, aufgedeckt. Unions-Politiker sehen allerdings keine Rechtsgründe für Asyl. Sie könnten sich eher vorstellen, Snowden in Moskau zu befragen. Ein solches Vorgehen hätte einen Haken. Denn Russland, das Snowden für ein Jahr Asyl gewährt hat, gestattet ihm nicht, auf seinem Territorium den Interessen der USA zu schaden. So ist fraglich, ob man überhaupt wichtige Informationen von Snowden in Moskau erhalten könnte.

Die Hintergründe der vorsichtigen Haltung der deutschen Konservativen gegenüber Snowden liegen auf der Hand. Sie fürchten auch eine Debatte über die Geheimdienste hierzulande. Laut Snowden stecken nämlich der deutsche BND und die US-amerikanische NSA unter einer Decke. Wer wieder Rechtsstaatlichkeit herstellen will, muss den Geheimdiensten Grenzen setzen. Eine Bereitschaft hierzu ist bei den politisch Verantwortlichen aber nicht erkennbar – weder in den USA noch in Deutschland.

*** Aus: neues deutschland, Montag, 4. November 2013 (Kommentar)


Souveränität statt Big Brother

Von Sahra Wagenknecht ****

Die Enthüllungen über die US-Spionage zeigen: Die USA sind ein Regime der Angst. Die Überwachung des Handys der Kanzlerin sowie von Oppositionspolitikern sind nur die Spitze des Eisbergs. Ein »Weiter So!« in den deutsch-amerikanischen Beziehungen ist inakzeptabel. Es geht um die Sicherheitsinteressen Deutschlands, nicht um eine Privatsache von Merkel & Co.

Der eigentliche Skandal ist die Überwachung von Millionen Bundesbürgern, die selbst die Fantasie Orwells übertrifft und totalitäre Systeme vor Neid erblassen lässt. Die Aktivitäten der National Security Agency (NSA) sowie der Satellitendienste in Europa strafen auch die Illusion von der freien Welt des Internets Lügen: Konzerne wie Facebook, Yahoo und Google kooperieren mit den Geheimdiensten bzw. werden angezapft.

Wir verdanken die Enthüllungen dem Mut des jungen Mannes und einstigen CIA-Mitarbeiters Edward Snowden. Er ist der wichtigste Zeuge gegen diesen Angriff auf unsere Freiheit. Gerüchte, er befinde sich an Bord des bolivianischen Regierungsfliegers, veranlassten die EU-Mitgliedstaaten Frankreich, Spanien, Italien und Portugal auf Geheiß der USA, dem Präsidenten Evo Morales im Juli die Überflugrechte auf dem Rückweg von Moskau zu verweigern. Mit anderen Worten: Es wurde mit dem Abschuss der Präsidentenmaschine gedroht. Das ist eine unvorstellbare Aggression und Verletzung des Völkerrechts bzw. der Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen und zeigt die Angst der USA vor der Wahrheit. Die Vereinten Nationen verurteilten die erzwungene Landung von Morales in Wien. Die Botschaft des US-Präsidenten an Snowden lautete: Du bist außerhalb Russlands nicht sicher.

Snowden wird aber offenbar auch von Angela Merkel gefürchtet. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages im Auftrag der Linksfraktion zeigt: Deutschland könnte ohne Probleme Snowden sicheres Geleit und Asyl gewähren, insbesondere um vor einem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen. Die Bundesregierung hat jedoch kein Interesse an einem solchen Ausschuss geschweige denn einem Auftritt Snowdens. Sie müsste sich folgende Fragen gefallen lassen: Was wusste der Bundesnachrichtendienst (BND) und was wusste die Kanzlerin wann? Genau das muss aufgeklärt werden. Und der Bundestag sollte die US-Regierung auffordern, die Strafverfolgung von Edward Snowden sowie dem Whistleblower Chelsea (Bradley) Manning umgehend einzustellen. Das wäre eine Sternstunde des Parlaments.

Deutschland muss das Verhältnis zu den USA neu ordnen: Die geheimdienstliche Zusammenarbeit zwischen den USA und Deutschland ist aufzukündigen, die Bundesanwaltschaft muss strafrechtliche Ermittlungen gegen die für Spionage Verantwortlichen einleiten. Die Abhöreinrichtungen in der US-Botschaft sowie in weiteren US-Institutionen in Deutschland sind sofort zu demontieren.

Die Abkommen der Europäischen Union zum Datenaustausch – darunter der Austausch von Fluggastdaten (PNR), Bankdaten (SWIFT) und die Vorratsdatenspeicherung – sind zu annullieren. Darüber hinaus muss das geplante Freihandelsabkommen mit den USA beerdigt werden, es ist ohnehin schädlich.

Vor allem aber muss es Konsequenzen für die militärische Zusammenarbeit geben: US-Einrichtungen wie die Militärbasis Ramstein und die US-Militärhauptquartiere in Stuttgart und Wiesbaden müssen geschlossen werden. Der Generalbundesanwalt sollte auch ein Ermittlungsverfahren einleiten, um zu klären, ob von diesen Einrichtungen Drohneneinsätze zur gezielten Tötung von Menschen unterstützt wurden. Die Bundesregierung muss gewährleisten, dass US-Einrichtungen nicht für Folterflüge der CIA genutzt werden. Die taktischen US-Atomwaffen auf dem Stützpunkt Büchel sind sofort abzuziehen, eine Duldung der Lagerung durch Deutschland verletzt den Atomwaffensperrvertrag.

Die UNO-Charta sieht die Souveränität und die Gleichheit der Staaten vor dem Völkerrecht vor. Dies muss auch für die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland gelten. Spätestens mit dem 2+4-Vertrag und der deutschen Einheit sind alliierte Vorbehaltsrechte hinfällig. Es ist Zeit, die »transatlantische Partnerschaft« neu zu begründen. Eine Kanzlerin, die auch jetzt noch das business as usual fortsetzen möchte, verrät die Freiheit und verletzt ihren Amtseid: die Interessen der Bevölkerung zu schützen.

**** Aus: neues deutschland, Montag, 4. November 2013 (Kommentar)


Auch der BND schöpft Internetdaten ab

Guardian: Deutscher Geheimdienst betrieb enge Spionagekooperation mit anderen Organisationen *****

Der britische Geheimdienst GCHQ hat nach einem Medienbericht bei der Entwicklung von Internetspionagetechnik eng mit dem BND und anderen europäischen Geheimdiensten kooperiert. Die Geheimdienste Deutschlands, Frankreichs, Spaniens und Schwedens hätten in den vergangenen fünf Jahren Techniken zur massenhaften Überwachung der Internet- und Telefonkommunikation entwickelt, berichtete die britische Zeitung Guardian unter Berufung auf Dokumente des früheren US-Geheimdienst-Mitarbeiters Edward Snowden. Die Technik sei in enger Abstimmung mit dem GCHQ entstanden.

In dem Guardian-Bericht wird nicht die Behauptung aufgestellt, die europäischen Partnergeheimdienste hätten ihre Technik zur Datenüberwachung ebenso wie der GCHQ eingesetzt. Snowden hatte offengelegt, daß der GCHQ unter dem Codenamen »Tempora« mehr als 200 Glasfaserkabel angezapft hat, um auf den Internetverkehr zuzugreifen. Derweil sind die USA offenbar zum raschen Abschluß eines Antispionage-Abkommens bereit. Bei Gesprächen im US-Präsidialamt erhielten Vertreter des Kanzleramts Medienberichten zufolge eine entsprechende Zusicherung. Laut Spiegel gilt als unstrittig, daß darin auch der Verzicht auf Industriespionage stehen soll. Die Bundesregierung will von der US-Regierung laut Spiegel eine Zusicherung, daß deren Geheimdienste nicht mehr ohne Erlaubnis auf deutschem Boden technische Aufklärung betreiben dürfen.

Die deutsche Spionageabwehr sieht sich nicht in der Lage, Lauschangriffe ausländischer Geheimdienste zu unterbinden. »Das Abhören aus den Botschaften und anderen Gebäuden heraus kann die Spionageabwehr nicht verhindern«, sagte Burkhard Even, Abteilungsleiter für Spionageabwehr im Bundesamt für Verfassungsschutz, der Welt am Sonntag. »Inwieweit und zu welchem Zweck vorhandene Technik in den Botschaftsgebäuden tatsächlich genutzt wird, ist praktisch nicht feststellbar.«

***** Aus: junge Welt, Montag, 4. November 2013


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