Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

USA wollen weiter alle Welt überwachen

Auch britische Botschaft hörte mit *

Die US-Regierung will dem NSA-Geheimdienst trotz des Spionageskandals kaum Einschränkungen auferlegen. Das berichtet die »New York Times«. Präsident Barack Obama und seine Berater sehen keine Alternative zur bisherigen Praxis, große Mengen an Verbindungsdaten zu sammeln. Erwogen werde lediglich, dass diese Daten nur noch drei statt wie bisher fünf Jahre gespeichert werden. Auch sollen neue Technologien erforscht werden, mit denen die Datensätze von Telefon- und Internetanbietern direkt durchsucht werden können, statt sie auf Geheimdienst-Servern zu speichern. NSA-Chef Keith Alexander geht laut dem Bericht aber davon aus, dass eine neue Technologie frühestens in drei Jahren einsatzbereit sei. Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats von Präsident Obama, Caitlin Hayden, teilte am Montag mit, der Geheimdienst suche nach Möglichkeiten, um sicherzustellen, dass künftig »Chancen und Risiken« seiner Aktivitäten effektiver abgewogen werden können. Man müsse »sicherstellen, dass wir uns zuallererst auf Gefahren für das amerikanische Volk konzentrieren«. Zu den Gesprächen mit den Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz in Washington verlautete nur, dass die Deutschen ein deutlich größeres Interesse an einem Anti-Spionageabkommen hätten, als die US-Verhandlungspartner.

Nach einem Bericht der britischen Zeitung »Independent« besteht wie in der US-Botschaft auch in der britischen Vertretung ein Abhörzentrum. Das Auswärtige Amt hat den Botschafter zum Gespräch gebeten.

Derweil wurde bekannt, dass Brasilien, das sich heftig über die Ausspähung durch den US-Geheimdienst NSA beschwert hat, selbst nicht nur die USA, sondern auch Russland sowie den Iran und den Irak ausspioniert hat. Wie die Zeitung »Folha de São Paulo« unter Berufung auf ein ihr vorliegendes Dokument des brasilianischen Geheimdiensts Abin berichtet, habe es Spähaktionen mindestens zwischen 2003 und 2004 während der ersten Amtszeit des damaligen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva gegeben.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 6. November 2013


Die alliierten Freunde in Berlin

Spionieren? Klar, wie gehabt!

Von René Heilig **


1991 trat der sogenannte Zwei-plus-Vier-Vertrag in Kraft. Er befreite Deutschland – einschließlich Berlin – endgültig von besatzungsrechtlichen Beschränkungen. Oder etwa doch nicht?

Im Artikel 7 des Zwei-plus-Vier-Vertrages heißt es: »Die Französische Republik, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Vereinigten Staaten von Amerika beenden hiermit ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes. Als Ergebnis werden die entsprechenden, damit zusammenhängenden vierseitigen Vereinbarungen, Beschlüsse und Praktiken beendet und alle entsprechenden Einrichtungen der Vier Mächte aufgelöst.«

Das ist im Großen und Ganzen so geschehen. Doch mochten die vier Mächte ihre Verantwortung wohl nicht so ganz abgeben. Stets hatte die USA aus ihren Botschaften heraus (zuerst aus der in der Neustädtischen Kirchstraße und nun auch aus dem Neubau am Pariser Platz) ein offenes Ohr für die deutschen Belange. Seit gestern wissen wir: Das kleine Britannien steht dem nicht nach und beaufsichtigt die deutschen Freunde gleichfalls aus der Wilhelmstraße. Unter dem Dach seiner Vertretung beherbergt Botschafter Simon McDonald – laut einem Bericht des britischen »Independent« – ein schickes kleines Abhörnest.

Das hat der Whistleblower Edward Snowden offen gelegt. Man fragt sich, ob er nicht noch das eine oder andere zu den beiden restlichen Ex-Alliierten mitteilen wird. Die neue Botschaft der Republik Frankreich liegt gleichfalls in der Wilhelmstraße, von dort muss man nur zwei Ampeln Unter den Linden überqueren, um vor der russischen Vertretung zu stehen. Auch wenn die Räume über der Aeroflot-Vertretung inzwischen recht leer aussehen, so bieten der Altbau wie die Blöcke im 70er-Jahre-Beton-Look genügend Platz für Technik und Bedienungspersonal.

Sicher allerdings dürfte sein, dass die Russen, so sie es tun, auf eigene Rechnung arbeiten. Anders als Großbritannien gehören sie nicht zu dem von den USA initiierten Club der »Five Eyes«. Konzipiert wurde der 1946, als Gründungsdokument gilt ein sieben Seiten langes »British-US-Communication Agreement«, das spätere UKUSA.

Zunächst tauschten die beiden Staaten Informationen über die Sowjetunion und deren sozialistische Satellitenstaaten aus. 1948 wurde Kanada Clubmitglied, 1956 kamen Australien und Neuseeland mit ihren asiatischen Verbindungen hinzu.

Seit einigen Jahren besteht ein sogenanntes Drittpartei-Abkommen zwischen der französischen Regierung und den »Five Eyes«-Geheimen. So ist die Frage nach Aktivitäten der Pariser Botschaft nicht gar so abwegig. Auch Israel und Italien, ja sogar Schweden haben sich den »Fünf Augen« angedient.

Dennoch scheint es, dass die Beziehungen zwischen den US- und den Geheimdiensten Großbritanniens inniger sind. Seit den 1970er Jahren ist der Special Collection Service (SCS) als Gemeinschaftstruppe von NSA und CIA für die technische Überwachung aus Botschaften heraus zuständig. Nun schreibt der »Independent« unter Berufung auf NSA-Papiere, die USA hätten unlängst einige ihrer 100 SCS-Stellungen geschlossen und deren Jobs dem britischen Geheimdienst GCHQ übertragen. Das macht Sinn, denn auch bei der Internetüberwachung durch die Systeme »Prism« und »Tempora« haben sich die beiden Staaten aus Gründen der Effektivität zusammengetan.

Top-Zeugen – Snowden und Merkel

Edward Snowden wäre der wohl wichtigste Zeuge in einem Untersuchungsausschuss. Der 30-Jährige Ex-Agent hat offenbar Tausende Geheimpapiere der NSA und verbündeter Dienste »mitgehen« lassen, kennt Operationen, Codes, Personen.

Angela Merkel müsste vor den Abgeordneten berichten, in welcher Weise deutsche Geheimdienste in die globalen Spionageoperationen der Verbündeten eingebunden sind und ob sie Erkenntnisse über deutsche Staatsbürger weitergegeben haben.



Das erleichtert auch irgendwie das Abhören von Freunden, denn das Insel-Königreich ist aus zahlreichen beschränkenden Vereinbarungen der EU ausgetreten oder hat sie von Anfang an ignoriert. Zwar hat die EU Londons Premier David Cameron aufgefordert, die Aktivitäten der GCHQ in Europa zu erklären, der aber hat jede Auskunft mit Hinweis auf die nationale Sicherheit so knapp wie schnöde abgelehnt.

Zurück zur britischen Botschaft in Berlin. Luftbilder des Gebäudes zeigen eine Art weißes, zylindrisches Zelt, das von der Straße natürlich nicht gesehen werden kann. Dessen Struktur, so schreibt der »Independent« weise eine »auffallende Ähnlichkeit« mit den Horchposten auf dem Westberliner Teufelsberg auf, mit dem die NSA, die CIA, die DIA und der britische Partnerdienst GCHQ während des Kalten Krieges die Ostberliner Kommunikation aufgefangen haben.

Die britische Vertretung ist im Jahr 2000 eröffnet worden. Die der USA im Jahre 2008. Selbstverständlich mussten vor Errichtung der Gebäude entsprechende Baupläne eingereicht werden, auf denen alle baulichen Gebilde zu erkennen sind. Für die Bestätigung von Botschaftsbauanträgen ist – wie das Bezirksamt Mitte gegenüber »nd« aufatmend betonte – die Senatsbauverwaltung zuständig. Dort grübelt man noch, wie weit die eigene Verantwortung in den konkreten Fällen gegangen ist.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 6. November 2013


Zu wenig Schutz für deutsche Whistleblower

Im EU-Vergleich schneidet die Bundesrepublik nur mittelmäßig ab

Von Fabian Lambeck ***


Transparency International (TI) hat sich die Bedingungen für Whistleblower in 27 EU-Mitgliedsstaaten angeschaut. Und siehe da: Deutschland schneidet im europäischen Vergleich nicht besonders gut ab.

Der Whistleblower Edward Snowden genießt derzeit große Sympathien in Deutschland. Einige Politiker fordern bereits Asyl für den ehemaligen NSA-Mitarbeiter. Doch wie eine am Dienstag vorgestellte Untersuchung von Transparency International zeigt, gilt die Sympathie der Deutschen für Whistleblower nur außerhalb der eigenen Landesgrenzen. »Arbeitnehmer, die in Deutschland auf Missstände hinweisen, begeben sich auf Glatteis«, kritisierte Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland am Dienstag bei der Vorstellung eines Berichts zum Whistleblowing. Demnach landet die Bundesrepublik im EU-Vergleich nicht auf den vorderen Plätzen. Nur vier von 27 untersuchten EU-Staaten wird in dem TI-Bericht ein guter Schutz von Whistleblowern bescheinigt: Großbritannien, Luxemburg, Rumänien und Slowenien. In Deutschland und anderen 15 EU-Staaten gibt es nur einen »eingeschränkten Schutz«. In sieben Staaten gibt es keinen oder nur sehr geringen Schutz für Arbeitnehmer, die Unregelmäßigkeiten in der eigenen Firma aufdecken.

In dem TI-Bericht werden zudem die Bemühungen von Ländern gelobt, die die Rechte von Informanten in den letzten Jahren gestärkt hatten. Deutschland gehört nicht dazu.

Eine weitere Chance zur positiven Erwähnung erhielten Länder mit Plänen, den Informantenschutz zu verbessern: Auch hier sucht man die Bundesrepublik vergebens.

Dabei gibt es durchaus Handlungsbedarf. Nach wie vor fehle es an »klaren rechtlichen Regelungen« für Hinweisgeber, betonte TI-Deutschlandchefin Müller. Im Ernstfall droht den Whistleblowern der Rausschmiss. Nur Beamte genießen ausreichend Schutz vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen. Im Gegensatz zu normalen Arbeitnehmern dürfen sie sich bei Korruptionsverdacht an die Staatsanwaltschaft wenden.

Für Angestellte gilt in Deutschland eine »Treuepflicht« gegenüber ihrem Arbeitgeber. Sie dürfen keine ruf- und kreditschädigenden Mitteilungen verbreiten oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse weitergeben. Sie müssten also ihren Boss im Vorab darüber informieren, dass sie Verstöße melden wollen. Eine reichlich schizophrene Situation.

Das finden auch OECD und Europarat. Beide fordern von Deutschland, den Schutz für Whistleblower in der Privatwirtschaft zu verbessern. Die OECD habe Deutschland bereits Anfang 2011 eine Zweijahresfrist eingeräumt, ihre Empfehlungen umzusetzen, unterstrich Müller. Doch bislang blieb die Aufforderung folgenlos.

Seit Jahren wird in Deutschland über den besseren Schutz von Hinweisgebern diskutiert. So wollte der damalige Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) im Jahre 2008 ein sogenanntes Anzeigerecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verankern. Nachdem eine ganze Reihe von Skandalen in der Lebensmittelbranche durch Insider aufgedeckt worden waren, wollte Seehofer das BGB um den Paragrafen 612a erweitern. Der Entwurf für »eine gesetzliche Verankerung des Informantenschutzes« wurde im Juni 2008 im zuständigen Bundestagsausschuss diskutiert. Letztendlich scheiterte das Vorhaben am Widerstand in der Union. Auch die deutsche Wirtschaft lief Sturm gegen den »Denunziantenparagrafen«. Die Arbeitgebervereinigung BDA warnte: Das Gesetz würde Angestellte dazu verleiten, ihren Chefs »eins auszuwischen«.

Im Jahre 2012 präsentierten SPD und Grüne jeweils eigene Entwürfe für den besseren Schutz von Hinweisgebern. Beide Vorstöße blieben folgenlos.

Transparency Deutschland fordert nun von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sie müsse endlich tätig werden. Die SPD solle sich dafür bei den laufenden Koalitionsverhandlungen einsetzen, schließlich habe sie einen besseren Schutz von Whistleblowern in ihrem Wahlprogramm angekündigt.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 6. November 2013


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