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Snowden? Spionieren!

Gute Beziehungen zu USA gehen vor: Bundesregierung will US-Whistleblower nicht in Deutschland. Linke fordert Abstimmung des Bundestages über Asyl

Von Rüdiger Göbel *

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat verfügt, Edward Snowden soll in Deutschland kein Asyl bekommen. Auch die SPD macht sich mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen nicht dafür stark, den US-Whistleblower nach Berlin zu holen. Presseberichten zufolge prüft die Bundesregierung die Möglichkeit, ihn in Moskau anzuhören, wo er zunächst bis Sommer 2014 Zuflucht erhalten hat. Snowden machte im Sommer die Spitzeltätigkeiten des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) publik und sorgt seitdem weltweit für Schlagzeilen. In den USA droht ihm ein Prozeß wegen Geheimnisverrats und bestenfalls eine jahrzehntelange Haftstrafe. Innenminister Hans-Peter Friedrich ist gleichwohl der Meinung, für ein Asyl in Deutschland gebe es keine Grundlage. Der frühere NSA-Mitarbeiter werde in den Vereinigten Staaten nicht politisch verfolgt. Mit dieser Sicht der Dinge wertet der CSU-Politiker die Enthüllungen über die Abhörpraxis der Geheimdienste mithin als kriminellen Akt.

Eindringlich warnte am Donnerstag der Leiter der »Münchner Sicherheitskonferenz«, Wolfgang Ischinger, davor, Snowden in die BRD zu lassen. Im Deutschlandfunk erklärte er, wenn der Eindruck entstehe, daß die Bundesrepublik gemeinsame Sache mit einer Person mache, die in den USA per Steckbrief gesucht werde, dann könne das dort genausoviel Schaden anrichten wie die »Spähaffäre« in Europa. Das wäre »wahrscheinlich eine ebenso große Ohrfeige, eine ebenso große Belastung des transatlantischen Verhältnisses in der anderen Richtung«. Ischinger, der sich in dieser Woche wegen einer – schon länger geplanten – Diskussionsveranstaltung zum transatlantischen Verhältnis in Washington aufhält, beschwichtigte: In den USA werde zunehmend Verständnis für die Empörung in Europa aufgebracht. Wichtig sei nun, »neue Fundamente« für die Vertrauensbildung aufzubauen.

Gleichzeitig ist der frühere deutsche Botschafter in den USA Realist: Ischinger warnte vor zu hohen Erwartungen an ein sogenanntes No-Spy-Abkommen zwischen den USA und Deutschland. Eine solche Vereinbarung werde die US-Geheimdienste wohl nur »in sehr beschränktem Umfang« an ihren Aktivitäten hindern. Man möge doch bitte nicht vergessen, »daß Teile der Attentäter von ›9/11‹ aus Hamburg kamen«. Auch Deutschland und andere Staaten würden »zur Gefahrenabwehr« spionieren. Ischinger: »Man wird nicht erwarten können, daß plötzlich alles, was mit nachrichtendienstlicher Informationsgewinnung zu tun hat, beendet wird. Im Gegenteil!«

Das Abhören des Handys der Bundeskanzlerin erklärte Ischinger für eigentlich überflüssig. »Wer wissen will, was in der Bundesregierung gesagt, getan, gedacht wird, der ist doch relativ gut unterrichtet, wenn er schlicht und ergreifend ein paar gute deutsche Zeitungen einschließlich Spiegel liest. Dann weiß er doch, was im Bundeskanzleramt, was in der Koalitionsregierung gedacht wird. Wir sind doch eines der transparentesten Länder der Welt. Da abzuhören, ist dann ja eher lächerlich.«

Der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Hans-Georg Wieck, gab unterdessen zu bedenken, daß eine Unterredung deutscher Vertreter mit Snowden in Moskau wohl abgehört würde. »Das Gespräch wird von den Russen abgehört und auch von den Amerikanern mitgeschnitten.« Davon müsse man fest ausgehen.

Die Linke will nun den Bundestag mit der Causa befassen. Bei einer Sondersitzung am 18. November solle das Parlament darüber abstimmen, ob Snowden hier aufgenommen werden und aussagen soll. Bei der Abstimmung dürfe es keinen Fraktionszwang geben, forderte Linke-Chef Bernd Riexinger laut Osnabrücker Zeitung.

* Aus: junge welt, Freitag, 8. November 2013


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