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"Bei mir rennen Sie damit offene Türen ein"

Deutsche Geheimdienste müßten jetzt gegen die USA ermitteln. Ein Gespräch mit Hans-Christian Ströbele *


Hans-Christian Ströbele ist Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen.


Alle Welt ist empört über den Skandal, daß US-Geheimdienste fast den gesamten Datenverkehr in Europa abhören und mitschneiden. Von den USA ist man ja einiges gewohnt – sind Sie von diesen Enthüllungen wirklich überrascht worden?

Ja, das bin ich. Das ist entgegen allen Beteuerungen ein schlimmer Spionageangriff übelster Art. Und er ist wohl auch rechtswidrig und möglicherweise sogar strafbar. Es geht dabei ja nicht nur um das Abschöpfen von Telefon- und sonstigen Telekommunikationsdaten, sondern auch darum, daß der US-Geheimdienst Wanzen eingesetzt hat. Damit dringt er in den Kernbereich der privaten Lebensführung ein, was laut Bundesverfassungsgericht in Deutschland nicht zulässig ist.

Deutsche Rechtsprechung ist das eine, die außenpolitische Praxis der USA das andere. Hand aufs Herz, haben Sie den USA jemals getraut?

Nein, ich habe immer große Vorbehalte gegen Geheiminformationen aus den USA gehabt. Dazu habe ich mich immer wieder auseinandersetzen müssen, auch mit Leuten vom Bundesnachrichtendienst (BND). Die sagten mir wiederholt, Freunde seien nicht Objekt ihrer Datenspionage, Freunde spionierten sich nicht gegenseitig aus. Eine solche Haltung muß wohl revidiert werden. Nach den gesetzlichen Regelungen müßte jetzt die deutsche Spionageabwehr gegen die USA tätig werden.

Muß man nicht davon ausgehen, daß der BND bestens über die Spionage informiert war und auch die Bundesregierung Kenntnis hatte?

Der BND und die Bundesregierung beteuern immer wieder, sie hätten weder vom US-Programm »PRISM« noch vom britischen Pendant »Tempora« gewußt. Ich kann zwar nicht das Gegenteil beweisen, aber ich glaube das nicht.

Und ich werde den Verdacht nicht los, daß deutsche Geheimdienste mit Unterstützung ihrer Partner in Washington und London im Inland genau die Informationen abgreifen, die aufgrund deutscher Datenschutzbestimmungen für sie tabu sind. Daraus müssen wir als Gesetzgeber lernen, wir müssen dieses Loch schließen.

Selbst Unions-Abgeordnete sind mittlerweile entrüstet. Was meinen Sie, sollte die Bundesregierung jetzt tun? Und was glauben Sie, wird sie tun?

Sie muß zunächst dafür sorgen, daß alle Fakten auf den Tisch kommen. Jetzt sind vor allem die Bundeskanzlerin und ihr für die Geheimdienste zuständiger Staatsminister gefragt – der BND untersteht ja schließlich direkt dem Kanzleramt. Wenn sich die bisher vorliegenden Informationen bestätigen, muß die deutsche Justiz tätig werden. Schließlich geht es um Spionage, um gegnerische Spionage oder gar solche wie gegen Feinde. Ich habe mit Interesse und Zustimmung gehört, daß die Bundesanwaltschaft inzwischen schon ermittelt.

Es ist die Rede davon, bestimmte Abkommen über Datenaustausch auszusetzen ...

Das ist völlig richtig. Wegen des Datenaustausches über Flugreisende haben wir in Verhandlungen mit den USA hart gefeilscht, wir haben Kontrollen, Restriktionen und Beschränkungen in die Verträge eingebaut. Das ist alles Makulatur, wenn richtig ist, was wir jetzt erfahren haben.

Die Enthüllungen über diesen Skandal verdanken wir dem »Whistleblower« Edward Snowden. Als erste Partei hatte Die Linke vergangene Woche im Bundestag gefordert, ihm Asyl anzubieten, kurz darauf schloß sich der SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Ralf Stegner, am gestrigen Montag auch Ihr Spitzenkandidat Jürgen Trittin an. Sollten nicht alle drei Parteien gemeinsam versuchen, Druck zu machen?

Bei mir rennen Sie damit offene Türen ein. Ich will jetzt keinen Wettlauf starten, wer das Asyl für Snowden gefordert hat, aber ich glaube, ich war doch der erste. Es gibt die rechtliche Möglichkeit dazu und die muß man nutzen. Natürlich habe ich erfreut zur Kenntnis genommen, daß das andere jetzt auch fordern. Allerdings bin ich skeptisch, ob sich die Bundesregierung trauen würde – es wäre schwer mit ihrer Abhängigkeit von den USA zu vereinbaren.

Sollte man Snowden nicht für den Friedensnobelpreis vorschlagen? Wäre das nicht ein kleiner Knüller für den Wahlkampf?

Erst einmal geht es darum, Klarheit zu schaffen. Snowden muß geschützt werden, und ich hoffe, daß er in Sicherheit ist. Offenbar hat er noch viele weitere Informationen; deren Veröffentlichung sollte man abwarten, um das Ausmaß dieser Spionageangriffe ermessen zu können.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Dienstag, 2. Juli 2013


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