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Nur Blinddarm der NSA?

Ex-US-Geheimdienstler bestätigten "Special agreement" mit BND

Von René Heilig *

Dass ein BND-Mann für US-Kollegen den NSA-Ausschuss bespitzelt, ist nur die Fortsetzung einer wohlgestalteten Kooperation. Hinweise darauf gab es bei der Zeugenbefragung am Donnerstagabend zuhauf.

Der Dienst wolle »alles wissen, was die Bevölkerung, was der Einzelne tut«. Das könne man nur als »totalitäres Vorgehen« bewerten. »Das ist wirklich ein totalitärer Ansatz, den man bislang nur bei Diktatoren gesehen hat.« Die US-Regierung handele nicht nur jenseits fremder Gesetze, sie missachte auch die eigene Verfassung. Auf diese Weise gewinne sie eine »riesige Machtfülle«. Der das am Donnerstag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages sagte, heißt William Binney und war bis 2001 Technischer Direktor des größten US-Geheimdienstes. Dann stieg er aus, weil er das Konzept einer ungenierten massenhaften Informationsgier nicht mittragen wollte.

Das Konzept gebe es seit 1998, doch nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 sei es massiv ausgebaut worden. Gegen Feind wie Freund. »Das war ein Fehler, sie tun es aber immer noch«, ist sich Binney sicher.

Binney erinnerte sich auch an seinen ersten Besuch beim deutschen BND. Das war bereits 1985. Damals ging es noch um den Austausch von Informationen über die Sowjetarmee, die ostdeutsche NVA und den Warschauer Pakt insgesamt. Später habe dann der BND auch Software und Quellcodes bekommen. Der Ex-Geheimdienstler bedauerte, den Abgeordneten keine aktuelleren Fakten mitteilen zu können. Ebenso ging es dem früheren NSA-Mitarbeiter Thomas Drake, der dann bis kurz nach Mitternacht als zweiter Zeuge zur Verfügung stand. Drake arbeitete von 2001 bis 2008 beim US-Nachrichtendienst.

Die Behauptung des BND, man habe dort nichts von der massenhaften Datenüberwachung durch die NSA gewusst, sei angesichts der engen Kooperation »jenseits jeder Glaubwürdigkeit«. Dass der BND schweige, findet der Zeuge »schrecklich«, denn die Menschen hätten das Recht zu erfahren, was geschehe.

Sein Hinweis, die Bundesregierung müsse den BND zwingen, seine Aktivitäten transparenter zu machen, und dafür geradestehen, fiel bei einigen Unionsabgeordneten offenbar nicht auf Zustimmung. Der Zeuge sage »inhaltlich fast nichts, Neues schon gar nicht« und sei eine »Enttäuschung«, meinte Unionsobmann Roderich Kiesewetter. Und als Drake dann noch sagte, er hätte – als er noch in Deutschland spionierte – nie gedacht, dass die NSA eines Tages die effiziente Stasi übertreffen werde, hielt sich CDU-Mann Tankred Schipanski nicht mehr zurück. »Hier unweit ist eine Mauer. Wir hatten 163 Maueropfer.« Und es gebe Todesopfer der Stasi. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund wundere er sich schon sehr über die Gleichsetzung von Stasi und NSA.

Doch Drake hatte nichts zurückzunehmen. Schon gar nicht seine Einschätzung, die da lautet: »Der BND ist ein Wurmfortsatz der NSA.« Über den Vergleich mit einem Blinddarm lässt sich streiten, denn eines ist der deutsche Dienst ganz gewiss nicht: blind. Und dass die USA den durchaus wichtigen Zulieferdienst irgendwann aus ihrem Geheimgeflecht entfernen, ist derzeit schwer vorstellbar.

Einerlei. Beweise, tönte es aus dem Rund der Befrager. »Ein Zeuge sollte von eigener Wahrnehmung berichten. Da kam bisher leider noch nichts. Vor allem nichts Konkretes«, twitterte Schipanski. Und Drake versuchte klar zu machen, dass man in keinem Geheimdienst einfach hergehen und sich bei den Geheimakten bedienen könne. Wohl aber habe er erfahren dass es ein »special agreement« zwischen dem BND und der NSA gebe, das nach 2002 auf ein höheres Niveau gehoben wurde. Dabei gehe es auch es auch um Datenaustausch. Deutschland habe eine wichtige Kommunikationsinfrastruktur, die wollte die NSA nutzen. Drake wählte den – wie er selbst einräumte – »historisch schwierigen« Vergleich mit dem Reichstagsbrand 1933 und meinte, der 11. September sei als eine Art Ausrede genutzt worden, um die Verfassung der USA weiter auszuhöhlen.

Oppositionsabgeordnete fordern gerade nach dem jüngsten US-Spähangriff auf den Untersuchungsausschuss, an dem der BND beteiligt ist, dass der Generalbundesanwalt endlich tun soll, wofür er bezahlt wird.

Noch zögert die Regierung. Noch hat sie offensichtlich nicht den Vorteil solcher Ermittlungen entdeckt. Zu einem laufenden Ermittlungsverfahren muss man sich weder äußern noch aktuelle Akten an den Ausschuss weiterreichen. Ganz legal.

* Aus: neues deutschland, Samstag 5. Juli 2014


»Wurmfortsatz der NSA«

Ehemalige US-Geheimdienstmitarbeiter kritisieren weltweite Massenüberwachung. Enge Zusammenarbeit mit deutschem BND bestätigt

Von Roland Zschächner **


Die beiden ehemaligen US-amerikanischen Geheimdienstmitarbeiter William Binney und Thomas Drake waren am Donnerstag vor den Untersuchungsausschuß des Bundestages zur Aufklärung der Spionageaffäre durch die National Security Agency (NSA) geladen. Binney war bis zum Oktober 2001 technischer Direktor bei der Behörde, Drake ein ranghoher technischer Leiter, bis er 2008 kündigte. Beide sind heute Whistleblower und üben öffentlich Kritik an der massenhaften Überwachung der weltweiten Telefon- und Internetkommunikation durch die NSA. Drake wurde deswegen in den USA wegen Spionage angeklagt.

Über 30 Jahre arbeitete Binney für die NSA. Er ist Geheimdienstler durch und durch: »Informationen sind Macht«. Daher sei es nicht verwunderlich, daß das Handy der Bundeskanzlerin ein Ziel sei, sagte Binney. »Jedes Staat will herausfinden, was ein anderer plant.« Als Zeuge legte er nur offen, was bereits bekannt war. Mehr als 50000 Punkte sollen laut seiner Auskunft weltweit bestehen, an denen die Internetkommunikation direkt abgeschöpft werde. Unter anderem an den Knotenpunkten von Glasfaserkabeln. Einer der wichtigsten in Europa befindet sich in Frankfurt am Main. Auch manipulierte technische Geräte werden eingesetzt. »Die NSA ist im Besitz des Netzes«, bilanzierte er. Am Donnerstag gab es neue Belege, daß auch vermeintlich sichere Kommunikationskanäle wie die »Tor«-Server unter besonderer Beobachtung der Geheimdienste stehen. Unterstützung erhält die Behörde dabei von privaten Unternehmen. Diese stellen Infrastruktur und Daten zur Verfügung – Dienstleistungen, die sie sich finanziell vergüten lassen.

Binney selbst war in den 1990er Jahren maßgeblich an der Entwicklung und Einsetzung des Überwachungsprogramms »ThinThread« beteiligt. Dabei wurden Kommunikationsdaten aus Internetkabeln direkt abgegriffen, analysiert und ausgewertet. Nun – nachdem sein Projekt abgesetzt wurde – erklärt Binney die Massenspionage zur »Bedrohung für die Demokratie«. Es handele sich um »einen totalitären Ansatz, der auf die ganze Bevölkerung abzielt«, kritisierte Binney. Drake ging noch einen Schritt weiter und nannte das Überwachungsregime der USA »präfaschistisch« und »Verfassungsbruch im industriellen Ausmaß«. Im gleichen Atemzug scheute er nicht davor zurück, haarsträubende Vergleiche mit dem Ministerium für Staatssicherheit zu ziehen. Tief sitzen alte Feindbilder: Drake war beim US-Militärs für die Spionage gegen die DDR eingesetzt.

Heute wie damals sollen die Aktivitäten der NSA die globale Hegemonie des US-Imperialismus sichern. Die modernen Technologien – das Internet ist eine Entwicklung des US-Militärs – bietet alle Möglichkeiten. Andere kapitalistische Staaten wie die BRD werden in das System eingebunden. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist für Drake daher lediglich »ein Wurmfortsatz der NSA«.

Im Jahr 1999 wurden dem BND Teile des Programms ThinThread inklusive Hardware von der NSA zum Test zur Verfügung gestellt. Laut Binney wurden keine Gegenleistungen erwarten – ein Freundschaftsdienst. Die Frage der Linksfraktion, ob er Kenntnisse über geheime Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den USA habe, bejahte Binney. Nähere Auskunft gab er dann aber nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit: Aufklärung im geheimen. Anschließend wurde das geheim tagende Parlamentarische Kontrollgremium einberufen. Die Bundesregierung gab eine Stellungnahme ab. Ein BND-Mitarbeiter war am Mittwoch verhaftet worden. Er soll für die USA spioniert und Informationen über den Untersuchungsausschuß gesammelt haben.

Auch Drake wußte von geheimen Abkommen. Seit 2002 bestünde ein solches zum Datenaustausch zwischen US-Diensten und dem BND. Darüber würden bundesdeutsche Gesetze ausgehebelt: Informationen, die legal nicht erhoben werden dürften, werden von »Partnerdiensten« gesammelt und zur Verfügung gestellt. In der Welt am Sonntag hatte Drake angekündigt, daß er über »schmutziges Wissen« verfügen würde. Er wiederholte jedoch Bekanntes: Die Bundesrepublik sei Plattform für den tödlichen Einsatz von Kampfdrohnen des US-Militärs. Außerdem würden deutsche Geheimdienste die Mordaktionen durch Informationen unterstützen.

Nichts Neues um kurz nach Mitternacht. Im Herbst sollen weitere Zeugen, auch vom BND, vernommen werden – viel ist auch dann nicht zu erwarten. Das der Untersuchungsausschuß etwas herausfinden wird, ist zu bezweifeln. Die von deutschen Geheimdiensten gelieferten Akten sind großzügig geschwärzt, und daß die US-Behörden etwas preisgeben mehr als unwahrscheinlich.

** Aus: junge Welt, Samstag 5. Juli 2014


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