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Klub der Übermächtigen

Schweizer Studie zeigt auf, wie knapp 150 Superkonzerne die Weltwirtschaft zu ihrem Spielball machen. Neue Argumente für "Occupy"-Bewegung

Von Ralf Wurzbacher *

Geld regiert die Welt. Das weiß heute fast jeder. Aber geht es auch etwas genauer? Neuerdings schon. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich haben akribisch nachgebohrt und Beängstigendes ans Licht befördert. Nach ihren Erkenntnissen halten gerade einmal knapp 150 multinationale Konzerne die Fäden des weltweiten Wirtschaftsgeschehens in der Hand. Bezeichnend außerdem: Den Löwenanteil dieser Übermächtigen stellen Unternehmen aus der Finanzindustrie. Die Befunde kommen zur rechten Zeit und sind Wasser auf die Mühlen der globalisierungskritischen Bewegung. Ihre Losungen »Occupy Wallstreet« oder »Occupy Frankfurt« treffen die Richtigen, sprich die verborgenen Strippenzieher des Systems.

Umfassender Ansatz

James Glattfelder, Stefano Battiston und Stefania Vitali von der Schweizer Vorzeigehochschule sind die Frage nach Art und Umfang ökonomischer Vorherrschaft anders angegangen als sonst. Sie begnügten sich nicht damit, nur plump das Geld der großen Zampanos zu zählen, um deren Machtfülle allein von Umsatz- und Profitvolumina abzuleiten, wie dies etwa das US-Wirtschaftsmagazin Fortune mit den »Global 500« alle Jahre wieder macht. Ihr Ansatz ist umfassender: Die ETH-Systemspezialisten nehmen die vielfältigen Geschäftsverbindungen in den Blick, die ein Konzern zu anderen Firmen unterhält und entschlüsseln auf diesem Wege Netzwerke korporativer Kontrolle.

Für ihre Studie »Network of Global Corporate Control« haben die Wissenschaftler die Datenbank Orbis der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) durchforstet. Darin sind Kennzahlen zu praktisch allen weltweit tätigen Firmen und Wirtschaftsakteuren zusammengetragen. Aus den für 2007 erhältlichen Informationen von 37 Millionen Marktteilnehmern filterte das Forscherteam in einem ersten Schritt 43000 Unternehmen heraus, die grenzüberschreitend Geschäfte machen. Diese Transnationalen bringen es auf insgesamt über 400000 Beteiligungen, aber nur eine kleine Gruppe von 1318 Konzernen ist mehrfach und wechselseitig über mindestens zwei, im Durchschnitt 20 Bande miteinander verwoben. Sie bilden damit ein engmaschiges Netzwerk reziproker Abhängigkeiten und üben darüber gewaltigen Einfluß auf die Weltökonomie aus. Ihr Anteil am Gesamtumsatz aller international agierenden Unternehmen beträgt 20 Prozent, über ihre direkten oder indirekten Beteiligungen kontrollieren sie allerdings satte 80 Prozent.

Das namhafte Wissenschaftsmagazin New Scientist, das als erstes von der Untersuchung berichtete, titelte angesichts des Befundes: »Enthüllt – das kapitalistische Netzwerk, das die Welt regiert«. Am Wochenende hatten sich mehrere Schweizer Zeitungen des Themas angenommen, nach einigem Zögern zogen auch deutsche Medien nach. Für Aufsehen sorgt im speziellen die Zahl 147. Sie steht für das Konzentrat der Weltherrschaft schlechthin und umfaßt jene zwölf Dutzend Megakonzerne, die auf dem Wirtschaftsparkett die Strippen ziehen. Diese aufs engste miteinander verflochtene geschlossene Gesellschaft (»super-entity«) hat die Verfügungsgewalt über rund 40 Prozent der Weltwirtschaft. »Die Konzentration der wirtschaftlichen Kontrolle, die wir gefunden haben, ist enorm«, befand der ETH-Forscher Battiston gegenüber der Schweizer Zeitung Der Sonntag. Er hat bereits gemeinsam mit Nobelpreisträger Joseph Stiglitz Analysen zu Wirtschaftsnetzwerken veröffentlicht.

Ganz oben im elitären Club der 147 steht die britische Barclays-Bank. Unter die ersten zehn schaffen es allein sechs US-Konzerne, darunter J.P. Morgan (Platz 6) und Merrill Lynch (10). Die französische AXA (3) und die Eidgenössische UBS (9) vertreten Kontinentaleuropa in der Spitzengruppe. Die Deutsche Bank ist die Nummer zwölf, zusammen mit der Allianz (28) landen nur zwei deutsche Unternehmen im vorderen Feld. Platz 50 nimmt die chinesische Petrochemical Group ein, der einzige Konzern in den Top 50, der keine Bank, Versicherung, Fonds- oder Investmentgesellschaft ist. Das hat System: Drei Viertel der Überkonzerne sind Teil der Finanzbranche. Weil sie untereinander mittels mannigfaltiger, teils hochspekulativer Instrumente wie Krediten und Kreditausfallversicherungen verschränkt sind, kontrollieren sich die Protagonisten der Supereinheit vollständig gegenseitig. Und faktisch ist kein Konzernlenker mehr Herr über den eigenen Laden.

Steilvorlage für Bewegung

Für die an Stärke gewinnende »Occupy«-Bewegung rund um den Globus ist die ETH-Studie eine Steilvorlage. Mit der Belagerung der Börsenplätze dieser Welt wurde die richtige Standortentscheidung getroffen. Die irrwitzige Machtballung in den Händen ein paar weniger Weltenlenker entblößt nicht nur die Lächerlichkeit des liberalen Mantras vom freien Wettbewerb und der Selbstregulierung der Marktkräfte. Sie ist auch die Negation ökonomischer Stabilität und nicht zuletzt der Demokratie. Mit dem Grad der Vernetzung steige auch das »Ansteckungsrisiko im wirtschaftlichen Krisenfall«, konstatieren so auch die ETH-Forscher. »Das Gesamtsystem wird so instabiler, weil sich Probleme leicht ausbreiten können.«

Wo es hinführt, wenn ein Dominostein im wackligen Gefüge der Abhängigkeiten zu Fall kommt, hat der Lehman-Crash 2008 eindrucksvoll demonstriert, dessen Erschütterungen bis heute fortwirken. Dabei ist die Vernetzung selbst so etwas wie die Lebensversicherung der Superkonzerne. Engmaschige Unternehmensbeteiligungen sind nicht nur eine gängige Antiübernahmestrategie. Sie entfalten auch eine gewaltige Erpressungskraft gegenüber der Politik und den Nationalstaaten. Der Sonntag schrieb dazu: »Die UBS ist nicht nur ›too big to fail‹ für die Schweiz, sondern ›too connected to fail‹ für die Welt.«

* Aus: junge Welt, 28. Oktober 2011


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