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Ratlosigkeit im Geisterschloss von Davos

Weltwirtschaftsforum: Die globale Wirtschaftselite will sich vom Staat aus der Krise helfen lassen

Von Urs Fitze, Davos *

Ein Sanatorium zur Kurierung der kriselnden Wirtschaft hätte das diesjährige Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos sein sollen. Ein reichlich vermessener Anspruch: Es herrschte an den fünf Tagen vor allem Ratlosigkeit.

Ein Gespenst ging um im zum Weltwirtschafts-Sanatorium umfunktionierten Davoser Kongresszentrum: Protektionismus. Eigentlich hatten die versammelten Heerscharen von Wirtschaftsführern ja geglaubt, sie hätten es längst verscheucht mit ihrer im Kern zutiefst anarchischen Zauberformel, die an die Ursprünge der Menschheit erinnert: Freihandel sowie ein bestenfalls für Sicherheit und Infrastruktur zuständiger Rumpfstaat. Doch dieses System, in den 80er Jahren von Ronald Reagan und Margaret Thatcher auf dem politischen Parkett salonfähig gemacht, hat kläglich versagt. Jenen, die sich das ewige Wachstum und den ewigen großen Profit davon versprochen hatten, ist das Geld ausgegangen – und auch das zunehmend selbstherrlicher gewordene Gehabe hat sich verflüchtigt. Der Staat, also die ganze Gesellschaft, muss es jetzt richten. Das war am WEF eine unüberhörbare Botschaft der zu Bittstellern gewordenen Manager.

Deren Welt steht Kopf. Der Ruf nach dem – gerade noch als unfähig und inkompetent geschmähten – Staat war indes stets verbunden mit einer Aufforderung: dass sich, wenn die Dinge wieder im Lot und die in die Billionen gehenden Verluste sozialisiert sind, die Regierungen wieder zurückziehen sollen, um das Geschäft erneut jenen zu überlassen, die den Schlamassel angerichtet haben. Doch das waren schon leicht verzweifelt klingende Appelle unbelehrbarer Marktgläubiger.

Derweil schicken sich mehr und mehr Staaten an, in ihren viele Milliarden schweren Stützungspaketen der eigenen Wirtschaft einen protektionistischen Sonderbonus einzuräumen. Das ist nicht einfach billiger Populismus, um wiedergewählt zu werden, wie es am WEF öfters kritisiert wurde, sondern wohl schlicht Realpolitik. Was danach kommt, wusste beim Weltwirtschaftsforum niemand. Denn die fast gebetsmühlenartig vorgetragenen Appelle, internationale Institutionen wie den IWF oder die Weltbank dahingehend zu reformieren, dass sie künftig nicht nur in Entwicklungsund Schwellenländern, sondern auch bei den Financiers, den entwickelten Staaten, ein wirtschaftspolitisches Wort mitreden, dürfte Wunschdenken bleiben. Zu erwarten ist eher das Gegenteil: gestärkte Nationalstaaten und deutlich geschwächte multinationale Konzerne.

Auch ein guter Geist war unterwegs am Zauberberg: jener von Barack Obama. Der US-Präsident hatte es wohlweislich unterlassen, persönlich aufzutreten – ein Signal wohl auch, dass die neue Administration der Innenpolitik vorerst weit mehr Beachtung schenken wird oder muss. Der Auftritt von Obamas Beraterin Valerie Jarrett glich mehr einer Wahlkampfrede als einer politischen Standortbestimmung. Noch nicht einmal das Orakel von Delphi wäre wohl in der Lage gewesen, daraus irgend etwas Substanzielles abzulesen. Und dennoch: Obama galt auch beim WEF als einer der sehr rar gewordenen Hoffnungsträger, der schon kraft seines Charismas in der Lage sein soll, den Karren aus dem Dreck zu ziehen.

Dies trägt, ähnlich wie die Hoffnungen auf die politisch weitgehend machtlosen internationalen Institutionen, irrationale Züge. Ein deutliches Zeichen der großen Ratlosigkeit, die die wirtschaftlichen und politischen Eliten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos erfasst hat.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2009

Neue Töne der alten Schule

Weltwirtschaftsforum in Davos: Banker üben sich in Bescheidenheit

Von Urs Fitze, Davos **


Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos herrscht in diesem Jahr eine ungewohnte Ernsthaftigkeit. Konkrete Resultate sind aber nicht zu erwarten.

Helikopterknattern, Limousinen im Stau, Stacheldraht um Luxushotels und Kongresszentrum, Tausende von Soldaten und Polizisten: »Es ist jedes Jahr dasselbe Theater am Weltwirtschaftsforum«, meint die Inhaberin eines Souvenirladens an der Hohen Promenade, der kleinen Davoser Einkaufsmeile. Doch eine bislang ungekannte Knausrigkeit hat die Kunden aus der Welt des Weltwirtschaftsforums (WEF) erfasst. »Die Russen sind sonst doch so großzügige Menschen. Nun schauen sie, was die noch kaufen.« Und die Amerikaner? »Ein T-Shirt. Das ist alles.«

Was ist los am »Zauberberg«, an dem jahrelang das Hohelied der Marktwirtschaft gesungen wurde und ein schier grenzenloser Optimismus herrschte, der zunehmend irrationale Züge annahm? Am WEF wurde jahrelang über die Heilung der Welt geredet, doch faktisch beschwor man das immer gleiche Medikament: Deregulierung, Freihandel und Unternehmertum. Noch vor einem Jahr hatten nicht wenige »Davos Men« in schwer zu überbietender Überheblichkeit davon gesprochen, die »Subprime-Krise« sei ein nationales Problem der USA.

Ausgerechnet diese Versammlung von notorischen Schönrednern, die entscheidend dazu beigetragen haben, den Karren an die Wand zu fahren, soll sich nun daran machen, »die Welt nach der Krise zu gestalten«? Ein vermessener Anspruch, selbst wenn sich hier Dutzende Staats- und Regierungschef, 1500 Spitzenmanager und Vertreter aus Wissenschaft, Religion und Gesellschaft ein Stelldichein geben. Doch jetzt, wo der Lack ab ist, hat der Ton gewechselt. An den Podiumsveranstaltungen, die früher oft nicht mehr als Werbeplattformen für Politiker und Unternehmer in eigener Sache waren, wird plötzlich rege und offen diskutiert – und Asche aufs Haupt gestreut. Bankiers wie Walter Kielholz von der Credit Suisse entschuldigen sich für ihre Fehlleistungen. Das bislang Unvorstellbare, die größte Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, »öffnet uns allen die Augen«, wie es der Theologe und Buchautor Jim Wallis ausdrückt. Offen erschallt auch der Ruf nach neuen Spielregeln für einen Kapitalismus, der sich in der Form des Neoliberalismus praktisch selber aus dem Spiel gebracht hat.

Doch folgen dem großen Jammern auch die großen Taten? Zumindest die Konturen einer künftigen Ordnung – oder Unordnung – der Weltwirtschaft lassen sich erahnen. Die Unternehmer und Manager sind kleinlaut geworden und scheinen sich neuen Regeln unterordnen zu wollen, auch wenn manche schon darüber nachdenken, wie diese Einschränkungen dereinst wieder rückgängig gemacht werden könnten. Doch wie die »unsichtbare Hand des Marktes«, die sich, zumindest vorläufig, in Luft aufgelöst hat, ersetzt werden könnte, davon haben weder Manager noch Politiker eine wirkliche Vorstellung. »Alles ist möglich«, sagt Jean-Claude Trichet, Präsident der Europäischen Zentralbank. Alles – und damit wohl auch nichts. Als Realist gab sich der russische Premier Wladimir Putin, der betonte, ohne protektionistische Maßnahmen werde man die Krise nicht bewältigen. Gleichzeitig warnte ausgerechnet er davor, Unternehmen zu verstaatlichen.

Selbstkritisch gab sich der Präsident der britischen Großbank HSBC: »Zu lange haben wir bei unserem Geschäft nur darauf geachtet, ob es rentabel und legal ist. Das war ein großer Fehler.« Jetzt gelte es, die Regeln neu zu definieren, und das heiße auch: »All unser geschäftliches Tun und Lassen braucht als Basis eine Ethik, gemeinsame Werte, denen wir uns alle verpflichtet fühlen.«

** Aus: Neues Deutschland, 2. Februar 2009


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