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Einigkeit bei den G20: Yes we should

Nach dem Treffen der guten Absichten soll es vor allem Barack Obama richten

Von Max Böhnel, New York *

Der Weg zu einer allseits geforderten neuen globalen Finanzarchitektur ist lang. Der Weltfinanzgipfel der G20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, kam am Wochenende erwartungsgemäß über eine Absichtserklärung nicht hinaus.

Unter »historisch« wollten es viele Teilnehmer am G20-Gipfel in New York bei ihrer Bewertung nicht machen. Der derzeit der G20 turnusmäßig vorstehende Luiz Inácio »Lula« da Silva, seines Zeichens Präsident Brasiliens, sprach von einem »historischen Tag« und verließ New York nach seinem bilateralen Treffen mit Chinas Präsident Hu Jintao »mit der Gewissheit, dass die politische Weltkarte eine neue Dimension erreicht hat«. Die G8 sind Geschichte, es leben die G20.

Deutschlands Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sah die »historische Dimension« des Weltfinanzgipfels ein wenig anders: »Der Schock war immerhin so groß, dass zum ersten Mal seit Beendigung des Zweiten Weltkrieges sowohl Industrieländer als auch Schwellen- und Entwicklungsländer mit dem gemeinsamen Willen zusammengekommen sind, ein vorsorgendes und regulierendes System aufzubauen, um eine zweite derartige Krise zu verhindern.« Viel Optimismus auf der Basis eines fünfseitigen Abschlussdokuments, in dem eine engere Zusammenarbeit angemahnt wird, um das Finanzsystem mit internationalen Regulationsmechanismen stabilisieren zu können. Konkrete Vorschläge wurden jedoch nicht genannt. Als Ursache der Krise sind vage »einige entwickelte Länder« genannt. Da darüberhinaus von Sanktionsmöglichkeiten keine Rede ist, wird das Treffen als Gipfel der guten Absichten in die Geschichte eingehen.

Der Gastgeber und im Januar aus dem Amt scheidende USA-Präsident George W. Bush forderte, die Finanzmärkte müssten »transparenter und verantwortlicher« gemacht werden, betonte aber mehrfach, Marktwirktschaft, Kapitalismus und Freihandel dürften nicht durch »Protektionismus« beeinträchtigt werden. Das Treffen werde »die Probleme der Welt nicht lösen«, es sei nur der »Anfang einer Reihe von Treffen«. Erst am 30. April 2009 soll nach Angaben des französischen Premiers Nicolas Sarkozy ein Folgetreffen in London stattfinden. Der Zeitpunkt ist mit eindeutigem Blick auf den Bush-Nachfolger Barack Obama gewählt, der dann drei Monate Amtszeit hinter sich haben wird und »100 Tage danach« erstmals Rechenschaft ablegen wird. Obama hatte sich von dem Weltfinanzgipfel ferngehalten und stattdessen Beobachter entsandt. Trotzdem ließ es sich »President-elect« nicht nehmen, am Samstag in seiner ersten Radioansprache an die Nation auf den G20-Gipfel einzugehen. Von Chicago aus dankte Obama Bush für seine Gastgeberrolle. Die globale Krise erfordere »eine koordinierte globale Antwort«. Wenn der USA-Kongress nicht schleunigst ein nationales Konjunkturprogramm verabschiede, werde er dies als Präsident »zur Priorität« erklären.

G20 einigen sich auf Sechs-Punkte-Plan [1]

  • Stabilisierung des Finanzsystems: Bisherige »energische Anstrengungen« sollen fortgesetzt und, wenn nötig, um weitere Maßnahmen ergänzt werden.
  • Währungspolitik: Stützungsmaßnahmen der Zentralbanken werden befürwortet, sofern sie den nationalen Umständen angemessen erscheinen.
  • Ankurbelung der Konjunktur: Angemessene finanzpolitische Schritte zur raschen Stimulierung der Binnennachfrage werden empfohlen. Dabei soll jedoch darauf geachtet werden, dass sich die Staatshaushalte nicht völlig überschulden.
  • Finanzhilfen: Schwellen- und Entwicklungsländer sollen beim Zugang zu Krediten unterstützt werden. Der Internationale Währungsfonds wird für zuständig erklärt und aufgefordert, sich flexibel zu zeigen.
  • Entwicklungshilfe: Die Weltbank und andere Entwicklungsbanken werden aufgefordert, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen.
  • Internationale Finanzinstitutionen: Internationaler Währungsfonds und Weltbank sollen ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden, damit sie bei der Bewältigung der Krise die ihnen zugewiesene Rolle spielen können.


* Aus: Neues Deutschland, 17. November 2008

[1] Zur Abschlusserklärung des Gipfels geht es hier: Declaration of the Summit ....


Ergebnisse sind nur Kosmetik

ND-Interview mit Alexis Passadakis, attac **

Attac hatte zu Protesten gegen den G20-Gipfel aufgerufen und sich am »Global-Action-Day« beteiligt. Wenn nicht die G20, wer sollte dann Maßnahmen gegen die Finanzkrise beraten?

Die G20 sind im Gegensatz zur G8 deutlich repräsentativer. Tatsächlich sind sie aber auch nur ein neuer exklusiver Klub, bei dem viele Akteure nicht mit am Tisch sitzen. Deshalb fordern wir, dass die Verhandlungen unter dem Dach der Vereinten Nationen stattfinden und alle Länder beteiligt sind. Zudem müssen auch andere gesellschaftliche Akteure einbezogen werden, beispielsweise Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen. Nur dann könnte es zu Ergebnissen kommen, die auch zu mehr Gerechtigkeit im Weltwirtschaftssystem führen.

Was steckt hinter den Ankündigungen der 20 Staatschefs, eine »lückenlose Überwachung« einzuführen, und was ist von den geplanten Maßnahmen zu erwarten?

Transparenz und Überwachung können nie schaden. Doch letztendlich geht es darum, weitere Schritte zu gehen: Wir müssen die Finanzmärkte schrumpfen, das heißt, Kapital herausnehmen und Umverteilung organisieren, um den ökonomischen Ungleichgewichten dieser Welt zu begegnen. All das steht aber nicht auf der Agenda der G20. Im Wesentlichen sind die geplanten Maßnahmen und Ankündigungen nur Kosmetik.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) wird als die neue globale Kontrollinstitution gepriesen: Taugt das Gremium als Finanzpolizei?

Es ist erschreckend, dass gerade die Institution gestärkt werden soll, die durch ihre Liberalisierungsund Deregulierungspolitik einer der Brandstifter der Finanzkrise ist. Die Struktur des IWF ist ungerecht: Diejenigen, die das meiste Kapital einlegen, haben auch die meisten Stimmrechte. Die EU und die USA haben dort sehr großen Einfluss. Entwicklungs- und Schwellenländer sind dagegen deutlich unterrepräsentiert. Die Funktion des IWF als Geldgeber muss regionalisiert werden. Ein Vorbild könnten Banken wie die neue lateinamerikanische Banco del Sur sein. Beim IWF hingegen besteht kein Interesse, das Ungleichgewicht der Weltwirtschaft zu ändern. In den letzten Wochen setzte der Fonds seine Politik der neoliberalen Strukturanpassungsmaßnahmen unverändert fort. Diejenigen, die unter dem Scheffel des IWF stehen, bekommen die gleiche Medizin wie immer.

Welche Maßnahmen müssten denn jetzt ergriffen werden, um die Folgen zu mindern und weitere Krisen zu verhindern?

Wir müssten sofort die Wechselkurse stabilisieren und wirkungsvolle Konjunkturprogramme erarbeiten. Die Programme sollten vor allem global koordiniert werden, damit sie wirken. Um soziale und ökologische Ungleichheiten zu beseitigen, müsste mittel- und langfristig umverteilt werden.

Im April soll es einen zweiten G20-Gipfel in London geben. Bleibt ein UN-Finanzgipfel ein Traum?

Bei der UN gibt es derzeit immerhin eine eigene Arbeitsgruppe unter Leitung von Joseph Stiglitz, die sich mit der Finanzkrise beschäftigt. Es ist aber mittlerweile klar, dass die Vereinten Nationen in diesem Prozess keine größere Rolle mehr spielen werden. Ich denke schon, dass die G20 letztendlich der Rahmen sein werden, der sich durchsetzen wird. Wir werden nun überlegen, wie man mehr Druck aus der Zivilgesellschaft auf die G20 ausüben kann.

** Alexis Passadakis ist Politikwissenschaftler und Mitglied im Attac-Koordinierungskreis. Mit ihm sprach Susanne Götze.

Aus: Neues Deutschland, 17. November 2008



Absichtsgipfel

Von Martin Ling ***

Theoretisch hat Peer Steinbrück vielleicht nicht unrecht: »Es gab niemals einen besseren Zeitpunkt, um das Weltfinanzsystem zu reformieren. Das Fenster der Gelegenheit war noch niemals so weit offen wie derzeit.« Praktisch war der Weltfinanzgipfel von vornherein ein Gipfel der überzogenen Erwartungen. Gingen der oft als Vergleich bemühten Konferenz von Bretton Woods über zwei Jahre intensivster Vorbereitungen voraus, so dem New Yorker Treffen nur hektische Vorüberlegungen – überschattet vom Krisenmanagement in den jeweiligen Nationalstaaten.

Dementsprechend karg ist das Ergebnis: Ein kleinster, gemeinsamer Nenner, künftig die Finanzmärkte so zu regulieren, dass eine Wiederholung dieser weltmarkterschütternden Krise doch bitte- schön ausbliebe und das Versprechen, der jetzigen Weltrezession mit nationalstaatlichen Konjunkturprogrammen im Rahmen der Finanzierbarkeit zu Leibe zu rücken.

Das Pendel schlägt wieder ein wenig in Richtung des rheinischen Kapitalismus – weg von der marktradikaleren angelsächsischen Variante. Wie weit, entscheidet nicht zuletzt Barack Obama.

Die Grundproblematik blieb in New York indes gänzlich unberührt. Auch die G20 sind ein exklusiver Staatenklub, in dem sich wenige Staatschefs anmaßen, über das Los von Milliarden von Menschen zu entscheiden. Ihre Sorge gilt dem Fortbestand eines Wirtschaftssystems, das im Norden wie im Süden zuallererst den Eliten dient. Alles andere ist Nebensache.

** Aus: Neues Deutschland, 17. November 2008 (Kommentar)




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