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Aktionismus des G20-Gipfels

Tiefgreifende Reform des Finanzmarkt-Kapitalismus ist notwendig

Von Jörg Huffschmid *

Nie hat eine Finanzkrise soviel Aktivität ausgelöst wie die gegenwärtige: Rettungsaktionen mit dreistelligen Milliardensummen, Bürgschaften, Rekapitalisierungen, und jede Menge Regierungstreffen und -gipfel. Vorläufiger Höhepunkt war der G20-Gipfel in Washington Mitte November.

Der Weltfinanzgipfel dauerte nur ein paar Stunden, und dann verabschiedete er ein umfangreiches Aktionsprogramm. Es enthält unter fünf Überschriften 28 kurzfristige und 19 mittelfristige Maßnahmen. Die kurzfristigen sollen bis Ende März 2009 nicht nur konzipiert und konkretisiert, sondern auch bereits umgesetzt sein. Für die Diskussion und Verabschiedung der anderen ist ein weiterer Gipfel Ende April 2009 geplant. Gleichzeitig stellt die G20-Erklärung klar, dass alle Reformen auf dem Boden des Bekenntnisses zu freien Märkten erfolgen und »Überregulierung vermeiden, die das Wirtschaftswachstum behindert und die Kapitalflüsse, nicht zuletzt in die Entwicklungsländer, einschränkt«.

Mit diesem Aktionismus ist erst mal Dampf abgelassen und der besorgten Öffentlichkeit der Eindruck vermittelt, die Krise werde mit Energie und Zielstrebigkeit angegangen und gelöst. Das Problem besteht allerdings darin, dass viele der Beschlüsse so vage formuliert sind, dass über ihre Konkretisierung, wenn sie denn versucht würde, viele Monate mit unterschiedlichen Interessen gerungen werden würde. Zum Beispiel die erste Sofortmaßnahme: »Die für weltweite Rechnungslegungsstandards zuständigen Einrichtungen sollen darauf hinarbeiten, die Leitlinien für die Bewertung von Wertpapieren zu verstärken und dabei auch die Bewertung komplexer und illiquider Produkte berücksichtigen, insbesondere auch für Perioden der Anspannung.«

Von dieser Qualität sind fast alle Vorschläge. Es ist absehbar, dass bis Ende März nichts gelaufen sein wird, weil unklar ist, wohin es laufen soll. Ein Paket, das sich auf die Forderung beschränkt, Maßnahmen zu entwickeln, durch die alles, was schlecht gelaufen ist, in Zukunft besser laufen soll, taugt nicht als politische Handlungsanleitung. Wie es im April 2009 beim nächsten G20-Gipfel weitergehen wird, hängt davon ab, ob der wirtschaftliche und politische Leidensdruck noch da ist. Wenn nicht, wird das Programm begraben und vergessen. In gleicher Weise waren Ende der 1990er Jahre die Pläne für eine »Neue internationale Finanzarchitektur« in der Versenkung verschwunden, als klar wurde, dass die Asienkrise nicht in die Finanzzentren überschwappen würde. Wenn die Finanzkrise im Frühjahr 2009 allerdings noch anhält, wofür viel spricht, wird der neue Gipfel sich eine neue Strategie überlegen müssen, damit fertig zu werden.

Von den Aufträgen dieses G20-Gipfels ist nichts zu erwarten. Dennoch schaffen sie die Möglichkeit, die kurze Zeit zu nutzen und in einer aufmerksam gewordenen Öffentlichkeit konkretere Vorschläge zur Überwindung der Finanzkrise zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Hierzu fehlt es nicht an Konzepten. Die EuroMemorandum-Gruppe schlägt beispielsweise einen »demokratischen Umbau des Finanzsystems in Europa« vor. Er besteht aus Sofortmaßnahmen, mittelfristigen Reformen und einer Langfristperspektive.

Die erste Sofortmaßnahme wäre die Verstaatlichung eines relevanten Teils der führenden Banken in den großen EU-Mitgliedsländern. Ziel ist, die wesentlichen Funktionen des Finanzsystems – Sicherung der Zahlungssysteme, Kreditversorgung der Wirtschaft und Sicherheit der Einlagen – zu gewährleisten und dem erpresserischen Blockadeverhalten der Banken zu entziehen. Mittlerweile wird auch von Seiten der Regierungen immer wieder betont, dass die Sicherung dieser Funktionen ein äußerst wichtiges öffentlichen Gut sei und dass die privaten Banken dieses Gut nicht nur dramatisch beschädigt haben, sondern seine Lieferung auch weiterhin verweigern.

Die zweite Sofortmaßnahme sollte in einem Verbot der Aktivitäten bestehen, die in den letzten Monaten die Finanzspekulation angeheizt und die Krise ausgelöst haben: Handel mit Kreditpaketen, Auflage und Vertrieb völlig undurchsichtiger »strukturierter Produkte«, Kreditaufnahme zum Zwecke der Spekulation oder der Finanzinvestitionen u.a.m.

Die erste mittelfristige Reform zielt auf eine gründliche Neuausrichtung der Banksysteme und der Wertpapiermärkte ab. Dabei sollte das Geschäftsmodell von Banken klar auf die Entgegennahme von Einlagen und die Vergabe von Krediten konzentriert werden sowie den Handel mit Wertpapieren für fremde und erst recht für eigene Rechnung ausschließen. Die Risikovorsorge bei der Kreditvergabe sollte durch Anhebung der Eigenkapitalvorschriften verbessert werden. Für die Kapitalmärkte wird eine Verminderung des Volumens und der Geschwindigkeit der Transaktionen angestrebt mit dem Ziel, spekulative Umsätze weitgehend zu vermeiden. Hierfür können z. B. Transaktionssteuern, Standardisierungsvorschriften sowie Börsenpflicht für Geschäfte ab einer bestimmten Größenordnung eingesetzt werden.

Die zweite mittelfristige Reform der Finanzsysteme stellt auf die internationale Dimension ab. Wenn gemeinsame globale Reformen nicht möglich sind, sollte die EU vorangehen. Zentral wäre dabei die Einrichtung einer starken europäischen Finanzaufsicht sowie eine Stabilisierung der Wechselkurse durch verstärkte Intervention in die Devisenmärkte. Gegen Kapitalflucht könnte sich die EU durch die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen schützen, die nach Art. 59 des EU-Vertrages in dringenden Fällen zulässig sind.

In langfristiger Perspektive ist es aber auch erforderlich, die tieferliegenden Ursachen anzugehen, die zum Aufkommen eines finanzmarktgetriebenen Kapitalismus geführt haben und letztlich auch für diese Finanzkrise verantwortlich sind: die anhaltende Umverteilung von unten nach oben und die Überführung öffentlicher Güter in privaten Reichtum, der dann auf den Finanzmärkten sein Unwesen treibt. Gegensteuerung erfordert hier die Umverteilung von oben nach unten und den Ausbau statt Abbau des öffentlichen Sektors. Das würde dann nicht nur die Finanzkrise wirksam bekämpfen, sondern auch zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung insgesamt beitragen und die Lebensverhältnisse der Menschen nachhaltig verbessern.

* Jörg Huffschmid war bis 2005 Professor für Politische Ökonomie und Wirtschaftspolitik an der Uni Bremen. Er ist Mitglied der Memorandum-Gruppe linker Ökonomen aus mehreren EU-Staaten (www.memo–europe.uni-bremen.de).

Aus: Neues Deutschland, 6. Dezember 2008



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