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Lehren für das neue Jahr

"Im neuen Jahr muss die Produktionswirtschaft für Arbeitsplätze und Umwelt gestärkt werden"

Von Rudolf Hickel *

2008 wird als Negativjahr in die Wirtschaftsgeschichte eingehen. Erstmals ist die Weltwirtschaft durch eine Finanzmarktkrise neuen Typs an den Abgrund getrieben worden. Die zerstörerischen Folgen der völlig irrealen Renditeerwartungen der Mega-Finanzinvestoren sind unübersehbar.

Seit dem Frühjahr hat sich der Niedergang des hochspekulativen Turbokapitalismus dramatisch beschleunigt. Die vergifteten Finanzmarktprodukte zwangen zu massiven Abschreibungen nicht nur bei den Banken. In Deutschland traf der Absturz des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus seit dem Herbst 2008 auf einen sich bereits abzeichnenden konjunkturellen Abschwung. Diese Wirtschaftskrise im Doppelpack kostet Vertrauen in das Bankensystem sowie Jobs, und über sinkende Steuereinnahmen wird der Einspardruck auf die öffentlichen Haushalte erhöht.

Ernsthafte Prognosen sagen zu Recht, die Wucht dieser Reinigungskrise wird sich weit über das neue Jahr hinaus negativ auswirken. Umso wichtiger ist es, die Frage zu beantworten: Was ist zu tun? Am Anfang steht eine schonungslose Analyse der Ursachen mit den zwei bitteren Erkenntnissen: Politik hat zusammen mit der staatsoffiziellen Beratungsökonomik versagt. Die Politik hat mit dieser ungezügelten Liberalisierung den Finanzmärkten die Party, allerdings auch deren jähes Ende besorgt. So lange etwa bei den Parteibossen der schwarz-grünen Koalition nicht eine ungeschminkte Selbstkritik erfolgt, bleibt der Verdacht: Die Brandstifter versuchen jetzt mit löchrigen Schläuchen das Feuer unter Kontrolle zu bringen.

Aber auch die gut bezahlte Beratungswirtschaftswissenschaft mit ihrem neoklassischen Credo von der Krisenfreiheit entfesselter Märkte hat sich mächtig blamiert. Nachdem am Anfang des Absturzes eine Schockstarre bei den Ratgebern zu erkennen war, werden jetzt wieder viele alte Parolen verkündet. Die Ursachen des Einbruchs werden weniger im Marktsystem als in der Politik aufgespürt. Immer noch ist sich die Beratungswissenschaft zu fein oder aber auch zu feige, die machtvollen Akteure sowie die falschen Anreizsysteme beim Namen zu nennen. Da wird lieber auf die Landesbanken eingedroschen, anstatt etwa die krisenverschärfende Rolle der Deutschen Bank zu kritisieren.

Die bitteren Erfahrungen aus 2008 lehren: Im neuen Jahr muss die Herrschaft der Finanzmärkte gebändigt und die Produktionswirtschaft für Arbeitsplätze und Umwelt gestärkt werden. Dazu werden vier Aktionsschwerpunkte vorgeschlagen: . Durch weltweit abgestimmte Regulierungen, zu denen auch Verbote, etwa von Leerverkäufen, gehören, müssen die Finanzmärkte wieder auf die dienende Funktion der Finanzierung der Wirtschaft vor Ort reduziert werden. . Abgestimmt mit den großen Notenbanken sollte wie jetzt in den USA die Geldmenge quantitativ gesteuert werden. Dazu gehört eine deutliche Senkung des Leitzinses der Europäischen Zentralbank von derzeit 2,5 bis zu 0 Prozent. . Auch um eine Preisspirale nach unten (Deflation) zu verhindern, ist ein massives Zukunftsinvestitionsprogramm mit einem Einstiegsvolumen von 40 Milliarden Euro dringend erforderlich. Investitionen in die öffentliche Infrastruktur (Bildung, Hochschulen, Sanierung von Gebäuden, ökologischer Umbau) nützen kurzfristig der Wirtschaft vor Ort und längerfristig künftigen Generationen. Die gezielte Anhebung des Regelsatzes für Bezieher von Sozialeinkommen sollte hinzugefügt werden. . Zuwächse bei den Löhnen nach Abzug von Abgaben sowie Inflation sind für den Umbau in eine starke Binnenwirtschaft entscheidend. In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Dezember 2008


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