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Geldkrieger unter sich

Krisentreffen von Führern der wirtschaftlich stärksten Staaten in Seoul. Der G-20-Gipfel wird den mit ihm verbundenen Hoffnungen nicht gerecht werden können

Von Rainer Rupp *

Manchmal sind es die kleinen Nadelstiche die deutlich machen, was sehr Macht und Autorität angekratzt sind. Die Supermacht USA, nach wie vor selbsternannte Führungsnation der Welt, ist nicht mehr kreditwürdig. Das zumindest verkündete am Dienstag eine Ratingagentur. Diese hat ihren Sitz allerdings nicht in den USA, sondern in China. Die bislang im Westen noch weitgehend unbekannte Dagong Global Rating warf den USA vor, ihre Schulden gar nicht zurückzahlen zu wollen und senkte die Bewertung von AA auf A-plus.

Vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen und gegenseitiger Vorwürfe kommen am heutigen Donnerstag in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Volkswirtschaften der Welt zum Gipfeltreffen zusammen. Zusammen stehen die sogenannten G-20-Länder für etwa 85 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Allerdings gerät das neoliberale Konstrukt der Globalisierung zunehmend ins Wanken. Ausgerechnet die USA versuchen jetzt, die Regeln zu ignorieren. Mit unverhohlener Währungsmanipulation und einem monetären Alleingang Richtung Inflation versucht Washington, den Weg aus der schier auswegslosen Krise zu erzwingen, in der der US-amerikanische Kapitalismus steckt. Dabei waren es die Reagan-Administration und nachfolgende Herrscher im Weißen Haus, die dieses Regelwerk anderen Ländern aufgezwungen hatten –assistiert vom Internationalen Währungsfonds IWF und der eigens dafür gegründeten Welthandelsorganisation WTO.

Hauptgrund für den jüngsten Ärger in der G20-Runde ist die Ankündigung der US-Notenbank (Fed), ihr unter dem Euphemismus QE2 (Quantitative Easying – Lockerung der Geldpolitik) bekanntes Programm umzusetzen. Dahinter steht nichts als der Versuch, mit der »Erschaffung« neuen Geldes das Haushaltsdefizit der Obama-Administration zu finanzieren. Neben dem Ankauf von weiteren Schrottpapieren zur Stützung der Banken in Höhe von 250 Milliarden Dollar will die Fed bis Juli 2011 auch Anleihen (sog. T-Bonds) des US-Finanzministeriums für 600 Milliarden kaufen. Übersetzt heißt das, die Schulden werden mit erfundenem Geld bezahlt. Dieser Taschenspielertrick hat den Makel, daß er den wirtschaftlichen Realitäten hohnspricht. Die globalen Märkte sind ohnehin mit Liquidität überflutet, mit Geld aus Konzerngewinnen, Spekulationen aller Art, und nicht zuletzt aus der Druckerpresse der Notenbanken. Dem stehen nicht in gleichem Ausmaß Anlagemöglichkeiten mit entsprechenden Profitaussichten gegenüber. Folge wird u.a. sein, daß die vorhandene Geldmenge entwertet wird, wobei der Zeitpunkt, zu dem diese Entwertung sich in den Büchern niederschlägt, auf Grund der gigantischen Zahl der Akteure nicht genau zu bestimmen ist. Diesen Inflationseffekt nimmt Washington nicht nur billigend in Kauf. Es wird sogar befürchtet, daß QE2 erst der Anfang ist. In einem Bericht des US-Finanzkonzerns Goldman Sachs heißt es, daß die Fed 4000 Milliarden Dollar drucken müßte, um eine realistische Chance zu haben, über die Stimulierung der Inflation die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Inzwischen hat sich starker Widerstand gegen diese Politik formiert. Um seine zumeist konservativen US-Kritiker ruhigzustellen beruft sich Fed-Chef Ben Bernanke gerne auf die Ikone der neoliberalen Wirtschaftstheorie, den Nobelpreisträger Milton Friedman. Bernankes Gegner aber verweisen auf Friedmans Buch »Money Mischief«, wonach der direkte Kauf von Regierungsschuldscheinen durch die Notenbank nichts anderes als »reine Inflation« ist. Dies dürfte auch die laufenden Bemühungen im US-Kongreß, die Macht der US-Notenbank zu beschneiden und ihre Aktionen transparent zu machen, zusätzlich beflügeln.

International wird sich die zu erwartende Dollarschwemme in sinkenden Dollarkursen auswirken. Das kommt einer Abwertung gleich. Dadurch werden US-Produkte auf dem Weltmarkt billiger, die Wirtschaft in den USA könnte stimuliert und mehr Leute eingestellt werden. Genau die gegenteiligen Wirkungen sind in den Ländern zu erwarten, die bisher viel in die USA exportiert haben.

Die Bedenken der G-20-Partner versuchte der innenpolitisch geschwächte US-Präsident Barack Obama zwei Tage vor dem Gipfel mit dem Argument wegzuwischen, daß kein Wachstum oder nur geringes Wachstum in den USA nicht nur eine Gefahr für die Vereinigten Staaten, sondern für die gesamte Welt darstellten. Das sehen nicht alle so. Der chinesische Vizefinanzminister Zhu Guangyao warf Washington am Montag »Unverantwortlichkeit« vor, in dieser Situation Geld zu drucken, ohne Rücksicht auf »die Auswirkungen exzessiver Liquidität auf Emerging Markets« zu nehmen. Die Russen pflichteten dem bei. Selbst der deutsche Wirtschaftsminister Rainer Brüderle bezichtigte die US-Regierung schlicht der »Währungsmanipulation«. Genau das wirft Washington wiederum China vor, weil Peking bisher seine Währung nicht so schnell und so stark wie verlangt, aufgewertet hat.

Seit dem G-20-Gipfel 2008 in Washington, wo alle Regierungen kooperiert hatten, um den Kollaps des globalen Finanzsystems zu verhindern, sind bei den Nachfolgetreffen wieder zunehmend die sich oft gegenseitig ausschließenden, nationalen Interessen der Mitgliedsländer in den Vordergrund getreten. Konkrete Maßnahmen sind dadurch weitgehend verhindert worden. Die in den bürgerlichen Medien geäußerte Hoffung, daß die G20 die drohenden »Währungskriege« und die Flucht in den Protektionismus abwenden könnten, scheint deshalb trügerisch.

* Aus: junge Welt, 11. November 2010


Kontrolle der Geldflüsse

Reform des Währungssystems wird wohl erst 2011 Thema werden

Von Dieter Janke **


Im Vorfeld des G20-Gipfels in Seoul wurden die Warnungen vor währungspolitischen Alleingängen einzelner Regierungen lauter. Doch für einen Neuanfang mit global koordinierten Entscheidungen fehlt der geballten Wirtschaftsmacht der Industrie- und Schwellenländer derzeit die Einigkeit.

Bis vor Kurzen stand die Volksrepublik China wegen ihrer Währungspolitik international am Pranger. Vor dem G20-Gipfel in Seoul hat sich der Wind gedreht: Nunmehr richtet sich die Kritik vor allem gegen die USA. Der Verzweiflungsschritt der Notenbank, aufgrund anhaltend schwacher Wirtschaftsdaten und hoher Arbeitslosenquoten für zusätzliche 600 Milliarden Dollar Staatsanleihen aufzukaufen, löste anderswo Proteste aus. Dafür sei Washington eine Erklärung schuldig, hieß es aus Peking. Die brasilianische Regierung kommentierte spöttisch, es sei nutzlos, »Geld mit dem Hubschrauber zu verteilen«. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte die USA wegen deren Geldpolitik vor der BIldung »neuer Blasen«, ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht Gefahren für die weltweite Konjunkturerholung.

Mit wachsenden Sorgen blicken Experten derweil auf Gegenmaßnahmen, zu denen sich vor allem Schwellenländer genötigt sehen könnten. Hier dürfte die Dollarschwemme den bestehenden Aufwertungsdruck der nationalen Währungen, der die Exporte belastet, noch verstärken. Hinzu kommen wachsende Ängste vor neuen Spekulationsblasen durch sogenannte »Carry-Trades«: Investoren nehmen in großem Stil Kredite zu niedrigen Zinsen in den USA auf und investieren das Geld in Regionen mit höheren Zinsen. Die Spekulanten streichen die Zinsdifferenz als Gewinn ein. Geschieht dies wie derzeit unkontrolliert, kommt es zu abrupten Währungsausschlägen.

Jene Befürchtungen teilt die Führung Chinas mit anderen neuen Schwergewichten wie Brasilien. Oder mit dem Gastgeberland des G20-Gipfels, Südkorea: »Die Regierung und die Notenbank befürchten, dass der Zustrom zu einer rapiden Aufwertung des Won führt und dass dieses Kapital später genau so schnell das Land verlässt, wie es gekommen ist, und dann die Währung in die Knie zwingt«, erklärt Michael Hellbeck, Vorsitzender der Foreign Bankers Group in Südkorea. Die Aufwertung ist voll im Gang – in nur drei Monaten stieg der Won gegenüber dem US-Dollar um 5,5 Prozent. Es kann daher nicht verwundern, wenn zahlreiche Länder derzeit versuchen, mit Kapitalverkehrskontrollen die Geldflüsse und Wechselkurse besser in den Griff zu bekommen. G20-Gastgeber Südkorea will sich für einen Schutz vor einem plötzlichen Abfluss von Kapital einsetzen – etwa mit Hilfe von Kreditinstrumenten des IWF.

Trotz der angespannten Situation ist die Wahrscheinlichkeit konkreter Beschlüsse hin zu einer Reform des globalen Währungssystems beim heute beginnenden G20-Gipfel gering. Einerseits wähnt sich ein Teil der Teilnehmerregierungen, etwa der Bundesrepublik, bereits jenseits der Wirtschafts- und Finanzkrise. Entsprechend hat der Wunsch nach Veränderung nachgelassen. Andererseits dominieren nicht zuletzt auch bei den USA derzeit nationale Interessen, die ein gemeinsames Agieren kaum zulassen.

Auch die Akteure an den Finanzmärkten gehen nicht von einer Beruhigung der globalen Währungssituation aus. Untrügliches Zeichen dafür ist der ungebremste Anstieg der Goldpreise. Eine Feinunze (à 31,1 Gramm) kostete zuletzt wieder mehr als 1400 Dollar bzw. mehr als 1000 Euro. Angesichts dieser Entwicklung plädiert Weltbank-Chef Robert Zoellick für ein »neues, kooperatives Währungssystem aus US-Dollar, Euro, Yen, Pfund und Renminbi«, in dem Gold ein Referenzpunkt für Markterwartungen sein könnte.

Jenseits der Aufgeregtheit über den Goldpreis will sich Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy für eine Reform des globalen Währungssystems einsetzen. Man müsse den Mut aufbringen, gemeinsam über neue Grundlagen einer neuen internationalen Währungsarchitektur nachzudenken, regte er an. In Seoul wird diesbezüglich aber nicht viel passieren. Dafür soll dies der Schwerpunkt des französischen Vorsitzes von G20 und G8 im kommenden Jahr werden.

** Aus: Neues Deutschland, 11. November 2010


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