Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Gewaltsplitter

Nach der Großdemonstration nimmt der Druck zu - Polizei will schneller eingreifen

Im Folgenden dokumentieren wir:



Körperverletzungen

Gewalt am Rande der Großdemonstration vor G8-Gipfel

04. Juni 2007


Bild: Indymedia[ngo/ddp] Wenige Tage vor Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm ist es am Wochenende zu schweren Ausschreitungen zwischen militanten Globalisierungskritikern und der Polizei gekommen. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen am Rande der internationalen Großdemonstration von G8-Gegnern am 2. Juni in Rostock wurden viele Menschen verletzt. Auf Seiten der Demonstranten wurden laut Demonstrationsleitung mindestens 520 Personen verletzt, darunter 20 schwer. Polizeiangaben zufolge wurden 433 Einsatzkräfte verletzt, 30 davon schwer.

Wie die Rostocker Staatsanwaltschaft mitteilte, wurden insgesamt 128 Personen in Gewahrsam genommen. Der Anwaltliche Notdienst sprach von mindestens 165 Festnahmen. Gegen zehn mutmaßliche Randalierer sei Haftbefehl beantragt worden, sagte ein Staatsanwaltschaftssprecher. Gegen sie bestehe dringender Tatverdacht wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung. Die anderen Festgenommenen seien nach der Feststellung der Personalien wieder aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden.

Zehntausende G8-Kritiker hatten in zwei Demonstrationszügen durch die Innenstadt friedlich gegen den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel protestiert. Mit übergroßen Luftballons, in bunten Kostümen, mit Fahnen und Transparenten unterstrichen die Teilnehmer aus dem In- und Ausland das Motto der Demonstration "Eine andere Welt ist möglich". Nach Veranstalterangaben nahmen rund 80.000 Menschen an den Aktionen teil, die Polizei sprach von 25.000 Demonstranten. Die Polizei war den Angaben zufolge mit 14.000 Beamten im Einsatz.

Bei der Abschlussveranstaltung am Stadthafen kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen mehreren tausend Demonstranten aus dem so genannten schwarzen Block der autonomen Szene und der Polizei. Anlass für die Eskalation sei - "nach derzeitigem Kenntnisstand" - der "Angriff" einer kleinen Gruppe von Demonstranten auf einen am Kundgebungsplatz geparkten Polizeiwagen gewesen, meint das globalisierungskritische Netzwerk Attac. An der nachfolgenden Eskalation seien "beide Seiten beteiligt" gewesen. Einem Polizeisprecher zufolge wurden die Insassen in erheblichem Maße verletzt. Dem Fahrer sei es jedoch gelungen, davon zu fahren.

Nach Darstellung der Polizei folgten "geradezu Jagdszenen auf Polizisten". Die Einsatzkräfte seien unter anderem mit Molotow-Cocktails, Fahnenstangen, Flaschen und Steinen angegriffen worden. Die zum Teil Vermummten hätten Gehwegplatten zertrümmert und sie als Wurfgeschosse benutzt. Die Polizei setzten Schlagstöcke und Reizgas ein. Dabei wurden offenbar auch Unbeteiligte verletzt. Zudem kamen Wasserwerfer und Räumfahrzeuge zum Einsatz.

Nach Darstellung der Campinski Pressegruppe begannen die gewalttätigen Auseinandersetzungen dadurch, dass Einheiten der Polizei Demonstranten direkt angegriffen und wahllos um sich geschlagen hätten. "Die Polizeikräfte sind mit erhobenen Schlagstöcken auf den noch ankommenden Demonstrationszug losgerannt und haben willkürlich um sich geschlagen", behauptet Lotta Kemper. Wasserwerfer mit Tränengas seien massiv gegen die Kundgebung und das Konzert am Stadthafen eingesetzt worden. Ebenso "willkürlich" hätten Polizisten Demonstranten mit Pfefferspray angegriffen.

Bis zum Ende der Kundgebung habe es 156 verletzte Demonstrantinnen und Demonstranten gegeben, von denen einige mit schweren Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert werden mussten sowie mindestens 532 Augen- und Gesichtsverletzungen durch Tränengas und Pfefferspray, so Kemper. Sie führt die Verletzungen von Polizisten vielfach auf den Polizei-Einsatz selbst zurück: "Daher wundern mich die hohen Zahlen an Augenverletzungen unter den Polizisten nicht. Die waren ja genau dort vor Ort, wo es zu massivem Einsatz von Tränengas kam."

Reaktionen

GdP-Chef Konrad Freiberg sagte: "Das ist eine neue Qualität der Gewalt, die fassungslos macht." Die "Explosion der Gewalt" und die große Zahl "angereister Straftäter" hätten die polizeilichen Maßnahmen vor dem G8-Gipfels bestätigt. Die Gewalttäter seien an einem friedlichen Verlauf der Demonstrationen nicht interessiert, "egal, wie sich die Polizei verhält".

Beckstein sagte, es könne "nicht hingenommen werden, dass Gewaltbereite Tränengasgranaten und Feuerwerkskörper mitbringen". Zehntausende Menschen seien nach Rostock gekommen, um friedlich zu demonstrieren. "Auch zu ihrem Schutz hätte man schärfere Vorkontrollen durchführen müssen." Der Krawall war nach Becksteins Einschätzung sorgfältig vorbereitet. Die geringe Zahl der Festnahmen sei unbefriedigend.

Der Innenexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, nannte die Vorgänge in Rostock "unerträglich". Zu klären sei, "wie es den Chaoten gelingen konnte, zumindest kurzzeitig die Oberhand zu gewinnen." Dabei müsse die Frage erlaubt sein, "ob das Verhalten der Polizei professionell war". Dem CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach zufolge geht es darum, "ob alle aus den Erfahrungen lernen oder ob es nur die Ouvertüre einer Gewaltorgie war".

Die Linkspartei, die nach eigenen Angaben mit mehreren tausend Anhängern in Rostock vertreten war, erhob gegen die Sicherheitsbehörden schwere Vorwürfe. Es seien genau die Bilder provoziert worden, "die die Bundesregierung und ihre Einsatzkräfte zur Legitimation ihrer wochenlangen Repressions-Kampagne gegen G8-Kritikerinnen und -Kritiker brauchte", sagte die Parteivize Katina Schubert. Auf vereinzelte Provokationen habe die Polizei "völlig unangemessen reagiert", kritisierten auch Linkspartei-Vize Katja Kipping und Vorstand Wolfgang Gehrcke. Die Bundesregierung trage dabei "in hohem Maße Verantwortung", da sie ein "Klima der Eskalation" geschaffen habe. Die größte Gewalt gehe im übrigen von den G8 selbst aus. "George W. Bush und Tony Blair haben viele hunderttausend Tote im Irak und in Afghanistan zu verantworten", so Kipping und Gehrcke. Mit der Entsendung von Tornado-Kampfjets nach Afghanistan sei die deutsche Regierung an diesen Kriegen beteiligt.

Die Linksabgeordnete Ulla Jelpke bezeichnete es als "Legende", dass die Polizei in Rostock strikt auf Deeskalation gesetzt habe und von "gewaltbereiten Autonomen" unvermittelt angegriffen worden sei. "Im Internet kursieren Filme, die ein aggressives Verhalten der Polizei dokumentieren. Augenzeugen berichten von Provokateuren", so Jelpke.

Organisatoren der Demonstration wie Attac und die Interventionistische Linke distanzierten sich von der Gewalt, gaben der Polizei aber ebenfalls eine Mitschuld. Polizisten aus Berlin hätten Demonstranten getreten und "ganz gezielt eskaliert", sagte Werner Rätz vom Attac-Koordinierungskreis.

GdP-Chef Freiberg nannte die Vorwürfe "absurd", übte jedoch selbst Kritik am Polizeieinsatz. "Dieser Einsatz ist schiefgegangen", sagte er. So habe es Schwierigkeiten in der internen Kommunikation gegeben und man habe mit angesehen, wie Täter ihre Rucksäcke mit Steinen füllten.

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) verurteilte die Ausschreitungen scharf. Die gewalttätigen Autonomen hätten dem Anliegen der friedlichen Globalisierungskritiker einen Bärendienst erwiesen. Mit einem "Moment der Stille" gedachten am Sonntag die Teilnehmer des G8-Eröffnungsgottesdienstes in Bad Doberan der am Vortag Verletzten.

Campinski Pressegruppe: Polizei eskaliert weiter

Die Campinski Pressegruppe erhebt inzwischen weitere Vorwürfe gegen die Polizei. Auch am Tag nach der Großdemonstration in Rostock habe die Polizei "die Strategie der Provokation und Behinderung der Proteste" fortgesetzt. So soll die Polizei angeblich nach einem Verkehrsunfall verletzte Gipfelgegner - ihr Fahrzeug habe sich überschlagen - von der Fahrbahn gedrängt und mit dem Schlagstock bedroht haben. Erst als die Autobahnpolizei und die Feuerwehr eingetroffen seien, habe sich die Situation etwas entspannt.

Des weiteren beschuldigt die Campinski Pressegruppe Polizeibeamte, einen demonstrierende Fahrradfahrer bewusst verletzt zu haben. Diese hätten am Straßenrand Einsatzwagen der Polizei passieren lassen wollen. Im Vorbeifahren sollen dann angeblich Polizisten aus ihren Fahrzeugen heraus versucht haben Radfahrer festzuhalten oder zu Fall zu bringen. "Einer wurde mit einem Gummiknüppel geschlagen, einem anderen sprühte der Beamte aus weniger als einem Meter Entfernung mit Pfefferspray direkt ins Gesicht. Damit nicht genug, mit Schlagstöcken schlugen die Polizisten aus den Fahrzeugen heraus auf die RadfahrerInnen ein", schreibt die Campinski Pressegruppe in einer Stellungnahme.

Quelle: Internetzeitung ngo-online.de, 4. Juni 2007; www.ngo-online.de

"Im besten Fall kommt nichts heraus"

Von Petra Kappe *

Kassel. Der letzte G8-Gipfel in Deutschland fand 1999 im gemütlichen Zentrum von Köln statt und verlief rundum harmonisch. Für die Entwicklung seit damals und die Radikalisierung des Protests sehen Konfliktforscher mehrere Ursachen.

Da sei einerseits die von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betriebene Gewaltdiskussion. "Es ist unverantwortlich, Gewalt geradezu herbeizureden", sagt der Kasseler Friedensforscher Peter Strutynski, der selbst am Wochenende in Rostock war. Die Razzien Anfang Mai seien "Provokationen" und "der Startschuss für die Eskalation" gewesen.

In Rostock selbst sei es "zum Aufmarsch einer nie dagewesenen Streitmacht der inneren Sicherheit" gekommen, der für die so genannten Autonomen "eine besondere Herausforderung dargestellt" habe. Für jene, "die die Randale gesucht haben, war das ein gefundenes Fressen", sagt Strutynski im Gespräch mit der WR.

Zugleich weist er den Eindruck zurück, dass der "Schwarze Block" komplett aus Gewalttätern bestehe: "Da sind ganz unterschiedliche Gruppierungen rein äußerlich vereint, da gibt es Hooligans, die nur auf Gewalt aus sind, aber der Großteil ist nicht gewaltbereit." Aus dem Block heraus sei in Rostock sogar der Versuch der Beschwichtigung unternommen worden.

Der "Schwarze Block" sei auch schon bei Demonstrationen gegen die Startbahn West aufgetreten und keine neue Erscheinung, sagt Strutynski, neu sei aber die zahlenmäßige Stärke. "3000 bis 4000 mindestens - so viele habe ich noch nie auf einen Haufen gesehen."

Über die Frage der Sicherheitsdiskussion und der Polizeitaktik hinaus sieht Strutynski eine Ursache für die Radikalisierung auch in der politischen Entwicklung. Nach der drei Jahrzehnte langen Geschichte von G6-, G7- und G8-Gipfeln, in der viele Treffen von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden seien, rückten derlei Veranstaltungen heute ins Zentrum der linken Kritik von Globalisierungskritikern, Friedens- und sozialer Bewegung.

"Die Kluft zwischen Anspruch und Ergebnissen wird immer größer", sagt der Friedensforscher. Entwicklungshilfe, Entschuldung, Afrika, Klima: Die großen Acht nähmen "kein globales Problem wirklich in Angriff". Der "Widerspruch zwischen den hehren Zielen, den Taten und dem, was die Welt braucht", werde von mal zu mal größer. Für den Konfliktforscher stellt sich daher die Frage nach dem Sinn der Gipfel. "Der Aufwand lohnt sich nicht", sagt Strutynski und fügt zynisch hinzu: "Im besten Fall kommt gar nichts dabei heraus, aber wahrscheinlicher sind falsche Beschlüsse."

* Aus: Westfälische Rundschau, 5. Juni 2007



Androhung staatlicher Gewalt

Polizei kündigt niedrige Eingriffsschwelle bei Gewalt an

05. Juni 2007


Kurz vor Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm hat die Polizei eine niedriger Eingriffsschwelle angekündigt. Zwar halte man an der Deeskalation fest. "Aber es ist natürlich klar, dass wir eine niedrige Eintrittsschwelle haben, wenn es um Gewaltstraftaten geht", sagte der Polizeisprecher Axel Falkenberg vom Planungsstab "Kavala" am 5. Juni im ZDF-"Morgenmagazin". "Die entsprechenden Techniken sind sofort da", Maßnahmen würden "sofort" ergriffen. Gipfelgegner kündigten unterdessen an, im Rahmen einer geplanten Blockade auf mögliche "Polizeigewalt" nicht mit "Gegengewalt" zu reagieren. Die Deutsche Polizeigewerkschaft kündigte einen möglichen Einsatz von Schusswaffen an. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte am 5. Juni die Beschränkung von zwei Demonstrationen auf lediglich 50 beziehungsweise 15 Teilnehmer.

Falkenberg betonte, die Polizei erwarte von den Demonstranten, "dass sie sich sehr deutlich von den Gewalttätern distanzieren". Er kritisierte, dass "einige der friedlichen Demonstranten nicht verstehen, dass Gewaltbereite hier sind, um nicht gegen den G8 zu protestieren, sondern sich mit der Polizei auseinanderzusetzen".

Bei Kooperationsgesprächen mit Globalisierungskritikern von der Kampagne "Block G8" seien "phantasievolle" Blockaden angekündigt worden. Falkenberg hob jedoch hervor, bei Behinderungen der Delegationen werde die Polizei sofort "entsprechend reagieren und polizeiliche Maßnahmen ergreifen".

Kampagne Block G8: Wir werden niemanden verletzen und auch Polizeigewalt nicht mit Gegengewalt beantworten

Die Polizei ist offenbar nicht unbedingt primär im Blick der Demonstranten. So hat die "Kampagne Block G8" am 4. Juni ausdrücklich betont: "Wir wollen bei unseren Blockaden keine Eskalation und betrachten die Polizei nicht als unseren Gegner. Wir werden niemanden verletzen und auch Polizeigewalt nicht mit Gegengewalt beantworten."

Um Teilnehmende auf die Situation gut vorzubereiten und das Konzept von Block G8 zu vermitteln, hätten bereits "hunderte von AktivistInnen" an Vorbereitungs-Trainings teilgenommen. "Die tragenden Gruppen der Kampagne werden in angespannten Situationen aktiv deeskalierend intervenieren." Bei der Großdemonstration am 2. Juni in Rostock seien es Gruppen der Kampagne Block G8 gewesen, "die aktiv und mit hohem persönlichem Risiko eine weitere Eskalation verhindern konnten", so die Gipfelgegner.

Man sei entschlossen, mit den Mitteln des Zivilen Ungehorsams die Zufahrtsstrassen nach Heiligendamm zu blockieren, heißt es weiter in der Erklärung. "Da die Politik der G8 die dramatische Spaltung zwischen Arm und Reich global immer weiter vorantreibt, haben die Auseinandersetzungen am vergangenen Samstag an dieser Entschlossenheit nichts geändert. Wir wollen auch weiterhin mit tausenden von Menschen ein entschiedenes Nein gegenüber der Politik wie der Institution der G8 äußern und für eine demokratische Globalisierung von unten einstehen", heißt es in der Erklärung der Kampagne Block G8.

Aktivisten werden aufgefordert, "sich nicht verunsichern zu lassen und sich ruhig und entschlossen an den Aktionen von Block G8 zu beteiligen." Man werde die Straßen mit den Mitteln des Zivilen Ungehorsams blockieren. "Dies ist ein bewusster Regelverstoß, der aber lediglich eine Ordnungswidrigkeit darstellt", betonen die Kritiker der G8-Politik.

"Wir fordern die Polizei eindringlich auf, sich deeskalierend zu verhalten und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren." Als konkretes Zeichen dieser Deeskalation erwarte man, "dass die Berliner Einsatzhundertschaften, die am vergangenen Samstag maßgeblich mit zur Eskalation beigetragen haben, nicht zum Einsatz kommen", heißt es bezugnehmend auf die Rolle der Berliner Polizei während der der Demonstration in Rostock.

Attac: Sitzblockaden sind keine Straftat

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac teilte mit, selbst zwar nicht zu Blockaden aufzurufen. Zahlreiche Mitglieder von Attac würden sich allerdings an den friedlichen Sitzblockaden beteiligen. "Wir haben großen Respekt vor allen Menschen, die mit den friedlichen Mitteln des zivilen Ungehorsams protestieren", so Attac.

Sitzblockaden seien "eine Ordnungswidrigkeit und keine Straftat und insofern etwa mit Falschparken vergleichbar". Das habe das Bundesverfassungsgericht 1995 in einem Urteil zu den Sitzblockaden von Mutlangen klar festgestellt. Aktionen Zivilen Ungehorsams hätten "eine lange Tradition" in sozialen Bewegungen, die von Mahatma Gandhi über Martin Luther King bis zur Friedensbewegung reiche.

Eine Konfrontation mit der Polizei werde allerdings "nicht gesucht und nicht geduldet". Umgekehrt erwarte man aber auch von der Polizei, "dass sie das rechtsstaatliche Prinzip der Verhältnismäßigkeit achtet. Friedlich Blockierende dürfen nicht verletzt werden", fordert Attac.

SPD-Politiker fordert Gummigeschosse für einen möglichen Einsatz gegen demonstrierende Menschen

Politiker der Koalition dringen auf ein "schärferes Vorgehen" gegen "gewalttätige Demonstranten". Nach Einschätzung des CDU-Bundestagsabgeordneten Ole Schröder ist die Polizei damit überfordert, der Gewalttäter im "schwarzen Block" Herr zu werden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sollte deshalb im Wege der Amtshilfe den Einsatz der GSG 9 anbieten. Der innenpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Stephan Mayer, forderte ebenfalls den Einsatz der GSG 9. Diese müsse aus dem "schwarzen Block" gezielt Gewalttäter ergreifen.

Auch der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Sebastian Edathy (SPD) trat für ein härteres polizeiliches Vorgehen gegen Gewalttäter ein. "Es sollte geprüft werden, ob wir bundesweit den Einsatz von Gummigeschossen zum Selbstschutz der Polizisten in besonderen Gefahrensituationen erlauben", sagte Edathy.

Er reagierte damit auf Forderungen der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), alle Hundertschaften der Polizei mit wirksamen Distanzwaffen auszustatten. "Da hunderte von Beamten verletzt worden sind, halte ich solche Forderungen für plausibel", sagte der SPD-Politiker.

Polizei droht mit Schusswaffeneinsatz

Nach Angaben der Polizeigewerkschaft werden die Ordnungskräfte ihre Deeskalationsstrategie ändern. "Die Polizei vor Ort wird jetzt mit Sicherheit mehr Präsenz zeigen und auch näher am Geschehen sein, um rechtzeitig reagieren zu können", kündigte Gewerkschaftschef Wolfgang Speck an. "Falls es zu weiteren Ausschreitungen kommt, wird der schwarze Block gezielt getrennt und isoliert, um die Gewalt kontrollieren zu können", so Speck. Bei einer Zunahme der Gewalt schließt er auch einen Schusswaffeneinsatz nicht aus: "Wenn ein Kollege in Lebensgefahr gerät, kann es zu einer solchen Situation kommen."

Der brandenburgische Innenminister, Jörg Schönbohm (CDU), forderte die Organisatoren der G8-Proteste auf, eng mit der Polizei zusammenzuarbeiten. "Die Chaoten" dürften keine Gelegenheit mehr erhalten, sich bei ihren Krawallen hinter friedlichen Demonstranten zu verstecken, sagte Schönbohm. Er appellierte an die globalisierungskritische Organisation Attac, sich nicht nur von der Gewalt zu distanzieren, sondern auch den zweiten Schritt zu gehen und die Gewalttäter zu isolieren.

Stegner: Organisatoren sollen sich mit Polizei solidarisieren

Innenminister Stegner warnte dagegen vor einer härtere Gangart. Das Recht auf Demonstrationen sollte auf keinen Fall weiter eingeschränkt werden, sagte er. Wenn sich viele friedliche Demonstranten an den Protesten beteiligten, "sind die Gewalttäter in der Minderheit und damit ohne Chance". Stegner forderte von den Organisatoren der G8-Proteste, "dass sie sich klar mit der Polizei solidarisieren".

Die Polizei verteidige das Recht, "auch das auf Demonstrationen". Deshalb gebe es keine Alternative zur Deeskalationsstrategie.

Jelpke: Wer solche Forderungen aufstellt, will eine weitere Eskalation der Gewalt

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, sagte, pünktlich zum 40. Jahrestag der tödlichen Polizeischüsse auf den Studenten Benno Ohnesorg auf einer Berliner Demonstration würde nun der Einsatz der Antiterroreinheit GSG 9, von Gummigeschossen und sogar von scharfer Munition gefordert. "In der Logik dieser Scharfmacher sind Demonstranten also Terroristen und Rostock ist Kabul oder Gaza. Wer solche Forderungen aufstellt, will eine weitere Eskalation der Gewalt", meint Jelpke. "Er nimmt auch Tote bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Kauf. Das weckt Erinnerungen an den G8-Gipfel von Genua 2001, als ein Polizist den 21-jährigen Demonstranten Carlo Giuliani erschoss."

Die Aufrüstung mit potenziell tödlichen Waffen und der Einsatz schwerbewaffneter Sonderkommandos könnten weitere Gewaltausbrüche bei den Protesten gegen G8 nicht unterbinden. "Die Wiederherstellung des Demonstrationsrechts und ein Ende der Polizeischikanen gegen Demonstranten hingegen würden es den Organisatoren des Protests deutlich erleichtern, deeskalierend zu wirken", so Jelpke.

Verfassungsgericht bestätigte weitreichende Auflagen für Demonstrationen

Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen über erste Verfassungsbeschwerden von Globalisierungsgegnern gegen die Demonstrationseinschränkungen beim G8-Gipfel entschieden. Die zwei Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Greifswald.

Eine geplante Mahnwache am Sicherheitszaun in Heiligendamm hatte das Oberverwaltungsgericht nur unter der Bedingung erlaubt, dass höchstens 15 namentlich bekannte Demonstranten daran teilnehmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Eilantrag "wegen nicht hinreichender Begründung" als unzulässig abgelehnt. In der Beschwerdeschrift sei nicht dargelegt worden, inwieweit aufgrund der Beschränkungen von einem schwer wiegenden Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG auszugehen sei. (1 BvR 1428/07)

Im zweiten Fall hatte das Oberverwaltungsgericht für Dienstag und Mittwoch (5. und 6. Juni) angemeldete Demonstrationen am Flughafen Rostock-Laage zwar genehmigt, die Teilnehmerzahl für eine Versammlung aber auf maximal 50 Personen beschränkt.

Das Bundesverfassungsgericht hat auch den diesbezüglichen Eilantrag abgelehnt, da sich ein schwerer Nachteil, den es abzuwenden gelte, nicht feststellen lasse. Dem Beschwerdeführer sei die Durchführung der geplanten Veranstaltung nicht vollständig verwehrt worden. Er könne sie vielmehr in hinreichender Nähe zum Flugplatz - etwa 500 Meter von ihm entfernt im Bereich einer Buswendeschleife - durchführen, wenn auch nicht direkt an dem den Platz umgebenden Maschendrahtzaun.

Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darin sieht, dass ohne versammlungsbeschränkende Maßnahmen die körperliche Unversehrtheit der im Flughafenbereich anwesenden Personen bedroht sei. Die Annahme der Behörde, es bestehe die Gefahr körperlicher Übergriffe, sowie das von ihr betonte Erfordernis, ausreichende Rettungs- und medizinische Versorgungsmöglichkeiten vorhalten zu müssen, seien verfassungsrechtlich tragfähig. (1 BvR 1429/07)

Auf die Beschränkung der Teilnehmerzahlen auf 15 beziehungsweise 50 Personen hob das Bundesverfassungsgericht nicht ab.

Eine weitere Verfassungsbeschwerde war bereits in der Nacht zum 4. Juni von den Organisatoren eines für den 7. Juni geplanten Sternmarsches nach Heiligendamm eingereicht worden. Sie richtet sich gegen das von der Polizei verhängte Versammlungsverbot in einer bis zu sechs Kilometer breiten Bannmeile rund um Heiligendamm. Wann das Bundesverfassungsgericht darüber entscheidet, steht noch nicht fest.

Netzwerk Friedenskooperative: Vorwürfe sind nach Beobachtung von Journalisten "absolut unzutreffend"

Das Netzwerk Friedenskooperative kritisierte - trotz gegenteiliger Zusicherungen - "einen Wechsel zu martialischem Auftreten und rigoroser Einschränkung der Versammlungsfreiheit". So sei die Demonstration zum Aktionstag Migration am 4. Juni "mit starken Polizeikräften und Wasserwerfern eingeschlossen und am Start gehindert worden."

Die polizeiliche Begründung massiver Verstöße gegen das Vermummungsverbot oder sogar von Gewalttätigkeiten sei nach vielen Aussagen von Beobachtern wie des "Komitees für Grundrechte und Demokratie" sowie anwesender Journalisten "absolut unzutreffend".

Nachdem die Demonstration später erneut gestoppt und die vorher bestätigte Routenführung verweigert worden sei, hätten die Veranstalter die Versammlung aufgelöst und dann nur noch eine rudimentäre Fassung der geplanten Kundgebung am Stadthafen durchführen können.

Im übrigen hätte die Nachrichtenagentur dpa eine fehlerhafte Berichterstattung über angebliche Gewaltaufrufe inzwischen korrigieren müssen.

Das Netzwerk Friedenskooperative hofft nun dennoch für die nächsten Tage auf "Bilder bunten und friedfertigen Protests".

Jobst: Womöglich wird eine Terrorzelle erfunden, die einen Sahnetorten-Anschlag auf Frau Merkel verüben möchte

Das so genannte Sternmarsch-Bündnis hat sich darüber beklagt, dass mehrere "Ersatzveranstaltungen" von der Polizei verboten worden seien, "obwohl sie zum Teil außerhalb der Verbotszone I und II liegen". "Kooperationsgespräche" seien seitens der Polizeiführung "Kavala" abgelehnt worden.

"Es ist offensichtlich, dass die Polizei die politische Entscheidung exekutiert, Staatsbesuch nicht mit abweichenden Meinungen zu konfrontieren", kritisieren die Gipfelgegner. Eine Polizeibehörde habe allerdings "die Aufgabe, Versammlungen zu ermöglichen, nicht sie zu verhindern", meint das Sternmarsch-Bündnis.

Ein Einsatzleiter der Polizei sei von Protesten gegen die Atom-Transporte im Wendland bekannt. Dort habe er seinen Einheiten mehrmals nach Einlaufen des Transportes im Endlager - und damit nach Ende der Versammlungen - die Erlaubnis gegeben, "wahllos auf Demonstranten einzuprügeln", heißt es in einer Erklärung des Sternmarsch-Bündnisses und der Gipfelsoli Infogruppe. "Er kassierte zudem Anzeigen wegen illegalen Polizeikesseln."

Hanne Jobst von der Gipfelsoli Infogruppe kritisierte, dass auch gezielte "Provokationen" in der Vergangenheit zu den Mitteln der Bereitschaftspolizei gehört habe wie etwa der Einsatz von "Greiftrupps". "Solidaritätsbekundungen" Umstehender würden dann zum Anlaß genommen, die gesamte Demonstration "anzugreifen".

Hanne Jobst erwartet kreative Aktionen nicht nur auf Seiten der Gipfelgegner, sondern auch seitens der Politik und Polizeiführung: "Womöglich wird kurzfristig die Existenz einer Terrorzelle bekannt gegeben, die einen Sahnetorten-Anschlag auf Frau Merkel verüben möchte".

Quelle: Internetzeitung ngo-online.de, 5. Juni 2007; www.ngo-online.de


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