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Halbherzig gegen die Hungerkrise

G8-Gipfel ohne Alternativen für die Bauern

Von Jürgen Elsässer *

Lippenbekenntnisse gegen Biokraftstoffe, kein Geld für EU-Bauern – keine guten Nachrichten aus Toyako.

Das Positive zuerst: Der steigende Einsatz von Biotreibstoffen ist als wesentliche Ursache für die Weltnahrungskrise ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Auf ihrem Gipfel im japanischen Toyako sicherten die Staats- und Regierungschefs der acht großen Industrienationen (G8) am Dienstag (8. Juli) zu, den verstärkten Einsatz von Biotreibstoffen und die landwirtschaftliche Produktion besser in Einklang bringen zu wollen.

Das große Aber: Hilfsorganisationen und Umweltschützer kritisieren die Halbherzigkeit der Beschlüsse. Subventionen, Steueranreize oder Mindestwerte für die Beimischung von Biotreibstoffen müssten sofort gestoppt werden.

Nach einer Studie der Weltbank ist die starke Steigerung der Produktion von Biotreibstoffen in den USA und Europa der »wichtigste« Grund für die massive Preissteigerung für Nahrungsmittel um 140 Prozent seit 2002. Höhere Kosten für Energie und Düngemittel sowie der schwache Dollar hätten die Preise sonst nur um 35 Prozent steigen lassen. Drei Viertel des Preisanstiegs sei auf Biotreibstoffe und die damit verbundenen Konsequenzen wie geleerte Getreidelager und Preisspekulationen zurückzuführen.

Auch der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments rief am Dienstag (8. Juli) dazu auf, das bisher von der EU anvisierte Ziel für die Erhöhung der Biosprit-Produktion zu senken. Dessen Anteil am Treibstoffverbrauch solle bis zum Jahr 2020 lediglich fünf Prozent betragen – nicht, wie geplant, zehn Prozent.

Bestenfalls zwiespältig sind auch die Ankündigungen der EU-Kommission zur Agrarförderung. Deren Präsident José Manuel Barroso hatte am Montag am Tagungsort der G8 in Toyako erklärt, eine Milliarde Euro für Landwirte in ärmeren Ländern mobilisieren zu wollen.

Der Pferdefuß: Das Geld soll aus den Reserven genommen werden, mit denen eigentlich die Bauern in der EU gefördert werden sollen. Schon vor zwei Wochen auf dem deutschen Bauerntag hatte eine Vertreterin der EU-Kommission verkündet, Brüssel habe kein Geld zur Einrichtung eines Milchfonds für die bedrohte Branche.

Die Ankündigung Barrosos wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel reserviert aufgenommen und gestern von der Unions-Fraktion im Bundestag scharf kritisiert.

Wie Getreide-Notspeicher gegen Hungerkrisen aufgebaut werden sollen, wie die G8 anvisiert, wenn gleichzeitig die Höfe in der EU kaputtgespart werden, ist tatsächlich fraglich: Ohne deren Produktivität wird man die Nahrungsmittellager nicht füllen können.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juli 2008

Notprogramm gegen Hunger

G-8-Staaten planen Getreidereserve zur Marktstabilisierung **

Die G-8-Staaten planen einem japanischen Pressebericht zufolge den Aufbau einer Getreidereserve, um auf die steigenden Nahrungsmittelpreise reagieren zu können. Die Tageszeitung Asahi Shimbun berichtete am Wochenende unter Berufung auf Informationen aus dem Umfeld der G-8-Delegationen, daß jedes Land eine bestimmte Menge an Getreide anlegen werde. Diese Reserven könnten dann im Bedarfsfall koordiniert auf den Markt gegeben werden, um die Preise zu stabilisieren. Dieser Plan werde in einer gesonderten Abschlußerklärung des G-8-Gipfels zur Nahrungsmittelkrise enthalten sein, hieß es weiter. Die während der Vorbereitung des Treffens der Staats- und Regierungschefs der sieben größten Industriestaaten und Rußlands (G 8) vereinbarten Getreidereserven hätten die Erdölnotreserven der Internationalen Energieagentur (IAEA) zum Vorbild. Gegenwärtig seien Deutschland und Japan die einzigen G-8-Länder, die über überschüssige Lagerbestände an Getreide verfügten. Unklar sei jedoch, wie effektiv dieses System bei der Stabilisierung der Lebensmittelpreise sein werde.

Die Nahrungsmittelkrise ist eins der wichtigsten Themen des dreitägigen Gipfels, der am heutigen Montag (7. Juli) auf der japanischen Insel Hokkaido beginnt. Als Ursachen für den Preisanstieg gelten die wachsende Nachfrage vor allem in Schwellenländern, steigende Rohölpreise, aber auch der Anbau von Agrospritpflanzen. Weitere Faktoren sind Exportbeschränkungen sowie spekulative Handelsgeschäfte mit Terminkontrakten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Anfang voriger Woche bereits einen dringenden Appell an die Gipfelteilnehmer gerichtet. Die Lebensmittelkrise könne »die Demokratisierung gefährden, Staaten destabilisieren und sich zu internationalen Sicherheitsproblemen auswachsen«, heißt es nach Informationen des Spiegel in einem sechsseitigen Papier, das Merkel am vergangenen Montag an die anderen G-8-Regierungschefs schickte.

** Aus: junge Welt, 7. Juli 2008




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