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25 Stunden für die Probleme der Welt

Frankreichs Präsident Sarkozy will G8-Gipfel in Deauville innenpolitisch nutzen

Von Ralf Klingsieck, Paris *

Nicht viel mehr als 25 Stunden wird der G8-Gipfel in Deauville dauern. Um das Internet soll es gehen und den arabischen Frühling, natürlich um Afrika und auch um Konsequenzen aus Fukushima. Außerdem um »die Weltwirtschaft« und »die internationale Sicherheit«.

Der französische Präsident Nicolas Sarkozy hält Hof: Als Gastgeber des G8-Gipfels will er nicht nur den üblichen zwanglosen Gedankenaustausch mit den Staats- und Regierungchefs der wichtigsten Industrieländer über die Probleme der Welt organisieren. Für Sarkozy bietet sich eine willkommene Gelegenheit, sich vor seinen Landsleuten als Staatsmann von internationalem Format zu profilieren und so seine Chancen für die Wiederwahl 2012 zu verbessern.

Sarkozy legte großen Wert darauf, die Umwälzungen in Nordafrika und im Nahen Osten, wo sich Frankreich als Hüter der Freiheit sieht, auf die Agenda zu setzen. Nicht zuletzt um vergessen zu machen, dass Frankreich die Protestbewegung in Tunesien lange unterschätzt und den Diktator Ben Ali bis zuletzt unterstützt hatte, setzte sich Sarkozy dann umso energischer für eine Unterstützung der Oppositionsbewegung in Libyen ein – bis hin zum militärischen Eingreifen mit einem Mandat der UNO, für das sich Frankreich in New York stark gemacht hat.

Da es vor Ort für die von Paris ermutigten Aufständischen eng geworden ist, schickt Frankreich jetzt seine Kampfhubschrauber Tiger ins Gefecht. Doch davon wird in Deauville weniger die Rede sein, umso mehr von den Problemen und der Entwicklung Tunesiens, Ägyptens und vielleicht schon bald Libyens nach ihren Umstürzen. Vor allem Tunesien hat konkrete Wünsche an die Industrieländer, um die Wirtschaft des Landes zu stärken und vor allem die extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Doch die Bereitschaft der westlichen Länder für Finanzhilfe und ihrer Privatwirtschaft für Investitionen hält sich in Grenzen. Statt dessen wird auf mögliche Geldgeber in den reichen Golfstaaten verwiesen und angekündigt, man könnte vielleicht das Mandat der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erweitern, damit sie auch in dieser Region aktiv werden kann. Auf kühle Ablehnung stößt der Wunsch Tunesiens, größere Freizügigkeit für tunesische Arbeitskräfte in Europa gewährt zu bekommen, zumal hier das Thema der tunesischen Flüchtlinge innenpolitisch hochsensibel ist aufgrund der Instrumentalisierung durch die Rechtspopulisten. So ist zu erwarten, dass die Regierungschefs Tunesiens und Ägyptens, die als Gäste nach Deauville eingeladen wurden, kaum mehr als eine schön formierte Erklärung der G8-Staats- und Regierungschefs mit nach Hause nehmen können. Wenig Konkretes ist auch für das Thema des Nord-Süd-Gefälles, der Bekämpfung der Armut und vor allem des Hungers in Afrika zu erwarten, wo die klima- und spekulationsbedingte Verteuerung der Nahrungsmittel verheerende Auswirkungen für die Menschen hat.

Wie wenig sie den G8-Staaten gelten, bekommen die Entwicklungsländer gerade in diesen Tagen wieder zu spüren, da ihre Forderung, den nächsten Generaldirektor des Internationalen Währungsfonds zu stellen, beiseite gewischt und die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde dafür in Stellung gebracht wird. Doch diese Personalie dürfte in Deauville nur kurz zur Sprache kommen, wie so viele andere Themen, die in den 25 Stunden des Treffens bestenfalls angerissen werden können.

Das dürfte Sarkozy ganz recht sein, wenn es um die Konsequenzen aus der Atomkatastrophe in Fukushima geht, denn an der vorrangigen Rolle der Atomkraft in Frankreich soll möglichst nicht gerüttelt werden. Als Neuerung will Sarkozy in Deauville erstmals auch die Rolle des Internets und der Online-Wirtschaft ansprechen. Sarkozy mahnte in einem Vorbereitungstreffen ein »zivilisiertes Internet« mit »allgemein anerkannten Regeln« und beispielsweise einem »Grundrecht auf Privatsphäre« an. Der Teufel steckt auch hier im Detail.

Club der Mächtigen

Am Beginn der G8-Geschichte stand eine Sechserrunde: Der deutsche Kanzler Helmut Schmidt und der französische Präsident Valery Giscard d'Estaing luden 1975 nach Rambouillet. Auf der exquisiten Gästeliste standen die Staats- und Regierungschefs aus den USA, Großbritannien, Italien und Japan. Im Mittelpunkt der Gespräche standen das Weltwährungssystem – zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des auf den Dollar ausgerichteten Fixkurssystems von Bretton Woods aus dem Jahre 1944 sowie die erste Ölkrise.

1976 durfte auf Initiative der USA Kanada dem exklusiven Club beitreten und die G7 als Club der damals wirtschaftlich führenden Nationen der westlichen Welt waren komplett.

1999 wurde das damals angeschlagene Russland aufgenommen, so dass inzwischen von G8 die Rede ist. Einmal jährlich treffen sich die Staats- und Regierungschefs zum sogenannten Weltwirtschaftsgipfel, an dem auch die Europäische Kommission teilnimmt.



* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2011


Geschönte Zahlen machen niemanden satt

Jörn Kalinski über die gebrochenen Versprechen der G8 und ihr Verhältnis zu Afrika **


Jörn Kalinski, Kampagnenleiter von Oxfam Deutschland, ist in Deauville vor Ort.

ND: Nach der Rechnung der G8-Staaten wurde das 2005 ausgegebene Ziel, bis 2010 die Entwicklungshilfe um 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr aufzustocken, nur um 1,27 Milliarden US-Dollar verfehlt. Eine lässliche Verfehlung?

Kalinski: Hier haben wir einen doppelten Skandal. Einmal, dass die G8 ihre Versprechen nicht gehalten haben: Es fehlen insgesamt 19 Milliarden Dollar von den OECD-Gebern, auf die bezog sich ja das 50 Milliarden-Versprechen von Gleneagles 2005. Die G8 haben dort quasi alle Geber aus den Industriestaaten in die Pflicht genommen. Der zweite Skandal ist, dass die G8 die Zahlen manipulieren wollen, das heißt sie ignorieren die Inflation und setzen den Wert des Dollars von 2010 an und nicht von 2004, wie es in Gleneagles abgemacht war und wie es auch die OECD zugrunde legt. Und so kommt es, dass in ihrer Rechnung nur noch eine Milliarde fehlt und nicht 19. Gebrochene Versprechen und geschönte Zahlen machen niemanden satt oder gesund.

Lassen sich die Konsequenzen der nicht eingehaltenen Zusagen für den Süden skizzieren?

Konsequenzen lassen sich nur schwer berechnen. Aber mit der Hilfe, die geflossen ist, konnten 33 Millionen mehr Kinder eingeschult werden, hat sich die Zahl der Patienten, die HIV/Aids-Medikamente kommen, verzehnfacht. Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Lebensjahr sterben, ist seit 1990 um vier Millionen gesunken, und so weiter. Entwicklungshilfe, richtig eingesetzt, im richtigen politischen Umfeld, kann viel bewirken.

Was den Süden anbelangt, soll in Deauville ein Schwerpunkt auf die Entwicklung im arabischen Raum gelegt werden. Dabei soll es nicht um Finanzzusagen für Länder wie Ägypten oder Tunesien gehen, sondern vielmehr um Marktzugang für diese Länder und die Stärkung des Privatsektors. Tragfähige Konzepte?

Der arabische Frühling bietet die Chance auf eine umfassende Demokratisierung im arabischen Raum. Aber es ist noch längst nicht entschieden, welche Strukturen sich am Ende durchsetzen. Eine umfassende Demokratisierung würde auch die Chancen für eine völlig neue, allumfassende Kooperation in Nordafrika und im arabischen Raum eröffnen, mit positiven Auswirkungen auch weit nach Afrika hinein. Die Auslöser der Umwälzungen waren soziale Unzufriedenheit, politische Unterdrückung und, trotz des Wirtschaftswachstums, eine hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen sowie eine Vergrößerung der Kluft zwischen Arm und Reich. Das heißt, wirtschaftliche Entwicklung allein, als Selbstzweck kann kein tragfähiges Konzept sein. Das Wachstum muss sowohl sozial wie auch ökologisch nachhaltig sein.

Öffnung der europäischen Märkte für Waren aus dem arabischen Raum ist sicher ein guter Aspekt und auch der Privatsektor muss eine Rolle spielen, private Investitionen sind wichtig. Aber der Staat muss die sozial-, umwelt- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen setzen und seine Souveränität und seinen Gestaltungsspielraum bewahren.

Über Tunesiens und Ägyptens Regierungschefs hinaus sollen auch andere Staatschefs wie Südafrikas Jacob Zuma nach Frankreich kommen. Die G8 betonen, dass es um einen partnerschaftlichen Prozess und Dialog mit Afrika geht. Ist das glaubwürdig?

Afrikanische Staatschefs sind ja schon seit längerer Zeit Gäste bei G8-Gipfeln, aber viel mehr Zeit als für einen kurzen Fototermin nach dem Essen gab es dort für sie kaum. Eine Partnerschaft auf Augenhöhe wäre wünschenswert. Dafür müssen beide Seiten noch viel mehr tun.

Welche Erwartungen haben Sie an den Gipfel?

Dass Angela Merkel und Nicolas Sarkozy gemeinsam mit Jacob Zuma eine Erklärung abgeben, dass sie sich mit allen Kräften für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer einsetzen. Und noch viele, viele Erwartungen mehr.

Fragen: Martin Ling

* Aus: Neues Deutschland, 26. Mai 2011


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