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Verantwortlich, verläßlich, nachhaltig?

Die deutsche G8-Agenda für Heiligendamm

In den Mittelpunkt des G8-Gipfels in Heiligendamm vom 6.-8. Juni 2007 will die Bundesregierung „die Ausgestaltung der globalisierten Weltwirtschaft und die Entwicklung Afrikas“ stellen. Gegen die Themenwahl in dieser Allgemeinheit ist kaum etwas einzuwenden. Der Streit beginnt beim „Wie?“. Hier erweist sich die deutsche G8-Agenda als kompletter Fehlansatz. Und in Bezug auf die überfällige Reform der Gipfelarchitektur selbst ist sie eine schlichte Fehlanzeige, schreibt Rainer Falk in der neuesten Ausgabe des "Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung".



Von Rainer Falk *

Viele Nichtregierungsorganisationen haben die Agenda, die die Bundesregierung auf dem G8-Gipfel im nächsten Jahr behandeln will (s. Hinweis), begrüßt – so groß war offensichtlich die Erleichterung darüber, daß sich die zwischenzeitlich kursierenden Gerüchte, das Thema Armutsbekämpfung und Afrika könnte vollends zugunsten einer auf die Interessen des Nordens zentrierten Tagesordnung an den Rand gedrängt werden, nicht bewahrheitet haben. Sieht man von einem bestimmten Spektrum ab, das sich für die konkreten Inhalte des Gipfels ohnehin nicht interessiert und zum „Gipfelprotest“ an sich mobilisiert, so war nur gelegentlich von „gemischten Gefühlen“ (VENRO) die Rede, die angesichts der Pläne der Bundesregierung für Heiligendamm aufkommen.

In der Tat ist die deutsche G8-Agenda alles andere als ein Anlaß zum Jubel. Statt der Rückbesinnung auf die makroökonomischen Koordinationsaufgaben der Gipfel will Berlin jetzt der Wirtschafts- und der Entwicklungspolitik (d.h. Afrika) formal einen gleichrangigen Stellenwert geben. Die konkrete Ausgestaltung beider Tagesordnungspunkte ist jedoch so, daß man sich fragt, wessen Probleme hier eigentlich gelöst werden sollen.

Globale Ungleichgewichte

In der wirtschaftspolitischen Agenda ist beispielsweise der „Austausch über Strategien zum Abbau der globalen Ungleichgewichte“ vorgesehen. Genannt werden das Leistungsbilanzdefizit der USA, die schwache Binnennachfrage in Europa und Japan und die hohen Währungsreserven in Asien. Nun sind die Überschüsse Chinas und anderer ostasiatischer Länder aber die verständliche Konsequenz aus der Asienkrise vor einem Jahrzehnt und der – angesichts der nach wie vor existierenden Mängel des internationalen Finanzsystems – einzige Weg, um sich vor derartigen Krisen zu schützen. Das viel gravierendere, weil strukturelle Überschußproblem der Weltwirtschaft liegt in Europa und Japan. In Europa gehört Deutschland zu den Ländern, die nunmehr seit Jahrzehnten und geradezu chronisch außenwirtschaftliche Überschüsse produzieren und damit erstrangig zu den weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten beitragen, von denen heute so oft die Rede ist. Eben dieser strukturelle außenwirtschaftliche Überschuß müßte thematisiert werden, wenn es ernsthaft um den Abbau der Ungleichgewichte gehen soll. Daran freilich hat das Gastgeberland kein Interesse.

Statt dessen sollen die G8 nach den Vorstellungen der Bundesregierung in Heiligendamm ein „Bekenntnis zur Investitionsfreiheit in Industrie- und Schwellenländern“ abgeben. Zwar sollen auch die Investitionsbedingungen und die „soziale Dimension der Globalisierung“ behandelt werden, wie dies geschehen soll – etwa durch die weltweite Verpflichtung der Transnationalen Konzerne auf angemessene soziale Standards – wird uns jedoch nicht gesagt. Sehr konkret wird Berlin nur beim „Schutz von Innovationen gegen Produkt- und Markenpiraterie“, wo die Interessengegensätze zwischen alten Industrieländern und aufstrebenden Volkswirtschaften scharf aufeinander prallen.

Mit den Themen „Transparenz der Finanz- und Kapitalmärkte“ und „Energieeffizienz und Klimaschutz“ enthält die Agenda sicherlich auch Punkte, an denen NGOs anknüpfen können. Solange jedoch völlig nebulös bleibt, welche Initiativen die Bundesregierung hier in Heiligendamm lancieren wird, ist dies jedoch ein schwacher Trost.

Gedrehte Afrika-Agenda

Nachdem der soeben vorlegte Human Development Index 2006 (s. auch >>> Bericht über die menschliche Entwicklung 2006) erneut belegt, daß die Kluft zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern weiter wächst und dies vor allem mit dem Zurückbleiben Afrikas zu tun hat, wäre es nicht nachvollziehbar, wenn dieses Thema von der G8-Agenda verschwunden wäre. Der entwicklungs- bzw. afrikapolitische Teil der Schwerpunkte der deutschen G8-Präsidentschaft ist jedoch ein Musterbeispiel dafür, wie man den Eindruck erweckt, die ehrgeizige Tagesordnung von Gleneagles im Jahre 2005 fortzuführen, in Wirklichkeit jedoch etwas ganz anderes aufs Gleis setzt. Die Bundeskanzlerin lege Wert darauf, so heißt es, die Beziehungen der G8 zu Afrika als eine „Reformpartnerschaft“ auszubauen. Sieht man näher hin, so findet man folgendes: „Die afrikanischen Staaten sollen Strukturen entwickeln, die private Investitionen erleichtern.“

Gegen ein solches Unterfangen wäre nichts einzuwenden – es ist eine Tatsache, daß die vielerorts in Afrika herrschenden Bedingungen die private Investitionstätigkeit erschweren. Die Frage ist jedoch, ob dies angesichts der Probleme des Kontinents die angemessene Akzentsetzung ist. Tatsache ist jedenfalls, daß die deutsche Agenda für Heiligendamm nicht als Follow-Up von Gleneagles bezeichnet werden kann. Es ist offensichtlich nicht vorgesehen, die Umsetzung der Versprechen der Großen Acht in puncto Entwicklungshilfe, Entschuldung und Handel konkret zu überprüfen. Das einzige, was vielleicht noch an das entwicklungspolitische „Entscheidungsjahr“ 2005 erinnert, ist die Bedeutung, die das Thema Kampf gegen Aids inzwischen allenthalben und folglich auch für die G8 erlangt hat.

Gerade die Bundesregierung hätte jedoch zu einer kritischen Überprüfung der in Gleneagles gemachten Zusagen allen Anlaß. Dies zeigt etwa der neue Bericht zur „Wirklichkeit der Entwicklungshilfe“ (s. Hinweis). Danach sind die deutschen Ausgaben für Entwicklungshilfe im letzten Jahr nur auf dem Papier enorm gestiegen. Zieht man die Schuldenerlasse für den Irak, Nigeria und andere Länder ab, so wurde 2005 sogar weniger Geld an die Entwicklungsländer gezahlt als im Vorjahr. Die Deutsche Welthungerhilfe und terre des hommes fordern deshalb mit Blick auf die Halbzeit der Milleniumsziele im Juli 2007 von der Bundesregierung die Vorbereitung einer „Initiative 07.07.07“, um die Aufstockung der Hilfe auf 0,7% des Bruttosozialprodukts bis 2015 zu gewährleisten. Doch nach den bisherigen Planungen für Heiligendamm gehört nicht viel zu der Prognose, daß der Gipfel auf dem Weg dahin kein Meilenstein sein wird.

G8-Reform Fehlanzeige

Das traurigste Kapitel der deutschen G8-Agenda ist freilich, daß sie gegenüber dem Erfordernis, die überkommene Gipfelarchitektur selbst zu reformieren, völlig versagt. Die Bundesregierung will einen „intensiven Dialog mit Schwellenländern“ (worüber?) führen. Sie will fünf sog. Outreach-Länder, nämlich China, Indien, Brasilien, Mexiko und Südafrika, zum Gipfel einladen. Die G8-Konstruktion selbst will sie jedoch weder öffnen noch zugunsten eines repräsentativeren Steuerungsgremiums für die Weltwirtschaft zur Disposition stellen. Statt dessen soll die „Wertegemeinschaft der G8 und die Funktionsfähigkeit der Gruppe erhalten“ werden. Statt Öffnung ist also Einigelung angesagt. Die Frage ist nur: Wofür? Als Vorbereitung auf den „Weltkrieg um Wohlstand“ (Gabor Steingart)? Das Problem des Politikansatzes, den Berlin in Bezug auf G8 gewählt hat, besteht allerdings darin, daß die beschworene „Funktionsfähigkeit der Gruppe“ längst der Vergangenheit angehört.

Signalisieren die Schwerpunkte der deutschen G8-Präsidentschaft also Verantwortung, Verläßlichkeit und Nachhaltigkeit, wie die Bundesregierung uns glauben machen will? Die Antwort ist einfach und ernüchternd. Beim Kampf gegen die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft drückt sich Berlin um die eigene Verantwortung schlicht herum. Gegenüber den Erwartungen des Südens an die Industrieländer glänzt der Exportweltmeister nicht gerade durch Verläßlichkeit. Und nachhaltig ist an der deutschen G8-Agenda allenfalls das Festhalten an der Tradition eines exklusiven Klubs, der sich in der Realität aber längst überlebt hat.

Hinweise:
  • Schwerpunkte der deutschen G8-Präsidentschaft, unter www.bundesregierung.de
  • Die Wirklichkeit der Entwicklungshilfe. Vierzehnter Bericht 2005/2006. Eine kritische Bestandsaufnahme, 100 S., terre des hommes/Deutsche Welthungerhilfe: Bonn-Osnabrück 2006. Bezug: über www.tdh.de oder www.dwhh.de
(Veröffentlicht: 15.11.2006)

* Quelle: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, 11/2006;
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