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Im Dienste des Westens

Ökonomie. Vor 65 Jahren wurde der Internationale Währungsfonds gegründet – eine Institution mit wechselvoller Geschichte

Von Jörg Roesler *

Als Gründungsdatum des Internationalen Währungsfonds (IWF) gilt der 27. Dezember 1945. Es handelt sich dabei um einen Stichtag im Entstehungsprozeß dieser Institution. Diskutiert wurde über die Schaffung eines Zentrums zur Regulierung der Weltwährungsbeziehungen bereits im Juli 1944 in Bretton Woods/New Hampshire, USA. Im Mai 1946 konnte der IWF seine Arbeit aufnehmen, kontinuierlich tätig war er seit März 1947. In seiner mehr als zweijährigen Gründungsphase vollzogen sich grundlegende weltpolitische Veränderungen. Ab Mitte 1944 funktionierte die Antihitlerkoalition. Die Aussichten auf eine lange Friedensperiode nach dem absehbaren Kriegsende waren noch ungetrübt. Für diese Zeit galt es, die Lehren aus der Weltwirtschaftskrise (1929–1933) zu ziehen, während der es in allen Industrieländern, mit Ausnahme der Sowjet­union, traumatische Produktionseinbrüche gegeben hatte. Noch stärker als die Produktion schrumpften die Exporte. Die Ausfuhren sanken nicht nur wegen der weltweit nachlassenden Nachfrage, sondern auch, weil jedes Land sein Absatzgebiet für seine Unternehmen durch die Errichtung von Zollmauern schützen wollte. Zum Zollkrieg kam nach der durch Zahlungsbilanzprobleme verursachten Aufgabe des Goldstandards 1930/31 noch der Währungskrieg. Jedes Land versuchte, sich durch die Abwertung der eigenen Währung auf dem so schwierig gewordenen Exportmarkt einen Vorteil gegenüber dem Konkurrenzland zu verschaffen. Die Auf- und Abwertungen begünstigten die Spekulation. Was auf nationaler Ebene die Auswirkungen der Krise mildern sollte, hatte – weltwirtschaftlich betrachtet– zur ihrer Verstärkung beigetragen.

US-Dominanz gesichert

In Bretton Woods war man sich einig: Dieser Währungskrieg aller gegen alle sollte sich in der neuen wirtschaftlichen Weltordnung nicht wiederholen. Die Vorschläge, die dafür im Juli 1944 vorlagen, stammten von dem Briten John Maynard Keynes und dem US-Amerikaner Harry Dexter White. Die Vorschläge beider Ökonomen liefen erstens darauf hinaus, ein System fester Wechselkurse zu schaffen, die nationalen Währungen untereinander konvertibel zu machen, die Handels- und Finanzbeziehungen transparenter und ausgeglichener. Die nationalen Währungen wurden in eine feste Austauschrelation zum US-Dollar gestellt, der wiederum in einem festen Wertverhältnis zum Gold stand (Golddevisenstandard). Der IWF wachte darüber, daß die vereinbarten Währungsparitäten eingehalten wurden. Schwankungen von mehr als einem Prozent hatte der Fonds zu genehmigen. Währungsabwertungen aus Konkurrenzgründen wurden damit ausgeschlossen.

Zweitens sollte der Währungsfonds den Mitgliedsstaaten über kurzfristig auftretende Zahlungsbilanzdefizite, mit denen auch bei kleineren zyklischen Krisen immer gerechnet werden mußte, durch rasche Gewährung von ordentlichen und außerordentlichen (Stand-by-)Krediten hinweghelfen. Die Staaten, die dem IWF beitraten– anfangs waren es 29, heute sind es 186 – hatten entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Einzahlungsverpflichtungen in Gold, Devisen und Landeswährung in bestimmter Höhe (der Quote) zu leisten. Dafür hatten die Mitgliedsländer bei Zahlungsbilanzproblemen »Ziehungsrechte«, d.h. sie konnten Kredite des IWF in Anspruch nehmen, bis zu einer Höhe von 25 Prozent ihrer Quote sogar auflagenfrei. Der Internationale Währungsfonds wurde damit zum Hüter globaler Liquidität und zum Förderer außenwirtschaftlicher Expansion.

Keynes’ Vorschlag, eine unabhängige Weltwährung, den »Bancor«, zu schaffen, hatte sich allerdings angesichts der politischen und wirtschaftlichen Übermacht der USA, die ihrerseits auf Whites Vorschlag, d.h. dem Dollar als Weltwährung, bestand, nicht durchsetzen können. Auch das Stimmrecht begünstigte die USA. Im Unterschied zur UNO, in der jedes Land unabhängig von seiner Größe eine Stimme hatte, regelten sich im IWF die Stimmenanteile nach der Quote. Der US-Anteil lag anfangs bei über 30 Prozent, womit die Vereinigten Staaten eine ihren Interessen widersprechende Geldpolitik des Fonds jederzeit verhindern konnten.

Waffe im Kalten Krieg

Als der IWF im März 1947 in Washington kontinuierlich zu arbeiten begann, waren die in Bretton Woods noch gängigen Vorstellungen von einer friedlichen Entwicklung der Weltwirtschaft nach dem Krieg bereits der Gewißheit eines kommenden Kalten Krieges zwischen den USA und der UdSSR und deren Verbündeten gewichen.

Bereits im September 1946 hatte US-Außenminister James F. Byrnes erklärt, die »im sowjetischen Einflußbereich« befindlichen Staaten könnten nicht mit Wiederaufbaukrediten rechnen. Dementsprechend boykottierte auch der Internationale Währungsfonds die Sowjetunion und ihre »Satellitenstaaten«, im Sinne der Politik der Eindämmung (Containment), die US-Präsident Harry S. Truman im März 1947 verkündet hatte.

In den Industrieländern und den sich industrialisierenden Staaten der westlichen Welt begünstigte ein funktionstüchtiger IWF das Wachstum der Wirtschaft und stärker noch den internationalen Warenaustausch. Eine nicht ganz so gewaltige Expansion des internationalen Kapitalverkehrs ließ ebenfalls die Nachfrage nach internationalen Krediten steigen, vermehrte aber auch das Angebot. Zyklusbedingte Krisen waren in den 50er und 60er Jahren nicht ausgeprägt und traten vor allem nicht in allen westlichen Ländern gleichzeitig auf, so daß der IWF mit den von ihm gewährten Krediten konjunkturell ausgleichend wirken konnte. Mit seinem direkten Beitrag zum Wirtschaftswunder stärkte der IWF die westlichen Staaten mittelbar auch politisch und militärisch. Im Westen zeitweise vorhandene, durch den Sputnikschock hervorgerufene Ängste, vom feindlichen System wirtschaftlich eingeholt und überholt zu werden, wichen in den 60er Jahren. Die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im IWF blieb in diesem Jahrzehnt ungeachtet dessen erhalten, daß sie zugunsten der rascher wachsenden Volkswirtschaften Japans und Westeuropas eine Minderung ihrer Quote bis knapp unter 20 Prozent hinzunehmen hatten, da arrangiert worden war, daß die wichtigsten Entscheidungen im IWF mit 85 Prozent der Stimmen beschlossen wurden, wodurch den USA eine Sperrminorität erhalten blieb.

Beginn des weltweiten Agierens

Anfang der 70er Jahre war es mit der im Gefolge der Beschlüsse von Bretton Woods erreichten Stabilität der Finanzverhältnisse in der westlichen Welt vorbei. Die US-Regierung hatte sich in der zweiten Hälfte der 60er Jahre vor allem mit der Finanzierung des Vietnamkrieges zunehmend verschuldet. Sie druckten Dollars in einem Maße, das nicht mehr durch ihre im Zweiten Weltkrieg angehäuften Goldreserven gedeckt war und stellten damit den Dollar als Weltreservewährung in Frage. Nunmehr rächte sich, daß sich der Keynessche Vorschlag des Bancor, einer unabhängigen Weltwährung, in der Gründungsphase des IWF nicht hatte durchsetzen lassen. 1973 hob US-Präsident Richard Nixon die Bindung des Dollar an ein Goldäquivalent auf, was zur Freigabe der Wechselkurse führte und diese erneut zu einem Instrument der Wirtschaftskonkurrenz machte.

Auch in anderer Hinsicht verlor der IWF als Wirtschaftsstabilisator an Einfluß: 1974/75 und 1981/82 kam es erstmals wieder zu weltweiten Wirtschaftskrisen, für deren Bekämpfung sich der IWF als nur bedingt geeignet erwies. Insgesamt verlangsamte sich das Wirtschaftswachstum in der westlichen Welt in den 70er und 80er Jahre deutlich gegenüber den vorangegangenen beiden Jahrzehnten.

Dennoch sollten gerade die 80er und dann die 90er Jahre dem IWF eine Expansion ermöglichen. Ausgangspunkt für die Ausdehnung des Betätigungsfeldes des IWF, für – wenn man es in der Sprache des Kalten Krieges sagen will – den Übergang vom »Containment« zum »Roll Back« war die seit Beginn der 70er Jahre wachsende Verschuldung der Schwellenländer und der sozialistischen Staaten gegenüber westlichen Banken. Im Falle der RGW-Staaten trat diese Situation nach dem Scheitern einer zunächst in Polen unter Edward Gierek ausgeklügelten und dann auch in Jugoslawien, der DDR, Ungarn und Rumänien verfolgten Strategie ein, moderne Technik und zusätzliche Konsumgüter zu importieren in der – sich als unrealisierbar erweisenden – Zielsetzung, die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite mit den Einnahmen aus dem Westexport aus den »schlüsselfertig« importierten neuen Produktionsstätten zu finanzieren. Nacheinander mußten Jugoslawien, Polen und Rumänien 1981 bzw. 1982 um Zahlungsaufschub bitten. In Ungarn erreichte die Liquiditätskrise 1982 ihren Höhepunkt. In dieser Situation wandte sich die ungarische Regierung als erste eines sozialistischen Landes hilfesuchend an den IWF.

In eine ähnlich schwierige Finanzlage wie die osteuropäischen waren zeitlich fast parallel die lateinamerikanischen Staaten geraten. Dort hatten sich die Wachstumseffekte der nachholenden Industrialisierung bis Ende der 60er Jahre erschöpft. Mit sinkenden wirtschaftlichen Wachstumsraten entfiel auch die materielle Grundlage für eine weitere Verbesserung der sozialen Lage. Um die bisherige Wirtschafts- und Sozialpolitik fortführen zu können, wurden auf den internationalen Finanzmärkten zunehmend Anleihen aufgenommen, deren Rückzahlung immer weniger gewährleistet werden konnte. Auch in Lateinamerika wandten sich die Regierungen, von ihren Gläubigern, den internationalen Banken, mit Kreditboykott bedroht, an den von ihnen drei Jahrzehnte lang als »Werkzeug des US-Imperialismus« gemiedenen IWF mit der Bitte um Stand-by-Kredite.

Motor der neoliberalen Offensive

Der IWF hatte Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre begonnen, seine bis dahin hauptsächlich für Industrieländer auflagenfrei bzw. nur währungspolitisch an Bedingungen verknüpfte Finanzhilfen zu »konditionalisieren«, d.h. vom Kredit anfordernden Land dessen gesamte Wirtschaft betreffende »Strukturanpassungsmaßnahmen« einzufordern. Ganz im Sinne der neoliberalen Politik von Ronald Reagan und Margaret Thatcher erzwang der IWF eine Finanz- und Handelsliberalisierung ebenso wie eine »Deregulierung« auf sozialem Gebiet sowie die Privatisierung von Banken und Industriebetrieben. Das nach den Richtlinien des IWF, der Weltbank, des US-Außenministeriums und anderer in der US-Hauptstadt angesiedelter weltwirtschaftlich einflußreicher Institutionen zusammengestellte neoliberale Maßnahmenbündel ist unter dem Begriff »Washington Consensus« bekannt geworden.

Auch die Gewährung von Stand-by-Krediten an die sozialistischen Länder Osteuropas wurde vom IWF konditionalisiert, d.h. an »Reformmaßnahmen« gebunden, die angeblich die Ursachen der wirtschaftlichen Schwäche der »Ostblockstaaten« beseitigen sollten. Vom vereinbarten Kredit wurde nur eine Tranche ausgereicht, weitere Zahlungen waren an den Vollzug der Auflagen gebunden. Traten Verzögerungen ein, konnte der IWF als Sanktion die zugesicherten Zahlungen zeitweise aussetzen bzw. gänzlich stoppen.

Die betroffenen osteuropäischen Staaten wurden vom IWF noch stärker unter Druck gesetzt als verschuldete Schwellenländer wie Mexiko, Brasilien und Argentinien. Umschuldungsabkommen schloß der IWF mit Polen 1981, 1982 und 1983, mit Rumänien 1982 und 1983 und mit Jugoslawien 1983 ab.

Die Bedingungen waren harsch. Der IWF forderte generell eine Abwertung der Währung, einen Verzicht auf staatliche Subventionen für Verbrauchsgüter und die Streichung der Zuwendungen aus dem Staatshaushalt für Betriebe, die Verlust machten. Das bedeutete für die betroffenen osteuropäischen Länder, wesentliche Grundsätze des planwirtschaftlichen Systems aufzugeben. Der DDR gelang es durch ein, wie es amerikanische Finanzexperten einschätzten, »geschicktes Schuldenmanagement«, 1981/82 den finanziellen Offenbarungseid zu vermeiden. Vor IWF-Auflagen rettete die DDR jedoch erst der 1983 gewährte »Straußsche Milliardenkredit«, der dem Kreditboykott westlicher Banken ein Ende bereitete.

Die Auflagen des IWF trugen schon vor dem Herbst 1989 wesentlich zur Diskreditierung und Demontage der Planwirtschaften bei, sei es durch die disproportionale Einführung zusätzlicher marktwirtschaftlicher Elemente in die Wirtschaft wie in Ungarn, sei es durch die Reduzierung der Planwirtschaft auf eine Kommandowirtschaft zur Realisierung der vom IWF geforderten Sparmaßnahmen wie im Falle von Ceausescus Rumänien. Am schlimmsten trafen die IWF-Auflagen Jugoslawien, wo sie zum Kollaps des Bundesstaates führten.

Der Untergang Jugoslawiens begann mit dem auf Drängen des IWF 1989 beschlossenen »Marcovic-Sachs-Programm«. Es wurde nach dem jugoslawischen Präsidenten Ante Marcovic und dem US-Ökonomen Jeffrey Sachs bezeichnet, der zuvor im Auftrag des IWF Bolivien bei der »Sanierung« seiner Staatsfinanzen »beraten« hatte. Innerhalb weniger Monate vollzog sich 1989/90 in Jugoslawien eine radikale Importliberalisierung, die bis Ende 1990 2 435 Betriebe mit insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigten in Konkurs gehen ließ. Für weitere 500000 Arbeiter wurden die Lohnzahlungen ausgesetzt. Das jugoslawische Bruttosozialprodukt sank 1990 um 7,5 und 1991 um 15 Prozent. Um die Katastrophe abzumildern, versuchten die einzelnen jugoslawischen Teilrepubliken, Wirtschaftspolitik auf eigene Faust, d.h. gegen andere und gegen den Bund, zu betreiben. Was mit der Verweigerung des Transfers von Steuern und Abgaben an den Bund begann, wuchs sich zum Wirtschaftskrieg aus, der sich wiederum zum Präludium für das Auseinanderbrechen der Jugoslawischen Föderation entwickelte und zum Bürgerkrieg führte.

Während der Krise in der Krise

Während der 90er Jahre wirtschafteten in der ehemaligen zweiten und in der dritten Welt fast alle Staaten – China blieb die große Ausnahme – nach den Vorgaben des »Washington Consensus«. Die Leistungen der »Marktwirtschaft ohne Attribut« (der Finanzminister der SSR Václav Klaus) erwiesen sich nach Schocktherapie und Anpassungskrise in den osteuropäischen Ländern aus ökonomischer Sicht bescheiden, aus sozialpolitischer Sicht eindeutig als Verschlechterung. In Lateinamerika führte die neoliberale Wirtschaftspolitik ab 1990 nach Überwindung der Stagnation der 80er Jahre zunächst zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, der mit scharfer sozialer Differenzierung einherging. Sobald die Staatsbetriebe aber ausverkauft waren und die Weltmarktpreise für Agrarexportgüter abermals sanken, sackte das Wirtschaftswachstum erneut ab, um so mehr, je strikter sich die Regierungen, allen voran die des »IWF-Musterschülers« Argentinien, an die Vorgaben aus Washington hielten. »Aufgrund des ausbleibenden Wachstums hat das argentinische Haushaltsdefizit ständig zugenommen, und als der IWF Argenti­nien Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen auferlegte, setzte er dadurch einen Teufelskreis aus konjunktureller Abschwächung und sozialen Unruhen in Gang«, urteilt der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. 1999 setzte eine Rezession ein, im Dezember 2001 war Argentinien bankrott. Eine Million Menschen verließ angesichts der wirtschaftlichen Katastrophe das Land am Rio de la Plata und kehrten in die Länder ihrer Vorfahren– nach Italien und Spanien – zurück.

Aus dem Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft zogen die im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in Lateinamerika gebildeten Linksregierungen den Schluß, alles zu tun, um künftig der Fuchtel des IWF zu entkommen. Von einer bis 2008 andauernden weltweiten Konjunktur mit hohen Rohstoffpreisen begünstigt, konnten sie ihre Schulden gegenüber dem IWF– oftmals sogar vorfristig – begleichen. Brasilien wie Argentinien gelang das bis 2005. Danach nutzten sie ihre Exportüberschüsse zur Anlage von Währungsreserven. Zugleich begannen sie zusammen mit anderen Regierungen mit dem Aufbau einer »Bank des Südens« (Banco del Sur).

Ähnlich wie die Lateinamerikaner gingen die ost- und südostasiatischen Staaten vor, die mit den neoliberalen Auflagen des IWF in der Asien-Krise 1997 sehr schlechte Erfahrungen gemacht hatten. Sie schufen seit 2000 mit der Chiang-Mai-Initiative einen vom IWF unabhängigen Liquiditätsfonds. Dank dieser Währungsreserven, die sich – China eingerechnet – auf mehr als 3000 Milliarden US-Dollar summieren, werden die Volkswirtschaften Ostasiens in der Lage sein, spekulative Attacken auf die eigene Währung oder einen dramatischen Abfluß von Kapital, auch ohne die an Auflagen gebundene Hilfe des IWF, die 1997 110 Milliarden Dollar betragen hatte, zu verhindern.

Der IWF ist dadurch im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts gleich doppelt in die Krise geraten. Er kann der ordnungspolitischen Funktion, die er sich in den drei zurückliegenden Jahrzehnten zugelegt hatte, nur noch bedingt gerecht werden, und er geriet seinerseits in Zahlungsschwierigkeiten, da er sich aus den Zinsen auf die von ihm ausgegebenen Kredite finanziert. Über einen Teilverkauf seiner Goldvorräte wurde zu Beginn der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise bereits ernsthaft nachgedacht.

Der Krise stand der IWF ratlos gegenüber. Oliver Blanchard, Chefökonom des IWF, hat in einem im März 2010 veröffentlichten Posi­tionspapier eingeräumt, daß der Fonds entgegen seiner ursprünglichen Funktion, ausgleichend in die Weltfinanzwirtschaft einzugreifen, das Entstehen der Finanzkrise mittels der verordneten Durchsetzung von Deregulierungs- und Liberalisierungsmaßnahmen eher gefördert als verhindert hat. Aus der Sicht des Gründungskonsenses hat er versagt. Schwellenländer wie Brasilien und Argentinien ebenso wie die ostasiatischen Staaten haben dank ihrer Währungsreserven jenseits des IWF die augenblickliche Finanz- und Wirtschaftskrise bisher besser überstanden als die USA und manche Länder der Europäischen Union.

Auch als Ausdruck der Krise des Währungsfonds zu werten ist, daß in dessen Strategieabteilung im April 2010 eine Studie erarbeitet wurde, in der über die Aufgabe des Dollars als Leitwährung und damit über das Ende der US-amerikanischen Dominanz des Weltfinanzinstituts nachgedacht wird. An Stelle des Dollars sollte eine Weltwährung treten, der (einstmals von Keynes vorgeschlagene) Bancor. Die Vorteile wurden in der Studie benannt: »Eine globale Währung, ausgegeben von einer Weltzentralbank, würde als stabile Wertaufbewahrung konstruiert, die nicht ausschließlich an die Bedingungen einer speziel­len Ökonomie geknüpft wäre.« Währungsreserven brauchten nicht mehr gehortet zu werden. Eine Weltzentralbank könnte als Kreditgeber der »letzten Instanz« dienen, um im Falle schwerer konjunktureller Erschütterungen auflagenfrei die nötige Liquidität bereitzustellen. Damit wäre für den IWF der Gründungskonsens wiederhergestellt.

* Prof. Jörg Roesler ist Wirtschaftshistoriker und Mitglied der Leibniz-Sozietät zu Berlin sowie der Internationalen Wissenschaftlichen Vereinigung Weltwirtschaft und Weltpolitik e.V. (IWVWW). Zuletzt veröffentlichte er das Buch »Kompakte Wirtschaftsgeschichte Lateinamerikas vom 18. bis 21. Jahrhundert«, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2009.

Aus: junge Welt, 23. Dezember 2010



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