Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Machtstrukturen bleiben erhalten

Oberflächenkosmetik statt echter Reformen

Rainer Falk ist Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org). Der Soziologe verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklung beim Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und den G7/G8-Gipfeln. Martin Ling ("Neues Deutschland" ND) befragte Falk über die dieses Wochenende anstehende Frühjahrstagung von IWF/Weltbank im Zeichen der Finanzmarktkrise. Falk kommentiert die Tagung in Washington täglich in seinem Blog (www.baustellen-der-globalisierung.blogspot.com).



ND: Turbulenzen an den Finanzmärkten und die Lage der Weltwirtschaft sind Schwerpunktthemen bei der Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank. Kommt diese Finanzmarktkrise dem IWF gerade recht, um sich als globaler Krisenmanager zu profilieren?

Rainer Falk: Aus Sicht des IWF schon. Der neue, seit November amtierende Geschäftsführende Direktor, Dominique Strauss-Kahn aus Frankreich, würde gerne eine größere Rolle in Bezug auf die internationalen Finanzmärkte spielen. Doch auch er kann die Rechnung nicht ohne den Wirt machen. Und der Wirt - das sind die G7, die sieben wichtigsten Industrieländer - scheint eine größere Rolle des IWF in der Regulierung der internationalen Finanzwirtschaft derzeit zu blockieren.

Die Vorschläge des IWF zur Neugestaltung der Finanzmarktordnung ähneln denen der Globalisierungskritiker: strengere Finanzaufsicht durch die Regierungen, mehr Transparenz, aktive Kontrolle der Banken. Begrüßenswerte Vorschläge?

Das halte ich für eine ziemliche Übertreibung. Doch selbst wenn - viel wird in dieser Richtung nicht passieren. Das US-Finanzministerium hat schon vor dieser Frühjahrstagung klipp und klar erklärt, dass die Transparenz auf nationaler Ebene verbessert werden müsse. Dazu wird es auf der Tagung auch konkrete Beschlüsse geben. Doch es ist auch klar, dass es keine öffentliche oder staatliche Intervention in die globalen Finanzmärkte geben wird. Es werde kein globales Konzept geben, weil jedes Land mit eigenen Herausforderungen durch die Finanzkrise konfrontiert ist und dementsprechend nationale Lösungen angestrebt werden. Es gilt quasi das alte Sinatra-Prinzip »I do it my way«, nach dem die G7 hier verfahren möchten

Der IWF als Hüter der globalen Finanzmarktordnung steht nicht zur Diskussion?

Zumindest nicht im derzeitigen Stadium der Debatte und solange wir in Washington die konservative Bush-Administration haben. Die scheut sich kategorisch, Macht an supranationale Institutionen abzugeben, was das ja bedeuten würde.

Wie steht es um die Finanzkrise des IWF selbst? Seit große Schuldner wie Argentinien, Brasilien, Philippinen und Indonesien ihre Kredite vorzeitig abgelöst haben, klafft eine Lücke bei den Zinseinnahmen.

Die Lage ist angespannt, aber eine Teillösung wird am Wochenende in Washington beschlossen. Der IWF wird einen Teil seiner Mitarbeiter entlassen; ausnahmsweise einmal sinnvolle Entlassungen, denn der Fonds braucht heute diese Heerscharen so genannter Experten in den Zielländern im Süden nicht mehr, die bis ins letzte Detail das Mikromanagement dieser Länder bestimmt haben. Zudem wird der IWF einen Teil seiner Goldvorräte verkaufen, um diese dann an den Finanzmärkten profitabel anzulegen und auf diese Art und Weise ein zusätzliches Einkommen zu generieren. Ob das klappt, vor allen Dingen, ob das als dauerhafte Lösung funktionieren wird, ist aber angesichts der Krisenhaftigkeit genau dieser Märkte zweifelhaft.

Der IWF will bei dieser Jahrestagung schlussendlich die lang diskutierte Stimmrechtsreform zugunsten der Schwellenländer beschließen und sein Image im Süden der Welt aufbessern. Wird der IWF etwa demokratisch und gar zur Stimme des Südens?

In keinster Weise! Was jetzt zur Entscheidung ansteht und vorentschieden ist, ist eine Reform der Stimmanteile, die sich nach den Quoten, die jedes Land hält, bemisst. Dabei geht es nicht um eine Demokratisierung des IWF, sondern um eine Anpassung an veränderte Kräfteverhältnisse innerhalb der Weltwirtschaft. Herausgekommen bei dieser so genannten Quotenreform ist jetzt, dass die Entwicklungsländer insgesamt gerade mal 1,5 Prozent mehr Stimmen bekommen werden, als sie bisher haben. Dadurch ändert sich nichts an der Vetomacht der USA und der Blockademacht der Industrieländer -- die Machtstrukturen bleiben unangetastet.

Der neue IWF-Chef Strauss-Kahn hat auch das System der doppelten Mehrheit ins Spiel gebracht, das Entscheidungen sowohl an eine Mehrheit bei den Gläubigern als auch den Schuldnern binden würde. Steht diese interne Demokratisierung an?

Strauss-Kahn steht hier jedenfalls im Wort. Jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt, nachdem man sieht, dass diese Quotenreform nur Peanuts bringt. Das System der doppelten Mehrheit gehört konkret auf den Verhandlungstisch und auf die Tagesordnung - ein unverbindlicher Vorschlag reicht nicht aus. Man darf gespannt sein, ob es in dieser Richtung Initiativen gibt. Ohne eine solche grundlegende Veränderung in den Entscheidungsstrukturen des Fonds, denke ich, wird es kaum möglich sein, das Image des IWF im Süden zu verbessern.


Zahlen und Fakten: Bretton Woods

Am 22. Juli 1944 wurden im US-amerikanischen Bergdorf Bretton Woods die Grundpfeiler der Finanzordnung für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt: der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Die Schwesterinstitutionen bestimmen seit Beginn der Schuldenkrise 1982 maßgeblich die globale Entwicklungspolitik. Dem IWF war die Schuldenkrise hoch willkommen, befand er sich doch selbst seit März 1973 in der Sinnkrise. Denn geschaffen wurde der IWF als Hüter eines globalen Währungssystems mit festen, an die Leitwährung US-Dollar geknüpften Wechselkursen. Das System scheiterte 1973, weil USA-Präsident Richard Nixon im Zuge des teuren Vietnam-Krieges die Golddeckung aufhob, die seit Bretton Woods garantierte, dass Dollars von den USA jederzeit zu einem festen Kurs in Gold umgetauscht würden. Die Wechselkurse wurden flexibilisiert und der Dollarkurs stürzte ab. Seitdem dominieren flexible Wechselkurse und Währungskrisen in Schwellenländern: Mexiko 1995, Südasien 1997, Russland 1998, Brasilien 1999, Argentinien 2001. Hohe Zeit für den IWF, der den Staaten mit Krediten aushilft, damit sie ihre Gläubiger bedienen können. Als Gegenleistung müssen sich die Staaten Strukturanpassungsprogrammen unterziehen.

Beim Beitritt zum IWF zahlt jedes Land eine gewisse Geldsumme, die so genannte Quote. Die Höhe der Quote wird anhand der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Staates berechnet. Gleichzeitig wird durch diese Quote bestimmt, inwieweit der jeweilige Staat ein Mitspracherecht bei Entscheidungen hat und wie groß sein Kreditlimit beim IWF ist. Daraus folgt, dass die Industriestaaten, insbesondere die Gruppe der Sieben (G7) - USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Japan, Kanada und Italien - ein erheblich größeres Gewicht haben als die Entwicklungsländer. Russland wird seit 1999 pro forma in die G7 integriert, so dass zuweilen auch von G8 die Rede ist.
ML



* Aus: Neues Deutschland, 11. April 2008


Zurück zur Seite "Globalisierung"

Zurück zur Homepage