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"Dort, wo es die höchsten Gewinne gibt"

Studie zu "Landgrabbing": Je weniger Rechtsstaat, desto attraktiver die Investition. Ein Gespräch mit Marita Wiggerthale


Marita Wiggerthale ist Agrarexpertin der Hilfsorganisation Oxfam.

Die aus Großbritannien stammende Hilforganisation Oxfam sammelt in 17 Staaten Mittel, die sie in über 90 Ländern für Entwicklungsprojekte ausgibt. Nun haben Sie Studien verglichen, die die Landnahme von westlichen Konzernen in den Entwicklungsländern und den Grad der Rechtsstaatlichkeit in diesen Ländern beschreiben. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Wir haben die »Land Matrix« der International Land Coalition mit Verkäufen über 200 Hektar in Beziehung gesetzt zu den Indikatoren der Weltbank für gute Regierungsführung. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Investoren gezielt in Ländern mit niedrigen rechtsstaatlichen Standards Land kaufen, weil dort die höchsten Gewinne zu erzielen sind. Drei Viertel der 56 Zielländer stehen im Weltbankindex sehr schlecht da.

Welchen Zweck haben die Geschäfte? Sie sprechen von hohen Gewinnen, aber was würde es beispielsweise bringen, ein Stück Wüste zu kaufen, nur weil es billig ist? Wofür wird das Land genutzt?

Das Hauptmotiv scheint wirklich der niedrige Preis zu sein. Die Bürokratie gibt die Flächen unter Wert frei, und die Konzerne erzielen am Markt den tatsächlichen Preis.

Aber wer kauft Wüsten oder Steppen, wenn dort keine Landwirtschaft betrieben oder Rohstoffe abgebaut werden können? Irgendeinen Nutzen muß es ja geben.

Landwirtschaftlich nutzbare Flächen versprechen den höchsten Profit. Dieses Land dient aber nicht der Produktion von Lebensmitteln des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung, sondern der von Exportwaren, den »Cash Crops«. Oder von Pflanzen, die in der Energiegewinnung eingesetzt werden können.

Deutsche Firmen werden in diesem Zusammenhang bisher nicht genannt, auch von Ihnen nicht. Wer macht denn solche Geschäfte? Gibt es Fachleute dafür?

Besonders britische Unternehmen sind in diesem Zweig aktiv. Da gibt es Spezialisten für die Biosprit-Produktion, die von der Europäischen Union massiv gefördert wird; andere investieren in andere Agrarprodukte und wieder andere in touristisch erschließbares Land.

Welche Rolle spielt Palmöl? Dafür werden doch ganze Urwälder gerodet. Das Problem rückt langsam ins öffentliche Bewußtsein.

Palmöl wird vorwiegend in Malaysia und Indonesien hergestellt, auch die Pflanzen werden dort angebaut. Dort sind Landkonflikte an der Tagesordnung, in Indonesien werden täglich mindestens zwei davon gezählt, die infolge der Ausweitung des Anbaus entstehen.

Wie definieren Sie Landnahme oder Landraub denn? Der englische Fachbegriff dafür lautet zwar »Landgrabbing«, besagt aber auch nichts anderes.

Wir sprechen dann davon, wenn die Rechte der bisherigen Nutzer oder Eigentümer verletzt werden und ihnen die bisherige Lebensgrundlage entzogen wird. Vertraglich werden dafür nicht nur Käufe abgeschlossen, sondern auch Flächen gepachtet.

Gibt es dort keine Besitztitel, wo Land geraubt wird? Mangelt es an Grundbuch-Dokumentation oder herrscht Willkür? Was geschieht mit den Bauern?

Zunächst gibt es überhaupt keinen Versuch, die Bevölkerung einzubeziehen. Sie werden über die Pläne nicht informiert. Dann werden intransparente Verträge geschlossen, deren Konditionen nicht bekannt sind. Auch die Laufzeiten bleiben vertraulich. So hat die ortsansässige Bevölkerung keine Mittel, sich juristisch zu wehren. Genau diese Umstände machen die betreffenden Länder so attraktiv für Investoren

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, Montag 11. Februar 2013

Oxfam: Investoren zielen speziell auf Staaten mit schlechter Regierungsführung

Investoren kaufen oder pachten gezielt Land in Staaten mit schlechter Regierungsführung, weil dort niedrige rechtsstaatliche Standards bestehen und besonders hohe Gewinne winken. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung von Oxfam. Drei Viertel von 56 Ländern, in denen im Zeitraum von 2000 bis 2011 Landgeschäfte getätigt wurden, schnitten in puncto Regierungsführung besonders schlecht ab. „Dort, wo Menschen nicht die Möglichkeit haben, ihre Rechte einzufordern, können Investoren schnell und billig Land pachten oder kaufen“, erklärt Oxfams Agrarexpertin Marita Wiggerthale. „Arme Menschen verlieren dabei oft ihr Land, ohne eine angemessene Entschädigung zu erhalten.“

Zahlen und Analyse

Für die Untersuchung wurden die Datensätze der „Land Matrix“ der International Land Coalition – einer Datenbank mit Landgeschäften größer als 200 Hektar – und die Weltbankindikatoren, die gute Regierungsführung messen, miteinander in Beziehung gesetzt. Zu diesen Indikatoren zählen Mitspracherecht und Rechenschaftspflicht sowie Rechtsstaatlichkeit, staatliche Regulierung und Korruptionskontrolle. Die Analyse ergab, dass Länder, in denen große Landgeschäfte getätigt werden, bei diesen Indikatoren um durchschnittlich 30 Prozent schlechter abschneiden als jene ohne solche Landgeschäfte. Sierra Leone beispielsweise rangiert weltweit im unteren Viertel bei dem Indikator Rechtsstaatlichkeit und in der unteren Hälfte bei den Indikatoren Mitspracherecht, Rechenschaftspflicht, staatliche Regulierung und Korruptionskontrolle. In den letzten zehn Jahren wurde in dem westafrikanischen Staat ein Drittel (32 Prozent) der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche verkauft.

Oxfam fordert strengere Regeln

Oxfam fordert die Regierungen, die Weltbankgruppe und die Investoren auf, ihre Regeln bzw. Standards zu verschärfen und Landgrabbing zu beenden. Bei den Landgeschäften müssten dringend Transparenz hergestellt und allen Betroffenen die entsprechenden Informationen zugänglich gemacht werden. Außerdem sei eine vorherige Konsultation der Betroffenen zwingend erforderlich. „Die Land- und Wasserrechte von armen Menschen müssen gestärkt werden, so wie es in den freiwilligen Leitlinien zur Landnutzung des UN-Welternährungsausschusses festgelegt ist“, fordert Wiggerthale. Nur so könne sichergestellt werden, dass großflächige Investitionen und Landgeschäfte die Ernährungssicherheit eines Landes nicht untergraben und das Recht auf Nahrung von armen Menschen nicht verletzen.

Quelle: Oxfam Deutschland, 7. Februar 2013; http://www.oxfam.de

Wo finden Landgeschäfte statt?
Factsheet von Oxfam über Landgrabbing (Grafik, Tabelle und Text)




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