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Extreme Ungleichheit

Marxisten diskutierten Krise des Weltkapitalismus. In Brasilien fand 8. Forum der World Association of Political Economy statt *

Der globale Kapitalismus ist durch gravierende Ungleichheiten gekennzeichnet. Seit Ende 2007 befindet er sich in der schlimmsten aller seiner bisherigen Krisen. Gleichzeitig sind Länder Lateinamerikas und Asiens, besonders China, als neue Akteure einer sich verändernden Welt aktiv, werden als Alternative zum Kapitalismus bezeichnet. Mit diesen Feststellungen beginnt die Erklärung der World Association of Political Economy (WAPE). Der Zusammenschluß marxistisch orientierter Wirtschaftswissenschaftler hatte vom 23. bis 26. Mai zu einer dreitägigen Konferenz an die Universidade Federal de Santa Catarina (UFSC) in Florianopolis in Brasilien geladen. Thema war: »Ungleichheiten und Weltkapitalismus: Analyse, Politik und Aktion«. 90 Politökonomen aus 18 Ländern nahmen mit ihren Beiträgen teil. In den bürgerlichen Medien wurden die Tagung und ihre Ergebnisse ignoriert.

Es gebe viele Arten von Ungleichheiten, zum Beispiel jene zwischen Nationen, des Geschlechts, der »Rasse«, beim Einkommen und beim Reichtum, heißt es weiter. In ihrem Fokus stünden allerdings Ungleichheiten beim Einkommen und Reichtum, weil diese in der derzeitigen Krise die wichtigsten seien. Diese habe zu einer Abnahme der Wirtschaftswachstumsraten in der Welt geführt, mit enormen sozialen Folgen besonders in Europa. »Neben vielen anderen Ländern erleben Griechenland, Spanien, Portugal oder Frankreich eine Ära mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Armut in Europa nimmt zu.« Die Reaktion der herrschenden Klassen darauf bestehe in der Einführung von Austeritätspolitik. Doch diese sei gescheitert.

»Wir haben sehr große Unterschiede im Niveau der Haushaltsvermögen zwischen den Ländern beobachtet«, wurde in der WAPE-Erklärung formuliert. Nach einer Studie von James et al. aus dem Jahr 2011 seien die USA das reichste Land mit einem geschätzten durchschnittlichen Vermögen von 201319 US-Dollar pro erwachsener Person im Jahr 2000 nach Kaufkraftparität (PPP). Auf der anderen Seite der Skala von Ländern mit entsprechenden Daten dazu stehe Indien. Dort besaß ein Erwachsener im Schnitt Vermögenswerte von umgerechnet 11655 Dollar.

Vor allem sei der globale Reichtum (wieder bezogen auf das Jahr 2000) hochkonzentriert, viel höher als die Einkommen. Die reichsten zehn Prozent der Erwachsenen besaßen geschätzt 71,2 Prozent davon. Der Anteil der unteren Hälfte belief sich auf lediglich 1,6 Prozent (0,784 Prozent in Brasilien, 0,801 Prozent in den USA). »Die gemessene Ungleichverteilung des Reichtums ist noch höher, wenn im internationalen Vergleich offizielle Wechselkurse herangezogen werden«, heißt es im Papier weiter. »Der Anteil des obersten Zehntels erhöht sich dann auf 85 Prozent.«

»Diese Statistiken belegen, daß die Verteilung des Reichtums in der Welt erheblich ungleicher ist als die Verteilung der Einkommen«, wird in dem WAPE-Dokument betont. Die geschätzte Konzentration von Reichtum sei in den Ländern zwar von Fall zu Fall verschieden, aber allgemein sehr hoch. »Vergleiche bezüglich der Ungleichverteilung von Reichtum richten das Augenmerk oft auf den Anteil des oberen einen Prozents.« Diese Statistik gebe es für elf Länder für ca. die letzten zehn Jahre: Die geschätzten Anteile der Superreichen am Gesamtreichtum lägen zwischen 10,4 Prozent in Irland und 34,8 Prozent in der Schweiz. Die USA rangiere hier nahe am oberen Ende mit 32,7 Prozent. Dabei schließe der Stichprobenumfang für die USA sogar die 400 reichsten Familien aus (nach Rangliste des Wirtschaftsmagazins Forbes). Würde man diese berücksichtigen, erhöhte sich der entsprechende Anteil um zwei Punkte. Die Besitzquote der reichsten zehn Prozent, »die für ganze 20 Länder verfügbar ist, reicht von 39,3 Prozent in Japan bis 76,4 Prozent in Dänemark«.

Die Wurzel dieser weltweiten Ungleichheit »liegt in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht im kapitalistischen System«, schreiben die Politökonomen. Volksbewegungen wie »Occupy Wallstreet« hätten weitgehend erkannt, daß es einen Widerspruch zwischen dem »einen Prozent« oben und den übrigen 99 Prozent gebe und daß das eine Prozent »eine völkermörderische Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung spielt«.

Das WAPE-Papier sieht die existierenden Form des Kapitalismus in einem grundlegenden Dilemma: Trotz weiterhin hoher Flexibilität fände das System »keine Möglichkeit zu einem nachhaltigen Ausgleich mit den sich gegenwärtig entwickelnden menschlichen Potentialen«. Es sei »darauf orientiert, diese ausschließlich als eine Grundlage für ein ungebremstes Streben des Kapitals, seinen Wert zu erhöhen, zu nutzen«. Das führe dazu, »daß die Interessen der imperialistischen Staaten unter die Hegemonie des Finanzkapitals gezwungen werden«. Und damit würden die Interessen der großen Mehrheit der Bürger verletzt.

Es bestehe »ein dringendes Bedürfnis, all diese Ungleichheiten durch den sozialen und politischen Aufbau von Alternativen zu überwinden«, schlußfolgerten die Ökonomen. Es ginge um alternatives Denken und Analysen, die sich aus dem von Marx eröffneten Weg ergäben. (jW)

[Übersetzung aus dem Englischen: Ernst Herzog]

* Aus: junge Welt, Freitag, 28. Juni 2013


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