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Ziel kaum erreichbar

Von Vereinten Nationen geplante Reduzierung der Müttersterblichkeit um drei Viertel bis 2015 wird ohne massive Zusatzanstrengungen verfehlt werden

Von Thomas Berger *

Es ist Millenniums-Entwicklungsziel Nummer fünf, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2000 verständigt hat: Um 75 Prozent gegenüber 1990 sollte bis 2015 die Zahl der Fälle von Müttersterblichkeit gesenkt werden. Zugleich sollte allen Frauen universeller Zugang zu Gesundheitsversorgung ermöglicht werden. Nicht einmal zwei Jahre bleiben bis zur Umsetzung, und trotz mancherlei Fortschritten sind gerade in Afrika südlich der Sahara und in Asien einige Länder noch weit entfernt von ihren Planziffern. Laut jüngster Zusammenstellung der Vereinten Nationen haben von allen Weltregionen, in denen die Zahl der Frauen, die während der Schwangerschaft, bei oder kurz nach Geburten sterben, sehr hoch war, nur Ostasien sowie Kaukasus und Zentralasien die Aussicht, das Ziel zu erreichen.

In einem gemeinsamen Fortschrittsbericht zum Thema beleuchteten Weltgesundheitsorganisation (WHO), das UN-Kinderhilfswerk UNICEF, die Weltbank und der UN-Bevölkerungsfonds (UNFPA) bereits Ende 2012, was sich in den ersten zehn Jahren nach dem »Millenniumsgipfel« getan hat. Den präsentierten Daten zufolge wurde die Zahl der betroffenen Frauen in diesem Zeitraum durchschnittlich um 47 Prozent reduziert. Damit wurden 2010 noch immer erschreckende 287000 Todesfälle vermerkt. Doch bereits die statistische Einordnung ist teilweise ein Problem. Denn noch immer gibt es in vielen Ländern weder aktuelle Erhebungen zur Einwohnerzahl noch medizinische Datensammlungen, in denen etwa Todesursachen vermerkt sind. Lediglich für 65 der 180 Länder in der Studie wird das verfügbare statistische Material als ausreichend angesehen.

85 Prozent aller Fälle von Müttersterblichkeit wurden 2010 in Afrika südlich der Sahara und in Südasien erfaßt. Ein Drittel der betroffenen Frauen starben allein in Indien (56000) und Nigeria (40000). Im globalen Durchschnitt kommen auf 100000 Lebendgeburten 210 Todesfälle, beinahe eine Halbierung gegenüber den 400 im »Basisjahr« 1990. Doch während die Industriestaaten bei gerade einmal 16 und Ostasien als Vorreiter unter den Regionen mit Entwicklungs- und Schwellenländern bei 37 liegt, kommt das südliche Afrika auf einen Wert um die 500. Tschad und Somalia führen die Negativliste mit 1100 bzw. 1000 an, mit 890 folgen gleichauf Sierra Leone und die Zentralafrikanische Republik, danach Burundi mit 800 und Guinea-Bissau mit 790. In vielen anderen Ländern wie etwa Nigeria (630) sieht es kaum besser aus. Daß es auch anders geht, zeigen die afrikanischen Inselstaaten – die Kapverden mit 79, Mauritius mit 60 sowie Sao Tomé und Principe mit 70 Todesfällen auf 100000 Lebendgeburten. In Lateinamerika gibt es nur in Haiti (350) gravierende Probleme in der Gesundheitsfürsorge für Schwangere, in Asien ist die Müttersterblichkeit in Laos (470), Afghanistan (460) und Osttimor (300) am höchsten.

Es gibt auch Länder, die das Ziel längst erreicht haben – und sogar noch mehr: Auf den Malediven konnte die Zahl der Todesfälle um 93, in Bhutan um 82, in Äquatorialguinea und im Iran um 81 und in Vietnam um 76 Prozent gesenkt werden. Einige weitere Staaten sind »im Plan«, darunter Eritrea, Kambodscha, China, Bangladesch, Syrien, Ägypten und Osttimor. Doch gerade in letzterem Land bereitet die mangelnde fachliche Qualifikation des medizinischen Personals noch immer Sorgen. Auch die weiten Wege, die viele Einwohner zurücklegen müssen, um zur nächsten Gesundheitsstation zu gelangen, sind ein Problem. Hongwei Gao, UNICEF-Länderbeauftragter, betonte im Juli gegenüber IRIN, dem Informationsdienst der Vereinten Nationen, zudem, in dem ostasiatischen Land müßten – ähnlich wie in Afghanistan – Frauen erst die Zustimmung von Ehemann, Vater oder Bruder einholen, wenn sie einen Arzt aufsuchen wollten. Nach dem Gesundheitsbericht 2009/2010 von Osttimor sind nur bei einem Drittel der Geburten eine Hebamme, Krankenschwester oder ein Arzt zugegen. Traditionelle Geburtshelfer, die aber bei Komplikationen schnell an ihre Grenzen stoßen, sind bei weiteren 18 Prozent der Entbindungen dabei. In Zusammenarbeit mit AusAID, dem Entwicklungsdienst Australiens, ist das Gesundheitsministerium inzwischen dabei, mobile medizinische Teams aufzubauen, die sich gerade in abgelegenen Gebieten um Schwangere sowie Mütter und deren Babys kümmern.

In vielen Ländern erschweren Bürgerkriege und deren Folgen den Zugang zu medizinischer Versorgung. Im südlichen Afrika ist jeder zehnte Fall von Müttersterblichkeit zudem in Zusammenhang mit der AIDS-Epidemie zu sehen, besagt die Statistik.

Hoffnungszeichen kommen indes aus Nigeria. Im Bundesstaat Ondo werden seit zwei Jahren Mobiltelefone unter Schwangeren gerade in den ländlichen Gebieten verteilt. Bei Komplikationen oder bei Einsetzen der Wehen können sie damit schnell Kontakt zu medizinisch geschultem Personal aufnehmen, das entweder aus der Ferne Rat geben oder den Transport in ein Hospital ermöglichen kann. Das Projekt laufe prima, betont Dr. Dayo Adeyanju, Gesundheitsdezernent von Ondo, immer wieder vor Reportern. Der mit 3,4 Millionen Einwohnern vergleichsweise kleine Bundesstaat ist damit Schrittmacher für ganz Nigeria.

* Aus: junge Welt, Freitag, 9. August 2013

Hier geht es zum Bericht:

Annual Technical Report 2012 Department of Reproductive Health and Research including UNDP/UNFPA/UNICEF/WHO/World Bank Special Programme of Research, Development and Research Training in Human Reproduction, 2013 [externer Link]




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