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G8: "Teil des imperialen Projekts"

Ein informeller Club mit undemokratischen Allmachtsansprüchen / Energiesicherheit hat Entwicklungspolitik als Hauptthema verdrängt

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview mit Peter Wahl anlässlich des G8-Gipfels in St. Petersburg (15./16. Juli 2006).
Peter Wahl ist Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation WEED (Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung) und Spezialist für die Regulierung des internationalen Finanzsystems. Am G 8-Gipfel (USA,Kanada, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Deutschland und Russland) in St. Petersburg nimmt er für das globalisierungskritische Netzwerk Attac Deutschland teil. Über Gegenwart und Zukunft der G 8 sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.



ND: In den letzten Jahren stand Entwicklungspolitik ganz oben auf der G 8-Tagesordnung. Wie sieht es in St. Petersburg damit aus?

Wahl: Der Schwerpunkt in St. Petersburg ist Energiesicherheit. So, wie die G 8 dieses Thema begreifen, ist es vor allem ein Thema, das ihre Beziehungen untereinander und ihre eigenen Interessen betrifft und weniger die Entwicklungsländer. Entwicklungsthemen sind dieses Mal Randthemen.

Was ist aus den Versprechungen des letzten G 8-Gipfels in Glen-eagles geworden?

Es hat einen Schuldenerlass gegeben. Einigen der ärmsten Entwicklungsländer sind die Schulden beim Internationalen Währungsfonds (IWF) erlassen worden. Dieser Schuldenerlass gilt jedoch nur für 18 Staaten – einen kleinen Teil der überschuldeten Länder des Südens. Was die Aufstockung der Entwicklungshilfe angeht, hat sich nichts getan. Stattdessen wurde ein statistischer Trick angewendet: Der Schuldenerlass wird auf die Entwicklungshilfe angerechnet, so dass das Budget der Entwicklungshilfe viel größer aussieht, als es tatsächlich ist. Insgesamt ist die Bilanz von Gleneagles mangelhaft.

In den 90er Jahren wurde auf G 8-Gipfeln mehrfach die »Globalisierung zum Nutzen aller« propagiert. Ein Thema in St. Petersburg?

Nein. Diese Parole »Globalisierung zum Nutzen aller« war sowieso von Anfang an hoch ideologisch. Wenn man sich heute die Statistiken der Armutsentwicklung ansieht, dann stellt man fest, dass sich die Schere zwischen Nord und Süd gerade in der Hochzeit der Globalisierung seit den 90er Jahren weiter geöffnet hat. Heute lebt praktisch die Hälfte der Menschheit mit weniger als zwei Euro pro Tag in extremer Armut. Insofern hat die Globalisierung sehr viele Verlierer und nur ganz wenige Gewinner hervorgebracht.

Auch die laufende Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO), die 2001 als Entwicklungsrunde ausgerufen wurde, sollte die Globalisierung gerechter gestalten. Sie steckt in der Krise. Werden die G 8 das behandeln?

Ja, das wird ein großes Thema sein. Es wird Versuche geben, die WTO-Runde doch noch zu retten. Doch das hängt nicht nur von der G 8 ab, sondern in hohem Maße von der G 20, also jener Gruppe von Entwicklungsländern um China, Brasilien und Indien, die inzwischen mit großem Selbstbewusstsein in der WTO ihre Interessen vertreten.

Die wachsende Bedeutung der G 20 hat Großbritanniens Premier Tony Blair auf die Idee gebracht, den exklusiven G 8-Club zu einer G 13 zu erweitern. Die Schwellenländer China, Indien, Brasilien, Südafrika und Mexiko sollen in den Kreis aufgenommen werden. Was ist von diesem Vorschlag zu halten?

Die G 8 haben schon lange ein Legitimitätsproblem. Sie vertreten 13 Prozent der Weltbevölkerung und haben trotzdem den Anspruch, globale Probleme für die gesamte Menschheit zu bearbeiten und Lösungen vorzuschlagen. Das ist durch und durch undemokratisch. Das haben sie vor einiger Zeit selbst gemerkt. Deswegen versuchen sie schon seit längerem, wichtige Schwellenländer wie Südafrika, China, Brasilien, Indien und Mexiko einzubeziehen und laden sie zuweilen als Gäste ein. Auch die 1998 vollzogene Erweiterung der G 7 um Russland zur G 8, die bereits 1992 mit der Einladung Michail Gorbatschows nach München begann, gehört in diesen Prozess der Selbstlegitimierung.

Allerdings ist auch dieser Ansatz undemokratisch: Die Mitglieder eines informellen Clubs bestimmen, wer noch dazu kommt. Wir sind der Meinung, dass stattdessen in multilateralen Institutionen wie der UNO, die zwar auch reformbedürftig ist, aber dennoch im Vergleich zur G 8 ein viel höheres Maß an Mitsprache, Teilhabe und Demokratie der ganzen Welt erlaubt, die globalen Probleme diskutiert und gelöst werden müssen.

Hat die G 8 angesichts der Legitimitätskrise überhaupt eine Zukunft oder droht die Auflösung?

Dass sich der Club auflösen wird, glaube ich nicht, denn er ist ja auch »nützlich«. Als informelle Struktur ist er Bestandteil eines imperialen Netzwerks von Institutionen, zu dem auch die formellen gehören – wie der Internationale Währungsfonds, die Weltbank, die NATO, die WTO und die Industriestaatenvereinigung OECD. Da trifft es sich gut, wenn man ein derart flexibles, weil informelles Instrument wie die G 8 hat. Dort lassen sich Widersprüche und Rivalitäten, die es natürlich auch unter den G 8 gibt, moderierend bearbeiten. Und andererseits eröffnet der Club Möglichkeiten der Kooperation und der Koordination, wo und sofern die Beteiligten gemeinsame Interessen haben. Die G 8 ist für das imperiale Projekt viel zu nützlich, als dass sie sich einfach auflösen würde.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2006


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