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Planetarische Herrschaft

Ökonomie. Einblick in die Strategien der Superreichen: Mit ihren Funktionseliten entwickeln sie postkapitalistische Machtstrukturen

Von Hans Jürgen Krysmanski *

In gewisser Weise sind Steueroasen Waffendepots. »Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen«, sagte Warren Buffett, mit über 60 Milliarden Dollar Privatvermögen einer der reichsten Männer der Welt, 2006 in einem Interview. Jedes Imperium breitet sich aus durch Krieg, auch das unsichtbare Imperium des großen Geldes. Ein guter Teil seines Waffenarsenals – und das ist das Geld – ist rund um den Planeten in Depots, genannt Steueroasen, versteckt. Was haben die Superreichen mit diesen Machtmitteln vor, mit diesen 30 bis 50 Billionen Dollar? Nur konsumieren bis zum Gehtnichtmehr, das wäre zu wenig in dieser gefährlichen Welt.

Reden wir, wenn wir über Superreiche sprechen, über die unersättlichen Bank- und Industriemanager, deren Millionengehälter gedeckelt werden sollten? Sicher auch. Aber das sind angesichts der Dimensionen, die sich uns heute erschließen, immer noch kleine Fische. Chrystia Freeland, Geschäftsführerin und Redakteurin der Abteilung »Verbrauchernachrichten« bei Reuters, regelmäßiger Gast des Weltwirtschaftsforums in Davos, hat im Oktober 2012 ein Buch unter dem Titel »Plutocrats. The Rise of the New Global Super Rich and the Fall of Everyone Else« (Die Plutokraten. Der Aufstieg der neuen, globalen Superreichen und der Absturz von allen anderen) veröffentlicht, in dem sie die Dinge auf den Punkt bringt: »Zivilisten – das heißt alle diejenigen, die nicht an der Wall Street oder in Silicon Valley arbeiten – denken wohl, daß die 68 Millionen Dollar Jahreseinkommen des Chefs von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, kurz vor der Bankenkrise oder der 100-Millionen-Dollar-Bonus im Jahre 2008 von Andrew Hall, dem Derivate-Spitzenhändler von Citigroup, fürstliche Einkommen sind. Auf Wall Street selbst aber betrachten sich sogar solche Top­angestellten börsennotierter Unternehmen als kleine Mitläufer im Vergleich zu den Chefs von Hedge-Fonds, Venture-Kapital-Firmen und nicht öffentlich gelisteten Privatunternehmen.«

Und was sind das für Bevölkerungsgruppen, »wo die Vermögen jedes Jahr ohne große Anstrengungen um dreistellige Millionensummen wachsen (…). Wo Family Offices oder gleich die eigene Bank das Geld verwalten.« Wo Clans wie die Quandts, wie es im März 2012 im Spiegel hieß, von denen es doch viele in Deutschland gibt, sich »allein aufgrund ihres BMW-Pakets über eine Dividende von 650 Millionen Euro freuen«.

Eine andere Spezies?

Wie läßt sich dieses ultimative, transnational operierende Privateigentum noch demokratisch kontrollieren? Im Juli 2001 fragte dasselbe Magazin ahnungsvoll auf einer Titelseite: »Wem gehört die Welt?« und entdeckte im »Kampf um den Globalkapitalismus eine neue, erstmals wirklich internationale Protestgeneration. Sie heizt Politikern und Konzernchefs ein – und zwar zu Recht. Die globale Weltwirtschaft, mächtig und krisenanfällig zugleich, braucht neue Spielregeln.« Die Einschläge im World Trade Center und im Pentagon wenige Monate später drängten die internationalen Proteste für ein Jahrzehnt in den Hintergrund. Der Welt und den politischen Bewegungen wurde, beginnend mit dem Irak-Krieg, eine gewaltsamste Geopolitik aufgezwungen. Die Spielregeln einer vernünftigen Weltinnenpolitik galten auch für die verbleibende Supermacht nicht mehr. Die soziale Ungleichheit in der entwickelten Welt wuchs dramatisch. Die Reichen wurden immer reicher. Und der »Globalkapitalismus« war von undurchsichtigen, staatsfernen Herrschaftsstrukturen durchzogen.

Hinzu kam die Cyberrevolution. In der Tat hatte sich mit der digitalen Globalisierung eine tiefgreifende Veränderung im Aneignen und Enteignen vollzogen. Das neue kapitalistische Privateigentum an den Produktionsmitteln verpflichtete nicht mehr, konnte es auch nicht mehr, denn es hatte sich in einem globalen Imperium immaterieller, digitaler Produktivkräfte unangreifbar verteilt. Man konnte diese Welt Finanzkapitalismus nennen. Hinter all dem aber stand letztlich die ultimative Privatheit des Superreichtums.

»Evolvieren die Reichen zu einer anderen Spezies?« fragt Robert Frank, Journalist des Wall Street Journals. Futurologen wie Paul Saffo sagen angesichts der schnellen Fortschritte in der Biotechnologie voraus, daß bald künstlich erzeugte Ersatzorgane, spezielle Medikamente, Roboter und künstliche Gliedmaßen das Leben erheblich verlängern werden – Fortschritte, die sich nur die Superreichen werden leisten können. Und damit stelle sich die Frage nach einer Zukunft, in der zwischen den Klassen eine biologische Kluft aufbricht und in der sich die Superreichen zu einer völlig neuen Spezies entwickeln, die mindestens 20 Jahre länger lebt, länger aktiv ist, noch mehr Reichtum akkumulieren kann und diese Vermögen und die damit verbundene Macht noch folgenreicher als bisher auf ihre Nachkommen überträgt.

Ein Klassenkriegsszenario

Stellen wir uns die neuen planetarischen Herrschaftsstrukturen als eine Ringburg vor (siehe Grafik S. 11). Das Zentrum bilden überall die 0,01 Prozent Superreichen, eine völlig losgelöste und zu allem fähige soziale Schicht, welcher die Wissens- und Informationsgesellschaft alle Mittel in die Hände legt, um sich als eine neue gesellschaftliche Mitte zu etablieren. Um sie herum und ihr am nächsten gruppieren sich als zweiter Ring die Konzern- und Finanzeliten als Spezialisten der Verwertung und Sicherung des Reichtums. Den nächsten Funktionsring bilden die politischen Eliten, die zumindest aus der Sicht des Imperiums der Milliardäre für die möglichst unauffällige Verteilung des Reichtums von unten nach oben zu sorgen haben. Die größte Gruppe bevölkert den Außenring der Festung: die Funktions- und Wissenseliten aller Art, von Wissenschaftlern über Techno- und Bürokraten bis zu den Wohlfühleliten in Medien, Kultur und Sport.

Unter dem Titel »Future Strategic Context« stellte das britische Verteidigungsministerium seinem strategischen Militärinstitut im Jahre 2007 die Frage, welche Kriege und Konflikte die Welt in 30 Jahren bedrohen werden. Die Antwort: Im Jahre 2037 werden sich mehr als 60 Prozent der Menschen weltweit in verslumten Städten um die Bankentürme zusammendrängen. Diese Konzentration von Not, Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit wird einen gewaltigen sozialen Sprengsatz darstellen. Während die fortschreitende internationale Integration Kriege zwischen Staaten zum Erliegen bringt, werden an deren Stelle Konflikte innerhalb der Gesellschaften treten – Bürger-, Sippen- und Klassenkriege. Kurz: »Der Krieg der Staaten geht, der Konflikt der Klassen kommt«, faßte ein Redakteur von Spiegel online zusammen.

In dieser Situation, fahren die britischen Militärstrategen fort, »könnten die Mittelklassen eine revolutionäre Klasse werden und jene Rolle übernehmen, die Marx für das Proletariat vorgesehen hatte«. Aufgerieben zwischen »wachsender sozialer Verelendung einerseits und dem schamlosen Leben der Superreichen andererseits« könnten sich die »Leistungs- und Wissenseliten, die früher einmal Bildungsbürger und Facharbeiter genannt wurden«, zu einem schlagkräftigen Interessenverbund zusammentun. Diese »neue Klasse« würde dann politisch für ihre eigenen grenzüberschreitenden Interessen gegen den Kapitalismus der Superreichen kämpfen.

Imperiale Biopolitik

Aber das private Imperium der Milliardäre wappnet sich, zum Beispiel durch Biopolitik. Im Jahre 2000, zeitgleich mit dem Buch »Empire« von Michael Hardt und Antonio Negri, erschien die satirische Schrift »Le Rapport Lugano« (Der Lugano-Report), geschrieben von der Mitgründerin und Vizepräsidentin von ATTAC France, Susan George. Im Auftrag einiger der mächtigsten Gruppen der Welt schlägt dort eine fiktive Expertengruppe vor, den drohenden Zusammenbruch der Finanzmärkte und die Zerstörung der Umwelt dadurch abzuwenden, daß die Weltbevölkerung auf vier Milliarden Menschen reduziert wird: »Da die Genozidsysteme der Vergangenheit zu primitiv, kostspielig und ineffizient waren, muß eine andere Lösung her. Die moderne Opfer­selektion soll nach Kriterien wie Inkompetenz, Armut und Faulheit, kurz: Verlierertum erfolgen. Kriege und Seuchen müssen den Vernichtungsprozeß beschleunigen.« Das Hungerproblem der »Dritten Welt« dürfe nicht beseitigt, sondern müsse gefördert werden. Um die Akzeptanz einer genuinen Bevölkerungskontrolle zu erhöhen, müsse ein neues Denk- und Meinungsklima verbreitet werden, in dem die Menschenrechte als zentrales Anliegen aufgegeben wurden.

Die fiktiven Experten empfehlen ihren Auftraggebern dringend, ein Korps von Theoretikern, Schriftstellern, Lehrern und Kommunikationsexperten aufzubauen und zu finanzieren, das in der Lage ist, entsprechende Konzepte, Argumente und Bilder zu entwickeln. Zusätzlich könnten Soziologen und Psychologen ein feindseliges Klima zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen erzeugen, was dem demographischen Ziel nur dienlich wäre. Führungspersönlichkeiten, die weiterhin am universalistischen Ziel einer gruppenintegrativen Solidargemeinschaft von Staatsbürgern festhalten, müßten um jede Glaubwürdigkeit gebracht werden. Das also war eine politische Satire – mit seinerzeit großer Wirkung.

Es sei nur angemerkt, daß sich im Jahre 2009 in New York auf Einladung von Bill Gates und Warren Buffett ein Dutzend der sicherlich liberalsten, gar progressiven US-amerikanischen Milliardäre traf, um das Konzept einer Giving Pledge zu diskutieren, einer Verpflichtung, die Hälfte ihres Vermögens für philanthropische Zwecke zu stiften. Dabei waren u.a. New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, George Soros, Oprah Winfrey, David Rockefeller senior und Robert »Ted« Turner III. Zwar weigerten sich die Teilnehmer standhaft, den Inhalt ihrer Diskussionen preiszugeben. Doch immerhin wurde öffentlich, daß es nicht nur um die globale Rezession und um die Rolle der Philanthropie ging, sondern auch um Möglichkeiten der Verringerung der Weltbevölkerung.

Aber auch diese ganze Philanthropie ist eher ein Piratenstück. Sie will das Öffentliche durch das Private ersetzen. Seit etwa die Gates-Stiftung nicht nur Weltgesundheitspolitik betreibt, sondern sich, wie die US-amerikanische Lehrergewerkschaft NEA moniert, auch noch ans Aufmöbeln maroder Schulen gemacht hat, sei Bill Gates fast so etwas wie der wahre Bildungsminister der Vereinigten Staaten geworden. Es kommt in der Tat einer Kaperung gleich, wenn der gegenüber staatlichen Aufwendungen immer noch verschwindend geringe finanzielle Einsatz selbst der potentesten solcher Einrichtungen, etwa auch der Bertelsmann-Stiftung, zum Anspruch führt, auch größere öffentliche Bereiche zu steuern. Im Endeffekt geht es um nichts anderes als die Eroberung der Schiffsbrücke.

Sicherheitszonen

»Die Superreichen dieser Erde ballen sich in einigen wenigen Metropolen. Wer Geld hat, haust dort, wo die Welt am schönsten ist. Soweit das Klischee. Doch in Wahrheit tummeln sich die Superreichen vor allem in Megametropolen mit oft zweifelhafter Lebensqualität. Moskau statt Marbella, Mumbai statt Mauritius. Jene acht Städte, die mindestens 20 Dollarmilliardäre zu ihren Bewohnern zählen, beherbergen zusammen mehr als ein Viertel der globalen, rund 1200köpfigen Milliardärspopulation (nach Forbes). Die meisten Reichen wollen eben dort sein, wo das Geld verdient wird – nicht dort, wo es sich angenehm ausgeben läßt« (Manager Magazin).

Und so verändern sich unsere großen Städte zu Gebilden mit abgeschirmten Geschäfts- und Wohnwolkenkratzern im Mittelpunkt und wachsendem Elend drum herum. Auch bei diesen »Burgen« spielen, wie im Mittelalter, Sicherheitsbedürfnisse eine wichtige Rolle. Die dem öffentlichen Raum entzogenen Zonen werden durch hochtechnische Überwachungs- und Bedrohungsapparate (bis hin zu Drohnen) geschützt. Auch die Meere sollen für die wachsende Zahl von Megayachten sicherer werden. Eines der extremsten Beispiele für diesen Trend ist die neue 160 Meter lange »Eclipse« des russisch-britischen Milliardärs Roman Abramowitsch. Auf diesem 475 Millionen Dollar teuren Schiff ist, flüstert man, ein militärisches Antiraketensystem installiert. Jedenfalls sei klar, so CNN, daß die Technologie der modernsten Armeen der Welt jetzt auch den ultrareichen Eignern von Superyachten und Luxusimmobilien zur Verfügung steht. Sie können sich einloggen in militärische und geheimdienstliche Informationsnetze, wenn sie Routen planen oder Hotspots vermeiden wollen – obgleich schlichte, arme Piraten für sie ohnehin keine Gefahr mehr darstellen.

Generalstäbe und Streitkräfte

»Kapitalismus als System wird für Kapitalisten immer unattraktiver. Die Klügsten unter ihnen suchen nach Alternativen, um ihre Privilegien abzusichern«, schrieb der US-amerikanische Sozialwissenschaftler und -historiker Immanuel Wallerstein. Bei der Untersuchung der Frage, wie sich die »globalen Superreichen« in dieser offenen Situation in der Welt verankern und Überlebensstrategien entwickeln, geht der britische Sozialgeograph Jonathan Beaverstock von der Entwicklung des Private Banking, des Wealth-Managements (»Reichtumsverwaltung«) und anderer Finanzdienste aus: »So wie die Weltstädte zu Stützpunkten für das internationale Kapital geworden sind, so werden sie auch die Orte, an denen die Superreichen sich mit exklusiven und privilegierten Zirkeln des Private Banking und Wealth Managements kurzschließen.« Das sind die Generalstäbe, in denen Vorbereitungen für alle Eventualitäten getroffen werden können.

Die Strategien des Wealth Managements dienen also einerseits der Absicherung des kapitalistischen Akkumulationsprozesses. Andererseits werden hier Pläne erarbeitet, wie Kunden für alle möglichen Fälle abgesichert werden können. So ist ein riesiger Apparat entstanden, einschließlich Tausender Stiftungen und Thinktanks: »Unsere Klienten werden immer nach Diversifikation, breit angelegten Aktivitäten der Privatbanken, spezialisierter Expertise, High-Quality-Service, Diskretion und Domizilen mit relativ hoher ökonomischer und politischer Stabilität streben« (Global Wealth Report 2012, Boston Consulting Group).

Hinzu kommen die weit verzweigten eigenständigen Netzwerke des großen Kapitals. Eine Forschergruppe am Lehrstuhl für Systems Design der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich hat diese Streitmacht mit systemanalytischen Methoden untersucht: »Wir haben herausgefunden, daß bestimmte transnationale Konzerne eine gigantische Struktur bilden, deren eng geknüpfter Knoten eine Kontrollzentrale der wichtigsten Finanzinstitutionen ist.« Aus einer Datenbank, die drei Millionen Unternehmen und Investoren weltweit auflistet, waren alle 43060 transnationalen Konzerne und deren Anteilseigner herausgefiltert worden. Auf dieser Grundlage wurde ein Modell konstruiert, das nachzeichnete, welche dieser Firmen mittels Anteilseigentum Kontrollmacht über die übrigen ausübten. Die Untersuchung ergab einen Kern von 1318 Unternehmen mit ineinandergreifenden Eigentumsbeziehungen. Und obwohl diese Kernkonzerne nur 20 Prozent aller weltweit anfallenden Betriebsgewinne ausweisen, scheinen sie gemeinsam die Mehrheit der großen Blue-Chip-Unternehmen weltweit, also der Realökonomie zu vertreten. Und als das Forscherteam dieses Geflecht von Anteilseigentum (und Anteilseigentümern) weiter aufdröselte, stieß es auf eine Superentität von 147 noch enger miteinander verwobenen Unternehmen, die meisten davon Finanzinstitutionen. Im Endeffekt kontrollierten demnach weniger als ein Prozent der Konzerne 40 Prozent des gesamten Netzwerks.

Für manche Beobachter besteht der Wert dieser Züricher Analyse vor allem in der Erkenntnis, daß dieses ökonomische System durch seine Netzstruktur außerordentlich stabil und zugleich flexibel ist – und deshalb bestens geeignet sowohl für den Bewegungs- als auch für den Stellungskrieg. Die Züricher Forscher selbst sind sich da nicht so sicher. Man habe ja im Jahre 2008 gesehen, wie instabil solche Netze – gerade weil sie so engmaschig sind – werden können: »Wenn ein Unternehmen Probleme bekommt, breitet sich das sofort aus.« Und ein anderer Experte für komplexe Systeme sagt: »Es ist beunruhigend zu sehen, wie eng die Dinge in Wirklichkeit verkoppelt sind.« Das jedenfalls ist die von Privatinteressen bestimmte, höchst widersprüchliche Systemwelt, zu der es der Kapitalismus bislang gebracht hat.

Es gibt aber auch noch eine Chaoswelt des Kapitals, eine Welt der Usurpatoren, Diktatoren, Gangster. Nehmen wir das Beispiel Kasachstan. Das neuntgrößte Land der Erde besitzt enorme Öl- und Gasreserven, außerdem Gold-, Mangan- und Kohlevorkommen. Es ist einer der größten Uranproduzenten. Durch seine Lage an der Trennlinie zwischen Europa und Asien ist es ein wesentlicher Faktor bei langfristigen Energie- und Handelsplanungen in dieser Region. Aufwendige Konferenzen ziehen hochkarätige Redner an wie den Exbundespräsidenten Horst Köhler, den türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan, Vertreter der UNO, des IWF, CEOs (geschäftsführende Vorstandsmitglieder) der großen Ölkonzerne, Nobelpreisträger usw. Als Transparency International jüngst berichtete, daß Kasachstan zu den korruptesten Ländern der Erde zähle, verkündete der auf Lebenszeit »gewählte« Präsident Nursultan Nasarbajew einen »heiligen Krieg« gegen den Filz. Er selbst und seine Verwandtschaft waren dabei selbstverständlich ausgenommen. Das russische Magazin New Times schätzt, daß das in den letzten Jahren zusammengeraffte Vermögen der Familie sich alles in allem auf etwa sieben Milliarden Dollar beläuft.

Was tun?

Wie kommen wir in dieser Welt der irgendwie unvollkommenen Systeme und der korrupt-chaotischen Machtzonen weiter? Die Antwort kann zunächst nur sein: durch mehr Wissen und durch eine Demokratisierung der ökonomischen Planungsvorgänge. Und wir sind dabei auf die Rechnerkraft und auf die Chancen für Transparenz­ angewiesen, die auch in den kapitalistischen und transkapitalistischen globalen Computernetzen bereits stecken. »Diese Welt bräuchte eigentlich eine ungeheuer komplexe Regulierung, um halbwegs zu funktionieren. (…) Es ist das mangelnde Verständnis des komplexen Systems der globalen Ökonomie, das bis weit in die Linke hinein das permanente Versagen der Politik erklärt. Wir haben nicht die Politiker, die Politik in der globalen Ökonomie machen könnten, und wir haben nicht die Ökonomen, die in der Lage wären, ein Design für diese globale Ökonomie zu entwerfen«, so der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck in der Schweizer Wochenzeitung Zeit-Fragen vom 19.12.2012. Erst ein solches umfassendes Datenwissen würde die »99 Prozent« in die Lage versetzen, sich die Aneigner anzueignen, das heißt, Privateigentum an den Produktionsbedingungen in Gemeineigentum zu überführen. So lange es aber Informationsvorsprünge und Wissensmonopole einzelner Gruppen an den Knotenpunkten des Systems gibt, wird es Macht, Herrschaft und Korruption von zerstörerischen Ausmaßen geben.

Die intellektuellen Technologien der Gegenwart ermöglichen eine neue Informations- und Wissenskultur. Die ultimative Privatheit, die von den großen Privateigentümern der Produktionsbedingungen immer brutaler eingefordert wird, stürzt den Kapitalismus in ein Chaos endloser Widerspiegelungen und medialer Selbsttäuschungen. Der bedeutende US-amerikanische Historiker Paul Kennedy beispielsweise lästert über die hilflosen Verrenkungen der »Weltpolitiker« auf den G-20-Gipfeln und der Finanzeliten in ihren Glastürmen, die alles Mögliche und Unmögliche zur Reparatur des Systems unternehmen, wo doch die Produktivkräfte dieses Planeten schon längst eine ganz andere Richtung der Entwicklung der Krise vorgeben.

In dieser Lage versuchen die Geldeliten sich zu verselbständigen. Sie beginnen im wahrsten Sinne des Wortes, auf eigene Faust mit Söldner­armeen sowie privaten Polizei- und Geheimdiensten zu operieren, denn Klimawandel, Ressourcenprobleme und wachsende, unumkehrbare Arbeitslosigkeit deuten auf ein kommendes globales Szenario nackter Überlebenskämpfe. In einer solchen Rette-sich-wer-kann-Welt werden neue und neuartige Klassenkonflikte entstehen. Und wir alle kommen letztlich nicht darum herum, an ihnen teilzunehmen.

Literatur
  • Chrystia Freeland: Plutocrats, Penguin Press 2012 (dt. Herbst 2013)
  • Susan George: Der Lugano-Report, Fayard 1999 (dt. Rowohlt 2001)
  • Michael Hardt/Antonio Negri: Empire, Harvard University Press 2000 (Campus Verlag 2002)
  • Hans Jürgen Krysmanski: Hirten & Wölfe, Westfälisches Dampfboot 2009
* Hans Jürgen Krysmanski lehrte bis 2001 Soziologie an der Universität in Münster. Sein Forschungsinteresse liegt seit vielen Jahren in der Soziologie der Superreichen. 2012 erschien von ihm das Buch »0,1% – Das Imperium der Milliardäre«, zu dem Krysmanski uns exklusiv eine Quintessenz geschrieben hat.

Aktuell erschienen: Hans Jürgen Krysmanski: 0,1% – Das Imperium der Milliardäre, Westend Verlag 2012

Aus: junge Welt, Dienstag, 30. April 2013


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