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Mutter Erde gestärkt

Indígenas und Basisinitiativen setzen auf dem Rio+20-Gipfel viele Vorstellungen durch

Von Gerhard Dilger, Rio de Janeiro *

Die Abschlusserklärung der UN-Konferenz wird von Indígenas begrüßt. Der Emissionshandel könnte Geschichte sein. Rio+20 - eine Bilanz.

René Orellana ist hochzufrieden mit dem am Freitag zu Ende gegangenen Rio+20-Gipfel. Der 43-jährige Soziologe aus Cochabamba hat in den letzten Monaten für Bolivien um die heftig kritisierte Abschlusserklärung von Rio verhandelt. »Klar fehlen konkrete Schritte und bindende Verpflichtungen«, sagte Orellana am Samstag gegenüber »nd«, »doch die Erklärung ist besser als ihr Ruf.« Die »Rechte der Mutter Erde« und jene der indigenen Völker seien gestärkt, »und anders als auf der Klimakonferenz von Cancún 2010 stand Bolivien nicht mehr alleine da, sondern hat seine Positionen in der Gruppe der 77 durchgesetzt«. Rio+20 sei der Ausgangspunkt für konkrete Schritte bis 2015, meint der Bolivianer unisono mit Brasiliens Klimadiplomaten, die sich mit ihrer Strategie auf der ganzen Linie durchgesetzt haben. Gastgeberin Dilma Rousseff sprach am Freitag erneut von einem »großen Sieg«.

Besonders freut sich Orellana darüber, dass der Green Economy in dem Abschlussdokument die Zähne gezogen wurden: »Von Emissionshandel oder REDD ist nicht die Rede.« REDD steht für »Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und zerstörerischer Waldnutzung«, den Weltbank, westlichen Regierungen und große Umwelt-NGOs wie der WWF oder Nature Conservancy für Tropenwaldgebiete propagieren. Von den meisten Waldaktivisten Lateinamerikas wird er als Ablasshandel und »falsche Lösung« abgelehnt.

Auf dem »Völkergipfel« schilderten sie, wie Waldbewohner von korrupten Regierungsfunktionären und internationalen Geldgebern über den Tisch gezogen werden. »Wir werden entmündigt«, beklagte sich etwa der Indígena Dercy Teles aus dem brasilianischen Bundesstaat Acre, »gegen monatliche Bezahlung für diese Umweltdienstleistungen sollen wir nur noch in der Ecke stehen, wir dürfen nicht mehr fischen, jagen, Landbau für uns selbst betreiben«.

Der Stillstand auf Regierungsebene habe den Vorschlägen aus der »Zivilgesellschaft« mehr Aufmerksamkeit verschafft, hoben viele brasilianische Kommentatoren hervor. So trafen sich Bürgermeister von 81 Großstädten aus aller Welt parallel zum Gipfel, einige von ihnen verpflichteten sich auf Emissionsreduktionen. Andererseits verkündigte Brasiliens Regierung am Freitag eine Aufstockung der Benzin-Subventionen - ausgerechnet aus einem Topf, mit dem der öffentliche Nahverkehr gefördert werden sollte.

Die Schülerin Elisa Michahelles aus Rio war als »Klimabotschafterin« des Jugendprojekts youthinkgreen unterwegs und überreichte den Delegierten grüne Armbänder. Umweltminister Peter Altmaier lobte das Engagement der Jugendlichen, doch die 16-jährige Elisa war vor allem vom »bunten, spannenden Völkergipfel« begeistert. Auf dem wurden viele dezentrale funktionierende Beispiele vorgestellt, etwa aus der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Zugleich ging die Debatte um ein alternatives Entwicklungsparadigma weiter. Das in den letzten Monaten von einer internationalen Arbeitsgruppe erarbeitete Manifest »Eine andere Zukunft ist möglich« propagiert die Commons als »andere ökonomische, soziale und kulturelle Logik« jenseits der Markt-Staat-Dichotomie.

In der Abschlusserklärung des einwöchigen Gipfels, die UN-Generalsekretär Ban Ki Moon am Freitag entgegennahm, heißt es: »Die Verteidigung der Gemeingüter beinhaltet die Garantie einer ganzen Reihe von Menschen- und Naturrechten ... Ein Beispiel hierfür ist die Verteidigung des ›Guten Lebens‹ als Lebensform in Harmonie mit der Natur.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. Juni 2012

Dokumentiert: Aus der Erklärung

§ 62. Wir ermutigen jedes Land, über die Umsetzung von Richtlinien für eine umweltfreundliche Wirtschaft im Kontext der nachhaltigen Entwicklung und Armutsbekämpfung nachzudenken, in einer Art und Weise, die nachhaltiges, allumfassendes und gerechtes Wachstum und Arbeitsplatzbeschaffung anstrebt, besonders für Frauen, Jugendliche und Arme. Wir merken an, wie wichtig es ist, dass Arbeiter mit den notwendigen Fähigkeiten ausgerüstet sind, auch durch Bildung und Schulungsmaßnahmen, und mit dem notwendigen gesellschaftlichen und gesundheitlichen Schutz ausgestattet werden. [...]

§ 158. Wir erkennen an, dass Ozeane, Meere und Küstengebiete einen ganzheitlichen und essenziellen Teil des Ökosystems der Erde bilden und es entscheidend ist, sie zu erhalten. Internationales Recht, wie es im Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) festgehalten ist, bildet den Rechtsrahmen für die Erhaltung und die nachhaltige Nutzung der Meere und ihrer Ressourcen. Wir unterstreichen die Bedeutung der Erhaltung und der nachhaltigen Nutzung der Ozeane und Meere und ihrer Ressourcen für nachhaltiges Wachstum, auch durch Beiträge zur Armutsbekämpfung, nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum, Ernährungssicherung, der Schaffung von zukunftsfähigen Existenzen und guten Arbeitsbedingungen, bei gleichzeitigem Schutz der Artenvielfalt, des marinen Lebens und der Beschäftigung mit den Auswirkungen des Klimawandels. Deswegen verpflichten wir uns, die Gesundheit, Produktivität und Belastbarkeit der Ozeane und marinen Ökosysteme zu schützen und wiederherzustellen und ihre Artenvielfalt beizubehalten, um ihre Erhaltung und nachhaltige Nutzung für die jetzigen und folgenden Generationen sicherzustellen. [...] (dpa/nd)




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