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Gipfel zwischen Ölinteressen und Schuldenerlass

IWF und Weltbank trafen sich in Washington. Ergebnisse sowie ein Interview mit Rainer Falk und ein Statement der Entwicklungsministerin

Unter dem Eindruck der auf neue Rekordmarken gestiegenen Ölpreise hat am 2. Oktober 2004 die zweitägige Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank in Washington begonnen. Die Finanzchefs aus den 184 Mitgliedsländern der beiden Finanzinstitutionen kamen hinter verschlossenen Türen in der US-Hauptstadt zusammen, um über die Lage der Weltwirtschaft zu beraten. Die Finanzminister und Notenbankchefs der führenden sieben Industriestaaten (G7), unter ihnen Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD), hatten die Rekordölpreise am Vorabend als "Risiko" für die Konjunktur bezeichnet und eine verstärkte Ölförderung durch die Exportländer gefordert. Doch Öl war nicht das einzige Thema.

Im Folgenden dokumentieren wir ein Interview, das Rainer Falk, Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung (Homepage: www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org) und Mitglied bei WEED, vor der Jahrestagung gegeben hat. Im Anschluss daran geben wir der deutschen Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul das Wort. Sie war ebenfalls zum Treffen nach Washington gefahren.


Doch zunächst die Berichterstattung über das Treffen:

Weltbankpräsident James Wolfensohn hat davor gewarnt, über den Kampf gegen den Terrorismus die Bekämpfung der Armut in der Welt zu vernachlässigen. Zum Abschluss der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank sagte er am 3. Oktober in Washington, die Überwindung der Armut sei entscheidend für Stabilität und Frieden in der Welt.

Natürlich sei der Kampf gegen den Terrorismus absolut richtig, sagte Wolfensohn. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass man darüber die längerfristigen und gleichwertigen Probleme wie Enttäuschung über die Lebensverhältnisse der Menschen in der Welt und den Mangel an Hoffnung vergesse. IWF-Präsident Rodrigo Rato wies darauf hin, dass die Regierungen noch viel tun müssten, um die Weltwirtschaft anzukurbeln. Er äußerte zugleich die Besorgnis, dass die derzeit hohen Ölpreise besonders die armen Länder belasteten.

Neben der Sorge um den Ölpreis stand der Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt im Mittelpunkt der Jahrestagung von IWF und Weltbank. Für den Schuldenerlass kam in den Sitzungen der Lenkungsausschüsse am Samstag jedoch keine Einigung zu Stande. Am 3. Oktober kamen alle 184 Mitgliedstaaten der beiden Institutionen zu einer Abschlusssitzung zusammen.

Im Grundsatz sprachen sich alle Industriestaaten für eine Entschuldung der Entwicklungsländer aus, über Umfang und Verfahren gingen die Meinungen aber weit auseinander. Der britische Schatzkanzler Gordon Brown schlug vor, zur Finanzierung eines Schuldenerlasses sollten die IWF-Goldreserven marktgerecht bewertet werden, auch sollten die Industrieländer höhere Beiträge zahlen. Dagegen ist die US-Regierung zur Streichung von Schulden nur bereit, wenn neue Kredite an die ärmsten Länder in dem Maß verringert werden, in dem ein Staat einen Schuldenerlass erhalten hat.

Gleichzeitig forderten die Vereinigten Staaten, dem Irak bis zu 95 Prozent seiner Auslandsschulden in Höhe von 120 Milliarden Dollar (97 Milliarden Euro) zu streichen. Frankreich und Deutschland wollen Bagdad in diesem Jahr aber nur 50 Prozent der Schulden erlassen und in drei Jahren die Frage wieder auf den Tisch bringen. Insbesondere Frankreich beharrte darauf, dass der Irak keine bessere Regelung bekommt als die ärmsten Länder der Welt, wie der russische Finanzminister Alexej Kudrin am Freitag nach einem Treffen mit den Finanzministern der G-7 berichtete. In ihrer Abschlusserklärung setzte sich die Gruppe der führenden Industrieländer das Ziel, für die Verringerung der irakischen Auslandsschulden bis Jahresende eine Rahmenvereinbarung zu treffen.

Den hohen Ölpreis bezeichnete die G-7 als eine Gefahr für die Weltkonjunktur. Die forderten die Öl exportierenden Länder auf, mit einer Produktionserhöhung für einen Rückgang der Preise zu sorgen. Der Ölpreis schloss zuvor mit 50,12 Dollar pro Barrel (159 Liter) nahe dem bisherigen Rekordpreis.

Am Abendessen der Finanzminister und Notenbankchefs der G-7-Staaten nahm erstmals eine chinesische Delegation teil. Beobachter sahen darin ein Zeichen dafür, dass das bevölkerungsreichste Land der Welt eines Tages in die Siebenergruppe aufgenommen oder zumindest wie Russland in der G-8 als ergänzendes Mitglied hinzugezogen wird.


Der Kuhhandel Schuldenerlass

Regionale Interessen der G7-Staaten dominieren die Diskussion Interview im "Neuen Deutschland" mit Rainer Falk

ND: Der britische Finanzminister Gordon Brown hat einen kompletten Schuldenerlass Großbritanniens für die hoch verschuldeten armen Länder angekündigt und fordert die anderen G7-Staaten auf, nachzuziehen. Ist ein Durchbruch in Sicht?

Das würde ich sehr bezweifeln. Es gibt zwar Bewegungen an der Front für eine durchgreifendere und weiter gehende Entschuldung der ärmsten Länder und der Vorschlag von Brown ist begrüßenswert. Aber die Entschuldungskonzepte sind unter den Gläubigerländern sehr umstritten. Auch die US-amerikanische Administration will einen hundertprozentigen Schuldenerlass für die ärmsten Länder Afrikas. Allerdings will sie das finanzieren, indem künftige Entwicklungshilfeleistungen sowie Kredite und Schenkungen der Weltbank eingeschränkt werden. Deutschland ist wiederum sehr zögerlich in Bezug auf einen weiter gehenden Schuldenerlass, vor allem das Finanzministerium. Die französische Regierung möchte solche Maßnahmen aus neuen internationalen Steuern finanzieren – zum Beispiel aus einer Steuer auf Waffenexporte oder einer Devisenumsatzsteuer. Wie man das alles unter einen Hut bringen will und das auch noch in einer aus Sicherheitsgründen verkürzten Jahrestagung, ist mir schleierhaft.

Sind diese neuen Ansätze nicht das implizite Eingeständnis dessen, dass die 1999 gestartete Schuldenerlassinitiative für hoch verschuldete arme Länder (HIPC) gescheitert ist?

Ja natürlich. Es zeigt sich jetzt ganz deutlich, dass die HIPC-Initiative zu spät kam, dass sie zu wenig Schulden erlassen hat und dass sie vor allem das nicht erreichen konnte, was immer behauptet worden ist: ein nachhaltiges Ausmaß der Verschuldung auf Seiten der Schuldnerländer zu erreichen. Viele dieser Länder sind jetzt schon wieder so verschuldet wie vor dieser Initiative.

Wie teuer käme die G7 ein kompletter Schuldenerlass für die ärmsten Länder der Welt überhaupt?

Laut einer diese Woche erschienenen Studie der UNO-Entwicklungsorganisation UNCTAD würde ein kompletter Schuldenerlass für die afrikanischen Länder etwa 50 Milliarden Dollar maximal kosten – eine vergleichsweise geringe Summe, wenn man bedenkt, dass sich die jährlichen Rüstungsausgaben auf 950 Milliarden Dollar belaufen.

Neben den ärmsten Ländern gibt es noch die Schwellenländer, die zyklisch von Finanzkrisen betroffen werden. 1997 Ostasien, 1999 Brasilien und zuletzt 2001/2002 Argentinien. Danach wurde im Internationalen Währungsfonds über ein Insolvenzrecht für Staaten diskutiert. Was ist daraus geworden?

Die Insolvenzrechtsdiskussion ist seit einem Jahr, was den IWF und die Weltbank angeht, vom Tisch. Damals wurde das von den USA abgeblockt und seither gibt es in dieser Hinsicht aus den beiden Washingtoner Institutionen heraus keine neuen Initiativen.

Was waren denn die Hauptargumente gegen ein Insolvenzrecht? In fast allen Staaten gibt es ein Insolvenzrecht für Unternehmen. Warum soll es keines für Staaten geben?

In einem geordneten, fairen und transparenten Schiedsverfahren müssten vor allem die US-amerikanischen Großbanken auf Gelder verzichten. Das ist die US-amerikanische Regierung nicht bereit; mitzutragen.

Die USA haben aber einen hundertprozentigen Schuldenerlass für Irak vorgeschlagen, ein Land, das mit 120 Milliarden Dollar in der Kreide steht. Trifft das nicht auch die US-Großbanken?

Das träfe die US-amerikanischen Banken weit weniger als die europäischen Banken, die gegenüber dem Irak wesentlich stärker exponiert sind. Beim Irak-Vorschlag der USA geht es um einen Kuhhandel. Frankreich macht sich wegen seiner eigenen Interessen in Afrika dort stark für einen Schuldenerlass, will aber wie Deutschland maximal die Hälfte der irakischen Schulden streichen. Als Köder haben die USA nun einen kompletten Erlass der afrikanischen Schulden bei IWF und Weltbank ins Spiel gebracht, in der Hoffnung, Frankreich so zu einem kompletten Schulderlass für Irak zu bewegen.

China durfte gestern zum ersten Mal am G7-Tisch Platz nehmen – bei einem Abendessen. Ein Ausdruck für den gewachsenen Einfluss der Schwellenländer?

Das ist zunächst einmal ein Ausdruck des Bedarfs auf Seiten der G7-Länder, solche Staaten wie China einzubinden. China verfügt inzwischen über ein beträchtliches Gewicht in der Weltwirtschaft, fungiert teilweise sogar als globale Konjunkturlokomotive. Das Interesse, mit China die Verhältnisse zu regulieren, ist groß. Vor allem in den USA wird im Moment eine Diskussion darüber geführt, ob China nicht zu viel in die USA exportiert und dort Arbeitsplätze bedroht. Als hauptsächlicher Grund wird die unterbewertete chinesische Währung ausgemacht. Nun möchte man die Chinesen gerne zur Aufgabe ihres fest an den US-Dollar gebundenen Wechselkurses zwingen oder bewegen, auf mehr oder weniger sanfte Art und Weise. Schließlich schieben die USA nach wie vor ihr berühmtes Doppeldefizit vor sich her: Staatshaushalt und Handelsbilanz. Das birgt ein immenses Krisenpotenzial für die USA und die Weltwirtschaft. Jetzt soll China für Linderung sorgen.

Fragen: Martin Ling

Aus: Neues Deutschland, 2. Oktober 2004


Heidemarie Wieczorek-Zeul

Erklärung der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, zur Sitzung des Development Committee der Weltbank am 2. Oktober 2004

Wir schauen zurück auf die letzen 60 Jahre, die seit der Gründung der Bretton-Woods-Institutionen vergangen sind. Die Herausforderungen, vor denen die Welt damals stand, sind zum Teil auch heute noch relevant. Zwar blickt Europa auf eine beeindruckende Entwicklung zurück und die Wiedervereinigung Europas ist durch den Beitritt vor allem der osteuropäischen Länder zur EU auf einem guten und hoffnungsvollem Wege; doch steht die internationale Gemeinschaft vor der permanenten Aufgabe, alle Regionen in die Weltwirtschaft zu integrieren und die Beziehungen der Länder untereinander auf eine solidarische Grundlage zu stellen. Es ist unser aller Verantwortung, dieser Herausforderung gerecht zu werden.

Die Agenda des Development Committee - Absorptionsfähigkeit, innovative Finanzierungsmechanismen, Schuldentragfähigkeit - mag vor dem Hintergrund dieser Herausforderung banal klingen. Aber dies sind genau die Themen, an denen sich beweisen muss, ob wir dem genannten Anspruch gerecht werden: Wird es uns gelingen, die heute armen Länder und ausgegrenzten Bevölkerungsteile in die Weltwirtschaft zu integrieren? Werden wir es schaffen, die Regeln für den internationalen Handel und das Finanzsystem so auszugestalten, dass sie zum Vorteil aller wirken?

Absorptionsfähigkeit und Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit

Für die Erreichung der internationalen Entwicklungsziele ist es entscheidend, dass sowohl die Wirksamkeit als auch das Volumen der Entwicklungszusammenarbeit erhöht wird. Wir haben uns gemeinsam verpflichtet, diese Aufgaben mit hoher Priorität anzugehen. Viele Entwicklungsländer könnten bereits jetzt substanziell höhere Geberbeiträge effizient nutzen. Und es kann davon ausgegangen werden, dass diese Beiträge nicht nur ihre direkte Wirkung zeigen, sondern auch eine wichtige katalytische Rolle bei der Umsetzung nötiger Reformen und bei der Mobilisierung von zusätzlichem Investitionskapital spielen.

Obwohl es beträchtlichen Spielraum gibt, ein höheres Volumen der Entwicklungsfinanzierung effizient zu nutzen, variiert die Situation von Land zu Land und von Sektor zu Sektor. Absorptionsprobleme und mangelnde Entwicklung sind zwei Seiten derselben Medaille. Deshalb ist es eine originäre Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit, die Absorptionskapazität zu verbessern. Wir begrüßen daher die Überlegungen zur Absorptionsfähigkeit und stimmen mit den Hauptaussagen voll überein. Wir ermutigen den Weltbank-Stab, diese Analysen zu vertiefen, da die Engpässe sich je nach Land und Sektor unterscheiden. "Capacity-Building" ist aber in der Entwicklungszusammenarbeit keine neue Erfindung, sondern wird seit langen Jahren praktiziert.

Die Erhöhung der Absorptionsfähigkeit setzt zum einen voraus, dass die Geberbeiträge stärker in die Entwicklungsprogramme der Länder integriert werden. Wir müssen unsere Bemühungen zur besseren Anpassung der Entwicklungszusammenarbeit an die nationalen Entwicklungsprogramme und zur Vereinfachung und Harmonisierung der verschiedenen Geberverfahren fortsetzen. Fortschritte bei diesem Thema sind eine wichtige Voraussetzung für eine bessere Absorptionsfähigkeit. Die Beschlüsse von Rom zur Harmonisierung von Geberpraktiken sowie die Konferenz von Marrakesch zur Ergebnisorientierung (Managing for Development Results) sind wichtige Meilensteine. Es gilt jetzt, die entsprechenden Beschlüsse in den jeweiligen Länderprogrammen umzusetzen.

Zum anderen müssen Finanztransfers sinnvoll mit Beratung und technischer Hilfe kombiniert werden. Deshalb ist es auch notwendig, dass die verschiedenen Geberinstitutionen eng zusammenarbeiten. Die Entwicklung von Konzepten zum Aufbau von Kapazitäten auf nationaler, sektoraler und lokaler Ebene muss ein integrales Element eines gemeinsamen Geberansatzes sein und auf einem soliden und gemeinsamen Analysefundament beruhen. Dabei ist es wichtig, dass die jeweiligen Potenziale und Stärken der verschiedenen Geberorganisationen, ihre komparativen Vorteile und ihre Erfahrung bei der Weitergabe von Wissen und Fähigkeiten in vollem Umfang genutzt werden. Die Weltbank als Finanzierungsinstitution sollte Capacity-Building nicht als ihre prioritäre Aufgabe betrachten, sondern in diesem Bereich besonders eng mit anderen Institutionen, wie z.B. den bilateralen Gebern sowie den UN-Institutionen, zusammenarbeiten.

Auch die Erfahrungen mit den PRS-Prozessen legen eine engere Kooperation der Geber untereinander nahe. Seit der Einführung der zweiten Generation der PRSPs in einer Reihe von Ländern wird es immer deutlicher, dass Verbesserungen der PRSP-bezogenen Zusammenarbeit erforderlich sind, um die Eigenverantwortung der Länder zu stärken und den Dialog zwischen den Gebern und den PRSP-Ländern über zentrale Entwicklungsfragen konzentrierter und einheitlicher zu führen. Deutschland schließt sich der Feststellung des Weltbank-Evaluierungsreferats (OED) an, dass ein transparenterer und offenerer Prozess mit anderen Partnern dem Grundsatz der Partnerschaft besser entsprechen würde und die Diskussion über koordinierte Unterstützung, Selektivität und komparative Vorteile voranbringen würde. In diesem Zusammenhang ermutigen wir die Bretton-Woods-Institutionen insbesondere, ihre eigenen regelmäßigen Überprüfungen der PRSPs besser in eine breitere Geberbewertung einzubinden.

Diese Fragen, wie wir besser zusammenarbeiten können, sowie die Implikationen der skizzierten Herausforderungen für die internationale Entwicklungsarchitektur sollten im nächsten DC vertieft werden. Die oben angesprochenen Themen zeigen: Wir müssen die jeweiligen Mandate der Institutionen klarer abgrenzen, ihre Rollen und komparativen Vorteile benennen, Fortschritte bei der Arbeitsteilung erzielen und allgemein enger zusammenarbeiten. Die Notwendigkeit, hoch verschuldeten Ländern mehr Zuschussfinanzierungen zur Verfügung zu stellen, macht dies umso dringlicher. In der Praxis bedeutet das, dass einem einheitlicheren und koordinierteren Umsetzungsansatz der Geber und aufgeteilten Verantwortlichkeiten jedes einzelnen beteiligten Akteurs größere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Ich würde es sehr begrüßen, wenn die Weltbank vor unserem nächsten Treffen einen abgestimmten Vorschlag für einen konkreten und klarer definierten Ansatz vorlegen könnte, in dem eine Arbeitsteilung und eine aktivere Verzahnung mit anderen multilateralen Institutionen, sowie auch der Spielraum für eine intensivere Zusammenarbeit mit den Bilateralen aufgezeigt werden.

Innovative Finanzierungsinstrumente

Größere und vorhersagbarere Steigerungen der ODA können eine positive Spirale von Aktionen zur Erreichung der MDG in Gang setzen. Daher müssen alle Möglichkeiten zur Mobilisierung der notwendigen Entwicklungshilfemittel untersucht werden. Es gibt Argumente für innovative Finanzierungsformen, nicht nur, um neue Mittel zu mobilisieren, sondern auch, weil die traditionelle ODA sich durch Schwankungen und durch mangelnde Vorhersagbarkeit auszeichnet. Ich stimme den Schlussfolgerungen der Groupe de travail sur les nouvelles contributions financičres internationales zu, dass wir auf lange Sicht eine größere Kontinuität der Geberzusagen brauchen, da die menschliche Entwicklung und der Kampf gegen die Armut hauptsächlich auf den laufenden Ausgaben für soziale Grunddienste basieren.

Es gibt gute Argumente für globale Steuern. Neue internationale Beiträge würden auf eine breiter angelegte Zielsetzung im Sinne größerer weltweiter Stabilität, größerer Sicherheit und einer gerechteren globalen Entwicklung abzielen, wobei einige davon sogar das Potenzial haben, wirtschaftliche Externalitäten zu korrigieren. Durch die Einführung einer weltweiten Besteuerung ließe sich die Finanzierung der Armutsbekämpfung auf eine solide und stabilere Basis stellen. Alternativ wären bestimmte globale Steuern auch gerechtfertigt, um die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter zu finanzieren. Die entsprechende Finanzierungslücke beläuft sich nach zurückhaltenden Schätzungen auf etwa 20 Milliarden US-Dollar. Während die bestehenden Vorschläge im Bereich der globalen Besteuerung entweder technisch oder politisch noch nicht umsetzungsreif sind, sollte prioritär an der Konsensbildung gearbeitet werden. Verschiedene Gruppen haben in diesem Jahr zahlreiche Berichte zum Thema vorgelegt. Nun ist es an der Zeit, über diese Berichte nachzudenken und die Vor- und Nachteile der Vielzahl an Instrumenten zu bewerten, wobei man stets die Machbarkeit und Praktikabilität der verschiedenen Vorschläge im Auge behalten sollte.

Die "International Finance Facility" (IFF) stellt einen technisch machbaren Vorschlag zur raschen Mobilisierung der erforderlichen neuen Mittel dar. Sie würde die Vorfinanzierung von Entwicklungshilfezahlungen zur Erreichung der MDGs ermöglichen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Nachteilen. Vor allem muß sichergestellt werden, dass nach 2015 keine Finanzierungslücke bei der "normalen" ODA entsteht. Auch nach 2015 werden noch viele der betroffenen Länder, insbesondere in Afrika südlich der Sahara, weiterhin Entwicklungszusammenarbeit benötigen. Für diese Länder stellt die vorgezogene Finanzierung der Hilfe ein bedeutendes Risiko dar, wenn nicht in der Zwischenzeit andere stabile Finanzierungsquellen geschaffen werden.

Die IFF und die internationale Besteuerung sind durch starke Komplementarität gekennzeichnet: Die vorgezogene Finanzierung ("front-loading") durch die IFF ließe sich mit einer internationalen Steuer, die voraussichtlich erst mittelfristig umsetzbar wäre, kombinieren. So könnten globale Steuern eine Lösung für das Risiko einer entstehenden ODA-Lücke nach 2015 darstellen.

Wachstumsagenda

Die internationale Gemeinschaft steht vor zwei zentralen Herausforderungen: Zum einen haben wir uns verpflichtet, die Millenniums-Entwicklungsziele zu erreichen; zum anderen haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Verschuldung auf ein Niveau zurückzuführen, das für die Länder langfristig tragbar ist. Dies ist vor allem deshalb schwierig, weil die beiden Ziele in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen: Wenn wir die MDGs erreichen wollen, bedarf es u.a. zusätzlicher externer Finanzmittel, und diese stehen z.T. nur in Form von Krediten zur Verfügung. Nur durch erhöhtes Wachstum wird es uns gelingen, beide Ziele miteinander zu vereinbaren.

Ohne eine wirtschaftliche Dynamisierung der Entwicklungsländer und damit einhergehend eine deutliche Steigerung des Wirtschaftswachstums kann weder die Schuldentragfähigkeit langfristig gesichert, noch können die Millenniums-Entwicklungsziele erreicht werden. Die Armutsreduzierung wird umso ausgeprägter sein, je besser es gelingt, die Produktivkräfte der Armen durch breitenwirksame und armutsreduzierende Wachstumsstrategien zu nutzen.

Wichtigste Voraussetzung hierfür sind ein verbesserter Marktzugang für Entwicklungsländer und allgemein die Schaffung einer gerechten Welthandelsordnung. Mit der WTO-Rahmenvereinbarung vom 31. Juli 2004 ist hierfür ein wichtiges Fundament gelegt worden. Sie verspricht u.a., die Exportsubventionen in der Landwirtschaft ganz abzuschaffen, andere handelsverzerrende Agrarsubventionen deutlich zu reduzieren, entwicklungsfeindliche Zollspitzen und die Tarifeskalation abzubauen, sowie eine zügige Lösung der Baumwollproblematik. In den anstehenden Verhandlungen geht es jetzt darum, diese Vereinbarungen umsetzungsreif zu machen: durch Festlegung der konkreten Abbausätze bei Zöllen und Subventionen sowie z.B. des Enddatums für die Abschaffung der Exportsubventionen. Letztlich wird sich daran entscheiden, ob wir das in Doha 2001 formulierte Ziel der Entwicklungsrunde auch erreichen. Es ist wichtig, dass die Weltbank ihre Forschungsarbeiten zu diesem Thema fortsetzt.

Für eine Erhöhung der Wachstumsraten ist es notwendig, die Bedingungen für die private Investitionstätigkeit zu verbessern. Deutschland begrüßt die wichtigen Arbeiten, die zu diesem Thema in Zusammenhang mit der Erstellung des Weltentwicklungsberichts 2005 erstellt wurden. Vor allem sollten die verwaltungstechnischen Anforderungen bei der Neugründung von Unternehmen auf ein Minimum begrenzt sein.

Wir begrüßen auch die Arbeiten zum Thema Infrastrukturentwicklung. Insbesondere ist es erforderlich, die Haushaltsspielräume für höhere öffentliche Investitionsausgaben genauer zu sondieren. Die Ziele für die Haushaltsausgaben müssen die unterschiedliche Art der verschiedenen Ausgabenkategorien berücksichtigen, insbesondere die potenzielle positive Wachstumswirkung von öffentlichen Infrastrukturinvestitionen. Zudem ist es wichtig, in jedem Einzelfall den Investitionsbedarf im Privatsektor realistisch einzuschätzen. Wir müssen vermeiden, die Reaktion der Privatwirtschaft auf die Reformprogramme zu optimistisch einzuschätzen, was dann zu übermäßig restriktiven Haushaltszielen führen könnte.

Allerdings geht die Wachstumsagenda über die Frage der Infrastruktur und der Kosten für Gewerbetreibende hinaus. Wir müssen dieses Thema umfassend angehen. Bei unseren letzten Treffen habe ich auf die Vernachlässigung von Wachstums- und Investitionsfragen bei der analytischen Arbeit wie auch in den Länderprogrammen hingewiesen. Inzwischen ist dies von den unabhängigen Evaluierungen des Armutsbekämpfungsstrategieprozesses (PRS-Prozess) bestätigt worden. Eine wesentliche Erkenntnis war, dass die Quellen für Staatseinnahmen und Wachstum ungleichmäßige Beachtung finden.

Entscheidend ist, die Erkenntnisdefizite abzubauen. Zu wenig ist bekannt über die Zusammenhänge zwischen Politiken und armutsbezogenen Wirkungen. Das Zurückfahren der sektorspezifischen Analysetätigkeit zugunsten von Grundlagenfragen ("core diagnostics") seitens der Bank hat zu diesen zentralen Erkenntnislücken beigetragen. Es bedarf daher einer verstärkten Untersuchung der potenziellen wachstumsbegünstigenden Faktoren und der Wege zu ihrer Mobilisierung. Da diese Themen - insbesondere die potenziellen Wachstumsfaktoren und die diversen Makro-Mikro-Verbindungen - sehr länderspezifisch sind, müssen die Lücken in erster Linie auf Länderebene angegangen werden. Die Weltbank sollte daher die Länder prioritär dabei unterstützen, Kapazitäten zur Überwindung von zentralen Analysedefiziten im Hinblick auf die Armutswirkungen von Politiken aufzubauen.

Über die Allokationseffizienz hinausgehen. In der Vergangenheit haben sich die meisten entwicklungspolitischen Theoretiker und Praktiker auf die Frage konzentriert, wie sich die Ressourcenallokation verbessern lässt, beispielsweise durch die Liberalisierung von Handel und Preisen, die Privatisierung von Versorgungsbetrieben oder die Deregulierung der Wirtschaft. Um die Volkswirtschaften auf einen langfristigen nachhaltigen Wachstumskurs zu bringen, müssen wir das Ziel der Allokationseffizienz um drei weitere ergänzen: Anpassungsfähigkeit, Erhöhung der Produktionskapazität und Verteilungsgerechtigkeit.
  • Anpassungseffizienz. - In einer idealen Welt kommt es nicht auf Institutionen an; somit kann man sich auf die Politiken der ersten Wahl konzentrieren. In der Praxis hingegen fehlt es diesen Lösungen oft an Flexibilität und Kohärenz mit bestehenden Strukturen und mit der politischen Ökonomie der jeweiligen Länder. Daher müssen wir uns mit den Spannungsfeldern auseinander setzen, die sich aus diesem Dilemma ergeben. Häufig wird das darauf hinauslaufen, auf einige mögliche Gewinne bei der Allokationseffizienz zugunsten von Verlässlichkeit, Funktionsfähigkeit und Anpassungseffizienz zu verzichten.
  • Erhöhung der Produktionskapazität. - Zur Förderung des Wachstums ist der Ausbau der Produktionskapazität und die Förderung der Kapitalbildung unerlässlich. In den meisten Ländern mit niedrigem Einkommen sind die Investitionsraten viel zu niedrig. Daran zeigt sich die Wichtigkeit des Investitionsklimas. Es ist aber auch ein Hinweis auf eine mögliche aktive Rolle des Staates bei der Suche nach Wachstumsfaktoren und bei der Förderung von Investitionen in bestimmten Gebieten.
  • Verteilungsgerechtigkeit und Armutsbekämpfung. - Es gibt zunehmende Belege dafür, dass Länder mit einer relativ egalitären Verteilung von Besitz und Einkommen tendenziell schneller wachsen. Bisher haben sich unsere Bemühungen zur Armutsbekämpfung auf die Verbesserung von sozialer Sicherung, Bildung und medizinischer Versorgung durch die Erhöhung und Umschichtung öffentlicher Ausgaben konzentriert. Es bedarf nun größerer Aufmerksamkeit für andere für die Armutsbekämpfung relevante Bereiche, beispielsweise Zugang zu Land (Verbesserungen im Bereich der Eigentumsrechte), Zugang zu Finanzierungen, gerechtere Besteuerung und die rechtlichen Rahmenbedingungen.
Wachstumsagenda und "Ownership"

Das Thema Wachstumsagenda ist essenziell mit dem Begriff der Eigenverantwortung ("Ownership") verknüpft. Es gibt für erfolgreiche Entwicklung kein Patentrezept. Notwendig sind maßgeschneiderte, länderspezifische Lösungen. Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang, dass die Reformen fest im kulturellen und politisch-wirtschaftlichen Umfeld verankert sein müssen. Daher muss zur Aufrechterhaltung eines höheren Wirtschaftswachstums und zur Erzielung einer maßgeblichen Verringerung der Armut verstärkt auf die Stärkung der Eigenverantwortung der Empfängerländer hingearbeitet werden. Diese enorme Herausforderung muss dringend angegangen werden. Ich schlage vor, das Thema bei unserer nächsten DC-Sitzung umfassend zu diskutieren. Hier stehen folgende Hauptpunkte an:
  • Die Verfahren und Berichterstattungsanforderungen der Geber und der IFIs sollten sich besser an die örtlichen Prozesse und die einheimischen Entscheidungsverfahren (z.B. nationale Planungsprozesse) anpassen und mit diesen verzahnt werden. Wenn wir im Bereich Anpassung und Harmonisierung wirklich weiterkommen wollen, müssen wir klar definieren, wie die Angleichung funktionieren kann und was das bei jedem einzelnen Entwicklungspartner konkret für die Umsetzung heißt. Deutschland unterstützt daher sehr die Empfehlungen im PRSP-Umsetzungsbericht, die auf die Sicherstellung der Verknüpfung mit der operativen Arbeit abzielen. Der PRS-Prozess sollte so weit wie möglich mit den bestehenden Planungsprozessen der Länder zusammengeführt werden; die Weltbank muss ihre Unterstützung besser auf den PRS-Prozess abstimmen. Das "Joint Staff Assessment" (JSA) sollte so umgestaltet werden, dass es den PRS-Prozess besser unterstützt, und nach und nach in ein "Joint Donor Assessment" eingebunden werden. Ziel dieser Bewertungen ist es, der Regierung im Hinblick auf die Qualität des PRSP eine ehrliche, transparente und analytisch gründliche Rückmeldung zu geben.
  • Da erfolgreiche Wachstumsstrategien im jeweiligen Länderkontext verankert sind, müssen die einheimischen Analysefähigkeiten besser genutzt oder gezielt aufgebaut werden. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass Normen und Regelwerke für Entwicklungsprozesse von entscheidender Bedeutung sind und dass institutionelle Lösungen sehr stark länderspezifisch sind. Daraus folgt, dass zur Umsetzung erfolgreicher Wachstumsstrategien genaue Kenntnisse der örtlichen Gegebenheiten erforderlich sind. Die internationale Gemeinschaft muss daher die Entwicklungs- und Transformationsländer aktiver bei der Gestaltung ihres eigenen Kurses unterstützen. So kommt es im Hinblick auf die Stabilisierung darauf an, dass die Programme in vollem Umfang berücksichtigen, welche ursächlichen wachstumsbestimmenden Elemente es gibt und welche Faktoren die Reaktion der realen Wirtschaft auf die Gesamtwirtschaftspolitik beeinflussen. Ein solcher Ansatz erfordert länderspezifische Annahmen über die zugrunde liegenden wirtschaftlichen und strukturellen Beziehungen. Solche analytischen Erkenntnisse lassen sich nur in Zusammenarbeit mit einheimischen Wissenschaftlern gewinnen. In diesem Zusammenhang sind die PSIAs (Analysen der Armuts- und Sozialwirkungen) ein wichtiges Instrument. Sie sollten systematisch eingesetzt werden.
  • Die Entwicklungsinstitutionen, insbesondere die Bank und der IWF, sollten aktive Beratung zu einer ganzen Bandbreite von Politikalternativen leisten und somit politischen Spielraum für die Länder schaffen. Hier geht es nicht so sehr um eine "Politikberatung" im klassischen Sinne. Die Aufgabe der IFIs ist es vielmehr, Vor- und Nachteile aufzuzeigen, mögliche Politikalternativen darzustellen, Erfahrungen aus anderen Ländern zugänglich zu machen und zum Aufbau nationaler Analysefähigkeiten beizutragen. Zur "Ownership" würde es auch beitragen, wenn die Konditionalitäten weiter konzentriert und die Leistungskriterien auf "Output"-Indikatoren ausgerichtet würden.
  • Schließlich müssen die Entwicklungsländer in den Entscheidungsgremien der Weltbank größere Mitspracherechte erhalten:

    Mitsprache

    Die Stärkung der Mitspracherechte der Entwicklungs- und Transformationsländer in den Gremien der Weltbank ist zentral, um die Glaubwürdigkeit der Institution zu erhalten. Die Möglichkeit einer aktiven Teilhabe aller Anteilseigner an den Entscheidungsprozessen ist Voraussetzung für die Akzeptanz der Maßnahmen. Die Forderung nach einer Stärkung der Mitspracherechte von Entwicklungs- und Transformationsländern in den Entscheidungsprozessen der Internationalen Finanzinstitutionen wurde schon von der Brandt-Kommission erhoben, die bereits im Jahr 1980 feststellte, dass "the developing countries do not have an adequate share of responsibility for decision-making, control and management of the existing international financial institutions" . Dies ist nun fast ein Vierteljahrhundert her, ohne dass sich Grundlegendes geändert hätte. Durch die Monterrey-Konferenz "Financing for Development" von 2002 und den Monterrey Consensus ergibt sich eine neue Sachlage, die - so denke ich - ein Handeln nun dringend erfordert. Deutschland hat deshalb den "Voice"-Prozess nachdrücklich unterstützt und schlägt die folgenden drei wichtigen Reformen vor:

    Erstens setzt sich Deutschland für eine Stärkung und konsequente Umsetzung des Prinzips der "Ownership" ein. Durch den PRSP-Ansatz wurden die Grundlagen für eine stärkere Partizipation der Empfängerländer an den relevanten Programmen und Maßnahmen gelegt. Die Erfahrungen, einschließlich der vorliegenden Evaluierung der PRSPs und PRGFs sowie einer von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit durchgeführten Evaluierung, zeigen, dass die bisherigen Anstrengungen zur Stärkung der "Ownership" nicht ausreichen. Die wesentlichen Elemente einer weiteren Verstärkung der Eigenverantwortung wurden oben benannt.

    Zweitens setzt sich Deutschland für eine substanzielle Erhöhung der Basisstimmrechte ein. Dadurch würde sich das Gewicht der Empfängerländer, insbesondere die relative Position der kleinen Entwicklungs- und Transformationsländer, erhöhen. Eine Anhebung der Basisstimmrechte auf ihr ursprüngliches Niveau von ca. 11 % würde den Gesamtstimmenanteil der Empfängerländer auf 43 % erhöhen. Zusätzlich zur Anhebung der Basisstimmrechte müsste sichergestellt werden, dass deren relativer Anteil an den Gesamtstimmrechten dauerhaft erhalten bleibt. Dies bedeutet, dass bei künftigen Anpassungen des eingezahlten Kapitals eine automatische Anpassung der Basisstimmrechte erfolgen würde, ein Verfahren, das zum Beispiel bereits von der Asiatischen Entwicklungsbank angewandt wird.

    Drittens wird vorgeschlagen, als Pilotmaßnahme für Entscheidungen im operativen Geschäft der Bank und bei Personalentscheidungen das Institut der doppelten Mehrheiten einzuführen, wie es bereits bei der Globalen Umweltfazilität (GEF) praktiziert wird. Eine doppelte Mehrheit würde dabei definiert als die Mehrheit der Anteilseigner auf der einen und die Mehrheit der Stimmen der Empfängerländer auf der anderen Seite. Dadurch würde sichergestellt, dass bei solchen Entscheidungen die Interessen der Empfängerländer maßgeblich berücksichtigt werden. Ein Abstimmungsverfahren mit doppelter Mehrheit würde dazu führen, dass alle Parteien gleichermaßen rechenschaftspflichtig sind, ohne dass die Grundrechte aller Mitglieder unterminiert werden. Es wird vorgeschlagen, ein solches Verfahren in einer Pilotphase von zwei Jahren zu testen und bei Erfolg die entsprechenden rechtlichen Grundlagen zu schaffen.

    Diese und andere Optionen sollten nun zügig behandelt werden. Deutschland unterstützt deshalb die Vorschläge in dem vorliegenden Bericht des Exekutivdirektoriums zu diesem Thema. Darüber hinaus ist ein klarer Zeitrahmen für die weiteren Prozesse notwendig, um die Diskussionen in absehbarer Zeit zum Abschluss bringen zu können. Eine Sequenzierung der Diskussion kann in diesem Zusammenhang von Vorteil sein. Diejenigen Optionen, bei denen ein Konsens in Sicht ist, sollten so rasch wie möglich abgearbeitet werden, um vorzeigbare Erfolge präsentieren zu können. Ich gehe davon aus, dass eine Einigung zu den Fragen der Erhöhung der Basisstimmrechte, der "Membership Votes" und zu "Special Majorities" bereits zur Frühjahrstagung 2005 erzielbar sein könnte. - Die angestrebten besseren Mitsprachemöglichkeiten sind im Interesse aller Mitgliedsstaten. Ich bin jedoch der Ansicht, dass besonders die Entwicklungs- und Transformationsländer davon profitieren würden und deshalb ihre aktive Unterstützung von entscheidender Bedeutung ist. Anderenfalls wären Fortschritte in diesem Bereich sehr schwierig.

    Schuldentragfähigkeit

    Die erweiterte HIPC-Initiative ist ein Erfolg. Die bislang zugesagten HIPC-Schuldenerleichterungen stellen eine Reduzierung des Gesamtschuldenbestands dieser Länder um zwei Drittel dar und die Entschuldung hat den Ländern geholfen, ihre Ausgaben für Armutsbekämpfung maßgeblich zu steigern. Mit Blick auf die Zukunft müssen wir uns erneut mit dem Finanzbedarf für HIPC befassen, um eine solide Finanzierungsbasis für den Schuldenerlass im Rahmen der Initiative zu sichern. Dabei müssen wir allerdings die Lastenteilung zwischen den Gebern, die Fragen der Gläubigerbeteiligung und die Möglichkeiten zusätzlicher Eigenbeiträge von Bank und Fonds sorgfältig neu formulieren.

    Außerdem müssen wir nun nach vorn blicken und das erneute Entstehen von nicht tragfähiger Verschuldung vermeiden. Deutschland unterstützt die Grundausrichtung des neuen Umsetzungsrahmens, der bei der Frühjahrstagung diskutiert wurde. Der HIPC-Initiative ist es gelungen, einen nicht tragfähigen Schuldenüberhang abzubauen. Aber eine Schuldensenkung allein genügt nicht, um die Entwicklung in den ärmsten Ländern wieder auf Kurs zu bringen. Kein Entschuldungspaket kann jemals zu langfristiger Schuldentragfähigkeit führen, wenn die Schuldenerleichterungen nicht mit Umbau und Strukturwandel in den Entwicklungsländern einhergehen. Daher benötigen wir einen Rahmen, der zukunftsweisende Orientierungshilfe zu künftigen Kreditaufnahme- und -vergabeentscheidungen bietet. Der bei der Frühjahrstagung diskutierte Umsetzungsrahmen mit länderspezifischen Schuldentragfähigkeits-Grenzwerten, der auch das Thema Anfälligkeit und die Stärke der Institutionen berücksichtigt, bietet eine gute Grundlage für die weitere Diskussion.

    Einige der noch offenen Details müssen in naher Zukunft geklärt werden, damit der Rahmen funktionsfähig wird. Wir sollten hier nicht nach Perfektion streben, sondern eher einen in Stufen vorgehenden Ansatz verfolgen und die Frage der Richtwerte im Zuge unserer weiteren Überlegungen genauer in Augenschein nehmen. Das ermöglicht es uns, die wichtigste Frage aufzugreifen: Wie können wir den HIPC-Ländern dabei helfen, die notwendigen Reformen durchzuführen, unter Betonung von Aspekten wie gutem wirtschaftlichem Management, besserer Regierungsführung und länderspezifischen Wachstumspolitiken?

    Wegen ihrer Bedeutung als Orientierungshilfe für die Maßnahmen aller beteiligten Entwicklungspartner sollten die Schuldentragfähigkeitsanalysen von Fonds und Bank gemeinsam vorgenommen werden. Eine umfassende Schuldenanalyse ist notwendige Grundlage für länderspezifische Bewertungen. Es kommt darauf an, diese Analysen sorgfältig in die bestehende Umsetzungspraxis von Weltbank und IWF einzupassen. In Anbetracht der Folgerungen, die sich aus den Schuldentragfähigkeitsanalysen für die Gesamtfinanzierung und Geberkoordinierung ergeben, ist es wichtig, diese transparent und kooperativ zu erstellen. Die Analysen sollten daher gemeinsam erarbeitet und vorgelegt werden, verbunden mit den entsprechenden Strategiepapieren. Die vorgeschlagene gemeinsame Erstellung der Schuldentragfähigkeitsanalysen wird die Rechenschaftspflicht gegenüber dem jeweiligen Exekutivdirektorium nicht schwächen, sondern stärken.

    Zudem wird es darauf ankommen, dass die Länder selbst ihre Schuldensituation regelmäßig untersuchen, ihre Fähigkeiten zum Schuldenmanagement verbessern und die Länderdiskussion über Schuldentragfähigkeitsthemen öffnen. Die Gebergemeinschaft muss eine vertiefte Diskussion über die Auswahl an Alternativszenarios fördern, als Orientierungshilfe für die künftigen Richtungsentscheidungen im größeren PRS-Rahmen. In vielen Fällen könnten beispielsweise Fragen der Schuldentragfähigkeit leicht als Einschränkung der Verfügbarkeit dringend benötigter Mittel zur Erreichung der MDG interpretiert werden. Daher fordere ich die Weltbank und den IWF auf, bei der Erstellung der eigenen Schuldentragfähigkeitsanalyse eng mit den Behörden der Länder und den Entwicklungspartnern zusammenzuarbeiten.

Quelle: Homepage des BMZ: www.bmz.de


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