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Wenn Wasser zur Ware wird

In Mexiko-Stadt geht das Weltwasserforum zu Ende - Ein Erfolg für die Nichtregierungsorganisationen?

Im Folgenden dokumentieren wir zwei weitere Artikel, die anlässlich des 4. Weltwasserforum in Mexiko-Stadt (März 2006) veröffentlicht wurden. (Siehe auch: "Das Recht auf Wasser ist ein Menschenrecht".)



Mexikos Wasser wird zur Ware

Laut Verfassung »Eigentum der Nation«, wird das Nass schleichend privatisiert

Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt*


In Mexiko bekommt die Privatwirtschaft immer stärkeren Zugriff auf die Ressource Wasser. Nichtregierungsorganisationen wollen diese Entwicklung aufhalten.

Auf fast jeder Alternativveranstaltung zu dem am Mittwoch endenden 4. Weltwasserforum in Mexiko-Stadt war es in diesen Tagen zu hören: »Nein zur Privatisierung. Wasser ist keine Ware, Wasser ist ein Menschenrecht und Allgemeingut.« Geht es nach Cristóbal Jaime Jáquez, dem Direktor der nationalen Wasserkommission Mexikos und Mitorganisator des offiziellen Forums, so sind das unnötige Schlagworte. Zumindest in seinem Land. Denn, sagt der ehemalige Coca-Cola-Manager, »dieses Thema ist gegessen«. Die Privatisierung des Wassers sei aufgrund der Verfassung unmöglich. Und Präsident Vicente Fox, vor seiner politischen Karriere ebenfalls in Diensten des Getränkemultis, bekannte sich vor wenigen Tagen in seiner Eröffnungsrede vor dem Forum zu Wasser als »öffentlichem Gut«.

Diese Botschaft wird von den Privatisierungsgegnern zwar gehört, aber nicht mehr geglaubt. Denn gerade Mexiko ist ein Beispiel, wie privaten Unternehmen zunehmender Einfluss auf die Wasserressourcen zugestanden wird. Zwar ist laut Artikel 27 der mexikanischen Verfassung von 1917 Wasser tatsächlich »Eigentum der Nation«. Doch ist dieses Konzept seit Beginn der 80er Jahre in der Praxis Schritt für Schritt ausgehöhlt worden. Institutionelle und gesetzliche Reformen gingen dabei Hand in Hand. Zwei Finanz- und Wirtschaftskrisen 1982 und 1994/95 machten das Land besonders empfänglich für die Privatisierungs- und Deregulierungsrezepte der internationalen Finanzinstitutionen.

Eine 1982 vorgenommene Dezentralisierung der Trinkwasserversorgung fand ohne entsprechende finanzielle und fachliche Unterstützung für die mexikanischen Kommunen und Bundesstaaten statt. Die Mängel der öffentlichen Versorgungsleistung trugen dazu bei, der Forderung nach privater Beteiligung an Wasserbetrieben Nachdruck zu verleihen. Die Weltbank und die Interamerikanische Entwicklungsbank boten »Modernisierungskredite« an, deren Vergabe mehr oder weniger offen an die Einbeziehung der Privatwirtschaft geknüpft war. Der Staat begleitete die rechtliche und organisatorische Umstrukturierung der kommunalen Betreibergesellschaften hin zu autonomen Unternehmenseinheiten.

Vizeweltmeister bei Flaschenwasser

Ein vollständig neu formuliertes Wassergesetz erlaubte 1992 verschiedene Konzessionsformen der Trinkwasserversorgung. Vor allem in Städten im Norden des Landes ist diese heute ganz oder teilweise in privater Hand. Durch Tochtergesellschaften sind praktisch alle wichtigen Wassermultis wie Suez, Veoli und RWE auch in Mexiko vertreten. Oft bilden sie Gemeinschaftsunternehmen mit mexikanischen Baukonzernen oder Banken. Die Folgen sind ernüchternd. In Städten wie Cancún, Aguascalientes oder Saltillo sind sie den Nachweis schuldig geblieben, die Wasserversorgung effektiver als die öffentlichen Betreiber zu leisten. Die mangelhafte Qualität des in die Haushalte kommenden Trinkwassers hat in den vergangenen Jahren zu einem rasanten Anstieg des Geschäfts mit abgefülltem Wasser geführt. Die Mexikaner sind nach Italien Vizeweltmeister im Pro-Kopf-Konsum von Flaschenwasser. In Lateinamerika stehen die Mexikaner an erster Stelle, was den Verbrauch der so genannten Erfrischungsgetränke angeht. Angesichts der Marktverhältnisse bedeutet dies vereinfacht, sie sind entweder Kunden von Coca Cola oder Pepsi Cola. Es gibt Berechnungen, nach denen mit den jährlichen Ausgaben für Flaschenwasser das gesamte Trinkwassernetz des Landes saniert werden könnte.

Für die Verfechter einer öffentlichen Wasserversorgung handelt es sich bei dieser Situation um eine versteckte de-facto-Wasserprivatisierung ungeheuren Ausmaßes. Auf dem Land fördert die nationale Wasserkommission die Entwicklung so genannter Wassermärkte. Die Rechte an zugeteilten Wasserkontingenten oder an Quellen und Brunnen können zunehmend auf dem »freien Markt« gehandelt werden. Die traditionelle Einheit von Land und Wasserrechten ist durch verschiedene Gesetzesreformen aufgehoben worden. Kritiker, wie der mexikanische Wasserexperte Félix Gamundi, sehen in der möglichen Konzentration von Wasserrechten die Gefahr eines modernen Großgrundbesitzes heraufziehen: »Wer Wasserrechte ansammeln kann, kann auch zunehmend über das Land bestimmen, das ohne Zugang zum Wasser keinen Wert hat.«

Staudämme werden komplett privatisiert

Die Gesetzesänderungen der vergangenen Jahre schaffen in Mexiko noch ganz andere Möglichkeiten: Unter bestimmten Bedingungen können beispielsweise Stauwerke komplett von Privatunternehmen finanziert und dann über Jahrzehnte betrieben werden, um die Investitionskosten wieder einzuspielen. Ähnliches gilt für andere hydrotechnische Infrastruktur wie Aquädukte. So ist im Bundesstaat Hidalgo einem Unternehmen als Gegenleistung für den Bau einer Wasserleitung das Recht auf Erhebung einer Art Mautgebühr für den Wassertransport erteilt worden.

Zuletzt wurde die Tendenz zur Wasserprivatisierung im Jahr 2004 mit einer weiteren Reform des Wassergesetzes zementiert. Und derzeit sind sogar weitere Entwürfe im Umlauf, die den Charakter des Wassers als Ware noch stärker betonen als bisher. Doch während die früheren Initiativen von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet den Gesetzgebungsprozess durchliefen, ist der Umgang mit dem Wasser in den letzten Monaten ein Gesellschaftsthema in Mexiko geworden. In der »Nationalversammlung zur Verteidigung des Wassers und des Landes gegen die Privatisierung« haben sich innerhalb kurzer Zeit weit über hundert Nichtregierungsorganisationen und soziale Bewegungen zusammengeschlossen.

Aus: Neues Deutschland, 21. März 2006


Punktsieg für die Aktivisten

Von Gerhard Dilger*

Die Wasserprivatisierung in Lateinamerika und anderswo ist wieder ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt. Paradoxerweise ist dies der neoliberalen Regierung Mexikos als Gastgeberin des Weltwasserforums zu verdanken. Denn der Kontrast war groß: Auf der eine Seite die hermetisch abgeschirmte Mega-Veranstaltung der Wasserlobby und des Entwicklungs-Jetsets mit seinem Heer von Beratern – auf der anderen die Parallelveranstaltungen der Aktivisten im Zentrum von Mexiko-Stadt, mit Kleinbauern, Stadtteilaktivisten, Indígenas und Verbündeten aus Süd und Nord.

In diesem ungleichen Kampf hat die so genannte Zivilgesellschaft einen wichtigen Punktsieg davongetragen. Der Intransparenz vieler Entwicklungen setzte sie vielstimmig ihre Botschaft gegen den Ausverkauf des »Blauen Goldes« entgegen. Damit gelang es, der anhaltenden Privatisierungsoffensive weitere Stolpersteine in den Weg zu legen.

Auf der Regierungsebene hat Bolivien die Vorreiterrolle übernommen. Es setzt auf eine privatisierungskritische Allianz, an der sich Brasilien, Argentinien, Venezuela und Uruguay beteiligen dürften.

Druck von unten kann mittelfristig Ergebnisse erreichen – Bolivien etwa verhandelt derzeit mit einem französischen Multi darüber, wie Wasserwerke geordnet in die öffentliche Hand zurückgeführt werden können. Und in Uruguay ist der Rückzug europäischer Firmen aus der Wasserversorgung ebenfalls beschlossene Sache. Es wird noch dauern, bis Wasser wie in der uruguayischen Verfassung auch im Rahmen der UNO verbindlich als Menschenrecht und Allgemeingut festgeschrieben wird. Doch auf diesem mühseligen Weg ist die Weltbürgergemeinschaft in Mexiko einige Schritte vorangekommen.

Aus: Neues Deutschland, 21. März 2006


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